Eine erste Spur
Die Räder des Flugzeuges kamen quietschend und mit einem kleinen Ruck zum Stehen, den auch die beiden Freundinnen spürten. Wohl behagte es ihnen nicht, als sie ausstiegen, denn sie hatten keine winterlichen Kleider dabei. Mit einem kalten Windstoß wurden sie in Alaskas zweitgrößter Stadt empfangen. Schon jetzt zitterten den beiden die Knie. Beide waren sich einig, dass sie sich zuerst ein Hotel suchen und danach den nächsten Kleidungsladen einen Besuch abstatten würden. Dreizehn Uhr war es, oder 1.00pm wie es auf einer Digitaluhr im Taxi stand. Einem Fünf-Sterne-Hotel hatte man auf einer Prospektzeitschrift die ersten Seiten gewidmet. Sie hofften, dass an dem Slogan „Wir haben immer ein Zimmer frei" auch etwas dran war. Natürlich wurden sie ein bisschen komisch angeschaut, als sie mit zwei Rucksäcken bepackt und nicht den Klimabedingungen angepasst den kleinen Weg über die Straße zu ihrem Hotel „icey clod" herüberhuschten. Als sie die Drehtüren einmal im Kreis geschoben hatten, wurden sie im Hotel mit einem warmen Luftzug willkommen geheißen. Das Hotel wirkte auf den ersten Blick recht elegant. Es war in warmen Rottönen eingerichtet; über die hellgelben Fliesen erstreckte sich ein dunkelroter Teppich, der den weg die Treppe hinauf, zur Rezeption, zum Esssaal und anderen Freizeitbeschäftigungen andeutete. Es machte einen gemütlichen Eindruck. Die beiden Freundinnen gingen zur Rezeption, wo sie schon von einer lächelnden Frau erwartet wurden.
„Ich heiße sie herzlich willkommen im „icey clod". Was wünschen Sie?", begrüßte die Empfangsdame freundlich.
„Wir bräuchten ein Zimmer für zwei Personen", erklärte Lara kurz, denn sie wollte sich nur noch auf ein weiches Bett schmeißen. Die Dame tippte in ihren Computer und holte dann einen Schlüssel aus dem Schrank hinter ihr.
„Leider haben wir nur noch ein Zweibettzimmer, hier bitte", meinte sie und drückte Lara einen Schlüssel für das Zimmer 375 in die Hand. Dann holte die Frau einige Formulare unter dem Tisch hervor. „Wenn sie das bitte schnell ausfüllen würden", bat die Dame und hielt Lara einen Kugelschreiber hin. Nachdem sie die Formulare ausgefüllt und ihren Personalausweis vorgezeigt hatte, fuhren sie in einem der Fahrstühle mit Glastüren in den dritten Stock.
„Es ist komisch...wir saßen eigentlich nur rum und sind trotzdem vom Fliegen völlig fertig...", stellte Samantha fest, nachdem sie sich auf ihr Bett geschmissen hatte.
„Hmm...", nuschelte Lara in ihr Kissen. Auch sie war irgendwie vom Fliegen erschöpft und hatte sich aufs Bett geschmissen.
„Ich gehe duschen", meinte Samantha und richtete sich auf.
„Tu das", murmelte Lara. Sie war nur froh, dass alle Zimmer gut beheizt waren und sie nicht frieren musste. Sie drehte sich auf den Rücken und streckte sich. Kurz sah sie die Decke an und richtete sich auf. Die Archäologin musterte das Zimmer. Die Tapete war dunkelrot wie der Teppich. In der Mitte war eine Bordüre angebracht, die sich durch den Raum zog. Vor ihr befand sich der Kleiderschrank und zu ihrer linken war Samanthas Bett. Die Betten waren weich mit zwei dicken Kissen und einer flauschigen Decke. Alles war in warmen Teracotta-Farben eingerichtet.
‚Damit einem wenigstens das Innenleben warm vorkommt', dachte Lara. Langsam verflog die Erschöpfung. Wahrscheinlich tat ihr Körper das schneller, weil sie schon so viele Abenteuer erlebt hatte. Sie reckte sich (wobei es zweimal knackte).
‚Warum habe ich nicht vorher daran gedacht, dass wir in verschiedene Klimazonen fliegen...? Ach, Lara, du wirst langsam alt', ging es durch den Kopf, wobei sie schmunzeln musste. Nein, mit achtundzwanzig war sie noch nicht alt. Dann kam Samantha aus dem Bad. Sie trug einen der Hotelbademäntel. Ihre nassen Haare lagen auf dem Rücken.
„Ein schönes Bad und die Bademäntel sind auch weich", berichtete sie. Lara grinste.
„Gut, ich werde dann ein Bad nehmen", meinte Lara und ging ebenfalls ins Badezimmer.
