Kapitel 2 Die Versammlung

Harry wurde in den Kamin hinein gesogen. Er hasste dieses Gefühl. Um ihn herum drehte sich alles, und ihm wurde schwindelig. Farben explodierten vor seinen Augen und er konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht halten. Dann war es plötzlich vorbei. Harry verspürte einen starken Ruck und schoss aus einem Kamin des Foyers des Zaubereiministeriums hinaus. Er wollte sich gerade aufrappeln und sich die Brille, die beim Herumwirbeln durch den Kamin halb von der Nase gerutscht war, zurecht rücken, doch er wurde unsanft wieder zu Boden gedrückt.

„Keine Bewegung! Wer sind Sie, was wollen Sie, haben Sie eine Vorladung und sind Sie befugt, einfach so mir nichts dir nichts im Kamin des Zaubereiministeriums aufzutauchen?", herrschte ihn eine barsche, dunkle Stimme an. Harry öffnete langsam die Augen und blickte in ungefähr fünf, vielleicht auch sechs Gesichter. Bei näherem Hinsehen gewahrte er tatsächlich nur fünf Gesichter, die allesamt männlich waren. Was er für einen sechsten Kopf gehalten hatte, stellte sich nun doch nur als Blumenvase heraus, aus der ein paar verwelkte Tulpenköpfe heraus ragten. Ohne seine Brille war Harry Potter eben nicht ganz so scharfsichtig. Er setzte gerade zu einer Erklärung an, als eine helle Stimme sagte: „Ist schon gut. Den jungen Mann, den du da so freundlich in Schach hältst, ist zu unserer Versammlung sehr wohl geladen und wohl der wichtigste Zeuge überhaupt." Der Mann, dessen Zauberstab immer noch auf Harry gerichtet war (ebenso wie die der vier anderen Männer), starrte ihn ungläubig an. Langsam beugte er sich zu ihm hinunter und strich ihm mit der linken Hand die Haare aus der Stirn. Als er die blitzförmige Narbe mitten auf Harrys Stirn erblickte, ließ er ihn sofort los, wich zurück und sog erschrocken die Luft ein. „Er ist es in der Tat", flüsterte er erstickt. Ebenso schnell, wie er zurück geschreckt war, fing er sich auch wieder und trat auf Harry zu. „Es tut mir wirklich leid", sagte er, während er Harry die Hand anbot, um ihm aufzuhelfen. „Man kann in solchen Zeiten wie diesen eben nie wissen, wer oder was einem begegnet. Selbst hier im Zaubereiministerium nicht." Bei diesen Worten zuckten einige der Umstehenden leicht zusammen, und Harry beschlich ein mulmiges Gefühl. Selbst hier ist niemand mehr sicher, dachte er im Stillen bei sich. Er bedankte sich höflich bei dem Mann und begann dann, sich den Staub vom Umhang zu wischen. Er rückte seine Brille zurecht und kam nun zum ersten Mal dazu, den Mann genauer zu mustern, dessen Namen er immer noch nicht kannte.

Als hätte dieser seine Gedanken gelesen, sagte er mit hoch erhobenem Haupt: „Mein Name ist Louis d'Enfant. Ich freue mich, dich im Ministerium für Hexerei und Zauberei begrüßen zu dürfen." Harry sah ihn an und nickte. Louis d'Enfant war ein Mann mittleren Alters, allerhöchstens Mitte fünfzig. Er war von schlanker Statur, doch durch sein Gesicht zog sich von der linken Wange über den Nasenrücken bis hin zum rechten Ohr eine lange, weiße Narbe. Er musste viele Kämpfe ausgestanden haben, und Harry fragte sich, ob er vielleicht ein Auror war.

Dann endlich richtete sich seine Aufmerksamkeit der Person zu, die vorhin Louis d'Enfant darauf hingewiesen hatte, dass Harry durchaus geladen war. Diese Person war eine Frau von solcher Schönheit, dass es Harry vorkam, als wäre er für einen Augenblick von einem gleißenden weißen Licht geblendet worden. Die Frau trat näher an Harry heran und reichte ihm die Hand zum Gruß. „Ich bin Mafalda. Ich werde heute die Versammlung leiten. Ich hoffe, dir geht es gut? Wir wollen dich heute nicht überfordern." Harry ergriff ihre Hand und war einen Augenblick lang sprachlos. Er betrachtete ihre weichen Züge, ihre feine Haut, die leicht blass, aber trotzdem wunderschön wirkte. Ihr Haar war dagegen rabenschwarz und viel ihr in langen, seidigen Strähnen bis auf die Schultern hinab. Ihre Augen waren von grüner Farbe, und aus ihnen schien Mafalda zu lächeln; schöner, als sie es mit ihren rosèfarbenen Lippen gekonnt hätte.

Harry erwachte aus seiner Trance. Es schien ihm, als hätte sie ihn mit ihrem Blick gefangen gehalten, und er hatte sich erst jetzt lösen können. „Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Mir geht es gut, danke", murmelte er vor sich hin. „Dann ist es ja gut", lächelte Mafalda strahlend. „Dann müssen wir ja nur noch auf den Rest der Zeugen warten." Sie blickte zum Kamin und gab Louis d'Enfant und den anderen Männern mit einem Blick zu verstehen, dass sie sich vom Kamin entfernen sollten.

