Gesucht und gefunden

Es war gerade mal elf Uhr morgens, aber Lara suchte schon drei Stunden nach dem Buch –ohne Erfolg. Sie war am Verzweifeln. Da betrat Winston die Bibliothek.
„Miss Croft, Miss Jones möchte Sie sprechen", meldete er.
„Samantha? Sie kann reinkommen", antwortete Lara erfreut.
Samantha Jones – erfolgreiche Künstlerin, alleinerziehend und eine Koryphäe in Sachen Kunst und deren Geschichte. Ihre hellbraunen, langen Haare, wie immer glattglänzend und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, lagen brav auf ihrer blauen Jeanjacke, unter dem sie ein figurbetonendes rotes Shirt trug, was im schönen Kontrast zu ihrer dunkelblauen Jeans und ihren Turnschuhen lag. Dazu trug sie eine Brille und ein silbernes Armbändchen mit Sternenanhänger.
„Schon wider aus Dublin zurück, Sam?", erkundigte Lara sich bei ihrer guten Freundin.
„Ja, die Ausstellung war schneller leergekauft, als ich dachte", antwortete Samantha und umarmte Lara zur Begrüßung.
„Wie geht's deiner Kleinen?"
„Sydney geht es gut. Sie mochte Dublin sehr", berichtete Samantha.
„Schön...und was führt dich zu mir?"
„Ich wollte bei meiner besten Freundin nach dem Rechten sehen. Und warum durchstöberst du deine Bibliothek? Was suchst du?", fragte Samantha, nachdem sie die chaotische Bibliothek gemustert hatte.
„Als ich hierher gezogen bin, habe ich aufgeschrieben, was ich mit dem ganzen Krempel von meiner Tante angestellt habe. Mein Cousin will dieses Bild von seiner Mutter." Sie deutete auf das Foto auf dem Schreibtisch und setzte sich auf die mit Kissen verzierte Couch. „Aber ich habe keine Ahnung, was ich damit angestellt habe."
Samantha ging zu dem Tisch und beguckte die etwas ältere Fotografie.
„Wirklich schön", gab Samantha ehrlich zu. Als selbst angesehene Künstlerin hatte sie selbstverständlich ein Auge für Kunst. „Und das tust du ganz ohne Hintergedanken für deinen Cousin?"
„Was soll das denn heißen? Sehe ich wie eine hinterlistige Person aus?", fragte Lara entrüstet.
„Willst du darauf eine Antwort?", bezweifelte Samantha die Frage ihrer Freundin.
Prompt warf Lara ein Kissen der Couchgarnitur in das Gesicht ihrer Freundin.
„Wie sieht das Buch denn aus, das du suchst?", erkundigte sich die Künstlerin lächelnd.
„Ich glaube, es war blau...", erinnerte Lara sich dunkel.
„War es ein Ringbuch auf den steht „Zeug von Tante"?"
„Das kann sein, aber wie kommst du darauf?"
Samantha bückte sich zu einem Lesetisch hinunter und zog unter dem Bein des Tisches das eben beschriebene Buch hervor.
„Bücher wurden nicht nur zum Lesen erfunden, was?", verhöhnte sie Laras Suche.
Lara grinste breit und Samantha setzte sich zu ihrer Freundin.
„Überall hätte ich gesucht...nur nicht da", lachte die Archäologin.
„Tja, was würdest du ohne mich machen, Lara?", fragte Samantha sarkastisch und gab ihrer Freundin das Buch. Lara antwortete nicht, sie fing sofort an, in dem Buch zu blättern.
„Vasen, Möbel, Schnickschnack...Bilder!", murmelte sie, als sie in das Inhaltsverzeichnis sah.
Samantha hatte sich über ihre Schulter gebeugt.
„Landschaftsbilder...Moderne Kunst...Portraits! Shit, nur nummeriert", fluchte sie leise.
„Da wirst du wohl alle abklappern müssen", schlug Samantha vor.
„Tja, scheint so. Aber viele habe ich weggeschmissen. Oh, manche habe ich an dich weitergegeben. Wie praktisch!"
Insgesamt hingen Vierzehn Portraits vor Lara Crofts Einzug in der Villa. Sechs davon hatte sie weggeschmissen, zwei an Samantha gegeben, zwei behalten und die restlichen vier schenke sie ihrer Cousine.
„Ich kann mich erinnern. Meine Cousine hatte den gleichen Geschmack wie ihre Mutter, einfach furchtbar!", schwelgte sie in ihren Erinnerungen. „Nun gut, du hast das Foto gesehen. Hängt das Bild in deiner Wohnung?", wollte Lara wissen.
„Nein, ich besitze dieses Portrait nicht. Eigentlich schade drum", gab Samantha zu. Lara lehnte sich zurück und versteckte ihr Gesicht in den Kissen.
„Warum ist das nur so schwierig?", murmelte sie in die Polster.
„Gutes zu tun ist nun mal kein Spaß", neckte Samantha ihre Freundin. „Nun denn", begann sie. „Ich habe noch zu arbeiten", erklärte sie.
„Schade. Dann telefonieren wir?", erkundigte sich Lara.
„Genau", stimmte die Künstlerin zu. Die beiden Freundinnen umarmten sich als Verabschiedung. „Man hört sich!"
„Wenn ich heute Abend nicht schon wahnsinnig bin."
„Hoffentlich nicht", wünschte Samantha kichernd. „Viel Glück!"
„Danke, Sam. Das kann ich brauchen."