4.Kapitel: Verführerisches Obst
Drei Wochen vor der Präsentation war das Team also wieder komplett. Lisa war froh, dass David da war, um ihr einige Aufgaben abzunehmen. Gleichzeitig brachte seine Rückkehr aber auch neue Probleme mit sich. Sie mussten sich darauf einigen, wann er Lena abholen konnte, um allein mit ihr etwas zu unternehmen. Manchmal besuchten sie auch gemeinsam die Seidels, die nie müde wurden, Lisa und David zu drängen, sich vielleicht doch noch nicht scheiden zu lassen.
"Das gibt Gerede und somit wieder schlechte Publicity für Kerima", war Friedrich Seidels liebstes Argument. "Wenn Laura und ich uns bei jedem kleinen Problem getrennt hätten..."
"Ich will aber keine Ehe wie ihr führen", dachte Lisa dann immer bei sich, ohne es laut zu sagen. "Keine Ehe, die geprägt ist von Seitensprüngen und unendlichen Affären." Sagen wollte sie jedoch nichts dazu. Ihr Entschluss pro Scheidung stand fest, aber sie wusste, dass es nichts brachte, mit Seidel senior zu diskutieren. Viel zu sehr war er in alten Denkweisen verfangen.
Neben den Vorbereitungen für die Präsentation versuchte sie die Scheidung mit David voran zu treiben. Sie hatte viel darüber nachgedacht, was für Lena das beste wäre.
Drei Tage vor der Präsentation waren sie zusammen mit Rokko und Hugo am Abend noch in Davids Büro, um über letzte Details zu sprechen.
"Wie ist der Stand der Dinge?" fragte David das versammelte Team.
"Bühne und Dekorationen werden morgen geliefert und aufgebaut, mit dem Catering habe ich auch gesprochen. Die Pläne können vollständig umgesetzt werden", meldete sich Rokko als erster zu Wort. "Die Anzeigencampagne läuft seit zwei Wochen in Zeitungen und Zeitschriften.
Lisa blätterte in ihren Unterlagen und fuhr dann fort: "Die Models sind gebucht, Hannah übernimmt das Styling."
"Mein letzter Entwurf ist heute an die Näherinnen gegangen. Die Modelle müssten klar vor der Präsentation fertig werden." Hugo hatte nach Jahren endlich wieder die nötige Ruhe zum kreieren neuer Entwürfe gehabt. Alle waren darüber mehr als erleichtert, denn Hugo Haas hätte man nie 1:1 ersetzen können.
"Sehr gut", schloss David. "Dann hoffen wir mal, dass alles gut über die Bühne geht. Sollte es dennoch zu Problemen kommen, sind Lisa und ich ja auch noch da."
Alle standen auf, um das Büro zu verlassen. Rokko wollte gerade mit Lisa sprechen, als David sie zurückhielt. "Lisa, könnten wir vielleicht noch schnell ein Wort wechseln?"
Lisa wusste nicht, worüber er jetzt noch hätte reden wollen, zuckte aber mit den Schultern und ging wieder zu ihm. Rokko verließ mit einem letzten Blick auf Lisa das Büro und schloss die Tür hinter sich.
"Lisa," begann David zögerlich. "Ich habe mir überlegt, ob wir gemeinsam zur Präsentation gehen sollten."
Lisa runzelte die Stirn. "Und das soll was genau heißen?"
"Dass du an meiner Seite dorthin kommst. Dass wir wieder als Paar auftreten."
"David, wir sind kein Paar mehr."
Da ergriff er ihre Hand und kam so nah, dass er direkt über ihr stand. Sanft fuhr er fort: "Aber wir könnten es wieder sein. Die Scheidung muss doch nicht sein. Wir könnten dort gemeinsam auftreten und verkünden, dass wir uns wieder versöhnt haben. Was denkst du?" Als sie nicht antwortete, sprach er weiter: "Lisa ich liebe dich noch immer."
Lisa riss sich los und verließ sofort das Büro, ohne ihm auch nur eine kurze Antwort zu geben. Vor ihrem Büro stieß sie beinahe mit Rokko zusammen, der auf sie gewartet hatte.
"Rokko..."
Als er sah, wie bleich sie war, schloss er sie in seine Arme.
"Lisa, was ist denn? Du bist kreidebleich. Geht's dir nicht gut?"
Lisa schluckte und sah ihn an.
"Doch, doch, alles ist gut, denke ich. Wir sehen uns morgen." Damit löste sie sich aus seinen Armen, holte nur noch ihre Tasche und verließ dann schnell Kerima. Sie wollte jetzt nur noch allein sein, denn sie brauchte Zeit zum Nachdenken.
