An alle: Bitte schenkt mir REVIEWS! Ich ernähre mich davon!
Die Möglichkeit der Bewegung
Eine Geschichte aus dem „Versus die Prophezeihung"-Kontext
von Raona
Drei: KontaktDraußen ist es still, niemand scheint mehr wach zu sein. Das nunmehr reparierte Fenster läßt keinen Luftzug mehr durch, und es beginnt langsam stickig zu werden im Raum. Dafür dringt auch die Herbstkälte nicht nach innen.
Draco hat sich auf die Seite gedreht, um nicht auf seinen gefesselten Händen zu liegen, und blinzelt in den Stoff der Augenbinde. Der Schlaf vorhin hat für eine ganze Weile gereicht; er ist einfach nicht müde genug, um schon wieder zu schlafen. Müßig beschäftigt er sich damit, lautlos Inhalte aus Lehrbüchern seiner sechs Hogwarts-Jahre zu rezitieren. Es fällt ihm nicht mehr schwer, sich daran zu erinnern, die Panik ist größtenteils verflogen, und das wird auch so bleiben, solange er nicht zu intensiv in seine Erinnerungen eintaucht.
Wie viele schlechte Bücher wir in dieser Schule lesen mußten ist kaum zu glauben. Allein schon die Lockhart-Gesamtausgabe war eine Qual, und ich kann mich trotzdem noch erinnern, was er da gefaselt hat. Natürlich alles Lügen, das stellte sich ja später heraus. Potter fand es heraus, und Pansy hat gehört, wie er sich mit Wiesel und dem Schlammblut darüber unterhalten hat. Schon damals war Potter der kleine Held. Ich war nicht neidisch, ich ärgerte mich nur, daß ich nicht mehr über den Erben von Slytherin herausfnden konnte. Mein Vater allerdings war wütend zu dieser Zeit, warum hat er mir nicht erzählt. Sie fanden, ich sei noch zu unreif, um etwas über die wahren Pläne zu erfahren. Und sie hatten recht. Ich war selbst dieses Jahr noch nicht reif dafür, sonst hätte ich Dumbledore getötet. Er lächelt ein wenig, beschließt, sich nicht zu bemitleiden. Er hat sich nie als tragischen Helden gesehen. Das war Potter, und er kann die Rolle gern behalten.
Zurück zum Stoff. Ich wollte die Zeit sinnvoll nutzen, nicht vor mich hin träumen. Die Ingredienzen für das Veritaserum sind...
Es dauert eine Weile, die letzten zwei Jahre Zaubertrankunterricht revue passieren zu lassen. Danach ist Draco immer noch ausgesprochen wach. Er setzt sich auf, tastet mit dem Rücken nach der Wand und lehnt sich an. Es war ein netter Zug von Ginny, überlegt er, daß sie ihn nicht wieder gelähmt hat, und er wundert sich, wie zum Teufel sie dazu kommt, nett zu ihm zu sein, und sei es nur in diesem beschränkten Umfang. Einen Grund hat er ihr dafür gewiß nicht gegeben, auch nicht heute, als er verstockt geschwiegen hat, obwohl es wichtig gewesen wäre, daß er wahrheitsgemäß antwortet, für sie beide.
Habe ich gefürchtet, daß sie mir nicht glauben würde? Konnte ich mich einfach nicht entschließen, etwas so Neues und Ungewohntes zu tun, jemandem etwas anzuvertrauen? Sie wäre genauso vertrauenswürdig in dieser Sache gewesen wie jeder andere aus Potters und Dumbledores Umfeld. Potters Freundin, definitiv die richtige Adresse, wenn eine treue Kämpferin für die gute Sache gesucht wird.
Sie hat gesagt, er ist nicht ihr Freund.
Nun, schade für Potter. Hatte wohl wichtigeres zu tun, als sich um seine Freunde zu kümmern, unser Held.
Was tue ich als nächstes? Ich meine, wenn nicht ihr, wem werde ich es dann sagen?
