4. Kapitel

Nach seiner unbemerkten Rückkehr in sein Haus im schmuddeligen Vorort Londons hatte Severus Snape die meiste Zeit damit verbracht, Schutz- und Warnzauber zu errichten. Dabei war er von der Vielfalt der Möglichkeiten erstaunt, die sich ihm eröffneten und die er bisher nie erahnt hatte. Hogwarts war wirklich uneinnehmbar und komplett unter der Kontrolle Dumbledores gewesen. Der Tränkemeister empfand nachträglich größte Hochachtung für den Direktor. Anschließend beschloss er, sich auszuruhen und seine Kräfte zu sammeln, denn er erwartete, dass dieser Tag die Ruhe vor dem unvermeidlichen Sturm auf seine nun gut sichtbare Person sein würde. Dennoch war er leicht verwundert darüber, dass die Ministeriumsauroren erst am späten Nachmittag um das Haus herumschlichen. Es hatte wohl keiner vermutet, dass der meist gesuchte schwarze Magier des Landes die Unverfrorenheit besitzen würde, in seine eigenen vier Wände zurückzukehren.

Die Sonne war schon seit einiger Zeit untergegangen und die Nacht hüllte die Straßen bereits in tiefe Dunkelheit, als der Zauberer das erwartete Brennen am linken Innenarm verspürte. Es war soweit. Der Dunkle Lord rief seine Todesser zusammen. Severus Snape legte seine schwarze Robe an, ergriff die Maske und disapparierte. Nachdem er seinen Platz im Kreis um Lord Voldemort eingenommen hatte, suchten seine Augen die Gegend sofort nach bekannten Merkmalen ab. Er war noch nicht hier gewesen, aber er erkannte den Friedhof. Hier hatte die Auferstehungsparty des Dunklen Lords stattgefunden. Harry Potters Erinnerung, die Dumbledore ihm damals gezeigt hatte, war erstaunlich detailliert gewesen. Schnell füllten sich die Lücken und die schlangenartige Gestalt mit den rot glühenden Augen begann wie gewohnt die Anwesenheit der Todesser zu prüfen. Der dunkle Zauberer drängte alle Gefühle in die Tiefen seiner Person zurück und erwartete mit kalten schwarzen Augen und unbewegtem Blick die Gesichts- und Gedankenkontrolle seines Meisters. Dieser beendete seine Runde ohne die gewohnten Erziehungsmaßnahmen und postierte sich anschließend zügig auf dem Grab seiner von ihm selbst ermordeten Verwandtschaft.

„Meine Freunde! Vollzählig seid ihr erschienen, um meinen Triumph mit mir zu feiern. Der ´große Dumbledore´ ist gefallen, besiegt für immer. Keiner wird es je wieder wagen, meine Macht anzuzweifeln. Gerne hätte ich euch für diese Stunde nach Hogwarts eingeladen, doch dafür ist die Zeit noch nicht reif. Die lächerliche alte Hexe von Direktorin bereitet ein kleines bisschen Widerstand vor und mir ist heute nicht nach Kämpfen. Heute Nacht möchte ich mit euch meinen Sieg genießen und diejenigen ehren, die ihn mit mir errungen haben. Allen, die sich mir entgegenstellen, wird es gehen wie Dumbledore und wie denen, deren Reste nun unter mir liegen."

Die dunkle schlangenartige Gestalt wies mit der rechten Hand in einer abfälligen und dennoch geschmeidigen Geste auf die Grabplatte, auf der der Name Tom Riddles und seiner Eltern zu erkennen war. Dann glitt er sanft auf den Boden und schritt den Kreis ab, bis er zu einer jugendlichen Gestalt gelangte. Der Todesser sank augenblicklich auf seine Knie. Mit einer schwingenden Handbewegung löste Lord Voldemort die Maske auf. Ein Knabe blickte ihn mit verhaltener Furcht an.

„Draco Malfoy, du hast dich würdig erwiesen, deinen Platz in diesem erlauchten Kreis einzunehmen. Unerkannt hast du den Todessern den Weg zum ´großen Dumbledore´ gewiesen und hast ihn, altersgeschwächt wie er war, entwaffnen können." Er beugte sich zu dem Jungen, so dass einer den Atem des anderen spüren konnte. „Allerdings hättest du dein Werk zu Ende führen müssen!"

Draco erstarrte, dann fiel er mit dem Gesicht auf den Boden. Er sprach kaum hörbar: „Verzeiht mir, mein Lord."

