12.
Kapitel
Hermine Granger blätterte in einem alten
Buch, das sie aus einem verstaubten Regal der Bibliothek gezogen
hatte. Die Seiten waren vergilbt und teilweise eingerissen, so dass
sie beim Umblättern die ganze Hand unter das Pergament schob, um
es nicht zu zerstören. Ihre Gedanken wanderten immer wieder ab,
sie musste die Seiten oft zurückdrehen, weil sie sich nicht mehr
an das Gesehene erinnern konnte. Sie waren immer zu dritt hier
gewesen, hatten gemeinsam gelernt, geheimnisvolle Rätsel gelöst,
hatten das Rezept für Vielsafttrank gefunden, hatten vergeblich
nach Artikeln über Nicholas Flamel Ausschau gehalten, hatten
gelacht, gestritten und sich über ihre Lehrer aufgeregt. Nun war
sie allein mit Ron in Hogwarts. Harry benahm sich idiotisch. Hatten
sie ihm nicht vielfach bewiesen, dass sie vor keiner Gefahr
zurückschreckten, dass sie seine Freunde waren und
zusammengehörten? Harry hatte gesagt, er könne ihren Tod
nicht verantworten und müsse nun alleine weitergehen. Sie
schüttelte den Kopf und schlug mit der Hand leicht auf das Buch,
so dass kleine Staubflocken im Sonnenlicht tanzten. Was für ein
Schwachsinn! So wie es im Moment aussah, standen die Chancen gut,
dass sie getrennt voneinander ebenso schnell den Todessern in die
Hände fallen würden. Sie waren nirgendwo mehr sicher, es
war nur eine Frage der Zeit, bis Lord Voldemort die Macht offen
übernehmen würde. Gemeinsam könnten sie mehr
erreichen, wenn sie es Harry nur klarmachen könnte.
Sie hob ihre Hand von der Buchseite und ihr Blick blieb am dünn gezeichneten Bild darunter hängen. Sie beugte sich über die Skizze. Es waren zwei Hände dargestellt, die sich umfassten und dabei von einem dünnen Lichtstrahl umschlungen wurden. Gebannt las sie die Zeilen, die den Zauber beschrieben. Ihr Herz schlug schneller und sie las den Text noch ein zweites Mal, um sich alles einzuprägen. Dann schlug sie das Buch zu und lief aus der Bibliothek heraus. Sie musste Ron finden und auch die Zwillinge Fred und George.
Sie suchte viele Klassenräume ab, rannte durch die große Halle und begab sich sogar in den Kerker, doch außer Hagrid und einigen Elfen, die mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt waren, konnte sie keine weiteren Einwohner entdecken. Sie hielt auf der Treppe nach oben kurz an, um Luft zu holen.
"Können wir Ihnen weiterhelfen, junge Frau?"
"Wir könnten Ihnen unsere Hände reichen oder Sie sogar ein paar Stufen hinauftragen, wenn Sie nicht zu wild um sich schlagen."
Hermine fuhr herum. Sie blickte in zwei gut bekannte grinsende Gesichter, die von roten Haaren umwuchert waren.
"Fred, George, ich brauche euch. Ihr müsst mir helfen."
"Tun wir doch gerne, aber vorher…"
"…hörst du uns zu, wir suchen dich nämlich…"
"…um dir zu sagen, dass wir eben jemand getroffen haben, der dich interessieren könnte und zwar…"
„…Harry Potter!"
Die Zwillinge sahen sich vielsagend an blickten anschließend zu Hermine. Hermine schluckte. Harry war in Hogwarts? Dann besann sie sich.
"Umso besser, kommt schnell mit, ich muss euch um etwas bitten, und Ron brauche ich auch."
"Dann machen wir den Umweg über die Küche, unser Bruder hilft gerade den Elfen dort…"
"…indem er sich mit Leckereien verwöhnen lässt, um ihnen Freude zu bereiten."
Hermine war schon losgelaufen. Wenn alles so funktionierte, wie sie es sich vorstellte, würde Ron gleich etwas ganz anderes tun.