Zur Präsentation ging sie tatsächlich mit David. Er holte sie zwei Stunden vorher von zu Hause ab. Lisa trug ein weißes Kleid, dass Hugo für sie passend zur Kollektion entworfen hatte: ein nicht zu weiter Ausschnitt vorn, weite Trompetenärmel aus einem Stoff, der durchsichtig war und ihre Arme zart umspielte. Das Kleid reichte ihr bis zu den Knien. Dazu trug sie weiße Ballerinas. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Make-up war schlicht: nur ein wenig Rouge auf den Wangen und farbloser Lipgloss auf den Lippen.
David trug einen schwarzen Anzug, darunter ein weißes Hemd, dessen vier obere Knöpfe nicht geschlossen waren. Sie sahen ein bisschen aus wie vor drei Jahren bei ihrer Hochzeit. Diesmal war aber noch Lena dabei. Ihre Tochter trug eine winzige rosa Bluse über weißen Hosen. Auch das hatte sich Hugo ausgedacht. Lisa musste lachen. Sie war gespannt, wie lange die weißen Hosen ihrer Tochter weiß bleiben würden. Mit dem Kinderwagen machten sie sich auf den Weg zum Fuchsbau, der nur etwa 20 Minuten von Lisas Wohnung entfernt war.
Als sie dort ankamen, waren Hugo, Hannah und Rokko bereits schwer beschäftigt, die letzten Dinge in Ordnung zu bringen. Hugo musste dringend noch etwas an einem der Kleider ändern, noch ein Zierelement darauf setzen, nahm sich aber Zeit, die Geschäftsführer von Kerima zu begrüßen. Verzaubert legte er den Kopf schief, als er entzückt ausrief: "Mes chères! Seht euch nur an! Die perfekte kleine Familie!" Er begrüßte Lisa und Lena mit einem Kuss auf die Wange, während David seinen Arm beschützend um Lisa legte.
Das entging Rokko, der am anderen Ende des Hofs in weißer Hose, weißem Hemd und locker gebundenem rotem Schlips stand, nicht. Als Lisa auf den Hof gekommen war, hatte es ihm den Atem verschlagen. Sie sah hinreißend aus in dem weißen Kleid. Und sie strahlte über das ganze Gesicht. Gleich dahinter war aber David Seidel gekommen und legte nun seinen Arm um Lisa. Waren sie wieder zusammen? Gab es keine Scheidung?
Er hatte in den letzten Wochen wieder weniger Zeit mit ihr verbracht. David ging seinen Vaterpflichten wieder nach. Rokko vermisste es, Lena ins Bett zu bringen und dann gemütlich mit Lisa reden zu können. Geredet hatten sie seit Davids Rückkehr nicht mehr richtig. Da David einen Teil der Aufgaben bei Kerima übernommen hatte, erledigte der jetzt, was Lisa am Tag nicht geschafft hatte, so dass es keine Notwendigkeit für Rokko und Lisa gab am Abend weiterzuarbeiten. Rokko war oft so lange in der Firma, dass er nicht wusste, ob er Lisa so spät noch stören könnte. Ab und zu holte er Lena vom Kindergarten ab, wenn weder Lisa noch David Zeit hatten und brachte sie dann mit zu Kerima, wo irgendwer immer willig war, Zeit mit Lena zu verbringen.
Jetzt sah er, wie Lisa David zur Seite zog, um mit ihm zu reden. Was sie sagten, konnte er nicht hören. Aber sie so vertraut miteinander umgehen zu sehen, versetzte ihm einen Stich. Zumindest wusste er nun, warum Lisa seinen Vorschlag, mit ihm gemeinsam zur Präsentation zu gehen, dankend abgelehnt hatte. Für ihn war es wohl mal wieder an der Zeit, dass Feld komplett für David Seidel zu räumen. Wieder hatte er Lisa an den alten Konkurrenten verloren. Er seufzte gerade, als sich eine Hand auf seinen Rücken legte.
"Rokko, es sieht fantastisch aus! Genau so, wie wir es uns vorgestellt haben."
Lisa stand hinter ihm. Langsam drehte er sich um und versuchte ein Lächeln.
"Ja, es sieht fast genau so aus."
"Alter Perfektionist! Ich finde es traumhaft." Lisa strahlte ihn an. "Danke, Rokko." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt sich an seinem Arm fest und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Rokko schluckte. "Du siehst atemberaubend aus. Das Kleid steht dir sehr gut."
Lisa errötete leicht und strich sich verlegen eine imaginäre Strähne aus dem Gesicht. "Danke. Du..."
