3. Kapitel: Zum Bleiben verführt
Die nächsten Wochen verliefen hervorragend. Lisa und Rokko arbeiteten sehr gut zusammen, die Präsentation nahm immer mehr Form an. Gemeinsam suchten sie nach einer passenden Location, hatten aber noch nicht das richtige Gefunden.
Ihre persönliche Beziehung ging nur ein wenig mehr über eine reguläre Freundschaft hinaus. Immer wieder hielten sie sich bei den Händen. Rokko war oft bei Lisa zu Hause, um noch letzte Arbeiten zu erledigen. Dann kochten sie gemeinsam und während Rokko den Abwasch machte, brachte Lisa Lena ins Bett. Manchmal tauschten sie auch die Rollen. Einmal hatte Lisa in der Tür gestanden, als Rokko der Kleinen eine Geschichte von Pittiplatsch, Moppi und Schnatterinchen vorgelesen hatte: natürlich mit unterschiedlichen Stimmen und viel, viel Gefühl. Es hatte Lisa viel Mühe gekostet, nicht laut loszulachen, als Rokko einen perfekten, koboldischen Pittiplatsch gab.
Doch den nächsten logischen Schritt machten sie nicht. Es war fast wie ein Tanz für die beiden. Machte Rokko einen Schritt nach vorn, ging Lisa einen Schritt zurück und umgekehrt - aus Angst davor wieder verletzt zu werden. Denn beide wussten, was es hieß, ein gebrochenes Herz zu haben.
Drei Wochen vor der Präsentation wollten sich Rokko und Lisa einige der Locations ansehen, die Rokko ohne Lisa besucht hatte. Und so klingelte es und Lisa eilte zur Tür. Ein grinsender Rokko samt großem Blumenstrauß stand vor ihr. "Können wir?"
Lisa schüttelte traurig den Kopf. "Rokko, es tut mir so leid. Der Babysitter hat gerade abgesagt und meine Eltern sind im Urlaub... ich kann nicht weggehen."
"Ja, also, dann arbeiten wir doch einfach hier", schlug er ihr vor.
"Gern, wenn du willst."
Und ob er wollte. Den ganzen Tag hatte er sich schon auf einen gemeinsamen Abend mit Lisa gefreut. Den würde er sich jetzt nicht mehr nehmen lassen. Er überreichte Lisa den Blumenstrauß. Sie schloss die Augen und atmete den Duft der Blumen ein. Geh doch schon mal ins Wohnzimmer. Ich komm gleich nach. Lisa suchte schnell nach einer großen Vase, füllte diese mit Wasser und stellte die Blumen hinein. So schön. Es war lange her, dass ihr ein Mann Blumen geschenkt hatte, abgesehen von ihrem Vater. Sie nahm die Vase und ging damit ins Wohnzimmer. Die Vase fand auf dem großen Esstisch Platz. Arbeiten könnten sie auch am Couchtisch.
"Die Blumen sind wunderschön."
Rokko lächelte. Lisa nahm auf der Couch neben ihm Platz.
"Danke, dass du Verständnis hast dafür, dass ich heute Abend nicht weg kann."
"Hey, mach dir keine Sorgen, wir können wirklich auch gut von hier aus erledigen. Ich habe Fotos von den möglichen Locations gemacht. Die sind alle auf meinem USB-Stick. Wir brauchen also nur eine Computer."
"Ich hol meinen Laptop. Moment."
Lisa stand auf, ging Richtung Schlafzimmer und war nach kurzer Zeit wieder mit dem Laptop zurück.
"Sag nicht, dass du auch noch im Bett arbeitest."
"Wenn ich nur ein paar Stunden in der Firma bin, muss ich jede Minute nutzen, um zu Hause alles liegen gebliebene aufzuarbeiten. Wir haben noch keinen zweiten Geschäftsführer. Und es ist ja auch nicht so, dass ich momentan etwas anderes im Bett vorhaben könnte..."
