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„Na ist zwischen euch wieder alles klar?" Michelle stürmte ohne anzuklopfen in die Kapitänskajüte. Es war der 5 Tag ihrer Reise zur Insel der Todgeweihten.

„Natürlich, hast du das nicht bemerkt? Ach ja, ich vergaß…" Mary grinste, „ du schwebst inzwischen ja auch auf Wolke 7."

„Wolke 8! Ich will mit Dave ne Wolke für mich alleine haben." Lachend ließ Michelle sich zu ihrer Freundin aufs Bett fallen.

„Was machst du eigentlich, wenn wir wieder zurück müssen?"

„Wohin zurück?" Irritiert sah Mary von einer Seekarte auf, die Jack ihr gegeben hatte, damit Mary eine ungefähre Ahnung von der Gegend hatte, durch die sie segelten.

„Na nach Hause!"

„Oh, was soll ich da schon machen?" Mary hatte schon lange nicht mehr an zu Hause gedacht. Sie hatte einfach keine Zeit ihre Heimat zu vermissen und außerdem… im Moment war sie auf der Pearl einfach nur glücklich.

„Naja wegen Jack…" Michelle fragte, weil sie selbst noch nicht wusste wie sie sich dann Dave gegenüber verhalten sollte, doch eine große Hilfe war Mary ihr nicht.

„Das werd ich mir dann überlegen." Im nächsten Moment widmete sie sich wieder der Seekarte. Sie wollte jetzt nicht daran denken, es würde noch schwer genug werden.

Michelle wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, als ein laut gekreischtes „Land in Sicht" die beiden aufspringen ließ. Cottons Papagei hatte zwar schon öfters einfach so „Land in Sicht" gekreischt, aber diesmal hörten die Mädchen wie viele Paar Füße eifrig auf dem Deck hin und her rannten.

Schnell gingen die Mädchen nach draußen und tatsächlich: Am Horizont zeichnete sich deutlich eine Landkette ab.

Mary ging sofort zu Jack, der sich lässig ans große Steuerrad gelehnt hatte.

„Ist das die Insel der Todgeweihten? Wir sollten doch erst in zwei Tagen ankommen." Sie nahm Jacks Angebot in Form eines ausgestreckten Armes an und lehnte sich zufrieden gegen seine Schulter.

„Ja Liebes, das ist sie. Und meine Pearl ist nun mal das schnellste Schiff der Karibik."

„Angeber!" Mary knuffte ihn aus Spaß in die Seite, doch plötzlich wurde ihr Blick ernst. Sie hatten sich der Insel genähert.

„Sieht unheimlich aus."

Die Insel schien aus mehreren Inseln zu bestehen. Viele kleine Landstücke waren durch dünne Landzungen miteinander verbunden. Wie eine Art Brücke. Vor vielen Tausend Jahren mussten es mal mehrere Inseln gewesen sein, die sich durch Strömungen, Winde und Verschiebungen der Erdplatten nach und nach miteinander verbunden hatten. Doch das war nicht das unheimliche an der Insel. Es schien dort nicht einen einzigen Baum zu geben! Alles was man erkennen konnte, war der nackte Fels hoher Berge, die auf jeder Insel standen. Kahl und grau ragten sie vor der Black Pearl auf, schienen von der prallen Sonne nicht erreicht zu werden und die spitzen der Berge waren von Nebel verhüllt, was, bei solch einer geringen Höhe verglichen mit richtigen Gebirgen, gar nicht der Fall sein durfte. Die Insel bestand nur aus Stein, es gab keinen Strand oder wenigstens Stellen mit kleinen Kieseln, vom Meer aus, sah die Insel aus, wie mehrere Berge, die einfach nur durch kleine Landzungen verbunden waren. Allerdings war es unmöglich sich auf diesen Landzungen zu bewegen. Sie bestanden aus gezackten scharfen Felsen, durch die es kein Durchkommen gab. Obwohl die Sonne genau auf die Insel schien, lag diese im Schatten. Kein Sonnenstrahl erreichte die Spitze der Berge und kein Licht fiel auf die steinige Küste.

„Stimmt Liebes, sieht unheimlich aus." Jack strich beruhigend über die Gänsehaut, die sich auf Marys Arm gebildet hatte. „Aber schließlich ist es auch die Insel der Todgeweihten."

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„Oh nein, ich werde keinen Fuß auf diese verfluchte Insel setzen!" Abwehrend hielt Delone die Hände vor seinen Körper, während Jack genervt an der Reling lehnte. „Ich habe Euch hierher gebracht, ganz wie Ihr es verlangt habt, aber Ihr könnt mich nicht zwingen, diese Insel zu betreten! Wer weiß, was uns dort erwartet."

„Jetzt hör mal gut zu, Jungchen." Jack trat gefährlich nahe an den Adeligen heran. „Ich weiß auch nicht was uns dort drüben erwarten wird, aber ich weiß was dich…" Sein Zeigefinger piekste in Jeans Brust, „… auf der Pearl erwarten wird, wenn du nicht mitkommst, klar soweit?"

