16.
Kapitel
Der Gemeinschaftsraum im Gryffindorturm war der
gemütlichste Platz im ganzen Schloss. Dies war Harrys Meinung,
seit er vor sechs Jahren in Hogwarts eingezogen war. Nun saß er
in einem der weichen Sessel, lehnte mit dem Rücken schief gegen
eine Armlehne und ließ die Beine locker über die andere
Armlehne baumeln. Er grinste Ron an, der es sich mit übereinander
geschlagenen Füßen auf einem Sofa bequem gemacht hatte.
Ron grinste so gut er konnte zurück. Er kaute auf beiden Backen,
er hatte verkündet, er wäre jetzt in der richtigen Laune,
um den ultimativen Test mit zwei von Berti Brotts Bohnen jeglicher
Geschmacksrichtung gleichzeitig zu machen. Harry fühlte sich so
glücklich, als hätte er gerade einen Becher mit Felix
Felicis geleert.
"Na, wie läuft dein Selbstversuch? Hast du einen neuen Geschmackstipp für die Elfen in der Küche?"
"Esch geht scho. Schenf mit Schokolade. Nisch schlecht, aber auch nisch gut. Vielleischt schollte isch esch mit drei Bohnen verschuchen."
Hinter dem Sessel, der zum Kamin gedreht war, war ein leises Kichern zu hören. Hermine war wach geworden. Sie schien sich von den vorangegangenen Anstrengungen erholt zu haben, denn sie drehte sich nun mit ihrem Sitz um und legte ihre Füße vorsichtig auf die Tischkante.
"Bohne gefällisch? Isch empfehle drei. Schehr guter Effekt."
"Danke, Ron, im Moment nicht, ich bin froh, dass meine Übelkeit weg ist. Das war kein Spaziergang eben."
"Nein, das war es nicht. Aber es war einfach nur gut", Harry streckte sich, "es war das Beste, was ich seit langem getan habe."
"Ja, wir hatten Erfolg. Doch im Einschlafen sind mir die Bilder wiederholt durch den Kopf gegangen. Ich verstehe es nicht. Wie kam die Tasse um deinen Hals, und vor allem, woher wusstest du, was du tun musstest? Wieso sind die Schlangen erstarrt, als sie uns beißen wollten und woher kam Fawkes gerade in diesem Moment?" Hermine legte ihre Stirn in Falten.
"Denk nisch, isch!"
"Ron, lass den Mund zu beim Kauen, Hermine hat Recht. Wenn ich zurück schaue, kann ich mir auch nicht alles erklären. Das mit den Schlangen ist mir rätselhaft, ich hatte euch schon aufgegeben. Und Fawkes muss irgendwie von Dumbledore geschickt worden sein, von ihm wusste ich nämlich, was ich mit dem Horcrux tun sollte."
Harry versuchte, an die Sammelkarte heran zu kommen. Doch er saß genau darauf. Er räkelte sich herum und bekam sie schließlich zu fassen. Er starrte auf das Bild. Dumbledore lehnte mit dem Kopf am Bildrand und schlief tief und fest. Der Junge hielt die Karte an sein Ohr. Er vernahm ein leises Schnarchen. Ron beobachtete ihn, blickte dann Hermine an und tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn.
"Was tust du da, Harry?", Hermines Stimme klang leicht ärgerlich, „willst du uns erzählen, dass die Sammelkarte reden kann?"
"Ja, genau das will ich. Doch im Moment schnarcht sie. Hört selbst!"
Er beugte sich Hermine entgegen, die ihm seufzend die Karte abnahm und an ihr Ohr hielt. Sie schüttelte ihren Kopf und sah sich das Bild näher an. Dann begann sie zu lachen.
"Hermine, nun rede schon!"
"Dumbledore schläft nicht, er schnarcht absichtlich. Eben hat er kurz die Augen geöffnet und mir zugezwinkert. Der Mann ist unglaublich. Aber irgendetwas ist anders mit diesem Bild. Ich habe noch nie Karten gehört."
"Gib schie mir auch mal", Ron streckte seine Hand aus und ergriff die Karte, „ihr scheid mir schöne Freunde, dasch Bild ischt leer!"
"Er hatte wohl keine Lust mehr, aber jetzt erzähl weiter Harry, was ist dir passiert, als wir die Feuerwand gezogen haben?"
"Ich wusste nicht, was ich tun sollte und habe mich an Dumbledore erinnert. Er hat mir aus der Karte heraus alles gesagt, dass ich mir Voldemorts Gedanken ins Gedächtnis rufen und die Tasse auf keinen Fall berühren sollte. Es hat funktioniert. Und Fawkes kommt, wenn man Dumbledore Treue zeigt. Das habe ich schon einmal so erlebt, als ich mit dem Basilisken gekämpft habe."