Rokko musterte sie kurz, bevor er den USB-Stick in den Laptop steckte. Er öffnete den Ordner mit den Fotos und zeigte ihr verschiedene Locations. Besonders eine hatte es ihr angetan: Der Fuchsbau, ein Haus aus der Gründerzeit in der Oranienburger Straße, mit Wein bewachsen und einem wunderschönen Innenhof.
"Das ist perfekt!"
"Der Fuchsbau?"
"Ja." Lisa lächelte verzaubert. "Sieh's dir doch an: das Grün und Weiß der Wände, Unschuld und Garten Eden. Es ist perfekt für Hugos Kollektion 'Verführung'."
"Ja, du hast recht. Und Platz gibt es dort genug." Rokko nahm sich das Whiteboard und einen Stift. Er zeichnete für Lisa den rechteckigen Grundriss vom Fuchsbau-Hof auf. "Der Laufsteg kommt direkt aus dem Lokal und in der Mitte haben wir dann eine runde Bühne. Dort können wir kleine Bäume und Schlingpflanzen aufstellen und die Models laufen zwischen ihnen hindurch."
"Mit einem Apfel in der Hand!"
"Natürlich mit einem Apfel", lachte Rokko. "Und den geben die weiblichen Models dann den männlichen Models."
"Und die Äpfel stehen in einer großen weißen Schale bereits in der Mitte der Bühne."
Rokko zeichnete Schale und Laufwege in den Grundriss ein.
"Und hier", Lisa zeigte auf die dem Lokal gegenüber liegende Wand, "hier können wir das Catering aufbauen mit allem, was uns zum Thema 'Verführung' einfällt."
Wie zufällig berührten sich ihre Hände immer wieder auf dem Board, während sie weiter Pläne schmiedeten.
"Verführung..." überlegte Rokko, "was ist verführerisches Essen?"
"Hm. Austern. Aber die mag ich nicht essen und schon gar nicht anbieten."
"Aus Tierliebe?" Rokko sah sie leicht schmunzelnd an.
"Ja, wenn du so fragst. Außerdem finde ich sie zu glibberig, und somit überhaupt nicht verführerisch."
"Du bist die Chefin." Rokko lächelte sie weiter an. "Also gut, was bieten wir den Gästen statt dessen? Obligatorisch natürlich Champagner."
"Okay. Und Erdbeeren vielleicht, wenn wir die noch irgendwo bekommen können."
"Oder Kirschen als Ausweichobst."
"Du hast recht, Kirschen! Oooohhh."
"Und auch hier wieder viele rote Äpfel."
"Weintrauben bekommt man auch immer", meinte Lisa und steckte sich prompt eine der Weinbeeren, die sie auf dem Tisch stehen hatten, in den Mund. Wie in Trance beobachtete Rokko die Szene und konnte sich sehr gut vorstellen, dass Weintrauben ein verdammt verführerisches Obst waren.
"Gut...ähm..." Rokko rang um Fassung. "Also, Obst haben wir genug. Ansonsten vielleicht noch Schnittchen in Herzform oder ähnlichem?"
"Klar. Mal gucken, was dem Catering noch dazu einfällt."
Rokko machte sich letzte Notizen und schloss dann seine Mappe.
"Ja, dann wären wir eigentlich schon fertig." Innerlich seufzte er. Rokko wollte noch nicht gehen.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte Lisa fest, dass es gerade erst 22 Uhr war. Sie wollte nicht, dass Rokko schon ging. Plötzlich vernahm sie Lenas anhaltendes Schreien.
"Geh bitte noch nicht, ich bin gleich wieder zurück", sagte sie ihm noch schnell über die Schulter, bevor sie aus dem Zimmer ging, steckte aber noch mal den Kopf zur Tür rein: "Mach's dir so lange bequem. Weißt ja, wo alles ist."
Lisa nahm Lena auf den Arm und wiegte sie sanft, um sie zu beruhigen. Schnell war ihr Muckelchen wieder still und ließ sich wenig später in ihr Kinderbettchen legen. Als sich Lisa umdrehte, bemerkte sie Rokko, der in der Tür stand und die Szene zur Hälfte beobachtet hatte. Nun lächelte er sie an und fasste nach ihrer Hand, um sie ins Wohnzimmer zu führen.
