„Lara! Lara, wach auf. Wir sind da, in Indien", wurde sanft von Samanthas Stimme geweckt. War der Flug wirklich schon vorbei? Es war Lara ungewöhnlich schnell vorgekommen, was wohl daran lag, dass sie über die Hälfte verschlafen hatte.
„Okay..., ich bin wach", bestätigte Lara. Die beiden stiegen aus dem Flieger aus und begaben sich zur Gepäckabholung. Die drei Koffer packten sie in ein Taxi und ließen sich zu einem Drei-Sterne-Hotel fahren, indem sie ein Zimmer gemietet hatten. Der Aufenthalt sollte sowieso nicht länger als nötig sein. Im Zimmer angekommen ließen sie erschöpft von der Reise ihre Koffer niedersinken und ließen sich auf die beiden Betten im Zimmer fallen.
„Komisch, dass wir so fertig sind...den halben Flug haben wir verschlafen...", bemerkte die fertige Samantha uns streckte sich auf ihrem Bett.
„So ist das mit dem Fliegen...", antwortete Lara. Sie sah durch die glasige Flügeltür, die zum Balkon führte. Der Sonnenaufgang wirkte sehr harmonisch auf das eher unruhige Land. Sie stand auf und öffnete einen der Koffer. „Ich ziehe mir erst einmal der Temperatur angemessene Kleidung an. Du weißt nicht, wie heiß es hier werden kann. Du solltest dich auch umziehen, Sam."
Samantha nickte. Lara kleidete sich in einer grünen Hotpants und einem dunkelblauen T-Shirt ein. Ihre Freundin wählte eine Jeans-Hotpants mit einem schwarzen T-Shirt mit Spaghetti-Trägern. Noch ein wenig ruhten sie sich aus, nahmen sich bald darauf aber genug Wasser in Flaschen mit und steckten diese mit etwas Proviant in den Kofferraum eines gemieteten Jeeps. Bewaffnet stiegen sie in das Auto. Lara am Steuer, Samantha war für das Kartenlesen zuständig. Fünfzig Kilometer hatten sie zu fahren. Indien hat eine schlechte Infrastruktur, weshalb die beiden auf dem holprigen Weg ohne die Sicherheitsgurte fast aus dem Jeep herausgefallen wären. Aber nach einer Stunde Fahrt waren sie bei einer Plantage angekommen, auf der viele Arbeiter schufteten. Das Land sah aber ohnehin nicht ziemlich fruchtbar aus. Die wenige Ernte war wohl mit Chemie zustande gebracht worden. Um die große Plantage herum war ein größeres Haus errichtet. Es war in einem guten Zustand. Weit von dem Haus entfernt standen viele, kleine Hütten, die bald in sich zusammenzufallen schienen. Ein paar Aufseher passten auf, dass die arbeitenden Erwachsenen und Kinder nicht wegen der Erschöpfung zusammenbrachen, was sie aber bei der kommenden Hitze noch tun würden.
„Ob das hier Cochin ist?", fragte Lara. Samantha griff nach dem Fernglas, das sich im Handschuhfach befand. Mit diesem sah sie sich das Schild an, das in dreißig Metern Entfernung aufgestellt war. Die abgeblätterten Buchstaben bestätigten die Vermutung.
„Dem Schild nach ja", antwortete Samantha. Einer der Aufpasser bemerkte den in der Ferne haltenden Jeep. Er ging auf das Fahrzeug zu.
„ Hey, weg von der Plantage! Sie haben hier nichts zu suchen! ", rief er auf indisch.
„ Guter Mann, wir sind Britinnen. Wir würden gerne ihren Chef sprechen ", gab Lara auf indisch zurück. Der Aufpasser fing an zu grinsen.
„Sind sehr willkommen hier! Ich werde Sie zu Pariah Adivasi bringen, Großgrundbesitzer ist er", versuchte der Mann mit seinem begrenzten Englisch zu erklären. „Folgen mir!"
Die beiden kamen ihm nach. Sie wurden in das Haus geführt, das als einziges bewohnbar aussah. Es war luxuriös eingerichtet und hatte zwei Stöcke. Sie wurden die silberne Treppe hinaufgeführt, wo sie vor einem Raum einen Moment warten sollten. Der Aufseher betrat das Zimmer und kam nach einer Minute wieder heraus.
„Pariah Adivasi wird bald seien bei Ihnen", versicherte er und ging wieder an seine Arbeit.
„Warum waren sie plötzlich so freundlich?", fragte Samantha.
„Für Inder bedeuten Europäer Geld, nichts weiter."
Fünf Minuten lang standen die beiden sich die Beine in den Bauch. Die Sonne war inzwischen vollständig aufgegangen. Die Hitze, von der Lara erzählt hatte, machte sich langsam bemerkbar. Im Hause hielt eine Klimaanlage jedoch die Temperatur auf angenehme zweiundzwanzig Grad. Endlich trat ein Mann aus der Tür. Er war dick und trug einen weißen Anzug.
„Bitte kommen Sie herein", bat er sie mit einer Geste. Grammatisch war sein Englisch korrekt, nur den Akzent bemerkte man deutlich. Die beiden folgten der Aufforderung und betraten den Raum, ein Büro. Die beiden setzten sich auf zwei Stühle, die vor dem Schreibtisch platziert waren. Hinter den Schreibtisch setzte sich der Mann.