"Dann sollten wir die Sammelkarten immer bei uns tragen", Hermine war begeistert, „sie können uns viel besser helfen als die verzauberten Münzen, die wir für Dumbledores Armee benutzt haben. Wenn es immer so gut klappt, sollten wir sogar für jedes Ordensmitglied eine bereitstellen. Ron kann uns helfen, sie zu beschaffen, mir wird wieder übel, wenn ich an die vielen Schokofrösche denke."
"Dasch ischt endlisch mal eine gute Idee!"
Die Tür zum Gemeinschaftsraum wurde mit Getöse aufgestoßen und herein stolperten zwei lachende rothaarige Geschöpfe.
"Diese Erfindung macht Laune, George, wir müssen sie schnellstens testen."
"Und hier sind auch schon unsere Versuchspersonen", George machte eine ausladende Handbewegung, „Freiwillige für völlig ungefährliches Experiment gesucht! – Oh, ich glaube, wir sind mitten in die „Wir-vertragen-uns-wieder-Party" hineingeraten. Ist Harry endlich zur Vernunft gekommen?"
Harry lachte: „Das könnte durchaus sein, setzt euch zu uns und lasst hören, was ihr euch ausgedacht habt."
George verbeugte sich, griff in seine Hosentasche und hielt mit ausgestrecktem Arm eine kleine grüne Kugel hoch: „Darf ich vorstellen, Georges grüner Glibber!"
"Oder auch Slytherins schleimiger Stolperstein genannt, wir suchen noch die passende Bezeichnung", ergänzte Fred, „wer will es nun testen?"
"Isch!", tönte es vom Sofa, Ron schluckte sein Bohnengemisch herunter, „ich habe heute meinen Testtag."
Der rothaarige Junge sprang mit Schwung von seiner Liege und baute sich vor seinen Brüdern auf. Siegesgewiss grinste er sie an. Harry blickte zu Hermine. Sie schaute skeptisch zu Fred und George, rührte sich aber nicht.
"Greif mich an, kleiner Bruder..."
…oder mich, du hast freie Auswahl."
"Wie ihr wollt", Ron hob seinen Fuß, um den ersten Schritt zu tun. In diesem Augenblick ließ George die Kugel fallen. Sie rollte in Rons Richtung und nach einer Sekunde explodierte sie mit leisem Zischen und bedeckte den Boden um Ron herum mit dünnem grünem Schleim. Der Junge verlor plötzlich sein Gleichgewicht, ruderte mit den Händen und landete auf seinem Allerwertesten. Sofort versuchte er aufzustehen, aber er konnte auf der grünen Masse keinen Halt finden und lag kurze Zeit später mit ausgestreckten Armen auf dem Bauch. Hermine krümmte sich vor Lachen und Harry prustete laut los.
"Na warte, wenn ich euch kriege…"
"Das wird nicht passieren, liebes Brüderlein…"
"…nicht solange der Stolperstein wirkt, und wir hoffen, dass er es lange tut."
Fred zog nun eine kleine rote Kugel aus einer seiner vielen Taschen und ließ sie ebenfalls zu Ron hinrollen. Auch sie explodierte und in Sekundenschnelle hatte sich der grüne Schleim in normale Staubkörnchen verwandelt, so dass Ron sich erheben konnte. Dann griff Fred wieder seine Tasche und zog einen Schokofrosch heraus.
"Unsere erste Testperson bekommt einen Preis."
Er warf seinem Bruder die Packung zu. Ron fing sie auf, zögerte einen Moment und begann dann zu grinsen. Er ließ sich wieder auf das Sofa fallen. Harry nickte anerkennend und meinte:
"Nicht schlecht, eure Slytherinfalle. Hoffentlich wirkt sie auch bei echten Schlangenbeschwörern."
"Worauf du dich verlassen kannst…"
"…außerdem hat sie größeren Unterhaltungswert als jede Barriere. Stelle dir mal ein paar Todesser dabei vor."
Hermine begann wieder zu kichern und Harry grinste. Ron ließ ein undefinierbares Geräusch vom Sofa her hören. Beide drehten sich zu ihm hin. Er hatte einen kompletten Schokofrosch im Mund. Die leere Packung lag neben ihm. Dann hob Ron triumphierend die Hand. Er hielt eine Karte darin.
"He, scheht mal her, isch habe einen Dumbledore!"