„Ich werde dir die Chance gestatten zu lernen. Du wirst die Ehre haben, das nächste Todesurteil vor meinen Augen zu vollstrecken. Vielleicht versuchen wir es dieses Mal mit einer Schulleiterin."

Der Junge blieb zusammengekauert auf der Erde liegen und wagte erst, sich zu erheben, als der Dunkle Lord sich abwandte. Dessen rote Augen tasteten die Masken der Todesser ab und seine Bewegungen dabei wirkten wie der Tanz einer Schlange, die den Horror in den Augen ihrer Zuschauer genießt.

„Leicht hätte dieses Unternehmen in einem Fiasko enden können. Denn es waren sage und schreibe vier meiner gestandenen Todesser Zeugen dieser Szene und sie konnten das Unternehmen Dumbledore ebenfalls nicht zu Ende führen… einer hat seine Strafe noch in Hogwarts erhalten…", er hob seinen Zauberstab und drei schwarze Gestalten fielen zu Boden und krümmten sich vor Schmerzen, „die übrigen werden jetzt spüren, wie es ist, in einem Auftrag Lord Voldemorts zu versagen."

Er schwenkte seinen Zauberstab leicht und die Todesser blieben bewegungslos auf dem Rücken liegen. Ihre Masken lösten sich auf und angstvolle Blicke waren die einzige Regung, zu der sie fähig waren. Der Dunkle Lord hatte sie gelähmt.

„Heute ist der Tag meines Sieges. Ich werde Gnade walten lassen und ihre unwürdigen Leben schonen. Doch sie haben denselben Wert wie der Schmutz des Bodens, auf den man spuckt. Das werdet ihr ihnen zeigen. Jeder von euch wird an ihnen vorbei gehen und ihnen seine Verachtung ins Gesicht speien."

Die Runde der schwarzen Gestalten begann sich langsam zu drehen. Als sie wieder zum Stillstand kam, sagte die schlangenartige Gestalt:

„Tretet nun jeder einen Schritt nach vorne, der Kreis soll wieder vollständig sein. Lasst den Unrat außerhalb liegen…alle würdigen Todesser sollen feiern… Nun möchte ich denjenigen ehren, der es als einziger vollbracht hat, Dumbledore zu töten. Er hat sich als mein wahrer Diener erwiesen. Seine Tat zeichnet ihn vor euch allen aus. Nein, er soll stehen bleiben… ihr anderen kniet nieder. Erweist eure Hochachtung Severus Snape."

Er löste nun alle Masken auf und sämtliche Todesser fielen auf den Boden bis auf den dunklen Zauberer und den Lord.

„Severus, du hast dich als klüger und mächtiger erwiesen als alle hier. Du bist der wahre Diener Lord Voldemorts, ein Todesser, der seinen Namen verdient hat. Du bist mir treu seit vielen Jahren, du bist vor keinem auf die Knie gegangen und du wirst es auch nicht tun…mit einer Ausnahme…du gehörst mir…vergiss das nie…"

Severus Snape spürte diesmal deutlicher als bei den vorangegangenen Zaubern, wie sich die Magie des Dunklen Lords sammelte. Sie richtete sich auf ihn. Er erkannte, was sein Meister tun wollte und verhärtete seine Gesichtszüge. Einen Augenblick später sah er, wie der Lord den Zauberstab hob. Heißer Schmerz durchströmte seinen ganzen Körper und er fiel zu Boden. Kein Laut kam von seinen Lippen. Lord Voldemort hatte ihn mit dem Cruciatus-Fluch belegt. Als der Dunkle Lord den Stab sinken ließ, blieb Severus Snape wie alle anderen Todesser knien.

„So ist es richtig, ich sehe, du hast mich verstanden. Ihr alle werdet noch lernen mich zu verstehen. Es gibt jetzt nur noch einen Herren, Lord Voldemort. Ich bin der größte und mächtigste Zauberer. Wer mir nicht dient, ist mein Feind, und bald werde ich keine Feinde mehr haben. Alle magischen Geschöpfe werden mich verehren und meinen Gesetzen gehorchen. Ihr seid meine auserwählten Diener. Und ihr werdet mich nicht mehr ´Dunkler Lord´ nennen, denn es gibt keinen anderen Lord mehr. Ich wähle einen neuen Namen, ich bin nun ´Der Lord´", er lachte mit hoher Stimme, sprang geschmeidig auf den Grabstein wie auf einen Thron, breitete seine Arme aus und rief laut: „Ich bin der Lord!"

Dann löste er sich in einem schwarzen Wirbel auf und kurze Zeit später gehörte der Friedhof wieder den Toten, die in ihren Gräbern Ruhe fanden.