Im Wohnzimmer ließen sie sich auf der großen Couch nieder. Rokko goss etwas Wein in die beiden Gläser, die er aus der Küche geholt hatte und überreichte Lisa ein Glas. Er hob sein Glas und sah ihr tief in die Augen.
"Auf dich, weil du Job und Muttersein so gut meisterst, obwohl dir mehr als ein Stein in den Weg gelegt wurde."
"Rokko..."
"Schhhhh." Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. "Trink."
Lisa lächelte und nahm einen Schluck vom halbtrockenen Weißwein. Doch sie musste noch Protest einlegen.
"Rokko, ohne Yvonne, Max, meine Eltern und vor allem ohne dich würde ich das nie schaffen. Ihr seid immer da, wenn ich euch brauche. Ich..." Lisa standen ein paar Tränen in den Augen und sie konnte nicht weiterreden. Rokko stellte ihre beiden Gläser wieder vorsichtig auf dem Tisch ab und nahm sie zärtlich in den Arm. Sanft strich er ihr übers Haar und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. So saßen sie lange da, während leise Gitarrenmusik aus dem Radio kam. So schliefen sie auch ein, nachdem sie über dies und jenes gesprochen hatten und die Redepausen so gar nicht als unangenehm empfanden.
Später in der Nacht, wurde Lisa wach. Vorsichtig löste sie sich aus Rokkos Armen und half ihm, sich hinzulegen. Dann deckte sie ihn mit einer Decke zu. Sie strich ihm über seine dunklen Locken und begab sich in ihr eigenes Schlafzimmer, wo sie zufrieden einschlief.
Als Lisa am nächsten Morgen die Küche betrat, bot sich ihr ein sehr harmonisches Bild. Rokko, in Jeans und weißem Shirt, hatte Lena auf dem linken Arm und versuchte mit der rechten Hand Kaffeepulver in die Kaffeemaschine zu löffeln. Immer wieder sah er zu dem kleinen Mädchen und scherzte mit ihr. Lisa kaute verträumt auf ihrer Unterlippe und musste lächeln. Es sah so natürlich aus, wie Rokko da mit Lena stand und das Frühstück vorbereitete. Rokko spürte, dass er beobachtet wurde und drehte sich zu ihr um.
"Guten Morgen", begrüßte er sie mit einem Lächeln, dass Lisa nur zu gern erwiderte. Sie ging zu ihm, gab Lena einen Guten-Morgen-Kuss und wandte sich dann schließlich Rokko zu, um ihn auf die Wange zu küssen. "Danke", mehr konnte sie momentan nicht über die Lippen bringen und in diesem kleine Wort lag alles, was sie anders nicht auszudrücken vermochte im Moment.
Rokko tat ihr gut, sehr gut sogar. Manchmal fragte sie sich, ob eine Ehe mit ihm schöner und harmonischer verlaufen wäre - eben so, wie sie sich ein Eheleben mit David ausgemalt hatte. Was hatte ihr Rokko damals gesagt? Eher würde er sich das Herz raus reißen lassen, als das ihre zu brechen. Nachdem sie seines gebrochen hatte, war er trotzdem wieder sofort zur Stelle gewesen, als sie ihn um Hilfe gebeten hatte. Nun stand er in ihrer Küche, Lena auf dem Arm, und sah ihr, Lisa, so tief in die Augen, dass sie ihn hier und jetzt am liebsten geküsst hätte, um dem Überschwang ihrer Gefühle Ausdruck zu verleihen.
"Wovon träumst du nun schon wieder, Lisa Plenske?" fragte er sie mit einem Schmunzeln auf den Lippen, dass seine Augen erreichte.
"Aber, Herr Kowalski, ich träume doch nie vor mich hin", antwortete Lisa gespielt entrüstet.
