30. Kapitel

"Gebt ihm eines meiner Zitronendrops, schnell! Ein paar liegen immer noch in der obersten Schublade des Schreibtisches, ganz hinten."

Hermine rannte los, riss den Behälter auf und wickelte mit zitternden Fingern das Bonbon aus seiner Verpackung. Dann eilte sie zu Harry zurück, schob seine Lippen auseinander und zwängte das gelbe Bonbon zwischen seine Zähne. Der Junge stöhnte. Dann schlug er die Augen auf.

"Alles klar, es geht schon wieder, es hilft", er richtete sich auf, „und es schmeckt köstlich, nach Zitrone und nach, ich weiß nicht, vielleicht Honig, und es zieht durch Arme und Beine."

Dann sah er Dumbledore lächeln und verstand. Die berühmten Zitronenbonbons des Direktors waren verhexte Süßigkeiten mit stärkender Wirkung. Der weißhaarige Zauberer blickte seine ehemaligen Schüler an.

"Hermine und Ron, nehmt euch ebenfalls eines, ihr werdet heute Nacht alle eure Kräfte brauchen. Der Angriff, den Minerva mit dem Orden und mit euch zusammen geplant hat, beginnt in diesen Minuten. Alle Schüler sind wie besprochen in ihren Schlafsälen verbarrikadiert und schlafen. Ihnen kann nichts passieren und ihr könnt dorthin nicht zurück. Nehmt also eure Plätze ein. Die ersten Todesser sind gerade im Schloss eingetroffen. Sie kommen durch den Kamin im ehemaligen Büro Professor Snapes."

Hermine runzelte ihre Stirn. „Wie kann das sein? Das Flohnetzwerk ist unterbrochen."

"Professor Snape muss die Zutaten für das Flohpulver verändert haben. Es ist die einzige Möglichkeit, das System zu täuschen. Bisher allerdings ist dieser Versuch noch keinem gelungen."

"Verräter!"

"Harry, du musst unbedingt Ruhe bewahren. Sammle deine Gedanken. Du hast heute einen anderen Gegner. Vernichte Lord Voldemort, bevor er dich zu seinem letzten Horcrux macht. Du wirst Hilfe haben. Geht nun, ihr drei, viel Glück!"

Die Freunde reichten sich schweigend ihre Hände. Ihre Aufgabe war es, Harry sicher zur großen Halle zu bringen, damit er nicht schon vorher im Getümmel verletzt wurde. Dort würde er sich Lord Voldemort stellen müssen. Dann öffneten sie leise die schwere Bürotür, ließen sich von der Wendeltreppe nach unten tragen und schlichen durch die langen Gänge. Bei der letzten Ordensversammlung war beschlossen worden, die Todesser nach ihrem Eindringen systematisch einzukesseln und in die große Halle zu treiben. Im ganzen Schloss waren Ordensmitglieder verteilt und warteten, die Dumbledorekarten in der Hand, auf ihren Einsatz. Sie hatten Unterstützung von einigen Schülern, die sich bei der Ferienakademie als besonders geschickt erwiesen hatten und darauf brannten, beim entscheidenden Kampf mitzuhelfen. Sie hörten Schreie. Durch die Fenster eines Verbindungsflures konnten sie Lichtblitze erkennen. Dann sahen sie eine Gruppe schwarz verhüllter Todesser, die auf eine Lücke in der Wand zielten. Rote Strahlen schossen aus dem Durchbruch zurück. Der Kampf tobte. Sie rannten weiter. Harry wünschte, er hätte seinen Tarnumhang mitgenommen. Weiter vorne mussten sie um eine Ecke biegen.

Ron trat vorsichtig vor, dann zuckte er zurück. Nun sahen sie alle die Todessermaske, durch die suchende Augen um die Mauer blickten. Hermine sprang vor Harry und zückte ihren Zauberstab. Schon rollten kleine grüne Kugeln zwischen die schwarzbemäntelten Füße, explodierten, und fünf dunkle Gestalten rutschten schreiend über den Boden. Slytherins schleimiger Stolperstein wirkte. Zwei rothaarige Köpfe tauchten kurz hinter einem Vorsprung auf, grinsten und legten sich die Finger auf die Lippen. Es sah ganz so aus, als wollten die Zwillinge dieses Schauspiel eine Weile genießen. Hermine, Ron und Harry drückten sich am Rand der Szene vorbei und eilten weiter.

