13. Kapitel

Es war leichter gewesen als er es sich vorgestellt hatte. Die voll gestellten Regale im Raum der Wünsche hatten sich fotografisch genau in sein Gedächtnis eingeprägt. Viele Male war er in Gedanken den Weg abgegangen. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Buch gefunden. Hass loderte in ihm auf, als er es in die Hand nahm. Ich werde dich mit deinen eigenen Erfindungen zerstören. Ich werde deinen Schwachpunkt finden. Mach dich auf eine Überraschung gefasst, Snape, ich töte dich. Bilder flackerten in seiner Erinnerung auf. Er stieß den Zahn des Basilisken in das Buch. Blut lief aus den Seiten. Eine schwarze Gestalt schrie auf und brach in sich zusammen. Lord Voldemort war an seinem eigenen Tagebuch zu Grunde gegangen und Snape würde seinem Meister folgen. Ein seltsames Gefühl der Befriedigung rieselte durch Harrys Körper, als er die „Zaubertränke für Fortgeschrittene" unter seine Jacke schob. Das war der Anfang vom Ende des Halbblutprinzen.

Siegesgewiss betrat Harry Potter den Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Hinter der Tür blieb er abrupt stehen. Er wurde schon erwartet. Hermine, Ron und die Zwillinge sahen ihn an. Fred und George kamen auf ihn zu, legten ihm ihre Arme um die Schultern und zogen ihn zu einem großen Sessel. Ihre ernsten Mienen verschlugen ihm die Sprache.

"Harry, du bleibst hier sitzen. Sage nichts, wir haben schon genug von dir gehört…"

"… und wissen genau, was du sagen willst. Wir wollen es nicht hören. Du schaust jetzt nur zu…"

"…und danach kannst du tun, was du willst. Wir werden dich nicht daran hindern."

Sie drückten Harry in den Sitz und nickten Hermine zu. Diese nahm Ron bei der Hand und zog ihn vor Harrys Sessel wo beide stehen blieben. Der Auserwählte starrte wie gelähmt auf seine beiden besten Freunde, die sich inzwischen die rechte Hand reichten. Was sollte das werden? Fred richtete seinen Zauberstab auf die beiden während George Harry mit ebenfalls erhobenem Zauberstab klar machte, dass er unbedingt sitzen bleiben musste. Hermine begann zu sprechen.

"Ron, willst du Harry Potter helfen, Lord Voldemort zu finden und ihn zu besiegen?"

Harry wollte aufspringen, wurde aber augenblicklich wieder in den Sessel gedrückt. Seine Freunde waren verrückt geworden. Er spürte den Druck der Spitze von Georges Zauberstab in seinem Nacken. Wütend blieb er sitzen.

Ron zögerte nur kurz und antwortete dann mit fester Stimme: „Das will ich tun."

Eine kleine helle Schnur aus Licht entströmte Freds Zauberstab und wickelte sich um die beiden Hände wie ein filigranes Strahlennetz. Ron ergriff das Wort.

"Hermine, willst du Harry Potter helfen, Lord Voldemort zu finden und ihn zu besiegen?"

"Ja, ich will es."

Ein zweiter Lichtfaden umschlang die Hände und verstärkte das Netz zu einer bizarren Schönheit aus purem Licht. Zornig und gleichzeitig fasziniert betrachtete Harry dieses Schauspiel. Dann begann sich das leuchtende Gebilde langsam aufzulösen, Ron und Hermine ließen ihre Hände los sahen Harry an. Dieser fand seine Sprache wieder.

"Was war das? Was wollt ihr von mir?"

Hermine antwortete: „Das war der unbrechbare Schwur. Jetzt sollte dir klar sein, was wir wollen. Wir haben keine Angst, gegen Lord Voldemort können wir nur gemeinsam gewinnen oder jeder alleine verlieren."

"Ihr seid komplett verrückt geworden, ihr wisst nicht, worauf ihr euch einlasst", Harry Stimme überschlug sich beinahe, „ich will das nicht, ich lasse mich nicht zwingen. Wenn ihr meine Freunde sein wollt, dann macht, was ich euch sage und geht weg."

Er befreite sich mit heftigen Bewegungen aus Georges Umklammerung und rannte die Treppe zum Schlafraum hinauf.

Hermine blickte ungerührt in die Runde. „Er wird sich wieder beruhigen."

Oben angekommen sprang Harry auf sein Bett und schlug mit den Fäusten auf das Kopfkissen. Einige Minuten später gab er diesen Kampf auf, warf sich auf den Rücken und starrte die Decke an. Am liebsten würde er Hermine an den Schultern packen und kräftig durchschütteln. Sie wusste genau, was der unbrechbare Schwur bewirkte. Wenn sie Harry bei seiner Suche nach den Horcruxen und seinem Kampf gegen Lord Voldemort nicht helfen konnten, würden sie und Ron ihr Wort brechen und daran sterben. Er packte das Kopfkissen und schleuderte es gegen den Schrank, der daraufhin aufsprang. Durch die Erschütterung fielen etliche von Harrys lose gestapelten Kleinteilen auf den Boden. Ein Päckchen Sammelkarten verteilte sich im Zimmer wie Blätter, die im Herbst von den Bäumen geweht werden. Harry starrte auf die Karten, die vor ihm im Bett gelandet waren. Aus dem nächstliegenden Bild blickte ihn ein alter Zauberer mit langen weißen Haaren an. Albus Dumbledore lächelte ihm zu, er nahm seinen Zauberstab und tippte sich leicht gegen den Kopf. Ein silbriger Faden löste sich und blieb an der Spitze hängen. Harry dachte daran, wie der Schulleiter ihm im Denkarium die verschiedenen Erinnerungen an Lord Voldemort und die Horcruxe gezeigt hatte. Er hatte ihm gesagt, dass er alles Hermine und Ron erzählen solle, aber sonst keinem. Hatte Dumbledore gewollt, dass die beiden ihm helfen? Wusste er etwas, das Harry nicht wusste? Im Bett sitzend hielt er die Karte in den Händen und hing seinen Erinnerungen an das letzte Schuljahr nach. Vielleicht hatte er Albus Dumbledore noch nicht richtig verstanden, vielleicht hatten auch seine Freunde eine Aufgabe zu erfüllen, vielleicht….Der Wind, der durch die geöffneten Fenster ins Zimmer eindrang, spielte mit den Vorhängen, so dass sie wie kleine Geister um das Bettgestänge tanzten