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---there are paths in the sky---
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Die Tage reihten sich sinnlos aneinander. Sinnlos wie eh und je. Krank und wahnsinnig wie immer. Ekelhafte Monotonie.
Ich wusste nicht mehr genau, was Schwarz zum Verschwinden von Bombay gesagt hatte, aber es war auch gleichgültig geworden.
Ich war wieder zurück, ich war wieder Prodigy. Allein mein Atmen verriet mich als Lebenden. Allein mein Atmen erinnerte mich noch daran, dass ich nicht gestorben war.
Ich lebte, ich vegetierte, ich atmete.
Vielleicht vergingen einige Monate, der Schnee schmolz, die Sonne kam hervor, alles schien vergessen zu sein. Wir waren Weiß nicht mehr begegnet.
Bis zu diesem Tag, der nie hätte existieren sollen, der der Kinderfreundlichkeit wegen aus jeder Chronik hätte entfernt werden müssen. Bis zu diesem Tag, an dem ich Bombay wieder traf.
Ich wanderte ziellos in Tokyo herum, ohne Weg, ohne Ziel.
Irgendwann wurde mir bewusst, wohin ich lief, aber ich versuchte es zu verdrängen.
Ein Blumenladen.
Mädchen.
Er.
Ich sah ihn durch die Schaufenster am Tresen stehen und breit lächelnd einem Mädchen einen Strauß Rosen überreichend. Ich erstarrte. Er hatte sich kaum verändert, aber diesmal lächelte er. Er lachte. Er war glücklich.
Ich drehte mich um, so schnell es ging und setzte mich etwas abseits auf die Straße, an eine Hauswand gelehnt. Mir war schlecht, ich fühlte mich überfahren und kämpfte gegen einen Anfall.
Er war glücklich. Glücklich mit ihnen. Er konnte lachen. Er lachte.
Ich schloss zwanghaft die Augen, lehnte meinen Kopf gegen die kalte Wand hinter mir. Mauer, Wand, leblos, kalt.
»Nagi. «
Ich hielt die Augen geschlossen.
»Bombay…«, murmelte ich.
»Du hattest mich angelogen. Du hast Weiß nicht getötet.«
»Nein. Habe ich nicht.«, murmelte ich leise, müde.
Stille. Ich spürte wie sich Bombay neben mich setzte. Ich hasste diese Vertrautheit von seiner Seite. Ich hasste es, von ihm berührt zu werden. Er sollte nicht so werden… nicht so werden wie ich… Er sollte sich nicht für sein Leben prostituieren. Er sollte es nicht tun, weil er musste. Er sollte nicht…
»Wie geht's dir?«, fragte er. »Prächtig. Und dir?« Bombay grinste, ich brauchte nicht einmal die Augen zu öffnen. »Sehr gut.«
Ich öffnete die Augen.
Es tat weh. Es sollte ihm nicht gut gehen, es sollte ihm nicht gut gehen, wenn er bei ihnen war.
»Nagi?« Ich antwortete nicht. »Danke, dass du sie nicht getötet hast. Ich wäre gestorben.«
Blut rauschte in meinem Ohren und meine Hände krampften sich ineinander, aber ich versuchte ruhig zu bleiben. Ich presste Daumen und Zeigefinger auf meine geschlossenen Augen und versuchte rational zu denken.
»Das wäre, als würde man dir Schwarz wegnehmen, weißt du…«
Es war als würde in meinem Kopf ein Stakkato aus Bildern meines Lebens abgefeuert. Ich sah, wie ich Bombay im Schnee traf, ich sah ihn in meinem Bett, ich sah ihn nackt in meiner Badewanne, ich sah, wie wir uns küssten, seine Hände in meinem Gesicht, seine großen, verheulten Augen, ich sah wie er zerbrach, „Ich liebe dich.", sah, wie Schuldig mich in der Küche mit dem Gesicht in schneidendes Glas drückte, „Ich liebe dich.", Glassplitter, ich schmeckte Blut, meerblaue Augen, Schmerzen, Schmerzen…
Ich riss meine Augen auf, sah Bombays verstörten Blick, spürte erneut die Schmerzen, spürte den Hass, die Erniedrigung, die Erregung, Liebe…
Wie in Zeitlupe und durch einen Geräuschdämpfer sah ich, wie alles um uns herum explodierte, die Straße, die Häuser, die Menschen… der Blumenladen…
Bombays Ausdruck war blankes Entsetzen, aber er wandte seinen Blick nicht von mir.