Langsam fragt er sich, ob er vielleicht insgeheim gar nicht vorhatte, die Geheimnisse, die er kennt, preiszugeben. Vielleicht wollte ich nur fliehen. Vielleicht war mir jeder Vorwand recht, aus dieser Falle zu entkommen, als die sich Voldemorts Anhängerschaft entpuppt hat.
Ich kann keine Pläne schmieden. Was auch immer passieren wird, ich lenke den Gang der Dinge nicht. Ich warte, was die anderen tun, dann reagiere ich. So ist das. Jedenfalls in der nahen Vergangenheit war es so. Ich glaube, handeln zu können, aber dann stehe ich nur da und warte. Auch jetzt.
Wie war nochmal die Zauberstabbewegung zur Verwandlung von Äther in Materie? Und Jahreszahlen, ja, Jahreszahlen habe ich bisher kaum wiederholt, ich werde mich sicher noch an einige erinnern können.
Trotz aller mangelnden Müdigkeit tut die Dunkelheit schließlich ihre Wirkung, in Verbindung mit den Zahlen aus allen wichtigen Zaubererkriegen, die vor seinem inneren Auge tanzen wie die sprichwörtlichen Schäfchen, die über Zäune springen. Er gleitet hinüber in einen unruhigen Schlaf voller Traumbilder aus Vergangenheit, Gegenwart und Vorstellung, die seine Sinne vernebeln, und auch wenn er spürt, daß er nur träumt, lindert das nicht die Verwirrung und den Schrecken, wie jedes Mal zuvor.
-----------------------------------------------------
Sie schließt die Tür leise hinter sich, über das Warum ist sie sich nicht sicher. Es würde keine Rolle spielen, wenn er aufwachen würde. Er würde nicht einmal wissen, was ihn geweckt hat, wie sollte er, da er nichts sehen kann und sie nichts sagen würde, weil es nichts zu sagen gibt, zumindest nicht zu ihm. Abgesehen davon, daß sie ihm morgen wieder wird Fragen stellen müssen, sie wird sich irgendeine Methode ausdenken müssen, die ihn endlich zum Reden bringt. Den anderen kann sie die Aufgabe nicht zumuten. Sie ist die einzige in ihrer kleinen Reisegruppe, die kontrolliert genug ist, nicht die Nerven zu verlieren und die richtigen Fragen zu stellen. Sie fragt sich ja in der Tat all das, warum er hier in dieser Gegend war, wohin er wollte. Er verbirgt etwas, aber das kann alles sein, es gibt keinen Anlaß zur Hoffnung her. Er hat nicht versucht zu fliehen, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, aber auch das kann viele Gründe haben.
Das alles wird Ginny morgen herausfinden müssen, jetzt aber ist es Nacht, und sie weiß gar nicht, warum sie überhaupt hereingekommen ist, während alle schlafen, nur, daß sie ihn nicht wecken will. Sie will nur sehen, ob es eine Lücke in der Sicherheit gibt, genau, das will sie, also schließt sie die Tür leise und geht so lautlos sie kann hinüber zu ihm.
Er sieht auf den ersten Blick friedlich aus, wie alle Menschen friedlich aussehen, wenn sie schlafen, doch gerade geht ein Schauer durch seinen Körper, und er verzieht seinen ausdrucksvollen Mund wie in Schmerz oder Abwehr, er zittert, dann atmet er scharf ein. Seine Züge entspannen sich wieder, und er sinkt in die Kissen zurück, als hätte sein Bewußtsein die fremde Traumwelt verlassen, um im Reich des Tiefschlafs anzukommen.
Sie fühlt, wie sie selbst erleichtert aufatmet, als der Junge vor ihr aufhört zu zittern. Sein Gesicht so angespannt zu sehen, irritiert sie, sie hat es schon oft gesehen, aber damals war er nicht ihr Gefangener und nicht so nah, und sie hat ihm kaum einen genaueren Blick gegönnt. Er wirkt verletzlich, natürlich, wiederum wie alle Schlafenden, aber hat er nicht vorhin wirklich Angst gezeigt, als sie ihn zurück in diese Ecke beordert hat?
