Auf nach Alaska!

Das Taxi setzte die beiden vor dem Flughafen ab. Sie suchten sich in der Nähe der Eingangshalle einen ruhigen Ort.
„Hier die Vase", meinte Samantha und gab Lara das Gefäß in die Hand. Lara musterte die ägyptischen Hieroglyphen. Normalerweise brauchte sie einige Zeit, um die Schriftzeichen zu lesen und musste auch mal eines nachschlagen. Aber diese konnte sie lesen, als wäre es in englisch geschrieben.
„Bei Horus, dem Gotte in Falkengestalt, schwören wir, dass wir den Schlüssel zu der Macht, die Osiris Merit besaß, auf ewig mit unserem Leben beschützen werden, um jene, die Macht begehren zu hindern daran, dass eine Katastrophe ausbricht und wieder ein Pharao herrscht, der nur Rache sucht, um den Durst zu stillen, der durch Ungerechtigkeit entfacht wurde. Wir schwören in alle Himmelsrichtungen zu ziehen, um zu verstecken, was Machthungrige suchen, um ihnen den Gang zur Macht zu erschweren, und je einen Teil des Schatzes zu bewahren, soll in jeder Generation mindestens einer wissen, was seine Familie besitzt, um das Zeichen des Horus zu tragen und den Schatz bewahren. Sollte es doch Verrückten gelingen, die fünf Teile der Macht zusammenzusetzen, die Familien zu überlisten, die Schätze zu stehlen, den heiligen Tempel zu finden und deren Wachen zu töten, kann die Menschheit nur hoffen, dass einer dem Einhalt gebietet, der von den Priestern des Horus Kraft erhalten wird, denn wenn nicht, wird eine Katastrophe ausbrechen, ein neuer Pharao wird regieren, nur um seinen Durst zu stillen, vielleicht sogar, um zu vernichten, unsere Welt...", beendete sie die Formel. Wieder wurde ihr schwindelig. Ihr wurde schwarz vor Augen und ging in die Hocke, aus Angst wieder umzufallen, so wie bei ihrer ersten Vision. Sie sah...Eis, Schnee, weiße Bären. Sie flog über das Land, immer höher, sie erkannte die Umrisse des Erdteils.
„Alaska...", murmelte Lara, als sie wieder bei sich war.
„Du hast Alaska gesehen?", erkundigte sich Samantha. Lara nickte bestimmt und ließ die Vase in einem Gebüsch zurück. Sie wurde hoffentlich nicht mehr gebraucht und zu tragen hatten die beiden schon genug, obwohl es nur das Wichtigste wie Geld, Papiere, Waffen und Seans Mappe waren. Lara nahm diese aus ihrem Rucksack und suchte nach Informationen über Alaska. Tatsächlich fand sie etwas.
„Hier steht, dass der nächste Craig Oktolik heißt und in der Nähe von Fairbanks lebt", erklärte Lara. Also buchten die beiden einen Flug nach Fairbanks, der in zwanzig Minuten losfliegen sollte. Erschöpft ließen sich die beiden in ihre Sitze im Flugzeug gleiten. Wie sie so über China hinwegflogen wurde es dunkel und die beiden nahmen ihre Decken hervor. Sie kuschelten sich in ihre Sitze und schliefen ein.

