Kapitel 5: Wer verführt die Kerima-Chefin?

Am nächsten Morgen war Rokko in ihr Büro gekommen, ohne ihr einen guten Morgen zu wünschen oder sie auch nur anzusehen, hatte ihr einen Zeitungsausschnitt auf den Schreibtisch gelegt und war genau so schnell wieder verschwunden. Lisa verstand nicht, was los war. Sie griff nach dem Artikel und sah ein großes Foto von sich und David, mit Lena auf dem Arm. Daneben dann ein unscharfes Foto von sich und Rokko. Die Überschrift war riesig: "Große Verführung Kerima-Präsentation" und kleiner darunter "Wer verführt die Kerima-Chefin?"

Lisa verstand noch immer nicht und begann den Artikel zu überfliegen.

(...) ein großer Erfolg. Auch privat sieht es bei den Seidels wieder rosig aus. "Wir haben uns versöhnt", ließ David Seidel wissen. "Meine Frau hat mich mit ihrem Charme wieder verführt", strahlte der Womanizer am Rande der Präsentation. Spekuliert werden darf, ob sich bereits ein neues Baby für Lisa und David Seidel ankündigt. "Dazu sag ich jetzt nichts", lächelte Seidel geheimnisvoll.

Doch was war das, was wir da zwischen Lisa Seidel und Kerimas Marketingleiter Rokko Kowalski sahen? Eng umschlungen tanzten sie den ganzen Abend zu romantischer Musik und fütterten sich gegenseitig mit Erdbeeren. Ist David Seidel, stadtbekannter Frauenheld, am Ende der Betrogene? Ist das neue Seidel-Baby vielleicht ein Kowalski?

Lisa hatte die Augen weit aufgerissen. Sie konnte nicht glauben, was dort stand. Sie stand auf und verließ ihr Büro auf der Suche nach David.

Als sie ihn am Catering entdeckte, strahlend, sich mit den Kollegen unterhaltend, kochte sie vor Wut.

"David Seidel! Wie kannst du nur!"

Sie stürmte auf ihn zu und zog ihn ein Stück von den anderen weg.

"Lisa, mein Schatz", begrüßte er sie und küsste sie leidenschaftlich. Die Belegschaft jubelte und applaudierte. Rokko, der sich gerade einen Kaffee vom Catering hatte holen wollen, verschwand schnell wieder in seinem Büro. Er sah nicht mehr, wie Lisa David ohrfeigte.

Leiser, aber bestimmt fuhr sie fort: "Versöhnt! Wie kommst du darauf? Und was fällt dir ein mich zu küssen! Zum letzten Mal: ich will die Scheidung!"

"Aber Lisa, ich liebe dich doch", flehte er sie auf Knien an.

"David, das bildest du dir doch nur ein. Würdest du mich lieben, würdest du alles versuchen, mir nicht ständig das Herz zu brechen."

"Lisa, ich kann mich ändern."

"Vergiss es. Ich liebe dich nicht mehr. Es ist aus, David. Vorbei. Du hörst von meinem Anwalt."

Damit ließ sie ihn stehen und verließ wieder den Cateringbereich. So öffentlich hatte sie es gar nicht tun wollen, aber hatte sie denn eine andere Wahl, um endlich klar zu stellen, dass sie nie wieder die Frau an Davids Seite sein wollte?

Sie war immer noch aufgeregt, als sie schwer atmend vor Rokkos Büro stand. Was dachte er nur von ihr? Dass sie sich mit David versöhnt hatte, ohne ihm davon zu berichten? Er war ihr bester Freund. So etwas könnte sie ihm doch gar nicht verheimlichen. Und sie hatte sich selbst geschworen, dass sie diesem wunderbaren Mann nie wieder das Herz brechen wollte.

Lisa klopfte an seine Tür. Nichts. Sie hörte keinen Mucks. Noch mal klopfte sie. Dann drückte sie die Klinke hinunter. Langsam öffnete sie die Tür und blickte nach unten.

"K... kann ich reinkommen?" fragte sie vorsichtig.

"Nur zu", kam es leise von Rokkos Lieblingsplatz am Fenster. Er hatte hier eine Hängematte gespannt, in der er lag, wenn er nachdenken musste. Lisa ging zu ihm und strich vorsichtig über seine Haare. Rokko setzte sich auf, um sie ansehen zu können. Lisa setzte sich auf das Fensterbrett direkt neben ihn und sah ihn lange an. Sie versuchte von seinen Augen abzulesen, was er dachte.

Es war Rokko, der die Stille durchbrach. "Ich dachte, du würdest es mir wenigstens persönlich sagen, wenn du und David... wenn ihr wieder zusammen seid."

"Rokko..." Lisa schüttelte den Kopf. "Rokko, David und ich, da ist nichts mehr. Er hat gesagt, dass er mich noch liebt, er hat mich darum gebeten, die Scheidung nicht durchzuziehen. Aber ich will die Scheidung."

"Liebst du ihn denn nicht mehr?"

"Nein. Nach allem, was er mir angetan hat, kann ich das nicht mehr."

"Aber der Artikel..."

"Seit wann glaubst du denn, was in der Boulevard-Presse steht? Bin ich denn schwanger? Erwarte ich denn ein Kind von dir?"

Rokko lächelte wieder. "Nein, aber immerhin haben sie richtig erkannt, dass du mich gefüttert hast und dass wir "eng umschlungen" getanzt haben."

Sie sahen sich lange an.

Lisa nahm seine Hände. "Rokko?"

"Ja?"

"Ich würde dich jetzt gern küssen."

Rokko stand von seiner Hängematte auf und ging einen Schritt auf Lisa zu. Sie hob leicht ihren Kopf an und er senkte seine Lippen auf ihre. Erst begannen sie federleicht, ließen ihre Lippen nur kurz berühren. Doch der Kuss wurde bald schon intensiver und leidenschaftlicher. Lisa schlang ihre Arme um Rokkos Hals und er streichelte ihren Rücken mit seinen Händen. Sie legten alle Gefühle, die sie für den anderen hatten in diesen Kuss und erst als ihnen die Luft ausging, hörten sie auf, Rokko legte seine Stirn an ihre und sie atmeten schwer. Lisa war glücklich. Rokko fühlte sich, als würde sein Herz vor Glück überlaufen. Sanft strich er ihr jetzt über ihre Wangen und küsste sie noch ein mal.

"Kommst du jetzt mit raus? Ich wollte mit der Belegschaft anstoßen... und ich hätte dich gern an meiner Seite, wenn ich das tue."

Rokko nickte, nahm ihre linke Hand in seine rechte, und ging mit ihr Hand in Hand zum Catering. Sie dankten der gesamten Belegschaft für die gute Zusammenarbeit und stießen dann mit allen auf den großen Erfolg an. Dass nun Rokko und nicht David an Lisas Seite stand, schien niemanden zu verwundern. Die Ohrfeige für David hatten alle gesehen und sie waren dabei sich ihre eigene Geschichte zusammen zu reimen und dabei vielleicht ein bisschen der Pressegeschichte zu glauben. Wer die Kerima-Chefin verführte, war ihnen allerdings klar.