Kapitel 5
Ein helles Licht drang in seine Augen, als James ihn mit seiner Pupillenleuchte untersuchte, die er aus der rechten Kitteltasche zog. Die Reaktion auf den plötzlichen Lichteinfall war spontan. Soweit schien alles in Ordnung.
„Kannst du mich verstehen?", fragte er immer wieder, doch Gregory House gab nur für ihn unverständliche Laute von sich. Ein Stöhnen, gefolgt von Gemurmel, brachte Wilson darauf, seinen Kopf abzutasten. Er schien sich den Kopf angeschlagen zu haben, und tatsächlich ertastete James eine leichte Anschwellung.
Allmählich schien Greg sich wieder klarer artikulieren zu können. Er hob seine rechte Hand und hielt sich die Stirn, während er versuchte, sich aufzurichten, doch Wilson ließ ihm keine Gelegenheit dazu: „Du bleibst schön liegen, mein Freund. Zumindest, bis ich sicher bin, dass dir nichts weiter fehlt als dein Verstand." Er drückte ihn sanft zurück in eine liegende Position und untersuchte seinen Freund auf weitere Verletzungen. Einmal abgesehen von den offensichtlichen Schnitten in seiner Hand und dem Blut auf der Kleidung, hatte er sich vermutlich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen.
„Du bleibst wo du bist", ermahnte er ihn und stand auf, um vom Korridor einen Notfallkasten mit Verbandszeug zu holen. Als er das Büro erneut betrat, schloss James die Tür hinter sich. Es musste niemand House so sehen.
Er kniete sich neben seinen Patienten und untersuchte dessen Hand. Die Scherben waren groß und gut zu erkennen. Er schien nicht genügend Kraft aufgebracht zu haben, um das Glas weiter splittern zu lassen, oder der Schmerz hatte ihn rechtzeitig davon abgehalten. Jedenfalls erleichterte es Wilsons Arbeit ungemein, und er begann damit, die Fremdkörper aus den Wunden zu ziehen, nachdem er sich ein Paar Handschuhe angezogen hatte. „Beiß die Zähne zusammen", forderte er Greg auf, bevor er anschließend begann, die Schnitte zu reinigen. Er war sich sicher, dass sein Freund ihn genau verstanden hatte, zumal er ohne Einwände Folge leistete, aber augenscheinlich war ihm die Situation unangenehm - ähnlich wie die Desinfektion - und so zog er es vor zu schweigen. Vorerst.
Nachdem James den Druckverband angelegt hatte, schien Gregory plötzlich wieder der Alte zu sein: „Komm schon. Hör auf. Mir geht´s gut", blaffte er seinen Freund an und richtete sich auf. Wilson setzte sich ihm daraufhin gegenüber auf den Boden: „Ich glaube langsam, dass es dir zu gut geht. Du hast gerade ein Glas mit deiner bloßen Hand zerdrückt."
„Ist das an dir vorbeigegangen? Ich bin Superman."
„Superman? Aber natürlich. Greg, du hast ein ernsthaftes Problem, und ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht ein paar Einblicke in deinen Kopf gewährst."
„Du willst mir helfen? Du kriegst doch nicht mal dein eigenes Leben auf die Reihe, James."
„Das ist nicht wahr und lenk nicht dauernd von dir ab."
„Ach komm. Hör auf, deine Ehe ist eine Farce. Mit welcher Frau hast du gestern geschlafen? Solange du nicht ehrlich behaupten kannst, dass es deine eigene war, werde ich mir von dir keine Vorträge über mein unglückliches Leben anhören."
„OK. Ich werde dir sagen, mit wem ich gestern Sex hatte. Aber im Austausch dafür sagst du mir, wo dein Problem ist."
Gregory schien einen Moment lang über sein Angebot nachzudenken und entschied dann, darauf einzugehen: „Was man nicht alles tut, um etwas über das Leben des James W. aus P. zu erfahren."
„Das kann ich nur zurückgeben."
„Was willst du wissen?"
„Fangen wir doch damit an, dass du mir erzählst, warum du derartig leichtsinnig bist."
„Ich konnte nicht kontrollieren, was ich tat. Ich tat es einfach", erklärte House nüchtern.
„Das sollte dir zu denken geben."