Am Ende des nächsten Ganges sahen sie schon von weitem Ginny und Neville, die mit speziellen Lähmzaubern, die sie in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gelernt hatten, um sich schossen. Zwei Todesser lagen bereits zu ihren Füßen. Da raste ein roter Strahl auf Rons Schwester zu. Er traf sie in den Rücken, und sie sackte zusammen. Neville schrie auf und stürzte zu dem Mädchen.

"Junge, bleib, wo du bist!"

Tonks zielte auf die feuernde Hexe, der ihr auswich und einen grünen Blitz zu ihr zurück schickte.

"Der Überraschungseffekt ist vorbei. Schade für dich, dass du noch nicht so tot bist, wie ich dachte. Nun hat dein letztes Stündlein geschlagen, mein hübsches Kind."

Tonks wirbelte um ihre eigene Achse und beschoss die Todesserin mit einer blauen Flamme. Harry erkannte den Fluch. Sie hatten ihn ebenfalls in Tonks Unterricht geübt, auch er stand in den „Zaubertränken für Fortgeschrittene".

"Bellatrix, du Monster, heute wirst du mir gehorchen!"

Wildes Gelächter antwortete ihr, doch dann teilte sich der blaue Strahl und umfing die hagere Hexe wie ein Netz, sie konnte nicht mehr ausweichen. Das Geflecht presste sie zusammen und zerbrach dabei ihren Zauberstab. Die ehemalige Aurorin ging langsam auf sie zu.

"Wie ich sagte, heute machst du, was ich will. Und ich kann dich nicht mehr hören." Tonks richtete in aller Ruhe ihren Zauberstab auf ihre Gefangene und die Lippen der schwarzen Hexe wuchsen zusammen. „Und ich mag dich auch nicht mehr sehen." Schwarzer Nebel umfing die liegende Frau und verdichtete sich zu einer schlammigen Masse. Die Lehrerin kniete nun neben Ginny nieder, befreite sie von dem Versteinerungszauber und wies ihre beiden Schüler an, jeweils einen gelähmten Todesser in die große Halle schweben zu lassen. Sie selber kümmerte sich um Bellatrix Lestrange.

Harry, Ron und Hermine eilten nun weiter durch das Schloss an kämpfenden Gruppen vorbei, bis sie die große Halle erreicht hatten. Sie schlüpften hinein und begaben sich unverzüglich zu Minerva McGonagall, die sie schon erwartete.

"Endlich, kommt zu mir, es fehlen nicht mehr viele. Mich irritiert, dass noch niemand Lord Voldemort gesichtet hat. Nehmt euch in Acht! Geht hinter die Schutzmauer."

Die drei liefen, Harry immer zwischen seinen Freunden, hinter die durchsichtige Wand, die sie als Tonks Barrierezauber identifizierten. Sie konnte nun nur noch von Ordensmitgliedern passiert werden. Die Zahl der ankommenden Todesser erhöhte sich, manche waren gelähmt, andere erreichten die Halle auf der Flucht vor angreifenden Phönixzauberern. Kurze Zeit später war der große Raum gefüllt, die schwarzen Diener des Lords befanden sich nun in der Mitte, umgeben von Tonks durchsichtigen Schutzwällen, die sie rasend schnell um die Gruppe gezogen hatte. Einige der Eingekreisten schossen wütend Flüche gegen ihre Verfolger. Diese reflektierten jedoch an der Barriere und fielen als leuchtendes Blitzgewitter auf die Absender zurück. Hasserfüllte Blicke trafen die Zauberer Hogwarts aus gut bekannten Gesichtern, die sich kaum noch hinter ihren Masken verbargen. Allein das sorgenvolle Aussehen der Schulleiterin hinderte die Schulgemeinschaft daran, in Jubelschreie auszubrechen.