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis das Feuer im Kamin aufflackerte und Ron daraus hervor schoss. Bei ihm sah die Landung allerdings etwas eleganter aus, und so fand er sich nicht auf dem Hosenboden wieder. Er lächelte leicht und gesellte sich zu Harry. „Alle wollten dir als Erstes folgen, deswegen hat es so lange gedauert", flüsterte Ron ihm zu.

Nach und nach erschienen alle durch den Kamin. Als letztes kam Hermine, mit Krummbein in den Armen. „Ich konnte ihn nicht alleine lassen", sagte sie betont laut, als alle das graue Fellbündel in ihren Armen anstarrten und ungläubige Gesichter machten. Krummbein genoss offensichtlich die Aufmerksamkeit aller, denn er schnurrte zufrieden.

Dann trat Mafalda, die bis dahin hinter Harry gestanden hatte, vor und sagte mit ihrer glockenhellen Stimme: „Nun, da wir ja jetzt alle hier sind, bitte ich Sie, mir zu folgen. Wir sollten die Versammlung so schnell wie möglich hinter uns bringen."

Alle Versammelten nickten zustimmend und setzten sich in Bewegung, immer Mafaldas federndem Gang folgend. Ginny, die sich in der Nähe ihrer Eltern aufgehalten hatte, schloss nun zu Harry auf und ergriff seine Hand. Mafalda warf sie einen giftigen Blick zu; sie musste ebenfalls bemerkt haben, was sie bei Harry ausgelöst hatte.

Nach wenigen Minuten, während denen sie dem langen, mit dicken, ausgetretenen Teppichen ausgelegten Flur gefolgt waren, betraten sie nacheinander eine große Flügeltür, die zu ihrer Linken vom Gang abzweigte. Als Harry den Raum betrat, blickte er sich staunend um. Der Raum glich eher einem Saal, mit gemütlich aussehenden, gepolsterten Stühlen, vor jedem einzelnen ein kleines Tischchen aus hellem Holz. Die Sitzordnung war kreisförmig angelegt, und in der Mitte stand ein einsamer Stuhl, ebenfalls gepolstert, jedoch ohne ein dazugehöriges Tischchen. Mafalda trat in die Mitte des Raumes und erhob ihre Stimme: „Da wären wir nun, meine verehrten Gäste. Auf den Tischen finden sie Namenskärtchen, ich habe mir die Freiheit genommen, die Sitzordnung festzulegen. Und für Sie, Mr. Hagrid, habe ich einen extra großen Stuhl hereinbringen lassen." Sie lächelte Hagrid freundlich zu und deutete mit der Hand auf den gemeinten Platz, den man allerdings auch ohne diese Geste gut hätte erkennen können.

„Vielen Dank, Mrs..", find Hagrid an. „Mafalda, mein Guter, einfach Mafalda", unterbrach sie ihn bestimmt, aber höflich und gebot ihm, sich zu setzen.

Nachdem alle Platz genommen hatten, begab Mafalda sich auf ein Podest, welches schräg vor dem Stuhl in der Mitte des Raumes stand. „Wir sind heute hier zusammen gekommen um zu erfahren und zu erläutern, was sich vor zwei Tagen in der Schule für Hexerei und Zauberei, Hogwarts, zugetragen hat. Sicherlich ist allen bekannt, dass ein Angriff der Todesser stattgefunden hat, jedoch sind die genauen Ursachen für den bedauerlichen Tod Dumbledores weiterhin unklar. Es gibt jedoch einen unter uns, der alles mit ansehen musste. Ob es nun Glück ist, dass er uns nun davon zu berichten weiß, mag ich wahrlich nicht zu bestimmen. Doch trotzdem möchte ich diesen Zeugen hören. Harry Potter, würdest du bitte nach vorne kommen und dich auf diesen Stuhl setzen?" Mafalda lächelte Harry an und zeigte auf den Stuhl ohne Tisch. Harry schluckte, schaute kurz in die Gesichter seiner Freunde ringsum und stand auf. Langsam, den Blick nun auf den Boden vor ihm gerichtet, schlurfte er auf den Stuhl zu. Als er sich setzte, blickte er sich noch einmal im Raum um und war überrascht. Vom Eingang aus nicht zu sehen gewesen, erhoben sich an den Wänden des Raumes mehrere Amphoren, in denen Leute des Ministeriums saßen und der Versammlung beiwohnten. Auch Louis d'Enfant war darunter. Er starrte Harry eisig an.

Schnell wandte Harry den Blick von dem seltsamen Anblick ab und schaute Mafalda an. Auf der Höhe ihrer rechten Hand erhob sich ein kleines Pult, auf dem eine ausgebreitete Pergamentrolle lag. Darüber schwebte eine verzauberte Schreibfeder, die auf die nächsten Worte wartete. Als Mafalda wieder sprach, fing sie emsig an zu kritzeln.

„So, Harry. Jetzt erzähl uns doch mal genau, was sich auf dem Turm vor zwei Tagen abgespielt hat."