„Es war ein einmaliger Blackout, Wilson."
„Woher willst du das wissen? Seit Stunden habe ich das Gefühl, dass du völlig neben dir stehst. Du kannst dir doch nicht ewig Vorwürfe wegen des gestrigen Abends machen."
„Der Herr in der letzten Reihe hat anscheinend noch nicht mitbekommen, dass das Ganze noch nicht einmal acht Stunden her ist."
„Doch, das hat er. Aber der Herr dort hinten hat auch das Gefühl, dass da noch mehr ist."
„Ich weiß nicht, was du meinst."
„Ich meine, dass ich mir sicher bin, dass in den letzten drei Stunden, seit unserer letzten Unterhaltung etwas vorgefallen sein muss, was dich aus dem Gleichgewicht geworfen hat."
Gregory House rieb sich mit der gesunden rechten Hand über seine Stirn und die Augen. Nur Sekunden später begann er damit, sich das blutverschmierte Hemd auszuziehen und ließ es anschließend unter den Schreibtisch fallen. Das schwarze Shirt darunter musste ausreichen. „Sie ist verlobt", platzte es plötzlich, scheinbar emotionslos aus ihm heraus.
„Wer? Keira Mills? Ist das dein Ernst? Woher weißt du das?", fragte James überrascht.
„Ihr Verlobter hat es mir gesagt", was denkst du denn?
„Er ist hier?"
„Sitzt unten in der Cafeteria und schlürft vermutlich einen Latte Macchiato."
„Wieso ist er nicht bei ihr?"
„Keine Besucher erlaubt. Ärztliche Anordnung", erwiderte House mit hochgezogenen Brauen und einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht.
„Du kannst ihn nicht ewig abhalten, zu ihr zu gehen", versuchte James ihn zur Vernunft zu bringen.
„Ich weiß", Greg lehnte sich gegen den Schreibtisch und legte den Kopf in den Nacken, während er die Augen schloss. Wilson vermutete, dass er über das Gesagte nachdachte.
„Er macht sich sicher Sorgen, Gregory."
„Ich weiß."
„Sie hat keine übertragbare Krankheit. Wenn er das erfährt, kann er das Krankenhaus und dich verklagen."
„Ich weiß."
„Sie bedeutet dir immer noch etwas. Trotz deiner Zweifel an ihren Motiven", stellte Wilson ernüchternd fest und schloss resignierend die Augen.
„Ich weiß."
Er wollte gerade damit fortfahren ihm ins Gewissen zu reden, als die Tür zum Büro aufschwang und ein aufgebrachter Dr. Foreman den Raum betrat. „House verdammt. Wieso reagieren sie nicht auf ihren Pieper?", fragte er atemlos, nicht ohne auf House´ verbundene Hand zu starren und zu fragen: „Was ist mit ihrer Hand passiert?" Doch Gregory griff, ohne auf Erics Frage zu antworten, unter den Schreibtisch und zog das zierliche Stück Technik aus der Tasche seines Hemdes. Er blickte auf das Display. Nichts. Es wurde weder eine Nachricht angezeigt, noch etwas anderes. Er klopfte mit dem Pager ein paar Mal auf den Teppichboden, doch das schien auch nichts an den augenscheinlich leeren Batterien zu ändern. Dann sah er auf und fragte: „Was ist?" und der junge Arzt fuhr leicht irritiert fort: „Sie ist wach. Schon seit etwa zehn Minuten. Und warum sitzen sie hier auf dem Fußboden?"
Sofort erhob sich Dr. House, nicht ohne ein leises Stöhnen und einen stechenden Schmerz hinter seiner Stirn, und Dr. Wilson folgte seinem Beispiel. Beide verließen, Foreman folgend, das Büro, jedoch ohne dem Kollegen eine Erklärung dafür zu liefern, warum er sie auf dem Boden sitzend vorgefunden hatte. James beobachtete seinen Freund besorgt, doch der schien aus dem Nichts Kraft getankt zu haben, denn er wirkte nicht schwächer als sonst.
Am Krankenzimmer angekommen, wollte Gregory bereits an Foreman vorbei in den Raum treten, als James ihn zurückhielt: „Ich denke, es ist besser, wenn du vorerst hier wartest."