Sie kann sich selbst nicht mehr folgen. Ohne Anlaß geht sie in die Knie neben ihm, um sein blasses Gesicht, das helle, feine Haar besser sehen zu können, und sie wünscht, seine Augen wären ebenso sichtbar, sie selbst hat sie verborgen. Ihr fällt auf, daß er irgendwann die Manschette seines linken Hemdärmels wieder geschlossen haben muß: der Stoff verdeckt das befremdliche Mal, das sie dort gefunden haben. Nichts sonst an ihm sieht erschreckend aus. Er ist schmal, knochig, mit Haut heller als ihre. Ihr ist früher nie aufgefallen, daß er schön ist, auch in ihrem Vokabular, obwohl sie das Wort bisher kaum auf irgendjemanden hat anwenden können. Auf ihn paßt es.
Ohne nachzudenken – sie handelt oft, ohne nachzudenken – beugt sie sich hinunter, Strähnen ihres Haars streifen seine Wange und die schwarze Binde über seinen Augen, und sie küßt ihn, sanft, beinah zärtlich.
Und er erwacht.
---------------------------------------
Zuerst weiß er nicht, wo er sich befindet, Teile dieser Szenerie gemahnen ihn an die wirren Träume der letzten Monate, die Fesseln und die fremden Lippen, die sich auf seine pressen, die Erregung, die sich so schnell seiner bemächtigt hat und die er nicht kontrollieren kann. Doch im nächsten Moment wird ihm klar, wie augenfällig bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede sind. Er ist nicht nackt. Der Mund auf seinem fühlt sich, wenn auch unvertraut, so doch nicht gewalttätig an, vielmehr süß, weich und tastend. Er öffnet leicht seine Lippen und läßt die fremde Zunge eindringen. Sie schmeckt nach süßer Milch und klarem Wasser, er weiß nicht, ob das Metaphern sind, oder ob sie wirklich diesen Geschmack hat, aber es ist auch bedeutungslos, und er berührt die Zunge mit seiner, umkreist sie, taucht in die Tiefe des anderen Mundes ein, verfolgt den Geschmack und findet dahinter einen Hauch von Blüten, und er weiß, wer es ist, der ihn küßt, weil er ihren Geruch erkennt, ihre Haare fegen über sein Gesicht und seinen Hals, kitzeln seine Brust im Ausschnitt des Hemdes, er küßt sie, er fühlt, wie ihre Hand leicht seine Wange berührt, und er wünscht, er könnte sie an sich ziehen, sein Gesicht an ihrer Schulter verbergen, weil ihm die Tränen kommen, vor Erregung und weil alles durcheinander geworfen wird, was er kennt, Gutes und Schlechtes.
Sie hört plötzlich auf, ihn zu küssen. Ihre Haarsträhnen berühren nicht mehr seine Haut; sie muß sich aufgerichtet haben. Ihr Atem vermischt sich nicht mehr mit seinem. Er hört genau hin und hört sie Luftholen, ein kurzer, scharfer Luftzug durch den Mund, überrascht vielleicht. Aber wie kann sie überrascht sein? Sie hat alles getan. Sie muß doch wissen, warum.
Er will den Kopf in ihre Richtung drehen, aber er weiß nicht, wo sie ist, das Geräusch war schwer einer Stelle zuzuordnen, also richtet er sich auf, als ob ihm die sitzende Stellung einen besseren Überblick geben könnte. Natürlich ändert sich nichts. Alles bleibt dunkel wie zuvor. Ist sie überhaupt noch hier? Hat sie das Zimmer schon verlassen? Er lauscht suchend ins Leere. Schritte neben ihm, er glaubt, sie stolpern zu hören, sie bemüht sich, leise zu sein, so daß der charakteristische Klang ihrer kraftvollen Schritte verfälscht wird, aber er hört sie sich entfernen. Er wagt nicht, etwas zu sagen. Die Situation ist so surreal, irgenwie schwebend zwischen den realen Möglichkeiten, Worte könnten sie stören und alles fiele wieder ins rechte Lot. Oder so ähnlich. In seinen Ohren rauscht es, ein Moment der Desorientierung. Die Tür knallt ins Schloß.
