14. Kapitel

Der Eingang zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors öffnete sich. Hermine, Ron und die Zwillinge blickten gleichzeitig zur Tür. Eine seltene Besucherin schritt in die Mitte des Raumes. Minerva McGonagall vermied es normalerweise, sich in das Privatleben ihrer Schüler einzumischen.

"Ah, nun hier sind Sie alle. In meinem Büro wartet jemand auf Sie, genauer gesagt auf Mrs. Granger, Mr. Weasley und", sie schaute in die Runde, „wo ist Mr. Potter? Ron, antworten Sie mir bitte!"

Ron öffnete seinen Mund, schloss ihn wieder und holte kurz Luft. „Harry ist im Schlafsaal. Und falls Sie es gleich fragen wollen, Ginny nimmt bei Tonks Privatstunden in Verteidigung gegen die Dunklen Künste."

"Rufen Sie Harry Potter bitte herunter."

Ron ging zögernd die Treppe hinauf und blieb in der Tür stehen. Harry lag unbeweglich in seinem Bett. Er hatte Ron nichts zu sagen.

"Harry, Professor McGonagall steht unten und möchte dich sprechen."

Nur die Stille antwortete ihm. Ron drehte um und ging die Stufen wieder hinab. Als er fast unten angekommen war, waren von oben Schritte zu hören. Harry Potter kam in den Gemeinschaftsraum. Keiner sagte ein Wort. Die Direktorin überging das Schweigen.

"Mr. Potter, Mrs. Granger und Mr. Weasley. In meinem Büro wartet jemand auf Sie, der Sie sprechen möchte. Sein Anliegen ist von solcher Dringlichkeit, dass ich mich persönlich auf die Suche nach Ihnen gemacht habe. Bitte folgen Sie mir unverzüglich."

Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Hermine schloss sich ihr sofort an, Harry und Ron kamen einige Sekunden später mit gesenkten Köpfen nach. Harry beschloss, seinen Freund einfach nicht zu beachten. Er würde nicht den ersten Schritt tun, nicht nach der Szene eben. Neben Ron durch die langen Schulflure zu laufen, war für ihn ausgesprochen unangenehm. Beide schwiegen beharrlich. Schließlich erreichten sie den Raum der Schulleiterin. Alle sahen sich um. Sie waren alleine hier. Hermine ergriff das Wort.

"Professor McGonagall, was meinten Sie, als Sie eben…", sie unterbrach sich, als sie bemerkte, wie die strenge Hexe mit dem Finger auf eines der großen Gemälde an der Wand wies. Albus Dumbledore betrachtete alle so aufmerksam, als wären seine ersehnten Gäste endlich erschienen. Er winkte die Gruppe zu sich heran.

"Minerva, ich danke dir, dass du meinen Wunsch erfüllt hast. Ich muss dich nun bitten, mich mit Harry, Hermine und Ron allein zu lassen."

"Du willst mich aus meinem eigenen Büro verweisen? Das kommt gar nicht in Frage!"

"Minerva."

Die Direktorin schnaubte. Sie warf dem Bild einen empörten Blick zu, dann verließ sie mit großen Schritten ihr Zimmer und schloss die Tür deutlich hörbar hinter sich. Albus Dumbledore wandte sich seinen ehemaligen Schülern zu, die ihn anstarrten, als sähen sie einen Bergtroll, der sich die Fingernägel lackierte.

"Es freut mich, euch alle hier zu sehen. Ich möchte mit euch eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit besprechen. Es geht um ein Thema, von dem ich hoffe, dass außer euch keiner weiß, dass diese Dinge überhaupt existieren. Könnt ihr mir aufmerksam zuhören?"

Harry schossen viele Fragen durch den Kopf. Er hätte nicht gedacht, überhaupt noch einmal mit dem weißhaarigen Mann zu sprechen. Doch sein Erstaunen über Dumbledores Initiative verschlug ihm die Sprache, so dass er mit offenem Mund vor dem Bild stand während Ron und Hermine es immerhin schafften, mit den Köpfen zu nicken.