„Warum? Ich bin ihr behandelnder Arzt."
„Ja. Und du stehst auf sie, hast dir wegen ihr in die Hand geschnitten und den Kopf geprellt. Außerdem bin ich mir, nachdem du mir erzählt hast, was im Pub geschehen ist, nicht sicher, ob sie dich sehen möchte. Also, wenn du es schon nicht aus Vernunft tun willst, tu es für sie."
House ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen und nickte schließlich.
Daraufhin folgte Wilson Eric, der sich bereits im Zimmer befand und begutachtete die Patientin, während House die Situation von seinem Platz hinter der Trennscheibe beobachtete. Wilson sah Keira nun zum ersten Mal, seit ihrem Aufeinandertreffen vor zwei Wochen. Er konnte nun auch verstehen, warum Gregory sie nicht vergessen konnte. Trotz ihres Zustands strahlte sie eine Würde aus, die vielen Patienten fehlte. Nicht, dass sie keine hatten, aber den meisten ging sie auf Grund der Kräfte zehrenden Umstände ihrer Krankheit auf dem Weg der Heilung verloren.
Wilson trat an ihr Bett, zog seine Pupillenleuchte erneut aus der Kitteltasche und begann damit, ihre Augen zu untersuchen, während er sagte: „Miss Mills. Schön, dass sie wieder unter uns weilen."
„Ich würde gerne dasselbe sagen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, weg gewesen zu sein", ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
Sie wirkten trocken und blass, stellte Gregory fest. Er war erleichtert, als er sie lächeln sah, auch wenn er keines der Worte verstand, die ihren Mund verließen.
„Wir und vor allem die Polizei, hatten gehofft, dass sie uns erzählen können, was gestern Abend geschehen ist", setzte Foreman fort.
„Was meinen sie? Ich weiß nicht einmal warum ich hier bin, außer dass mein Brustkorb wahnsinnig schmerzt genauso wie mein Kopf."
„Klingt eindeutig nach Amnesie", stellte Wilson fest, „Wir wissen, dass sie heute Nacht gegen halb eins hier eingeliefert wurden. Die Polizei vermutet einen Raubüberfall."
„Ich wurde überfallen?", fragte Keira überrascht und rieb sich die rechte Schläfe, in der Hoffnung die Bilder würden zurückkehren und Foreman bestätigte: „Sieht ganz danach aus. Was ist ihre letzte Erinnerung?"
„Meine letzte Erinnerung? Ich, … ich saß in einem Pub in der Innenstadt zusammen mit, Gregory House", sie sah Wilson direkt in die Augen und schien in diesem Moment festzustellen: „Sie kennen ihn."
„In der Tat", bestätigte er.
„Ich erinnere mich auch, dass wir etwas getrunken und geredet haben. Dann ging ich zur Damentoilette, und als ich wiederkam, war er wie ausgewechselt. Ich hatte ihn als freundlichen, zuvorkommenden Menschen kennengelernt,…"
„Reden wir hier von derselben Person?", fiel ihr Eric ins Wort und erntete sogleich einen bösen Blick von Wilson. Keira hatte sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen lassen, fixierte weiterhin einen Punkt auf ihrer Decke und erzählte weiter: „…aber plötzlich war er ungemein abweisend. Er stellte mir eine Menge verwirrender Fragen, aber ich kann mich nicht genau an den Inhalt erinnern. Irgendetwas mit einem Cutty, oder so ähnlich, ich kam aber nicht dazu zu antworten, da stürmte er schon aus dem Lokal. Danach weiss ich nur noch, dass ich meinen Drink ausgetrunken habe, und ab da ist alles wie weggeblasen."
„Hoffen wir, dass ihre Erinnerungen zurückkehren und die Polizei den- oder diejenigen schnappen kann. Sie sollten sich für den Moment aber erst einmal ausruhen", beruhigte sie James. „Im Augenblick ist es wichtiger, dass es ihnen besser geht und sie wieder bei Bewusstsein sind."
Er hatte gerade mit Foreman den Raum verlassen wollen, als Keira ihn zurückrief: „Warten sie, Dr. …", sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass sie seinen Namen nicht kannte.