"Lisa! Kommst du!" David rief nach ihr. "Wir müssen noch Fotos machen."
"Ich muss... wir sehen uns nachher, ja?" fragte sie Rokko, der stumm nickte.
Schon war sie wieder weg und auf dem Weg zu David und Lena. Die Fotografen warteten darauf, ein Bild von den Geschäftsführern zu machen. Rokko sah, wie David seine Arm um Lisa legte, die zufrieden lächelte. Dann nahm Lisa Lena auf den Arm, David stand hinter ihnen und sah sie verträumt an.
Mehr sah Rokko nicht. Er wollte nicht mehr sehen. Er ging ins Lokal und bestellte sich ein Glas Wasser. Erst zur Präsentation würde er wieder den Hof betreten.
Als es dunkel war, begann die Präsentation mit leiser Musik und zartem rosa Licht. Rokko kam durch einen Hintereingang und schlich sich auf seinen Platz hinter Lisa, die ohne David neben der Bühne stand. Lisa bemerkte ihn und drehte sich halb um, um ihn anzulächeln. "Ich hab dich schon gesucht", flüsterte sie und drückte leicht seine Hand, ließ sie dann aber wieder los, als die ersten Models den Laufsteg betraten. Es gab viel "Oh!" und "Ah!" - Hugos Kollektion kam beim Publikum an und wurde dann mit lautem Applaus bejubelt. Hugo zog Lisa und Rokko mit auf die Bühne und bedankte sich öffentlich bei ihnen dafür, dass sie ihm immer den Rücken frei gehalten und einen passenden Rahmen für seine Kollektion gefunden hatten. Erneut großer Applaus. Dann eröffnete Lisa das Büffet und verließ mit Rokko an der Hand die Bühne.
Unten angekommen fiel sie Hugo um den Hals. "Großartig, Hugo! Das ist eine deiner schönsten Kollektionen!" Auch Rokko gratulierte ihm. Dann wurde Hugo ihnen auch schon entrissen und von den begeisterten Gästen belagert. Lisa drehte sich zu Rokko um und strahlte ihn an. Es dauerte nur einen Moment, bis sie auch ihm um den Hals fiel. Er hielt sie fest, ganz fest und hätte sie am liebsten nicht mehr gehen lassen.
"Hast du Hunger?" fragte er sie, als sie sich nach einer halben Ewigkeit von einander lösten.
"Ja, ich hab den ganzen Tag noch nichts gegessen."
"Na dann, schnell zum Büffet, bevor alles weg ist", grinste er sie an.
Gemeinsam gingen sie zur großen Tafel, die gefüllt war mit allem, was sie sich ausgedacht hatten. Während Rokko ihre beiden Teller hielt, suchte Lisa etwas für sie zum Essen. Sie nahm sich einige Erdbeeren, die sie extra aus Spanien hatten einfliegen lassen. Ein kleine Weintraube fand sich auch auf ihrem Teller wieder, sowie ein paar Apfelstücken. Den anderen Teller füllten sie mit Canapés in Herzform. Lisa führte ihn in eine etwas entlegenere Ecke, um dort in Ruhe zu essen. An einem kleinen runden Tisch nahmen sie Platz.
"Puh, endlich Ruhe", seufzte Lisa lächelnd. "Darauf hab ich mich den ganzen Abend gefreut. Ich mag es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Aber das weißt du ja schon."
"Ja. Und als dein Marketingchef muss ich dir leider sagen, dass du dich nachher wieder ins Getümmel begeben musst." Lisa schmollte ein bisschen und Rokko musste lachen. "Als dein guter Freund kann ich dir aber sagen, dass du jetzt erst mal abschalten kannst. Ich werde die Presse fern halten."
Lisa seufzte entzückt auf. "Mein strahlender Ritter!" Sie grinste ihn an und steckte sich eine Weinbeere in den Mund. Als sie sie runtergeschluckt hatte, sah sie, dass Rokko noch nichts gegessen hatte. "Rokko, wenn du mich verteidigen willst, musst du stark sein." Sie nahm eine Erdbeere und führte sie zu seinem Mund. Zaghaft öffnete er seine Lippen und Lisa steckte ihm die Erdbeere in den Mund. Ein wenig Erdbeersaft lief ihm den Mundwinkel hinunter und Lisa streckte schnell ihre Hand aus, um den Saft sanft wegzuwischen, bevor er Rokkos weißes Hemd ruinierte. Rokko zuckte leicht zusammen bei der Berührung. Verdammtes verführerisches Obst! Wie sollte er sich nun noch zurück halten und sie nicht küssen? Er räusperte sich.
