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Die Möglichkeit der Bewegung

Eine Geschichte aus dem „Versus die Prophezeihung"-Kontext

von Raona

Vier: Ankündigungen

Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne in den Raum, Draco spürt die Wärme auf seiner Haut, ohne die Strahlen sehen zu können. Kaum zu glauben, daß zu dieser Jahreszeit in den Highlands so oft die Sonne scheint, es müßte stürmen und regnen, wenn die Welt ihren normalen Gang gehen würde. Langsam aber sicher geht es ihm auf die Nerven, gefesselt zu sein und nichts sehen zu können. Er würde sich gerne vergewissern, ob es überhaupt noch Licht gibt, es könnte immerhin sein, daß die Realität eine andere Gestalt angenommen hat, Wärme im Winter, Dunkelheit am Tag, alles ist möglich. Vor allem nach letzter Nacht.

Nach dem, an das er sich von letzter Nacht erinnert. Es ist ihm nur zu bekannt, daß solcherlei Dinge in Träumen geschehen, und die Götter wissen, daß zu vieles an diesem Ereignis Traummerkmale hatte, das hat er schon gedacht, während es passiert ist. Wer weiß. Es könnte auch ein Legilimens-Trick gewesen sein. Oder eine Wunschvorstellung. Das Licht würde helfen, glaubt er, es könnte die Dinge klarer hervortreten lassen.

Er richtet sich mühsam auf und unterdrückt ein Seufzen. Seine rechte Hand ist gefühllos, er hat auf ihr geschlafen. Wie er jetzt aussieht, will er gar nicht wissen, verstrubbelt, sicher mit Abdrücken von den Schlafsackfalten im Gesicht, die Kleider durcheinander. Um all dem die Krone aufzusetzen, müßte er dringend zur Toilette, nicht nur aus einem Grund. Die Nacht hat ihre Spuren hinterlassen.

Ob sie mich duschen lassen, wenn ich ihnen meine Geheimnisse erzähle?

Überrascht beobachtet Draco seine Gedanken. Was für eine Bemerkung war das? Heißt das etwa - er hat seinen Humor wiedergewonnen?

Er lächelt leise. Tja, und den werde ich auch brauchen. Hier geschieht mehr, als ich erwartet habe, und ich habe nicht die geringste Ahnung, was noch kommt.

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Er wartet, ungeduldig diesmal, es dauert noch einige Zeit, bis jemand die Tür öffnet. Er weiß gleich, daß es nicht Ginny ist, da wird ihm erst bewußt, daß er auf sie gewartet hat, um sie bei Tageslicht zu sehen. Legt sie es darauf an, daß er alles für einen Traum halten könnte, oder kommt sie sogar auf die Idee, er hätte nicht herausfinden können, wer ihn in der Nacht geküßt hat? Er verschiebt die Fragestellungen und konzentriert sich auf akutere Probleme.

Jemand kommt und nimmt ihm die Augenbinde ab, ganz ohne Magie und aus der Nähe. Er blinzelt, geblendet von der plötzlichen Helligkeit. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt haben, erkennt er Longbottom, der neben ihm steht und sich nun, da Draco ihn ansieht, unbehaglich räuspert.

„Ähm. Morgen. Ich muß zuerst ausprobieren, wie ich den Fesselzauber beenden kann. Finite Incantatem!"

Die Fesseln lösen sich problemlos. Neville lächelt. Draco ist immernoch damit beschäftigt, wieder richtig sehen zu lernen, so kommt es ihm zumindest vor. Jetzt streckt er Arme und Beine und reibt seine eingeschlafene Hand, bis sie aufhört, unangenehm zu kribbeln und anfängt, normal zu funktionieren. Dann erhebt er sich vorsichtig. Neville hat sich in einer Ecke neben der Tür auf den Boden gesetzt, den Zauberstab in den Händen, und sieht nicht wirklich beunruhigt aus. Die Tür steht einen Spalt weit offen. Es wird wohl ein Aufpasser dahinter stehen. In der Mitte des Raums steht bereits ein Tablett mit Frühstück. Draco benutzt vorher die Toilette.

Während des Frühstücks ist er sich der Gegenwart seines „Bewachers" bewußt, der noch immer schweigend in der Ecke sitzt.