„K-klar!" Delone schluckte hilflos.

„Na dann verstehen wir uns ja. LASST DIE BOTE ZU WASSER!" Jack grinste zufrieden, als seine Mannschaft sofort ausschwärmte, um alles für die Übersetzung zur Insel vorzubereiten. „Warum so nachdenklich, Liebes? Von Nahem sieht die Insel doch gar nicht so gefährlich aus."

Mary spielte geistesabwesend mit ihrem grünen Anhänger und sah nachdenklich zur Insel.

„Ich überlege nur gerade, warum sie wohl Insel der Todgeweihten heißt."

Der Pirat zog daraufhin die Augenbrauen zusammen und musterte kritisch die scharfzackigen Berge. „Wie werden es rausfinden."

„Danke, das baut mich auf. Ich will es lieber nicht wissen."

„Willst du auf der Pearl bleiben?" Wenn Jack ehrlich war, sah er sein Mädchen eh lieber sicher auf dem Schiff, als auf irgendeiner unheimlichen Insel, aber andererseits… als momentanes Mitglied der Crew, wäre es eine Sonderbehandlung, wenn sie bleiben wollen würde

„Was? Er muss mit und ich soll hier bleiben?" Entrüstet deutete Mary auf den mit seinem Schicksal hadernden Adeligen. „Kommt gar nicht in Frage! So schnell wirst du mich nicht los. Du wirst schon auf mich aufpassen müssen."

„Nichts lieber als das, Love." Jack zwirbelte eine blonde Locke um seinen Zeigefinger. „Du bist auf dem besten Weg eine richtige Piratin zu werden."

„Ist das jetzt gut oder schlecht?" Grinsend sah Mary den Piraten an.

„Kommt drauf an." Vollkommen ernst betrachtete Sparrow das Mädchen.

„Worauf?"

„Nur auf dich, Schatz, darauf, was du daraus machst." Er drückte ihr noch einen kurzen Kuss auf die Wange und verschwand dann, um Michelle und Dave daran zu erinnern, dass es auch noch Arbeit gab. Mary indessen, sah ihm verwirrt nach. Jacks ernste Momente wühlten sie immer ungeheuer auf.

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Außer dem leisen Plätschern der Boote, die langsam durch das tiefschwarze Wasser glitten, war kein Geräusch zu hören.

Sie ruderten durch ein Höhlensystem der Berge und außer den Lampen, die jeweils am Bug der Boote befestigt waren, war es stockfinster.

Je weiter sie ruderten, desto modriger und stickiger wurde die Luft und- was das Beunruhigenste am ganze Tunnel- der Gang wurde immer enger und führte langsam, aber sich in die Tiefe.

Unsicher drückte Mary sich an Jack, der von seinem Privileg als Captain- nämlich die anderen rudern zu lassen- Gebrauch gemacht und einen Arm um sie gelegt hatte.

„Liebes?" Obwohl Jack flüsterte hatte man den Eindruck, er würde in die Stille hinein schreien. „Stand eigentlich in dem Buch, WO auf der Insel wir den Kristall finden?"

„N-nein." Weiter wollte sie sich im Moment nicht äußern. Dieses Höhlensystem kam ihr überhaupt nicht koscher vor, im Gegenteil!

Sie hatte des Gefühl irgendetwas würde in der Dunkelheit lauern, sie ohne Unterbrechung beobachten und auf den günstigsten Augenblick zum Angriff warten.

Ausnahmsweise hatten sie und Delone mal etwas gemeinsam, denn der Adelige war kurz davor in Tränen auszubrechen und stammelte fortwährend etwas von „Augen, über all Augen. Man kann sie nicht sehen aber sie sind da! Ich spüre es!" Nur die Drohung von Jack, ihn eigenhändig über Bord zu werfen und einsam zurück zu lassen ließ Jean verstummen, doch er warf weiterhin flehende Blicke zu Mary, als suche er in ihr eine Verbündete.

Irgendwie fühlte das junge Mädchen sich dazu verpflichtet seinem Vertrauen gerecht zu werden und spähte suchend in die Dunkelheit.

Nichts!

Sie wollte sich gerade erleichtert zurücklehnen, als zwei kurze Lichtblitze sie hochfahren ließen. Ihr Blick schnellte zur rechten Felswand.

Sie passierten gerade eine der zahlreichen Abzweigungen. Zitternd wagte Mary einen Blick in den dunklen Gang und kreischte in Mädchenmanier laut auf, als sie direkt in zwei leuchtendgrüne Augen blickte.

Alle Piraten zuckten erschrocken zusammen, aber keiner hatte so schnell seine Hand am Degen wie Jack.

Alarmiert sah er sich um, konnte den Grund für Marys Schrei aber nicht entdecken.

„ Was ist Mary?"

„Da! Da in der Abzweigung! Augen! Grüne Augen!" Wie in Trance starrte sie die Augen an. Feindselig und tückisch wurde sie gemustert. Es waren grausame Augen, voller Bosheit. Mary keuchte vor Angst als sich ein zweites Augenpaar dazu gesellte.