"Wo ist eigentlich Lena?"
"Bei ihren beiden Omas und Opas. Sie verwöhnen sie bestimmt schon wieder sehr." Lisa lachte. "Ich glaube, Lena weiß, wie süß sie ist und nutzt das sehr aus."
"Man kann der Kleinen aber auch nichts abschlagen", lachte auch Rokko und fügte in Gedanken für sich hinzu, dass er Lenas Mutter auch nichts abschlagen konnte.
Im Hintergrund spielte noch immer ruhige Musik und viele hatten begonnen zu tanzen. Rokko reichte Lisa seine Hand und fragte sie: "Darf ich bitten?"
Lisa grinste und nahm seine Hand gern an. Sie dachte an ihren ersten Tanz zurück. "Weißt du, als wir zum ersten mal getanzt haben und ich dir nicht die Führung überlassen wollte?"
Rokko erinnerte sich gern daran zurück. Damals hatte er gerade begonnen, sich in Lisa zu verlieben. "Ja, und es war gar nicht so schlimm. Ich hätte wissen müssen, wie ungern du dich führen lässt." Er zwinkerte ihr zu.
Auf der Tanzfläche angekommen legte Rokko seine rechte Hand auf ihren Rücken und umfasste mit seiner linken Lisas zarte Hand. Sie legte ihre linke Hand in seinen Nacken. Langsam begannen sie zu tanzen und anders als beim ersten Mal war Lisa diesmal bereit, sich vollkommen von ihm führen zu lassen. Sie fühlte sich beschützt und sicher in Rokkos Armen. Lisa legte ihren Kopf auf seine Schulter und er lehnte sanft seinen Kopf an ihren. So tanzten sie eine Weile, fast schwebend, nicht wissend, was um sie herum geschah. Rokko lächelte und genoss es, Lisa in seinen Armen zu halten. Vielleicht musste er sie doch noch nicht aufgeben.
"Ich hab dich vermisst, Rokko."
"Was?"
"Ich hab dich vermisst in den letzten Wochen. Seit David zurück ist, hatten wir kaum Zeit für einander. Du und ich."
"Hm."
Rokko spürte Lisas Atem an seinem Hals. Er schluckte schwer.
"Wir können ja vielleicht nächste Woche..."
"Lisa! Da bist du ja!"
Yvonne und Max waren an ihnen vorbei getanzt, ohne dass sie es bemerkt hatten und machten nun auf sich aufmerksam. Lisa hob ihren Kopf und begrüßte ihre liebe Freundin mit einem Lächeln. "Yvonne, schön, dass du hier bist."
Lisa sah, dass Yvonnes Augen das bekannte Leuchten hatten und grinste. "Wann ist es denn so weit?"
"Sieht man mir das schon an? Noch 6 Monate." Max strich liebevoll über den Bauch seiner Frau. Das wäre dann wohl Kind Nummer 4.
"Ich wünsche euch alles Gute!" Lisa löste sich von Rokko und umarmte Max und Yvonne.
"Auch von mir herzlichen Glückwunsch!" strahlte Rokko die beiden an.
"Lisa, streng dich an, damit mein neues Muckelchen dann auch wieder jemanden zum Spielen hat."
"Mal sehen, was sich machen lässt", grinste Lisa und verabschiedete sich dann wieder von ihrer Freundin.
Sie blickte sich um und entdeckte ihre Eltern am Rand, Lena auf dem Arm von Bernd schon weggenickt.
Lisa seufzte und sah zu Rokko. "Ich werde wohl gehen müssen. Lena schläft schon. Und ich weiß nicht, wie lange mein Papa sich als Kinderbettchen zur Verfügung stellt."
Rokko war ein wenig enttäuscht.
"Soll ich dich begleiten?"
"Nein, ist schon okay. Es ist ja nicht weit. Und ich wäre beruhigt, wenn du vielleicht noch eine Weile hier bleiben könntest, um Hugo zur Seite zu stehen."
Lisa umarmte ihn zur Verabschiedung und ging dann rüber zu ihren Eltern. Rokko sah ihr nach, sah, wie sie Lena an sich nahm und zum Kinderwagen ging. Sah, wie auch David plötzlich wieder da war und ihr sein Jackett reichte, das sie sich um die Schultern legte. Sah, wie David ihr einen Kuss auf die Wange gab. Sah, wie David sie etwas fragte und Lisa nickte und schließlich allein nach Hause ging. Rokko atmete tief ein und aus. Er liebte Lisa jeden Tag ein bisschen mehr. Wie und ob er es ihr sagen sollte, wusste er noch nicht.