Alles brach zusammen, ich spürte Flammen an meinen Kleidern, schmeckte den metallisch-süßen Geschmack von frischem Blut, spürte, wie Steine auf mich hernieder prasselten. Als ich zusammenbrach, stand Bombay noch immer, vor Schrecken und Entsetzen erstarrt, inmitten einer Insel, in der es nicht brannte, auf die keine Steine fielen…
weil ich nie den mut hatte dir zu sagen, dass ich dich…
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»Ich liebe dich, Omi…«
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Ich erwachte übergangslos. Grelles Licht brannte sich in meine Augen. Ich wusste nicht wo ich war oder warum. Ich hatte mich eigentlich schon mit der Tatsache abgefunden, gestorben zu sein. Ich hatte mich eigentlich schon mit der Tatsache abgefunden, es ihm niemals gesagt zu haben… Ich war längst tot. Was folgte, war überflüssige Randerscheinung.
»Warum?«
Ich schrak zusammen. Bisher hatte ich felsenfest angenommen, ich wäre allein in diesen 30 Quadratmetern gewesen.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zur Seite.
Bombay saß mit einem angezogenen Bein auf dem Fensterbrett vor dem geöffneten Fenster und starrte mich direkt an.
»Warum?«, wiederholte er nur. Ich sah ihn an, in mir schien alles zu gefrieren, während mein Blick über seine schlanke Figur schweifte.
»Ich… wollte nicht… dass du so lachst, wenn ich nicht… dabei bin…«, meine Stimme klang unnatürlich.
»Ekelhaft. Egoistisch.«, flüsterte er und wich meinem Blick aus.
»Ich weiß…«, murmelte ich. Es war mir egal, wenn ich plötzlich weder Naoe noch Prodigy mehr war. Weder Schwarz noch Weiß würde mich so erkennen, niemand mehr. Ich sprach genau das, was ich dachte. Ich war, was ich dachte. Ich lebte, weil ich dachte. Ich war… ich, auf eine ganz andere Art und Weise, als dass ich es je für möglich gehalten hätte.
Bombay stand plötzlich auf, mied noch immer meinen Blick und ging auf mich zu, ließ sich direkt vor meinem Bett auf die Knie sinken, krempelte einen seiner Ärmel zurück und hielt seinen nackten, hellen Arm neben meinen Arm, der unbedeckt und bewegungs-unfähig auf dem hellen Laken lag.
Mein Arm war ein Chaos aus blutgetränkten Verbänden, nicht einmal mehr ein Quäntchen Haut konnte man noch erkennen. Mir wurde leicht übel.
»Und warum das?«, fragte Bombay dann leise.
Ich musterte meinen Arm, seinen unverletzten Arm neben meinem… Mit einem schiefen Grinsen sah ich zu ihm auf, ohne zu antworten.
»Du hättest auch heil bleiben können…«
»…ja…«
»…wenn du es gewollt hättest.«
Ich sah erschrocken zu ihm auf. Ja, wenn ich gewollt hätte. Wenn ich… gewollt hätte. Die Tatsache, dass es eigentlich hätte anders kommen können, kam mir erst jetzt in den Sinn. Warum hatte ich nur ihn, nur Bombay, beschützt, und nicht mich? Warum hatte ich…
»Du bist so…«, heulte er plötzlich, schlug beide Hände vor sein Gesicht und drehte sich fort.
Die Situation war so verdammt irreal. Ich sah ihn zitternd zum Fenster laufen und sich schwach auf das Fensterbrett abstützend. Ich wunderte mich, ob man wirklich dermaßen erschöpft sein konnte und ob es wohl eher von seiner Psyche oder von körperlichen Qualen herrührte… Es war auch egal. Es war alles gesagt.
»Liebst du mich?«, fragte Bombay plötzlich.