„Also, meine Damen. Was wünschen Sie?", fragte er freundlich.
„Pariah Adivasi nehme ich an? Wir würden gerne wissen, ob auf ihrer Plantage eine gewisse Mainya Tamang arbeitet" , erkundigte sich Lara. Pariah Adivasi wurde verlegen.
„Ich muss zugeben, dass ich nicht weiß, wie meine Arbeiter heißen..."
„Das war mir irgendwie schon klar. Wenn Sie erlauben würden, gehen wir beide uns auf ihrer Plantage erkunden." Lara schob ihm zehntausend Rupien (ca. zweihundertfünfzig Euro glaube ich...) zu. Er nickte.
„Tja, was man mit Geld alles erreichen kann", stellte Samantha fest.
„In solchen Ländern schon." Lara sah über die Plantage. Sie war riesig. „All die armen Menschen...müssen sich jeden Tag für einen Bettellohn quälen..."
„Ja...Aber...wir müssen die Arbeiter ausfragen."
„Du hast Recht." Lara richtete ihren Blick zur Sonne. „Ich glaube es wird bei jedem Besuch heißer in Indien."
„ Kennt einer von euch Mainya Tamang? ", fragte die beiden bestimmt zwei Dutzend mal eine Arbeiterschar. Es war schon Mittag und die beiden hatten noch keinen Hinweis erhalten.
„ Du Drecksstück! Was fällt dir ein, von der Ernte zu essen? ", brüllte einer der Aufseher ein kleines Mädchen an, das sich auf den Feldern blutig arbeitete. Er nahm eine Peitsche hervor und schlug zu. Das Mädchen entschuldigte sich weinend. Lara griff ein.
„Hey!", rief sie zu dem ca. fünf Meter entfernten Mann. „Was glauben Sie, was die englischen Zeitungen dazu sagen werden? Sollen wir das melden, oder entschuldigen Sie sich freiwillig bei dem Mädchen?"
Die anderen Arbeiter sahen auf, verstanden aber nichts. Lara sprach englisch.
„Engländerin! Du hast kein Einfluss auf Zeitung!"
„Wie soll ich mein nächstes Buch nennen? „Sklaventreiber auf Cochin" vielleicht? Die Medien werden sich darum reißen und diese Plantage wird zu Grunde gehen..."
Er fiel auf den Bluff herein.
„Verdammte Engländerin", murmelte er und ging davon. Lara und Samantha rannten zu dem Mädchen und begutachteten ihre Wunden.
„ Das heilt...keine Sorge ", beruhigten sie das Mädchen. Es zitterte noch immer. „ Wie ist dein Name? ", wollte Samantha wissen.
„ Ianda...Ianda Tamang... ", schluchzte sie hervor. Tamang?
„ Kennst du eine Mainya Tamang? ", fragte Lara sofort.
„ Meine...Mutter... "
Endlich hatten sie eine Spur!
„ Wo ist deine Mutter? "
Das Mädchen deutete auf die weit entfernten schäbigen Hütten.
„ Führ uns zu ihr ", befahl Lara in einer ungewohnten Härte. Aber es ging nun mal um mehr. Das eingeschüchterte Mädchen folgte dem Befehl. Sie führte die beiden zu einer der schäbigsten Hütten. Zwischen Scherben, Stoffstücken und kleinen Schüsseln mit etwas Wasser und Essen stand ein Bett aus einer ungehobelten Holzplatte. Darin lag eine Frau –Mitte zwanzig- mit einem kleinen Stück Stoff bedeckt. Das Mädchen rannte zu ihr.
„ Mutter, Engländer! Sie wollen dich sehen! ", plapperte das Mädchen drauf los. Die Frau, die unter großen Schmerzen zu leiden schien, richtete sich auf.
„ Ianda, geh zurück auf die Plantage. Wir haben so schon kein Geld... ", schluchzte die Mutter. Ianda folgte dem Wunsch und rannte wieder heraus.
„ Sie sind...Engländer...? ", fragte sie.
„ Und Sie Mainya Tamang? ", entgegnete Lara.
„ Ja... "
„ Besitzen Sie etwas sehr Wertvolles? ...Aus Gold? ", erkundigte sich Samantha.
Mainya Tamang lächelte matt.
„ Ich und Gold? Nein, ich habe nichts von großen Wert. "
Lara und Samantha sahen einander an.
„ Aber...Sie müssen etwas haben! Schauen Sie ", meinte Lara und zeigte ihr den Arm, auf dem der Ankh noch in London erschienen ist.
„ Eine schöne Tätowierung... ", kam es erschöpft von Mainya Tamang.
„ Mainya Tamang, es geht um die Pyramide des Horus! Wir sind ebenfalls eine der Familien, die ein Stück bewachen! ", wurde Lara ungewollt direkt. Doch Mainya Tamang verstand nicht. Da schien ihr etwas einzufallen.
„ Ich weiß zwar nicht, wovon Sie reden, aber ich besaß einmal etwas aus Gold... ", erinnerte sie sich dunkel.
„ Sie besaßen! Was haben Sie damit getan?", fragte Lara aufgebracht.
„ Verkauft! Ich habe es verkauft! ", schluchzte Mainya Tamang.
„Was!"
