Die Ferien neigten sich ihrem Ende. ‚Nur noch eine Woche', dachte Tony wehmütig, als er das Auktionshaus, für das sein Vater arbeitete, durch die Hintertür betrat.

„Hey, Alfred.", begrüßte er den Wachmann. „Ich muß kurz zu meinem Vater. Ich habe den Haustürschlüssel für daheim vergessen."

„Gut, Mr. DiNozzo." Der Wachmann nickte und bedeutete ihm mit einem Wink, dass er weitergehen konnte. „Ihr Vater ist mit Mr. Fitzgerald im Auktionsraum." Tony hielt inne.

„Mr. Fitzgerald? Sind auch zwei Jungs in meinem Alter dabei?"

„Nein. Warum?" Tony winkte ab.

„Das sind nur Klassenkameraden von mir und ich will ihnen nicht über den Weg laufen. Schreckliche Langweiler." Der Wachmann lachte amüsiert auf, während Tony weiterging. Als er den Auktionsraum erreichte öffnete er vorsichtig die Tür und warf einen Blick hinein. Er wollte nur sichergehen, dass Martin und Vin tatsächlich nicht da waren. Doch er sah nur ihren Vater, Victor Fitzgerald, in der ersten Reihe sitzen. Tonys Vater begutachtete währenddessen einige Gegenstände, die auf einem Tisch auf einem Podest standen.

„Nun, Anthony?", fragte Mr. Fitzgerald etwas ungeduldig. Tony runzelte die Stirn. Seit wann redeten sich sein Vater und Mr. Fitzgerald mit den Vornamen an? Sie kannten sich doch kaum. Obwohl… Der Wachmann kannte Mr. Fitzgerald auch. Vielleicht kam er öfters her?

„Es ist wirklich schwierig zu sagen, Chef.", entgegnete DiNozzo Senior und sah auf. „Das muß sich ein Uhrmacher ansehen. Aber für die restlichen Sachen dürften wir etwa 1,7 Mio. bekommen. Für den Wandteppich…" Er deutete auf ein großes Paket zu seinen Füssen. „… habe ich einen Käufer in Schweden. Die anderen Gegenstände bekomme ich auch innerhalb einer Woche los."

„Gut." Fitzgerald nickte zufrieden. „Das Geld bringst du wie immer in die Schließfächer bei der New Yorker-Filiale der Kesselbach-Bank."

„Ja, Chef." Fitzgerald erhob sich und sie reichten einander die Hände.

„Wann darf ich wieder mit Ihrem Besuch rechnen, Chef?"

„In den nächsten Wochen nicht. Meine Frau möchte eine kleine Reise unternehmen, sobald die Kinder wieder in der Schule sind. Danach werde ich aber sicherlich auf deine Dienste zurückkommen, alter Freund." ‚Alter Freund!' Langsam verlor Tony den Durchblick. Und warum nannte sein Dad Mr. Fitzgerald „Chef"? So nannte er nie einen Kunden! So nannte er niemanden! Er bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass die beiden auf die Tür zukamen. Schnell schlich Tony den Flur hinab zur Abstellkammer. Vorsichtig, so dass kein Laut zu hören war, zog er die Tür hinter sich zu. Er hörte wie die Tür des Auktionshauses kraftvoll ins Schloss gezogen wurde und die beiden Männer noch ein paar Worte miteinander wechselten. Doch er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Als es schließlich wieder still geworden war öffnete Tony die Tür und versicherte sich mit einem kurzen Blick hinaus, dass niemand mehr da war. Erleichtert und gleichzeitig enttäuscht, dass die beiden Männer verschwunden waren und er so nicht mehr Zeuge von noch mehr Merkwürdigkeiten werden konnte, trat er wieder hinaus in den Flur und ging erneut zum Auktionsraum. Er klopfte laut an und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. „Hallo, Dad!", begrüßte er seinen Vater, der damit beschäftigt war die Gegenstände, die er eben noch begutachtet hatte sicher zu verpacken. Noch eine Merkwürdigkeit, die Tony auf die Liste setzen konnte: Sein Vater verpackte nie Auktionsware selbst. Dafür hatte er hier seine Leute.

„Hallo, Tony!" Er hielt kurz inne. „Was machst du denn hier?"

„Ich habe meinen Haustürschlüssel vergessen und Mum ist doch nicht da…" Er ließ seinen Blick über die Sachen wandern, die noch nicht verpackt waren. Mit einem Mal hätte er sich in den Hintern treten können dafür, dass er so wenig von Kunst verstand. Andernfalls könnte er jetzt selbst erkennen, was das für Gegenstände waren, wie alt, wie wertvoll…

„Und da wolltest du meinen haben.", brachte sein Vater es auf den Punkt und zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, von dem er einen Schlüssel abmachte und seinem Sohn in die Hand drückte. „Hier. Aber verlier ihn nicht. Wo ist überhaupt das Dienstmädchen? Die hätte dir doch aufmachen können."

„Freier Tag.", erinnerte er ihn geistesabwesend. „Wie viel ist das wert?" Er zeigte auf die Sachen.

„Etwa 1,7 Mio. Es kommt darauf an, ob der Uhrmacher diese Uhr noch reparieren kann. Für die alleine könnte man noch mal 100 000 $ bekommen."

„Wow! Und wer verkauft so etwas?" Sein Vater zuckte mit den Achseln.

„Menschen, die es geerbt haben und selbst kein Interesse für Kunst haben. Oder Leute, die umziehen und die Gelegenheit nutzen und Gegenstände, die sie nicht mehr brauchen oder wollen verkaufen."

„Oder Leute, die Geld brauchen?" DiNozzo Senior lachte. „Oder das! Aber nicht in diesem Fall."

„Sicher?", hakte er nochmals nach. Sein Vater nickte entschlossen.

„Ganz sicher."

Den ganzen Heimweg lang grübelte Tony über diese merkwürdige Szene im Auktionsraum nach. ‚Chef, alter Freund, Schließfach…' All diese Worte spuckten in seinen Gedanken herum. Mr. Fitzgerald war auf jeden Fall öfters bei seinem Vater im Auktionshaus. Warum, wenn er nicht in Geldschwierigkeiten steckte? Ihm fiel auch wieder dieses Ereignis vom letzten Schultag ein, als er beobachtet zu haben glaubte, dass Vin die Geldbörse des stellvertretenden Schuldirektors gestohlen hatte. Und wenn die Fitzgeralds doch Geld brauchten? Eine andere Erklärung fiel Tony nicht ein. Nun ja, eigentlich konnte es ihm egal sein. Schließlich hatte er nicht viel mit Vin und Martin zu tun. Doch auch Geldschwierigkeiten erklärten in diesem Fall nicht alles. Und schon gar nicht den kameradschaftlichen Ton zwischen Mr. Fitzgerald und seinem Vater…