Kapitel 12
Wie immer, wenn sie unvorbereitet und in Arbeitskleidung durch die Wildnis von Terra Nova streifte, verfluchte sie ihre Arbeitsschuhe und wie immer streifte sie diese spätestens nach der Durchquerung des kleinen Wäldchens nördlich des Hauptquartiers ab. Janet kannte diesen Weg nur zu gut, von daher würde sie ihre Schuhe – hoffentlich – auf dem Rückweg ohne Probleme wieder aufsammeln können. Wie gesagt, hoffentlich. Mehr als ein Paar musste in diesem Wald inzwischen einen neuen Verwendungszweck gefunden haben, aber glücklicherweise hatte der junge Lt. inzwischen aufgehört nachzufragen, was mit den alten Schuhen passiert sei, wenn sie wieder einmal im Versorgungslager des Hauptquartiers auftauchte um ein neues Paar zu ergattern. Es war neben den typischen Geräuschen des Waldes nichts Ungewöhnliches zu hören und vermutlich würde jeder andere hier keinen anderen Menschen vermuten, aber Janet war klar, dass, wenn jemand in Richtung Norden wanderte, er oder auch sie zwangsläufig an einem ganz bestimmten Punkt zu halt kommen würde. Schließlich hatte sie mehr als einmal am eigenen Leib erfahren, dass von diesem Punkt eine ganz bestimmte Magie ausging und außerdem handelte es sich bei diesem Weg um eine Sackgasse und damit vermutlich um den Hauptgrund warum sie Mac am See wieder finden würde. Und als sie vorsichtig über den Hang zu der kleinen Uferbucht herunter kletterte und gesuchte Person auf einem der Steine am Wasser sitzen sah, gratulierte sie sich still zu ihrem Scharfsinn. Es war doch immer wieder schön auch ab und zu Recht zu haben – eine Sache auf die man mit einer Tochter im Teenager-Alter nicht unbedingt immer zählen konnte.
Ihre Augen wanderten bis sie einen Ast auf dem Boden fand, der ihren Ansprüchen genügte und als Janet mit voller Absicht auf ihn trat, ertönte ein lautes Knacken, welches die andere Offizierin sich sofort umdrehen und dann wieder ruhig auf den Stein niederlassen lies. Zufrieden lächelte Janet – viele lange Jahre als Militärärztin hatten sie gelehrt, dass man grade Mitglieder der Marine nicht einfach auf die Schulter tippen sollte, sondern sie immer irgendwie vorwarnen. Ohne auf eine Einladung zu warten nahm sie ungestört ihren Lieblingsplatz auf einem alten Baumstamm ein und lies vorsichtig die Füße im Wasser baumeln. So saßen sie einige Minuten bis es wieder Janet war die sprach – Mac hatte noch keinen einzigen Ton von sich gegen. „Darf ich Sie duzen?" Mac zuckte mit den Schultern und nickte dann kurz. Janet fuhr sich mit der Hand durch die Haare was zur Folge hatte, dass einige Haarsträhnen sich aus der lose hochgesteckten Frisur lösten und nun in ihrem Gesicht baumelten. Puh, diese Frau zum Reden zu bekommen war fast schwerer als mit Teal'c in ein Gespräch zu verwickeln und das wollte nun wirklich etwas heißen. „Worüber denkst du nach?" Sie bekam zuerst keine Antwort und als Mac nach einigen Minuten sprach wäre Janet fast, aber eben nur fast kopfüber den See gefallen vor Schreck: „Über die Zukunft... über alles..." Der Satz klang offen aus und klang verzweifelt und verwirrt zugleich, aber Janet wusste, was ihr Gegenüber auszudrücken versuchte – es war genau das, was sie vermutet hatte. Deswegen hatte sie auch keinem der anderen gesagt, wohin sie gehen würde und wo sie Sarah Mackenzie vermutete, deswegen war sie gekommen. Sie lies ihren Blick in die Ferne auf die hohen Berge wandern und fing dann an mit fester Stimme zu sprechen:
„Weißt du, es ist eine komplizierte Sache mit der Zukunft. Ich habe oft gedacht, all das, was ich habe würde sich nie ändern und ich habe mich für den Moment mit dem zufrieden gegeben was ich hatte, weil ich davon ausging, dass es morgen auch noch sein würde und wenn es mir danach wäre, ich es auch am nächsten Tag ändern könnte. Aber alles schreitet voran, und wir können es nicht aufhalten, sosehr wir es vielleicht auch möchten. Wir können es weder beschleunigen noch verlangsamen, so ist das Leben nun einmal. Ja, ich dachte früher, all dies würde nie enden. Aber dann war es doch soweit und ich hatte so viele Chancen verpasst. Viele Chancen die ich vielleicht aus Angst nie ergriffen hatte, waren fort, ich konnte nichts mehr ändern und lediglich noch um sie trauern. Ich denke jeder von uns merkt das immer wieder in seinem Leben und tut es doch ab mit der pessimistischen Auffassung ja doch nichts am Lauf der Dinge ändern zu können.