Hermine berührte Harrys Arm und wies ihn und Ron mit ihren Augen zu einer kleinen Kiste, neben der Fred und George standen. Harry biss sich auf die Lippen. Nahezu unbemerkt öffneten die Zwillinge den Deckel und entließen ein Wesen, das sich, sobald die Todesser es sahen, als Lord Voldemort entpuppte. Langsam schwebte der Lord auf die Mitte des Raumes zu. Schlagartig fielen alle Todesser, die dazu noch in der Lage waren, auf ihre Knie und berührten mit ihren Gesichtern den Boden. Viele zitterten in Erwartung der Todesstrafe nach ihrer raschen Niederlage.

Harry konnte sich beim Anblick dieses Bildes nicht mehr länger beherrschen. Er bekam einen Lachanfall, gleichzeitig mit ihm brüllten die Zwillinge, und viele der anderen Schüler, die nach der Akademie das Geheimnis des Dementors hatten erfahren dürfen, krümmten sich ebenfalls vor Lachen. Bei diesem Geräusch tanzte der Irrwicht in der Gestalt des Dunklen Lords verwirrt umher, dann suchte er wieder Schutz in seiner Behausung. Die Augen der Todesser weiteten sich schockiert. Nur Professor McGonagalls Blicke wanderten sehr ernst durch den Raum. Harry wusste warum, und sein Grinsen gefror auf seinem Gesicht. Eisige Kälte zog seine Beine hoch. Angstvoll rückten seine Freunde näher zu ihm. Auch sie hatten es gespürt. Die Gesten der Ordensmitglieder zeigten nun Verwirrung, die Todesser erstarrten augenblicklich. Bald darauf rührte sich keiner mehr. Alles Leben war eingefroren. In der Mitte der großen Halle wurde in einem schwarzen Wirbel eine schlangenartige Gestalt sichtbar. Ihre roten Augen glühten. Sie schien die Totenstille zu genießen. Harry spürte Hass in sich auflodern. Dann blickte er in die stechenden Augen. Der Lord hob den Zauberstab und löste die Barriere auf.

"Ah, mein Ehrengast ist schon da, Harry Potter, du wirst heute die aufregendste Vorstellung deines Lebens bekommen. Wenn ich mit dir fertig bin, wird jeder, der beim Anblick meiner Figur eben auch nur die Lippen verzogen hat, qualvoll sterben. Keiner macht sich über den Lord lustig. Alle anderen werden mir als neuem Herrscher von Hogwarts huldigen."

Dann zog er Harry, der vollkommen eingefroren war, mit seinem Zauberstab zu sich hin. Mit einem sanften Schwung errichtete er einen Tisch mit einer Steinplatte darauf vor sich, auf die er den Jungen schweben ließ. Harrys Beine lagen nun nebeneinander auf dem kalten Stein, seine Arme fielen an den Seiten herab, und seine Augen blickten unbewegt zur Decke. Dann zielte der Lord mit dem Stab auf den nächsten Todesser. Ein grüner Strahl traf ihn und er hauchte sein Leben aus.

"Der Mord ist geschehen. Das Interessante kommt jetzt. Nun endlich werde ich mein Werk vollenden. Der Auserwählte wird mir für immer dienen."

Der schwarze Lord zischelte leise vor sich hin, dann hob er seinen Arm, schwenkte seine langfingrige Hand leicht und richtete seinen Zauberstab auf Harrys Herz. Dieser spürte plötzlich eine innere Verbindung zu Lord Voldemort. Nun streckte der Schlangenherrscher seine andere Hand aus und berührte den Jungen mit seinen gestreckten Fingern auf der Stirn. Harry fühlte heißen Schmerz. Die Gedanken und Gefühle des Lords, die er nun erkannte, strömten in ihn hinein. Er wollte schreien und um sich schlagen, doch er blieb bewegungslos liegen. Er wollte sich innerlich verschließen und gegen den Lord ankämpfen, doch übermächtiger Hass ergriff Besitz von ihm und durchstrahlte seinen gesamten Körper. Er konnte seine Seele nicht verriegeln. Er spürte, wie er schwächer wurde. Bald würde seine Persönlichkeit so unterdrückt sein, dass er nicht mehr über seine Fähigkeiten verfügen konnte. Mit letzter Kraft wehrte er sich gegen den eindringenden Seelenteil des Lords.