„Oh Gott, jetzt sind es zwei!"

„Mary, da ist nichts!" Angestrengt starrte Sandy in die Dunkelheit. Dort war nichts, rein gar nichts!

„Siehst du es denn nicht?"

„Mary dort ist wirklich nichts." Michelle legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Die bist nur etwas überreizt. Das kommt davon, weil Delone über Augen gesprochen hat."

„Du hättest auf dem Schiff bleiben sollen, Herzchen." Mitfühlend streichelte Jack über die Gänsehaut an ihrem Arm und war erstaunt wie stark Mary zitterte.

„Glaubt mir doch!"

„Da ist wirklich nichts." Auch die anderen Piraten schalteten sich ein.

Warum glaubte ihr niemand, sie war nicht verrückt oder überreizt.

Zitternd drückte sie sich an Jack, in der Hoffnung die Augen würden es irgendwann leid werden, sie zu beobachten.

Der Captain winkte Michelle näher an sich heran. „Du hättest mir sagen sollen, dass sie so sensibel ist. Dann wäre sie auf der Pearl geblieben, das hier ist nichts für sie."

Doch Michelle schüttelte nur beunruhigt den Kopf.

„Mary ist zwar sensibel, was ihr Privatleben und alles was damit zu tun hat angeht, aber nicht bei solchen Dingen! Sie ist die Letzte, der ich zutrauen würde, überzureagieren oder sich aus Angst und Überspanntheit Dinge einzubilden." Besorgt sah Michelle auf ihre aufgelöste Freundin. „Ich kenne Mary so nicht. Sie ist zwar die einzige, die die Augen sieht, aber ich bin mir sicher, dass sie sie sich nicht einbildet! Hier ist jemand oder etwas, ganz bei uns in der Nähe. Delone hat nicht umsonst von Augen gesprochen, er weiß mehr als wir denken. Wir sollten auf der Hut sein, Jack, und Mary glauben. Ich meine… die Insel heißt doch: Insel der Todgeweihten. Vielleicht gehören diese Augen ja eben diesen Todgeweihten. Sie sind hier gestorben und finden keine Ruhe… wie in einem billigen Horrorfilm."

Alle in den Booten hatten Michelle zugehört und schauderten nun. Gegen Männer und Schurken konnten sie kämpfen, nicht aber gegen Augen, die sie nicht einmal sehen konnten.

Der Gang war inzwischen so eng geworden, dass die Piraten kaum noch Platz zum Rudern hatten.

Und da sah sie sie wieder. Die grünen, grauenvollen Augen.

Nicht in einer Abzweigung, sondern über ihnen. Es schien als würden sie im Dunkeln schweben.

Die grausamen Blicke folgten ihnen und es wurden immer mehr. Sie bewegten sich in der Dunkelheit, immer neben der Karawane der Boote.

Mary hatte ihren ersten Schrecken überwunden und fasste sich langsam wieder. Was war das? Egal, was es auch war, es wollte ihr und ihren Freunden böses.

Was sollte man dagegen tun? Nun, erstmal aufhören sich aufzuregen wäre nicht schlecht. Zweitens, den anderen sagen, was sie sah, auch wenn sie ihr nicht glaubten.

Drittens, versuchen die Körper der Augen zu Gesicht zu bekommen, damit man wusste, mit wem man es zu tun hatte.

Viertens, herausfinden, wie man diese Gestalten umbringen konnte. Und ganz wichtig: Keine Angst haben.

Mary konnte sich erinnern, dass das erste Augenpaar angefangen hatte heller zu leuchten und zwar genau in dem Moment, als Mary von einer Welle der Angst überrollt worden war. Anscheinend stärkte es die Viecher, wenn man Angst hatte. „Leute, ich will ja nichts sagen, aber über uns muss es einen Weg geben, weil da gerade viele grüne Augen langlaufen."

Erstaunt sah Jack Mary an.

„Wie viele Mary." Michelle versuchte schon nicht mehr die Augen zu sehen, sondern verließ sich vol und ganz auf ihre Freundin.

„Ähm… so ungefähr…" Ein Blick hinauf, „ so ungefähr 10…. Hey, jetzt sind sie weg."

„Ist das gut oder schlecht?" Gary wollte einfach nur zurück zur Pearl! Raus aus dieser verfluchten Höhle!

Mary blieb ihm eine Antwort schuldig.

Vor ihnen endete nun der Wasserweg und ein großer Gang tat sich zu ihrer rechten auf. Die schwärzeste Finsternis gähnte ihnen entgegen.

„Das heißt dann wohl laufen." Jack kletterte vorsichtig aus dem Boot und half Mary beim Aussteigen, nachdem sie festgestellt hatte, dass ihre Beine vor Schreck noch nicht so ganz wie ihr Gehirn wollten.

„Das ist schlecht."

„Warum?" Alle richteten ihren Blick auf Mary.

„Weil die grünen Augen da rein verschwunden sind."