Nachdem sich Lara ein entspannendes Bad gegönnt hatte, beschlossen die beiden sich angemessene Kleidung zu kaufen. Bei einem Geschäft, dessen Namen es unmöglich ist auszusprechen, wurden sie fündig und kauften sich dicke Hosen, Pullover und Jacken. Passend dazu ein paar Boots, Schals und Handschuhe. Da es sich in einem Fünf-Sterne-Hotel gehört, feine Kleider zu Abend zu tragen, kauften sie sich gleich vier davon. Mit dicken Jacken und Stiefeln fühlten sie ich auf den schneebedeckten Straßen wohler. Nun wurden ihnen keine sonderliche Beachtung mehr geschenkt wie sie mit vier Einkaufstaschen in den Händen wieder in ihr Hotelzimmer gingen. In dem kleinen Eingangsflur hängten sie ihre Jacken auf und stellten die Boots darunter. Mit Hausschuhen an den Füßen gingen sie wieder in das Zimmer, in dem die Betten standen. Den Kleiderschrank füllten sie mit den eben gekauften Sachen und hingen die Kleider sorgfältig auf vier Kleiderbügel.
„Wir müssen diesen Craig Oktolik ausfindig machen. Schauen wir ins Telefonbuch", schlug Lara vor und ging schon mal in das Zimmer, in dem sich Fernseher, Couch, Telefon und anderer Dekor-Krimskrams befand. In einem der Regale, die mit kitschigen Liebesromanen vollgestopft waren fand sich ein Telefonbuch. In Fairbanks gab es insgesamt zehn Menschen, die den Nachnamen Oktolik hatten. Wohl oder übel mussten sie alle diese Leute anrufen. Lara wählte die erste Nummer. Sie hatte das Telefon so eingestellt, dass Samantha mithören konnte.
„Oktolik?", begann eine weibliche Stimme.
„Guten Tag. Meine Name ist Lara Croft. Kennen Sie zufällig einen Craig Oktolik? Ist er mit Ihnen verwandt?", wollte Lara von ihr wissen.
„Ob ich einen Craig Oktolik kenn? Mit ihm verwandt bin? Das meinen Sie nicht ernst!", kicherte die Dame.
„Warum?", fragte Lara etwas verwirrt.
„Craig Oktolik lebt mit einigen seiner Sippe irgendwo da draußen im Eis. Er lebt auf ganz traditionelle Weise, so wie die Inuit vor hundert Jahren...er und seine Familie meiden das Stadtleben...ein komischer Kauz!", erklärte die gesprächige Frau.
„Wo genau lebt er?"
„Miss, das weiß doch keiner! Halt nur draußen in der Ferne...!"
„Nun gut...danke für ihre Hilfe. Auf Wiedersehen", verabschiedete sie sich kurzerhand und legte auf. „Ob hier alle so klatschbereit sind?", fragte Lara sich und dachte an die englische „High Society", die ständig über die geschmacklosen Hüte und Schuhe anderer gelästert hat.
„Klatsch und Tratsch gibt es überall. Rufen wir lieber die nächste Nummer an", schlug Samantha vor.
„Du hast Recht", stimmte Lara zu und wählte die nächste Nummer.
Sie riefen all die anderen Oktoliks auf der Liste an und alle Oktoliks erzählten ihr das Gleiche wie die erste Oktolik.
„Das ist jetzt die vorletzte Nummer...wenn die auch einen Niete ist, habe ich keine Lust mehr", meinte Lara und tippte die Nummer des neunten Oktolik ein. Es tutete.
„Oktolik?", meldete sich eine männliche Stimme.
„Guten Tag. Ich bin Lara Croft und würde gerne wissen, ob Sie einen gewissen Craig Oktolik kennen?", leierte sie die Floskel zum neunten Mal herunter. Er schwieg. „Ähm...hallo?"
„Ich bin noch da...", bestätigte er.
„Kennen Sie ihn nun?"
„Ja...mein älterer Bruder", antwortete er zaghaft. Lara und Samantha spitzten die Ohren.
„Uns wurde gesagt, seine gesamte Familie sei irgendwo draußen", widersprach Lara.
„Wie sie sehen ist dem nicht so", erwiderte er. „Was wollen Sie?"
„Es..." Lara sah kurz aus dem Fenster. Niemand sah herein. „...geht um ein Familiengeheimnis", flüsterte Lara.
„Sie meinen...?"
„Ja."
„Treffen wir uns morgen"
Die beiden freuten sich.
„Wo?", wollte Lara wissen.
„56 Greenstreet. Kommen Sie morgen so früh wie möglich", bat er. Samantha hatte mitgeschrieben.
„Ich werde mit einer Freundin kommen", meinte Lara noch.
„Gut. Auf Wiederhören."
„Auf Wiederhören." Lara legte auf. „Ja!", freute sie sich und fiel Samantha um den Hals.
„Super. Endlich eine erste Spur!"