Da schoss ein heller Blitz von hinten auf Lord Voldemort zu. Er wirbelte herum, bevor er seine Übertragung beendet hatte. Hinter ihm war eine schwarze Gestalt aufgetaucht, die ihm ruhig in die Augen blickte. Sie hielt ihren Zauberstab auf den Lord gerichtet.

"Severus, wie kommt es, dass du…? Du lehnst dich gegen mich auf, ich habe das schon länger erwartet, du sprichst dir selbst dein Todesurteil."

Der Lord hob seinen Zauberstab, doch im selben Augenblick schoss ein Fluch auf ihn zu, der seinen Zauber neutralisierte. Der Dunkle Lord zielte sofort erneut, aber auch dieser Zauber löste sich auf, bevor er den Tränkemeister erreichen konnte. Die roten Augen erglühten hell. Die Kälte nahm zu. Lord Voldemort kämpfte mit ganzer Kraft. Doch alle weiteren Versuche, Severus Snape auf verschiedene Arten zu töten, scheiterten auf dieselbe Weise. Der dunkle Zauberer hatte noch nicht einmal seinen Platz verlassen, er blickte nach wie vor unbewegt auf den schwarzen Lord. Schließlich schrie die schlangenartige Gestalt panisch auf und stürzte wieder auf Harry zu. Schon streckte sie ihre Finger aus, um das Horcrux fertig zu stellen.

"Nein!"

Aus der Spitze des Stabes des Tränkemeisters schoss ein schwarzer Nebel, der sich sogleich um Lord Voldemort legte. Dieser kreischte erneut laut auf, dann verlor sich der schwarze Dunst, und der Lord war verschwunden. In die Stille zog allmählich Wärme ein. Die Starre löste sich auf. Die Zauberer konnten sich langsam wieder bewegen. Die Bewohner Howarts begannen zu trimphieren, die Todesser erhoben sich zögerlich. Da drehte sich Narcissa Malfoy zu dem dunklen Zauberer und fiel vor ihm auf die Knie. Die anderen beobachteten sie. Eine schwarze Gestalt nach der anderen tat es ihr nach, bis alle Todesser schließlich ihre Köpfe vor Severus Snape als ihrem neuen Herrn beugten und auf ihre Befehle warteten. Dessen schwarze Augen sichteten die gesamte Halle. Währenddessen ließ sich ein wunderschöner Vogel auf Harry nieder und breitete seine Schwingen über ihm aus, und als sich der Phönix wieder erhob, konnte der Junge aufstehen. Harry setzte sich langsam auf und sah seinem ehemaligen Lehrer in die Augen. Severus Snape stand bewegungslos neben ihm. Er hielt den Zauberstab noch fest in der Hand und auf seinem Gesicht war keine Spur von Freude zu erkennen. Er glich einem schwarzen Raubtier, das auf seine Beute lauerte. Harry fühlte glühenden Hass in seinem Inneren, so stark, wie er ihn noch nie gespürt hatte. Er hatte von seiner ganzen Person Besitz ergriffen. Er wusste, was er zu tun hatte. Harry sprang mit einem großen Satz von seinem Sockel und landete direkt vor Severus Snape. Blitzschnell drückte er ihm die Spitze seines Stabes genau auf die Brust. Die vereinzelten Freudenschreie verstummten, geschockt sah die Gemeinschaft der Zauberer auf das Geschehen in ihrer Mitte.

"Severus, ich habe dir gesagt, dass ich dich heute töte, und jetzt werde ich es tun."

Der dunkle Zauberer sah Harry in die Augen. Totenstille beherrschte den Raum. Dann ließ Severus Snape seinen Zauberstab fallen. Ein Raunen ging durch die Menge. Langsam und ohne seinen Blick abzuwenden streckte er dem Jungen seine rechte Hand entgegen.

"Harry Potter, ich bitte Sie um Verzeihung für das, was ich Ihnen angetan habe." Leise fügte er hinzu: „Ich bitte Sie um Frieden."