„Longbottom? Gibt es hier eine Dusche, die ich benutzen kann, oder beherrscht einer aus eurer Truppe einen vernünftigen Reinigungszauber?"

Neville ist sofort aufmerksam, er wirft einen Blick durch den Türspalt und winkt jemandem.

Draco verschluckt sich beinah am letzten Schluck Tee, als Cho Chang sich durch den Türspalt schlängelt. Mit ihr hat er hier nicht gerechnet. Andererseits – war da nicht mal was zwischen Potter und ihr? Und sie muß die Klobeschwörerin gewesen sein. Er verkneift sich ein Grinsen.

„Chang, die schöne Sucherin. Was machst Du hier in der Wildnis, anstatt als Profi in einem hochbezahlten Quidditchteam zu spielen?" Sein Mundwinkel zieht sich zu einem, wie er weiß, für ihn typischen ironischen Halbgrinsen nach oben.

Sie schaut ihm ernst und etwas vorwurfsvoll in die Augen. Kein besonders humorvoller Mensch also, keine Überraschung.

„In diesen Tagen gibt es Wichtigeres als Quidditch!" erklärt sie streng. Wahrscheinlich hat sie das irgendwo gelesen. Er zieht die Augenbrauen hoch.

Sie hebt wortlos den Zauberstab und demonstriert, daß sie den Reinigungszauber beherrscht, ebenso wie das wortlose Zaubern. Er sieht erleichtert an seinem wieder geglätteten und sauberen Hemd hinunter und deutet dann, ihr in die Augen sehend, eine nur halb ironische Verbeugung an. Sie schüttelt offensichtlich mißbilligend den Kopf, dreht sich auf dem Fuß um und schwebt hinaus. Draco zuckt die Schultern. Er wendet sich dem Fenster zu. Hinter sich hört er Neville aufstehen. Dabei zu gehen?

Er schließt kurz die Augen und öffnet sie wieder.

„Longbottom!" hört er sich rufen. Der Angerufene bleibt stehen und sieht ihn fragend an. Draco räuspert sich. „Ich-„ Er unterbricht sich nervös. „Könntest Du bitte die Tür schließen?"

Longbottom sieht überrascht aus.

„Ich will das nicht bei offener Tür besprechen."

Neville zuckt die Schultern und schließt die Tür, Irritation in seinem Ausdruck.

Verflucht, denkt Draco. Kein Zurück mehr.

„Ich nehme an, daß ihr in Kontakt zum Orden des Phönix steht und ihm eine Nachricht zukommen lassen könnt. Ich hätte einige Informationen, die euren Leuten von Nutzen sein könnten."

Der Gryffindor könnte nicht verwirrter aussehen, wenn sein Gesprächspartner ihm gesagt hätte, daß er Professor Trelawney unter Vielsafttrankwirkung sei.

„Woher weißt du vom Orden des Phönix?"

Draco seufzt. Unglaublich. „Überleg mal. Unser alter Zaubertränkemeister? Der Verräter in eurer Mitte?"

„Oh. Richtig. Ich kann es immer noch nicht so recht glauben, daß er das getan hat, weißt du. Ich hätte es nicht von ihm gedacht, auch wenn ich ihn nicht gerade mochte."

Draco senkt den Kopf. Der Junge wird gleich merken, daß er das dem unpassendsten aller Zuhörer erzählt.

„Malfoy?"

Er sieht auf, Strähnen seines hellen Haars verschleiern ihn, hofft er, vor dem Blick des anderen.

„Was heißt das, du willst dem Orden eine Nachricht zukommen lassen? Ich meine, das bedeutet, daß du die Todesser verraten willst, oder?"

Er sucht in allen Richtungen nach einer schneidenden Antwort, einer, die dem naseweisen Gryffindor sein Geplapper ins Gesicht zurückschleudert, aber er kann beim besten Willen keine finden, es ist, als sei wieder die Panik ausgebrochen, die seine Erinnerungen vernebelt, aber gleichzeitig ist das Grundgefühl ein anderes, das es ihm nicht zu fassen gelingt. Nun gut. Der leise Klang seiner Stimme ist ihm schmerzhaft bewußt, als er antwortet, und er ist froh, daß nur Longbottom ihn hört, keiner seiner übelsten alten Feinde.