„Wilson", beendete er den Satz. House beobachtete die Szene. Sie hatte James zurückgerufen, als er sich gerade bei ihm hatte erkundigen wollen, wie es ihr ging. Also schluckte er seine Frage hinunter und beobachtete stattdessen weiterhin die Geschehnisse hinter der gläsernen Wand von seinem Platz aus:
„Doktor Wilson. In Ordnung. Ich hoffe, dass ich mir das merken kann", sie lächelte.
House hätte eine Menge darum gegeben zu hören, worüber die beiden redeten, und so schob er sich unauffällig langsam in Richtung Tür und lauschte:
„Wie kann ich ihnen helfen?", hörte er Wilsons Stimme.
„Sie könnten mir einiges versuchen zu erklären."
„Das würde ich gerne, aber ich fürchte ich weiß soviel wie sie jetzt."
„Das meinte ich nicht. Ich rede von Gregory House."
Als er seinen Namen hörte, zogen sich Gregs Augenbrauen zu einer einzigen zusammen.
„Ich nehme an, sie kennen ihn etwas besser als ich."
„Da bin ich mir manchmal nicht so sicher", gab Wilson resigniert zurück und zog sich den Besucherstuhl heran, um neben Keiras Bett Platz zu nehmen.
„Er ist nicht gerade leicht zu händeln, oder?", fragte Keira, doch es war mehr eine rhetorische Frage. Dennoch antwortete Wilson: „Das kann man so sagen. Sie wollen sicherlich wissen, warum er sich ihnen gegenüber plötzlich so abweisend verhalten hat."
„Er hat mit ihnen darüber gesprochen?", fragte sie verwundert und sah aus den Augenwinkeln, wie Wilson ihre Frage mit einem Nicken beantwortete, „Na ja, es würde mir vielleicht weiterhelfen zu verstehen, was ich falsch gemacht habe."
„Sie haben nichts falsch gemacht. Genauso wenig wie Greg. Er neigt dazu in Selbstzweifel zu versinken."
„Warum?", ihre Stimme wurde weicher.
„Sein Bein."
„Er hat es nicht verwunden, dass es nicht wieder heilt, nicht wahr?", wollte Keira wissen.
„Es geht ihm weniger darum, dass es nicht wieder heilt, als mehr darum, dass es hätte gerettet werden können, wenn die Ärzte damals gleich die richtige Diagnose gestellt hätten."
„Aber dann bleibt immer noch die Frage: Wer ist Cutty?"
„Sie meinen Doktor Cuddy", James musste lachen, als er sie Lisas Namen sagen hörte, „Sie ist die Leiterin des Krankenhauses."
„Ich erinnere mich, dass Gregory meinte, dass irgendetwas faul wäre an unserer Verabredung. Wie passt das alles zusammen?"
„Hören sie", begann Wilson sanft zu erklären, während er sich vorbeugte und auf seine Unterarme stützte, „Er denkt, dass einer der Ärzte hier das Date mit ihnen eingefädelt hat. Er geht davon aus, dass diese Person denkt, er hätte Hilfe nötig. Er kann nicht verstehen, dass jemand wie sie, eine gut aussehende, intelligente, junge Frau etwas an ihm attraktiv finden könnte."
„Verstehe", sagte Keira etwas traurig, während sie ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpresste.
„Es gab kein Arrangement, oder? Sie sind mit ihm ausgegangen, weil sie ihn mochten und es so wollten, nicht wahr?"
„Schuldig, im Sinne der Anklage", gestand Keira, immer noch etwas geknickt.
„Und was ist mit ihrem Freund? Oder sollte ich sagen: Verlobten?"
Keira sah ihn verdutzt an: „Was meinen sie?"
„Der junge Mann unten in der Cafeteria. Foreman teilt ihm gerade mit, dass sie aufgewacht sind."
„Ich bin nicht verlobt. Ich lebe nicht einmal in einer Beziehung. Ich weiß nicht wer dort unten auf mich wartet, aber es ist definitiv nicht mein Verlobter."
„Ist das ihr Ernst?"
„Sie müssten doch mittlerweile mitbekommen haben, dass ich nichts zu verbergen habe."
Wilson stand auf und wies in Richtung Tür, während er fragte: „Aber wer…?", doch er wurde unterbrochen, als er von draußen Geräusche hörte, die nichts Gutes verlauten ließen.
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