Ich horchte in mich hinein. Es schien zu idiotisch, dieses Gefühl noch in Worte fassen zu wollen, also schwieg ich und versuchte stattdessen, mich aufzusetzen. Mir wurde schwindlig, als meine Füße den Boden berührten und ich fragte mich am Rande, wie lange ich wohl geschlafen hatte, wie lange ich im Koma gelegen hatte… wie lange Bombay neben mir gesessen haben musste…
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, vorsichtig und immer wieder darüber verwundert, wie bescheuert Laufen sich anfühlen konnte.
Es tat weh, unglaublich weh, aber dass berührte mich nur aus der Ferne.
Ich erreichte ihn, ließ mich an der Wand zu Boden sinken und starrte ihn von unten herauf an.
Unsere Blicke trafen sich kurz, er sah wieder weg, dann starrte er mich erneut an.
»Du hast meine Freunde getötet.«
»Du hast Prodigy getötet.«
Er warf mir einen irritierten Blick zu.
»Und was jetzt?«, fragte Bombay leise.
Ich schwieg. Ich wusste es nicht. Zurück zu Schwarz? Wieder ‚Prodigy' sein?
»Du?«, fragte ich.
Omi zuckte hilflos mit den Schultern.
Alles kam mir vor wie der sinnlose Abspann eines längst beendeten Films. Ein trauriger Monolog, der keiner mehr interessiert. Und es war verdammt nah an der Wahrheit, dachte ich bitter.
Omi drehte sich um und ließ sich direkt neben mir an der Wand zu Boden sinken.
Ich musterte ihn ruhig, erinnerte mich an Zeiten, die längst vergangen waren. Er hatte noch nie so verloren ausgesehen. Noch nie…
»Und was, wenn ich tatsächlich lieben würde, meinen Feind?«, fragte ich so leise, dass man es kaum hören konnte.
Omi sah mich an, traurig, erschöpft und unglaublich müde. »Tust du es?«, fragte er mit zitternder Stimme.
»Ich weiß es nicht.«, murmelte ich, hob langsam eine Hand und strich ihm über die Wange. »Vielleicht ja. Vielleicht…« Ich schloss die Augen und küsste Bombay sanft auf die Lippen.
Es war anders als zuvor. Ich spürte, wie er unter mir erzitterte, aber diesmal schrie nicht alles in mir danach, ihn zu zerschmettern, wie so oft davor. Es war, als würde es diesmal… nicht wirklich ein Kuss sein, sondern etwas viel… Ich hörte auf zu denken, als Bombay eine Hand unter mein T-Shirt schob.
Sein heißer Atem schien plötzlich überall zu sein, ich spürte seine Lippen in meinem ganzen Gesicht, ich hörte ihn weinen und schmeckte seine Tränen, aber er hörte nicht auf. Meine Hände wanderten über seinen zerbrechlichen Körper, als wäre er aus Glas und trotzdem… Er stand auf, zog mich zum Bett und drückte mich sanft auf die Kissen. Ich sah ihn an, meerblau, und zum ersten mal wollte ich diesem meerblau nicht entrinnen, sondern es in mich aufnehmen, es niemals mehr vergessen, ich wollte… nie wieder nur schwarz sehen…
Und obwohl es eine Szene wie viele tausend andere war, auch wenn es dasselbe Szenario wie beinahe jede Nacht mit Schuldig… zum ersten mal zitterte ich dabei aus Verlangen, aus Begehren… und nicht aus Angst oder bloßer Heuchelei. Meine Hände zitterten leicht, als ich seine Hose öffnete und Bombay sah mich für einige Sekunden überrascht und angsterfüllt an. Für ihn war es noch nicht Routine geworden… Ich ekelte mich beinahe vor mir selbst, wie schnell ich ihn seiner Kleider entledigt hatte, wie routiniert und eingespielt meine Bewegungen waren… Ich würde es niemals erleben können, ohne dabei in dieses Klischee abrutschen zu müssen, ohne sofort nur noch Naoe zu sein, das Sexspielzeug der ganzen verdammten Gesellschaft.
Bombay küsste mich sanft auf die Lippen und ich spürte seine Hände auf meiner Brust immer tiefer wandern.
Doch... Er ließ mich vergessen...
tbc