Der junge Mann hielt inne. In seinem Gesicht spiegelte sich Verwirrung. Er hätte alles erwartet, nur das nicht. Dieser Mann hatte seine Familie verraten und seine Eltern dem Tod ausgeliefert. Er hatte Harry gequält und vor seinen Augen Albus Dumbledore ermordet. Was hatte der dunkle Zauberer nun vor? Töte ihn jetzt! Zögere nicht! Du willst es! Die Stimme wurde lauter. Hass loderte auf. Er wollte Severus Snape durchbohren, ihn leiden und sterben sehen. Harrys Hand zuckte, aber seine Lippen bewegten sich nicht. Die schwarzen Augen sahen ihn ruhig an. Zum ersten Mal fühlte er sich nicht von ihnen bedroht. Auf was wartest du, er ist wertlos, zertritt ihn zu Staub, denn nichts anderes ist er! Du hast die Macht dazu! Harry erwiderte den Blick. Severus Snape, der größte schwarze Magier, würde sich nicht wehren. Sein Zauberstab lag auf dem Boden. Das ist deine letzte Chance! Jetzt! Beiße ihn, lasse dein Gift in seine Adern laufen! Quäle ihn, bevor er verendet! Harry schüttelte seinen Kopf, erst unmerklich, dann immer stärker. Er konnte keinen Mann töten, der ihm die Hand zur Versöhnung reichen wollte. Er spürte, wie sein übergroßer Hass ein wenig nachließ und seine eigene Kraft stärker wurde. Nein! Nein! Er fühlte Panik und gleichzeitig eine seltsame Freude. Die Stimme wurde schwächer. Harry Potter sah Severus Snape in die Augen, dann ließ er langsam seinen Zauberstab sinken. Er erhob seine rechte Hand und legte sie in die ausgestreckte Hand seines größten Feindes. Er spürte die Wärme des Händedrucks, und unglaubliches Glück durchströmte sein Herz und von dort aus seinen ganzen Körper. Beide hielten die Hand des anderen fest. Dann zuckte der Auserwählte zusammen, und unter qualvollem Zischen verließ grüner Nebel seinen Körper und löste sich auf. Harry sah seinen ehemaligen Lehrer erstaunt an. Severus Snape lächelte so zufrieden, wie er ihn noch nie gesehen hatte.

Stille beherrschte die große Halle. Fassungslos sahen Ordensmitglieder und Todesser dem Jungen und dem Mann in ihrer Mitte zu, die sich schweigend die Hände reichten. Was hier geschah, war unglaublich. Minerva blickte ununterbrochen zu den beiden, schließlich atmete sie auf. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, was alle nun erkannten, jetzt endlich konnte es Frieden geben, wenn die Gemeinschaft der Zauberer dies wollte. Harry ergriff das Wort, er sprach mit lauter Stimme, so dass alle Anwesenden ihn verstehen konnten.

"Lord Voldemort ist besiegt! Es gibt ihn nicht mehr. Wir sind frei! Ich spüre es, er wurde vernichtet als wir Frieden miteinander geschlossen haben. Es war schwer, ich habe gegen ihn gekämpft, es hat mich meine ganze Kraft gekostet, doch es ist gut, ich fühle es, er ist nicht mehr, es ist gut."

Nun richteten sich alle Blicke auf Severus Snape. Er nickte mit dem Kopf.

"Die Todesser haben mich als ihren Herren anerkannt. Ich werde euch nur einen einzigen Befehl geben. Erhebt euch und entscheidet als freie Zauberer. Wenn ihr die Herrschaft des Lords wollt, gebt dem Hass in euch Raum und ein neuer Dunkler Fürst wird aus ihm entstehen. Wenn ihr als Menschen leben wollt, versöhnt euch."

Mit unsicheren Bewegungen standen die schwarzen Gestalten auf. Dann hob der Tränkemeister seinen Zauberstab auf und ging durch den Weg, den die Zauberer sogleich für ihn öffneten, zu Minerva McGonagall. Er verbeugte sich vor ihr und übergab ihr seinen Zauberstab.

"Ich stelle mich dem Urteil der Gemeinschaft der Zauberer. Ein von der Schulleiterin berufener neuer Zauberergamot soll unsere Schuld und Strafe festlegen, damit wir alle in Gerechtigkeit leben können."