„Ja.", sagt er. „Das bedeutet es.

Neville schluckt, dann blickt er Draco geradewegs in die Augen. „Gut," sagt er fest. „Ich werde mit den anderen darüber reden, sowas kann ich nicht allein entscheiden." Er verzieht den Mund zu einem sehr vorsichtigen Lächeln, das es schafft, trotzdem freundlich auszussehen,wenn auch nicht vertrauend, so doch offen für das Gegenüber.

Draco weiß nicht, wie er reagieren soll. Was bedeutet dieses Verhalten? Wohin will Longbottom ihn damit führen? Er weicht zwei Schritte zurück und tarnt seinen Impuls eilig, indem er versucht, neuen Tee in seine Tasse einzugießen. Die Kanne ist leer.

Neville bewegt kunstvoll seinen Zauberstab, mit dem Effekt, daß sich die Kanne wieder neu mit heißer Flüssigkeit füllt, und nickt dem verwirrten Draco zu.

„Ich rede mit den anderen. Es wird nicht lange dauern, hoffe ich."

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Draco bleibt allein in dem kleinen Raum zurück, bar jeder Orientierung.

Die anderen. Wer wird das sein? Welchen Grund hat der linkische Junge, so nett zu ihm zu sein, nach all dem, was er in der Vergangenheit getan hat? Die Potter-Sidekicks sind nicht gerade die Art von Richtern, die er sich vorgestellt hat, und genaugenommen paßt diese ganze Situation nicht zu seiner Vorstellung. Kann es sein, daß er nie wirklich wahrgenommen hat, wie die Gryffindors handeln? Sicher kann es sein. Es war ihm herzlich egal und sollte es auch heute noch sein, wenn alles mit rechten Dingen zuginge. Man kann nicht gerade sagen, daß es das tut.

Irgendwann habe ich schonmal über diese Dinge nachgedacht und bin verwirrt gewesen. Richtig. Heute nacht, als alles anfing, durcheinander zu fallen. Ich muß schon vorher ziemlich durcheinender gewesen sein. Sie hätte das wohl kaum geschafft.

Er drinkt den frischen Minztee und konzentriert sich darauf, keine Kopfschmerzen zu bekommen. Was planen? Seine Pläne haben sich in Nichts aufgelöst, als er in dieses Haus kam. Irgendjemand wird wieder durch die Tür kommen und irgendetwas wird geschehen.

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„Gut, denn", sagt Ginny und seufzt. „Hoffen wir, daß es keine List ist, aber hoffen wir nicht zu stark. Immerhin ist es Malfoy, von dem wir hier sprechen."

Genau, sagt etwas in ihr, Malfoy ist es, den du letzte Nacht geküßt hast. Malfoy, Malfoy. Was hast du dir dabei gedacht, hm?

Fick dich, sagt Ginny zur inneren Stimme. Er weiß nicht, daß ich es war, und es wird nicht wieder vorkommen.

Sie wartet nicht, was die innere Stimme darauf zu sagen hat, sondern wendet sich an die anderen, die noch auf ihren Beschluß zu warten scheinen.

„Wir können uns genausogut hier draußen beraten, Neville, Cho, ihr behaltet ihn im Auge. Ich geh ihn holen, seid vorbereitet."

„Natürlich", sagt Cho etwas beleidigt. „Wir sind immer bereit."

Ginny nimmt den Verschlußzauber von der Tür ins Nebenzimmer, öffnet sie und geht hinein. Draco sitzt auf dem Boden neben der Teekanne und schaut ins Nichts, er muß schon einige Löcher hineingeschaut haben. Ihr fällt auf, daß er sauber aussieht, keine Spur mehr vom Schweiß der Nacht im blonden Haar, dessen Strähnen federleicht seine Wangen berühren und ihm in die Stirn fallen. Abgesehen vom nachdenklichen Blick ganz sein altes Selbst.

Dann sieht er sie von dort unten aus an. Seine Augen glänzen. Ihr Atem stockt kurz. Verdammt, denkt sie. Verdammt.

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Er hat nicht unbedingt damit gerechnet, daß sie hereinkommen würde. Vielleicht hat er gedacht, sie würde sich vor ihm verstecken, aber keine Rede.

