2. Kapitel

Minerva McGonagall hatte am Schreibtisch des Schulleiterbüros Platz genommen. Ihre Hände lagen aufeinander gepresst auf der Tischplatte. Sie starrte auf die Portraits ihrer Vorgänger, die in ihren Bilderrahmen vor sich hin dösten. Noch immer wehrte sie sich gegen ihre neue Position. Sie war nun Direktorin einer Schule ohne Schüler. Trauer über den Mord an Dumbledore und Wut über ihre eigene Machtlosigkeit verhinderten jeden vernünftigen Gedanken. Albus war ohne Abschied gegangen, sein Tod schien sinnlos und leer, die Tat eines abgeirrten Schülers und eines unberechenbaren Kollegen. Die ganze Schule war mit ihm gestorben, wofür sie gelebt und gearbeitet hatte, war nicht mehr. Die alten Schulleiter schnarchten in ihren hölzernen Schlafstätten und brachten mit dieser stupiden Ruhe die Direktorin zur Weißglut. Sie fixierte das Bild von Albus Dumbledore, das gerade ein Nickerchen zu halten schien.

„Albus, was ist da vorgestern passiert? Ich kann es nicht fassen, dass dich das alles kalt lässt, dein Bild schläft, als ob du ohne Hirn in den Rahmen eingezogen wärst. So viele Jahre habe ich mit dir zusammen gearbeitet und gelebt. Du täuschst mich nicht. Ich glaube dir nicht, dass ein Schüler – und ausgerechnet dieser durchschnittlich intelligente Malfoyjunge – dich ohne deine Zustimmung überwältigen konnte. Harry Potter hat es beobachtet. Kannst du mir vielleicht jetzt erklären, warum wir diesen verwünschten Raum überwachen mussten? Und was ich vollständig nicht verstehe ist, was Severus getan hat. Ausgerechnet Severus. Glaubst du, mir ist entgangen, wie ihr zwei euch verstanden habt? Ein kurzer Blick und ihr wart euch einig. Severus hat für dich immer sofort getan, worum ihn jeder andere Kollege vergeblich gebeten hätte. Was waren deine Gründe? Warst du des Lebens müde? Ist dir die Schule egal, hast du mit uns allen gespielt? Hast du mich vergessen?"

Die Hexe vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und wischte die Tränen ab, die ihr in die Augen schossen. Doch sie konnte den Strom nicht hemmen, ihre Finger wurden nass und Tropfen sickerten in ihre Ärmel.

„Minerva, meine Liebe, denkst du wirklich, ich könnte dich je vergessen?"

Die Direktorin hob den Kopf und schaute auf das Bild Albus Dumbledores, das sie ernst und auch ein wenig traurig anblickte.

„Minerva, du bist und warst immer in meinen Gedanken. Du warst meine Partnerin und meine Stütze für sehr viele gemeinsame Jahre. Ich will dein Wohl und auch das der ganzen Schule. Bitte glaube mir und grüble nicht zu viel über die jüngsten Ereignisse. Vor allem, tue es nicht laut. Ich konnte beruhigt gehen, weil ich wusste, dass Hogwarts bei dir in guten Händen ist. Ich brauche dich als Schulleiterin. Wache über das Schloss, halte es bereit für die Rückkehr der Schüler. Beschäftige Hagrid, Filch und die Elfen, es gibt genug zu renovieren. Halte die Lehrer unter Vertrag, gib ihnen Forschungsaufträge, Sonderurlaub wenn du willst, aber entlasse sie nicht. Und schütze das Gebäude vor Übergriffen durch das Ministerium oder die Todesser. Es gibt zu viele unredliche Menschen, die von den Schätzen Hogwarts wissen und sie begehren." Das Portrait begann zögerlich zu schmunzeln. „Und nutze die schlummernden Talente, die hier an den Wänden hängen. Sie alle sind dir nun zur Hilfe verpflichtet."

„Albus, Albus, noch immer schaffst du es, mich um den Finger zu wickeln. Selbst als Portrait kann ich dir keinen Wunsch abschlagen." Minerva McGonagall schüttelte ihren Kopf und trocknete die letzten Tränen. „Ich werde mich bemühen, dir eine würdige Nachfolgerin zu werden. Aber habe ich dich richtig verstanden, dass du einen geheimen Plan verfolgst, in dem dein Tod eine entscheidende Rolle spielt?"

„Bitte frage mich nicht. Ich kann dir nicht antworten, noch nicht. Minerva, schütze Hogwarts, das Schloss braucht dich. Das Wohl zukünftiger Schülergenerationen hängt davon ab, dass die Direktorin, dass du beherzt und klug handelst. Minerva, tue das, was kaum einer so gut kann wie du, kämpfe für die Schüler."

Minerva McGonagall richtete sich in ihrem Stuhl auf. Sie warf dem Bild Dumbledores einen Blick zu, unter dem alle Schüler und wohl auch viele Lehrer zusammengezuckt wären. Das Portrait Dumbledores hielt ihm Stand, ja sie glaubte sogar die Andeutung eines zufriedenen Lächelns wahrzunehmen. Dann ergriff sie eine Feder und ein Stück Pergament und begann zu schreiben. Auf dem Bogen war kurze Zeit später zu lesen:

An alle Mitglieder des Kollegiums von Hogwarts, Schule für Hexenkunst und Zauberei!

Ich bitte Sie alle heute Vormittag um 10.00 Uhr zu einer Besprechung in mein Büro. Erscheinen Sie vollzählig und pünktlich, Ihre Mitarbeit ist von entscheidender Wichtigkeit.

Minerva McGonagall, Schulleiterin