Langsam kam er einen Schritt auf sie zu und neigte sich nach vorn, bis seine Stirn die ihre berührte. Er sah sie eindringlich an.
"Alles okay?"
Lisa legte ihm ihre linke Hand in den Nacken und begann ihn sanft zu kraulen.
"Gerade jetzt, in diesem Moment, geht es mir so gut wie lange nicht mehr. Alles ist mehr als okay."
Rokko küsste sie auf die Stirn und lächelte sie dann wieder an. Sie ließen von einander los, sahen sich aber weiter in die Augen.
"Frühstück?"
"Gern", grinste Lisa und wollte ihm gerade Lena abnehmen, als es an der Tür klingelte.
"Erwartest du Besuch?"
"Nicht, dass ich wüsste", zuckte Lisa mit den Schultern.
Sie ging zur Tür. Die Klingel ertönte nun schon das zweite Mal ungeduldig, bevor Lisa öffnete.
"David!" Lisa hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, ihn hier zu sehen.
"Guten Morgen, Lisa", begrüßte er sie mit einem Kuss auf die Wange. "Schön, dich wiederzusehen. Wo ist denn meine Prinzessin?"
Er sah sich suchend im Flur um und erblickte Rokko, der am Eingang zur Küche mit Lena auf dem Arm alles verfolgt hatte. David drängte sich an Lisa vorbei und ging direkt auf Rokko zu.
"Kowalski. Das ist meine Tochter."
Er nahm ihm Lena weg und begrüßte seine Tochter mit einem Kuss und wirbelte sie so durch die Luft, dass die Kleine vor Freude quietschte. Mit Lena auf seinem Arm wandte er sich wieder an Rokko.
"Ich hätt's ja wissen müssen, dass sich meine Frau Ihnen gleich wieder an den Hals wirft. Typischer Fall von Lückenbüßer."
Rokko sah ihn nur stumm, aber bestimmt an.
"Reiß dich zusammen, David!" ermahnte ihn jedoch Lisa. "Was willst du überhaupt hier?"
"Wenn ich mich recht entsinne, warst du es, die nach meiner Anwesenheit verlangt hat."
"Willst du das jetzt diskutieren!"
"Ich würde auch gern mal wieder etwas Zeit mit meiner Tochter verbringen."
"Ach, auf ein Mal!"
Rokko räusperte sich und schaltete sich in das Gespräch ein. "Ja, ich geh dann wohl besser."
"Rokko..." Lisa war verzweifelt. "David, geh bitte in die Küche. Wir reden gleich."
Dann lief sie schnell Rokko hinterher ins Wohnzimmer und ergriff seine Hand. Sofort erstarrte er in seiner Bewegung, blickte aber weiterhin auf den Boden.
"Rokko... Rokko, bitte, sieh mich an", flehte Lisa leise.
Langsam wandte er ihr seinen Blick zu.
"Glaub mir, ich würde tausendmal lieber jetzt mit dir hier sein. Aber..."
"Aber du bist mit ihm verheiratet", seufzte Rokko.
"Ja. Nein! Aber es gibt ein paar Dinge mit ihm zu besprechen. David ist es für gewöhnlich egal, was ich vorhabe."
Lisa war traurig und verzweifelt, versuchte aber ein Lächeln. Rokko kam einen Schritt auf sie zu und strich mit seiner freien Hand über Lisas Wange. "Kommst du klar?"
"Ja", flüsterte Lisa atemlos.
"Ruf mich an, falls du meine Hilfe brauchst. Okay?"
Lisa nickte. Rokko gab ihr wieder einen Kuss auf die Stirn und verließ dann die Wohnung. Lisa Plenske atmete tief ein und wieder aus und bereitete sich auf eine hitzige Diskussion mit ihrem Noch-Ehemann und einstigen Traummann vor. Dann ging sie in die Küche, wo David sich bereits Kaffee genommen hatte und sich über die Brötchen hermachte. Die idyllische Szene von vor 10 Minuten war zerstört und Lisa zurück in der Realität.