Sie steht in der Tür, groß von seiner Perspektive aus, ungeordnetes Feuerhaar um ihre Schultern, praktische Muggelkleidung. Ihre Haut ist noch heller als seine, jetzt im Winter, da die meisten Sommersprossen verschwunden sind.

So ist es also, sie real und im Licht zu sehen. Keine Fackeln, die Schatten auf ihr Gesicht werfen, die einzige Fackel ist sie selbst.

Starre ich sie an? Sie starrt mich jedenfalls auch an.

Gerade als er aufstehen will, um irgendetwas zu tun, kommt sie ein paar Schritte auf ihn zu und blickt von direkt über ihm auf ihn herunter. Wenn ich jetzt aufstehen würde, würde ich gegen sie stoßen.

Sie hebt die Hand mit dem Zauberstab, die rechte, und streicht sich ein paar rote Strähnen aus dem Gesicht, die gleich wieder nach unten fallen wollen.

Warum sagt sie nichts? Sie könnte mir erklären, was das gestern war. Aber ich will die Erklärung gar nicht hören. Es kann ein Scherz oder eine Wette gewesen sein. Ich will es nicht wissen.

Ihre Augen sind braun. Schwer, Vergleiche zu finden. Wie dunkle Erde? Erde, die über ihn fällt. Er erinnert sich an ihre Lippen, sie sehen aus, wie sie geschmeckt haben, etwas unvollkommener, die Unterlippe ist zerbissen – wie seine. Sie sagt nichts. Will sie, daß ich mir diese Gedanken mache?

Und sie sieht mich noch immer an. Was glaubt sie denn zu sehen? Er bricht das geisterhafte Schweigen, bevor sie es tun kann.

„Willst du herausfinden, ob ich die Wahrheit sage? Ich glaube nicht, daß man das am Aussehen oder am Blick erkennen kann."

Sie richtet sich auf und entfernt sich dadurch ein Stück von ihm. Er erhebt sich; sie stehen einander gegenüber, zwischen ihnen etwa zwanzig Zentimeter Luft.

„Da hast du ausnahmsweise mal recht, Malfoy."

Ihre rauhe Stimme klingt selbstbewußt, doch er hört ein leichtes Schwanken hinter der Fassade. Ein Sonnenstrahl fällt durch das Seitenfenster und beleuchtet den Boden, auf dem sie stehen. Plötzlich erkennt er, daß sie blaß ist, nicht nur hellhäutig, und Ansätze von Falten, an die er sich von früher nicht erinnert, haben sich um ihre Mundwinkel und Augen gebildet.

Was ist in den vier Monaten mit ihr passiert? Vier Monate können allzu lang sein, das weiß er.

Ich starre sie schon wieder an. Ich hätte längst antworten sollen, ich habe die Sprache verloren. Was soll ich überhaupt sagen?

Statt dessen wandert sein Blick, an ihrem schlanken weißen Hals entlang, seine Augen ersetzen seine Hände, mit denen er nicht wagen würde, sie zu berühren, warum auch immer. Ihre grüne Bluse ist nicht ganz bis oben zugeknöpft, ein wenig helle Haut mit einem kleinen Leberfleck ist darüber zu sehen.

Sie ist seinem Blick gefolgt; auf einmal kommt sie einen Schritt auf ihn zu und streckt den linken Arm aus. Er erstarrt. Sie greift von hinten in sein Haar, fest, und zieht mit einem Ruck seinen Kopf nach hinten, so daß er wieder in ihr Gesicht schaut anstatt auf ihre Brüste. Er wehrt sich nicht. Von einem distanzierten Winkel seines Bewußtseins aus beobachtet er das Geschehen, spürt ihren Griff in seinem Haar, ohne daß ihm etwas daran falsch erscheint, obwohl er vielleicht irgendwann etwas zärtlicheres erwartet hat. Ohne sich zu bewegen sieht er sie an.

Sie läßt los, erschrocken.

„Wir besprechen uns draußen. Komm mit, und tu nichts Dummes. Wir behalten dich im Auge."

Während sie spricht, hat sie sich schon halb umgedreht. Er folgt ihr zur Tür und glättet sein Haar, bevor er hinter ihr das Zimmer verläßt.

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