"Ihr erinnert euch an die Szenen, die ich Harry im Denkarium gezeigt habe, die Harry", er nickte dem Jungen zu, „euch wortgetreu weitergegeben hat?"

Alle bejahten, die Geschichten von Lord Voldemort und seinen Horcruxen hatten sie seitdem beschäftigt und waren nicht mehr aus ihren Köpfen verschwunden.

"Ihr müsst euch nun auf die Suche nach den Seelenteilen Lord Voldemorts machen. Und ihr müsst gemeinsam gehen. Einer alleine wird nicht zurückkehren, es sei denn als toter Diener des Lords. Habt ihr das verstanden?", er sah sie über den Rand seiner Brille hinweg der Reihe nach an, und besonders lange blieb sein Blick an Harry haften, „Harry, du weißt wovon ich rede. Versprecht mir, dass ihr euch gegenseitig helft. Darauf ist Lord Voldemort nicht gefasst, er rechnet nicht mit Freundschaft und Vertrauen. Nur so könnt ihr seine Schutzwälle überwinden. Ich möchte von jedem von euch ein klares Ja hören."

Hermine sagte laut: „Ich verspreche es."

Ron sah Hermine an und ergänzte: „Ich ebenfalls."

Harry biss sich auf die Lippen. Der alte Zauberer hakte nach: „Harry?"

Der Auserwählte presste das „Ja" zwischen seinen Zähnen hindurch, als wollte er es mit aller Kraft zurückhalten. Dumbledore machte ein Gesicht als hätte er ihn nicht gehört. „Harry, bitte laut und deutlich!"

Harry Potter nahm alle seine Beherrschung zusammen und dennoch hörte es sich so an als schriee er Dumbledore sein „Ja" entgegen. Der ehemalige Direktor schien damit zufrieden zu sein, denn er fuhr in seiner Rede fort.

"Zuerst müsst ihr zu dem Friedhof gehen, auf dem Lord Voldemorts Vater beerdigt ist. Harry kennt diesen Ort schon, er wird sich dort zurechtfinden. Bitte geht nicht in der Dunkelheit, der Platz ist ein Treffpunkt für Todesser. Unter der Grabplatte des Gemeinschaftsgrabes der Riddles befindet sich der Eingang zur Familiengruft. Dort müsst ihr hinunter steigen. Ihr werdet in diesen Räumlichkeiten die Tasse Helga Hufflepuffs aufspüren. Sie befindet sich tief innen in der Gruft. Ihr müsst sie bergen und vernichten."

Schock spiegelte sich auf den Gesichtern der Schüler bei dieser Vorstellung. Sie waren gerade erst der Kindheit entwachsen, sie hatten bis auf Harry wenig Erfahrung mit dieser schrecklichen Art von Magie, die sie dort erwarten würde. Dumbledore lächelte ihnen zu.

"Ihr könnt es schaffen, haltet zusammen und", er zwinkerte Harry zu, „nehmt ein paar Sammelkarten mit, ich meine die mit meinem Bild auf der Rückseite. Ich hoffe, ihr habt noch einige davon. Sonst schlagt euch auf meine Verantwortung und auf Kosten der Schule den Bauch mit Schokofröschen voll, bis jeder eines hat. Ich werde Minerva bitten, euch diese Süßigkeiten zu geben." Er schaute jeden einzeln an. „Ich vertraue euch. Viel Glück!"

Harry, Ron und Hermine sahen sich gegenseitig an. Ihr Ärger war angesichts dieses Auftrages unwichtig geworden. Hermine hielt Ron ihre rechte Hand hin. Ron ergriff sie. Dann blickte die junge Frau dem Auserwählten in die Augen. Harry verstand was sie wollte. Und er hatte nun auch nichts mehr dagegen. Er umschloss mit seiner rechten Hand die beiden anderen Hände. Ohne Worte versprachen sie sich gegenseitige Treue bis in den Tod.