Glaub mir, wenn ich eins in meinen vielen Jahren beim Stargate-Kommando gelernt habe, dann ist es, dass wir nicht für morgen leben können. Wir können nicht Angst vor unseren heutigen Handlungen haben, nur weil sie das Morgen beeinflussen könnten, denn natürlich tun sie das, daran können wir überhaupt nichts ändern. Wenn wir heute Dinge tun, die heute gut für uns sind, morgen aber unter Umständen negativ sein könnten und wir vor der Entscheidung stehen, ob wir es nun tun sollen oder nicht, dann kann ich nur sagen: Tun wir es! Wir leben heute, wir wissen nicht was morgen sein mag, wir wissen noch nicht einmal ob wir das Morgen überhaupt noch erleben. Also wieso Angst vor negativen Folgen – Zum Teufel! Wenn sie kommen, dann kommen sie eben und wir werden uns dann mit ihnen auseinandersetzen, warum sollten wir uns also heute von ihnen den Tag versauern lassen, hm? Und wenn dann etwas eintreffen sollte, was alles verändert, dann wissen wir, dass wir die Chancen ergriffen haben und in all den Veränderungen bleiben uns die Erinnerungen. Und es sind keine Erinnerungen mehr, die wie Schatten wispernd in der Zukunft um uns herumschleichen und nach gestern suchen, sondern unbezahlbare Schätze, für die wir ewig dankbar sein werden." Janet machte eine kurze Pause und warf einen Stein in den See. Mit einem fast unhörbaren Geräusch traf er auf die Wasseroberfläche und versank dann, während sich um seine Aufprallstelle seichte Wellen formten. Dann warf sie einen zweiten, nur dieses Mal in einem flacheren Winkel. Auch dieser Stein versank mit sanfter Wellenbildung, jedoch nicht ohne zuvor einige Male auf der Wasseroberfläche gesprungen zu sein. Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck sah sie den Wellen zu, wie sie sich unhörbar ausbreiteten um dann unmerklich wieder zu verebnen, sodass der See wieder unberührt dalag. „Mit den Steinen ist es genauso wie mit dem Leben und unseren Handlungen, weißt du. Wenn wir erst einmal in das Leben hineingeworfen sind, können wir es nicht mehr aufhalten und jede unserer Handlungen ist wie ein Aufprall aufs Wasser – Egal in welchem Winkel wir aufkommen, egal wie sehr wir uns auch anstrengen, wir werden mit unseren Handlungen immer Wellen nach uns ziehen. Wie die Wellen verlaufen – darauf haben wir kaum Einfluss und so bleibt uns nur die Möglichkeit am Aufprallwinkel mitzuwirken. Und findest du nicht wir sollten dann nicht wenigstens ihn möglichst angenehm für uns wählen, soweit das natürlich möglich ist ohne anderen zu schaden?"
Janet seufzte leise nachdem sie ihre kleine Rede beendet hatte und erhob sich. Ein schiefes Grinsen hatte sich auf ihrem Gesicht geformt und mit dem linken Auge zwinkerte sie Mac zu: „Ganz schön philosophische Anwandlungen für eine Ärztin, hm? Nicht Daniel erzählen, ja? Immer sind dann solche Gedanken doch nichts für mich." Als sie den verwirrten Gesichtsausdruck der anderen Frau vor ihr sah, legte sie ihr noch schnell die Hand auf die Schulter und flüsterte mehr als dass sie sprach: „Denk einmal darüber nach. Glaub mir, es lohnt sich." Dann verschwand Janet hinter den hohen, mit Moos überwucherten Steinen und als der Wind leise pfiff war es, als wäre sie nie dort gewesen.
Als sie wieder bei ihren Schuhen angelangt war, pausierte sie für einen Moment und sinnierte über das gerade stattgefundene Gespräch nach. Huh, vielleicht hatte Sam doch recht und sie war doch eine Quatschtante... auf jeden Fall hatte sie sich grade definitiv so gefühlt, auf der anderen Seite hatte es vielleicht etwas gebracht und dann hatte es sich trotz allem gelohnt. Auch, dass schon wieder der rechte Schuh verschwunden war.
TBC...
Anne Schüler, 2004