Die Direktorin nahm den Zauberstab schweigend an. Keiner bewegte sich. Dann kam eine weitere schwarze Gestalt zögernd auf sie zu. Narcissa Malfoy neigte ihren Kopf und gab ihren Zauberstab ab, kurze Zeit später folgte Draco. Nach und nach ließ nun die Mehrheit der Todesser ihre Stäbe bei der Schulleiterin in Verwahrung. Die wenigen, die sich weigerten, wurden gefesselt und ihre Zauberstäbe ebenfalls konfisziert. Die Slytherins, die für den Orden mitgekämpft hatten, liefen nun auf Draco Malfoy zu und schüttelten ihm die Hand. Draco lächelte schwach. Harry sah auf Professor McGonagalls Gesicht. Sie wirkte froh, wahrscheinlich war sie stolz auf ihre Schüler. Viele Zauberer taten es ihnen nach, sie gingen zu ihren Verwandten und umarmten sie. Doch mindestens ebenso viele verblieben in ihrer starren Haltung. Harry verstand sie, es war zu viel Schlimmes geschehen, als das es spontan vergeben werden konnte. Die Schulleiterin wartete, bis sich das Gemurmel etwas gelegt hatte, dann hob sie die Hand. Alle verstummten.

"Es gibt nun viel für uns alle zu tun. Wir müssen unsere Gemeinschaft neu bauen. Lasst es uns gemeinsam tun!"

Applaus ertönte, erst waren es vereinzelte Zauberer, die diese Worte begriffen, dann wurden es mehr und mehr, bis die Halle von einem donnerndem Beifallssturm erfüllt war. Die Anführerin des Ordens lächelte, dann hob sie ihre Hand. Ruhe kehrte ein.

"Ich bitte alle ehemaligen Todesser, unserer Lehrerin für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Nymphadora Tonks, in den Südflügel des Schlosses zu folgen und dort auf ihre Verhandlung zu warten. Wir werden uns mit allen Kräften um Gerechtigkeit bemühen. Wir wollen eine starke und freie Gemeinschaft werden. Dafür brauchen wir jeden! Ich danke Ihnen allen!" Dann hielt sie kurz inne. Ihre Stimme wurde leiser. „Und besonders danke ich meinem Vorgänger, der nun nicht mehr unter uns ist. Dies war seine Vision. Dafür setzte er sein Leben ein und dafür starb er. Lasst uns den Traum von Albus Dumbledore verwirklichen!"

Der Applaus wurde wieder lauter, und es dauerte lange, bis er schließlich verebbte. Die Gruppe der schwarz bekleideten Zauberer setzte sich nun in Richtung des Ausganges in Bewegung, wo Tonks wartete. Da ertönte ein melodischer Schrei. Der große goldrote Vogel schwebte durch die Halle. Harry, Ron und Hermine, so wie viele andere auch, blickten erwartungsvoll zu Minerva McGonagall. Jetzt würde Fawkes zu ihr gehören. Doch die Schulleiterin lächelte nur. Der Phönix zog seine Runden über den Köpfen der Zauberer und steuerte dann auf die Gruppe der Todesser zu. Alle Augen folgten ihm. Der Tränkemeister streckte seinen Arm aus und Fawkes landete darauf. Zusammen mit ihm ging er in den Gefängnisbereich. Nun verließen auch die übrigen Zauberer die große Halle, um mit ihren Freunden über diese ungewöhnliche Nacht zu sprechen oder endlich ein wenig zu schlafen. Die Direktorin sah in die fragenden Gesichter der drei Freunde. Harry kam auf sie zu.

"Professor McGonagall, was war das gerade? Ich verstehe das nicht. Es ist doch so, ich weiß es, Fawkes hilft nur denen, die Dumbledore die Treue halten. Heißt das etwa… nein, das ist nicht möglich…ist Severus Snape…?

"Ja, Harry, das heißt es. Er war es und er ist es, Severus Snape ist Dumbledores Mann durch und durch."

Der Junge erbleichte. Dann schloss er sich schweigend zusammen mit Ron und Hermine den anderen Schülern an, die leise in ihre entriegelten Schlafräume zurückkehrten, um für den nächsten Tag, der bald beginnen würde, Kraft zu sammeln.