Lara wachte auf. Sie hatte von Sean geträumt, von ihrer gemeinsamen Kindheit. Wieder dachte sie an ihren Cousin und dass er gerade im Koma lag.
‚Aber ich kämpfe Sean...Mariah Powell wird nicht siegen, versprochen', dachte sie. Sie wandte ihren Blick von ihrer Decke ab und sah Samantha an. Sie schlief anscheinend. Lara richtete sich leise auf. Der Flieger war nur zur Hälfte gefüllt und in der ersten Klasse saßen außer ihnen nur noch sechs Geschäftsleute. Zum Glück schnarchte keiner der Personen. Sie zog das Rollo an ihrem Fensterplatz hoch. Ein wunderschönes Bild. Die Wolken und Sterne bei Nacht im sanften Mondschein...
‚Was für ein inspirierender Anblick', ging es ihr durch den Kopf. Ihr fiel wieder das Buch ein, dass sie daheim in London gerade schrieb. Wahrscheinlich waren schon zwei Mahnungen gekommen, dass sie das Buch endlich vollenden sollte. Aber bei der ganzen Aufregung hatte sie nicht einmal daran gedacht, weiter zu schreiben. Selbst wenn ihr Verlag ihr Arbeitsverhältnis beenden würde, fände sich schnell eine andere Redaktion, die sie unter Vertrag nehmen würde. Ihre Bücher verkauften sich schließlich recht gut.
„Lara?", kam es müde von Samanthas Seite. Lara drehte sich zu ihr. Ihre beste Freundin richtete sich mit halbgeöffneten Augen auf und reckte sich ein wenig.
„Habe ich dich etwa geweckt?", wisperte Lara ihr einfühlsam zu.
„Nein, ich bin so aufgewacht", verneinte sie leise und sah aus dem Fenster. „Wunderschön", meinte sie zu der Ansicht.
„Du könntest es als nächstes malen", schlug Lara vor.
„Gar nicht so eine schlechte Idee", nahm sie die Anregung an. Ein paar Sekunden lang sahen die beiden aus dem Fenster.
„Sam...", begann Lara. Sie wollte ihre Freundin eigentlich nicht diese Frage stellen. Sie atmete tief ein. „du hast doch...bei dieser ganzen Sache hast du doch auch..."
Samantha verstand worauf Lara hinaus wollte. Sie hob ihren Kopf und sah an die Decke.
„Du meinst...weil wir beide...getötet...haben...?"
Lara nickte.
„Na ja...es mag vielleicht grotesk klingen, aber..." Sie senkte ihren Kopf wieder und sah aus dem Fenster. „Es ist leichter als ich dachte..."
Lara war überrascht. So wie sie ihre Freundin kannte, verabscheute sie das Töten.
„Ich weiß, was du denkst. Samantha verabscheut doch das Töten...aber ich sehe das so...so wie du es mir einmal gesagt hast: ich tue das nicht, weil es mir gefällt und es macht mir auch keinen Spaß, aber bei dem, was ich tue, geht es um höhere Mächte und dabei muss man Opfer bringen. Denn wenn ich diese Kräfte nicht aufhalte, wer dann?", beendete sie Laras Zitat, das sie sich vor ein paar Jahren, damals, als Lara anfing auf Abenteuerreise zu gehen, eingeprägt hatte. „Mit diesen Worten in den Kopf habe ich mich da durch gekämpft. Jetzt kann ich dich verstehen. Ich komme damit klar, dass wegen uns Menschen sterben müssen, aber wenn wir das nicht in Kauf nehmen, müssten wir einen viel größeren Preis zahlen."
„Das habe ich gesagt?", fragte Lara überrascht und ein wenig lachend.
„Ich hätte auch nicht gedacht, dass du schon mit so jungen Jahren einen so weisen Spruch sagst. Aber da siehst du mal wie alt du wirkst!", meinte sie fies zu Lara.
„Hey!", lachte die Archäologin leise und knuffte Samantha an den Arm. Beide scherzten ein wenig mit sanften Schlägen.
„Gut zu wissen, dass du damit klar kommst", freute Lara sich erleichtert. Den Umständen entsprechend lief alles bestens. Sie waren nicht verletzt, hatten das dritte Stück der Pyramide und waren sicher im Flieger nach Fairbanks, einer Stadt im Norden von Alaska.
‚Hoffentlich weiß dieser Craig Oktolik von der ganzen Sache...', hoffte Lara. ‚Nicht so wie Mainya Tamang...einfach furchtbar, dass so ein wichtiges Geheimnis nicht weitergegeben wurde...hoffentlich haben sie und ihre Tochter wenigstens ein bisschen von dem Geld, dass ich ihnen für die Vase gegeben habe...'
„Wir machen eine Zwischenlandung in Peking, nicht wahr?", fragte Samantha.
„Ich glaube schon...", sie kramte aus ihrer Hosentasche ihr Ticket hervor. „Ja, in Peking. Eine halbe Stunde bleiben wir da", bestätigte Lara nach einem Blick. Samantha schmiss sich wieder zurück in ihren Sitz.
„Ich mag keine Zwischenstops...", murrte sie.
„Ich auch nicht", stimmte Lara mit ihr überein. „Wir sollten uns was anderes anziehen. Hotpants und T-Shirts sind nicht gerade das richtige Outfit, auch wenn wir in China sind, in der Nacht ist es immer ein paar Grad kälter."
Lara stand auf und reckte sich zu den Rucksäcken über ihren Sitzen. Vorsichtig, um die anderen Passagiere nicht aufzuwecken, nahm sie den Rucksack hervor, in dem sich ein paar Kleider befanden, die sie noch am Flughafen schnell gekauft hatten. Sie öffnete den Rucksack und nahm sich eine blaue Jeans, ein dunkelrotes Shirt und ihre Lederjacke heraus. Samantha wählte ebenfalls eine Jeans, dazu ein weißes Dreiviertel-Shirt mit dem blauen Aufdruck „London 89". Darüber würde sie sich eine Jeansjacke streifen. Die Toiletten waren geräumig, geräumig genug, um sich darin umzuziehen. Nachdem sie dieses getan hatten, packten sie den Rucksack wieder zu dem anderen, knüllten ihre Jacken zu Kissen zusammen und legten sich noch ein wenig schlafen.

„Wachen Sie auf, wir sind in Peking", wurden die beiden von einer der sanftklingenden Stimmen der Stewardessen geweckt. Müde öffneten sie die Augen und standen auf. Noch im Halbschlaf streiften sie sich ihre Jacken über und nahmen ihre Rucksäcke mit sich, als sie als letztes die Maschine verließen. Überraschenderweise war es hier in Peking gerade mal ein Uhr nachts. Nicht einmal zwölf Stunden waren sie in Indien geblieben und in China würden sie höchstens eine Stunden bleiben, denn das Flugzeug musste nur auftanken. Die beiden Freundinnen schlugen die Zeit bis zum Weiterfliegen tot, indem sie sich an einem Zeitungsstand die Times kauften und sie beim Lesen von zwei Espressos an einem Stehtisch in einem Café lasen.
„Der Flug 581 nach Fairbanks, Alaska wird in fünf Minuten weiterfliegen. Die Passagiere sind gebeten, sich wieder in die Maschine zu begeben", gab die schwerverständliche Lautsprecheransage nach vielen Minuten des Wartens von sich.
„Wir haben es gehört. Dann mal weiter nach Fairbanks", grinste Lara mutmachend zu ihrer Freundin. Sie bezahlten schnell die Espresso und bestiegen wieder die Maschine.