Kapitel 26 – Nummer vier
„Wir sind bald da!", sagte Rachel voraus. Insgesamt waren es nun vierzehn Leute, die mit von Huskys gezogenen Schlitten durch den Schnee sausten. Rachel hatte ihnen erklärt, dass die gesuchten Oktoliks waren und dass ihr Familienoberhaupt tatsächlich Craig hieß. Rachel wusste wie alle anderen in der Familie von der Pyramide und verstand die Situation.
In der Ferne erkannte man schon eine kleine Siedlung, in der viele Inuit lebten. Rachel wies die Hunde an zu halten und machte den beiden Engländerinnen deutlich ihr zu folgen. Mit schnellem Schritt gingen sie auf ein großes Zelt zu, welches das größte in der Siedlung zu seien schien.
„Nichts für Ungut, Sam, aber…", begann Lara.
„Ich versteh schon. Bis gleich!", antwortete Samantha. Zu zweit betraten sie das große Zelt. In der Mitte des Zeltes saß auf einer Wolldecke ein Mann.
„Das hier ist eine aus den Familien, Vater! Es geht um die Pyramide des Horus", sprudelte es aus Rachel heraus. Der Mann drehte sich um, musterte seine Tochter und dann die Fremde.
„Gut, Rachel. Geh bitte", antwortete er. Rachel befolgte den Befehl und lächelte Lara beim Verlassen des Zeltes zu. Der Mann stand auf. Lara ging auf den Mann zu.
„Ich bin Craig Oktolik, aber das dürfte ihnen nicht neu sein, oder?", wollte er mit sanfter Stimme wissen. „Sie sind also ebenfalls aus einer der Familien?"
Lara nickte.
„Wir haben nicht viel Zeit. Die Feinde werden nicht lange auf sich warten lassen. Bitte geben Sie uns nun das vierte Stück", bat Lara.
„Soso, es ist also schon das vierte?", vergewisserte er sich geduldig. Lara nickte „Zeigen Sie mir, dass Sie eine derer sind", forderte er sie auf. Lara verstand, öffnete ihre Jacke und zeigte ihren Oberarm. Craig Oktolik lächelte matt und holte aus einer Truhe eine kleine Schatulle. Sie war aus Gold und mit Hieroglyphen verziert. Diese hielt er den Lara hin und öffnete sie. Drinnen lag auf dunkelblauem Stoff ein goldenes Prisma, ebenfalls mit Hieroglyphen verziert. Lara zog ihre Handschuhe aus und nahm das Goldstück behutsam in ihre Hände.
‚Nummer vier…Sean, ich komme dem Ziel immer näher', dachte sie froh und begutachtete das vierte Stück der Pyramide des Horus.
„Vielen Dank, Craig Oktolik, vielen Dank!", meinte sie glücklich.
„Sagen Sie, wer sind die Feinde?", wollte er wissen. Laras Blick wurde ernster.
„Eine Frau namens Mariah Powell. Sie setzt alles daran, die Pyramide zu bekommen und schreckt vor nichts zurück", antwortete Lara mit schneidender Stimme.
„Eine Herausforderung?", fragte er.
„Ja, sie ist sehr stark."
„Was ist, wenn sie alle Stücke gefunden haben?"
„Um ehrlich zu sein…ich weiß es nicht genau. Aber ich werde ihr das Schlachtfeld nicht kampflos überlassen. Ich glaube, dass die Familien damals mit Grund ausgewählt wurden, nämlich weil man unseren Vorfahren viel zutraute. Ich werde beweisen, dass diese Eigenschaft nicht verloren gegangen ist und immer noch etwas Blut unserer Vorfahren in uns steckt", beendete sie ihre kühne Rede.
„Sie scheinen viel Mut zu besitzen", gestand er ihr ein.
„Na ja, manche sagen, ich sei nur zu dumm, um Angst zu haben", antwortete sie und schmunzelte über ihre filmreifen Worte.
„Ich traue es Ihnen zu, dass Sie mit dem Schatz richtig umgehen."
„Vielen Dank."
Craig Oktolik wies Lara einen Teppich an der Wand, auf den ägyptische Hieroglyphen gestickt waren. Die Archäologin trat näher. Nun würde sie den Ort sehen, an dem das letzte Stück der Pyramide versteckt war. Wieder konnte sie die Schriftzeichen lesen, als wären sie in der heutigen Schrift notiert. Sie atmete tief ein und begann:
„Bei Horus, dem Gotte in Falkengestalt, schwören wir, dass wir den Schlüssel zu der Macht, die Osiris Merit besaß, auf ewig mit unserem Leben beschützen werden, um jene, die Macht begehren zu hindern daran, dass eine Katastrophe ausbricht und wieder ein Pharao herrscht, der nur Rache sucht, um den Durst zu stillen, der durch Ungerechtigkeit entfacht wurde. Wir schwören in alle Himmelsrichtungen zu ziehen, um zu verstecken, was Machthungrige suchen, um ihnen den Gang zur Macht zu erschweren, und je einen Teil des Schatzes zu bewahren, soll in jeder Generation mindestens einer wissen, was seine Familie besitzt, um das Zeichen des Horus zu tragen und den Schatz bewahren. Sollte es doch Verrückten gelingen, die fünf Teile der Macht zusammenzusetzen, die Familien zu überlisten, die Schätze zu stehlen, den heiligen Tempel zu finden und deren Wachen zu töten, kann die Menschheit nur hoffen, dass einer dem Einhalt gebietet, der von den Priestern des Horus Kraft erhalten wird, denn wenn nicht, wird eine Katastrophe ausbrechen, ein neuer Pharao wird regieren, nur um seinen Durst zu stillen, vielleicht sogar, um zu vernichten, unsere Welt..."
Wieder begann die Vision. Sie sah ein Gebirge, ein schmales Land mit für sie bekannte Umrisse. Endlich konnte sie wieder klar sehen.
„Wissen Sie nun, wo sie das letzte Stück zu suchen haben?", wollte Oktolik sanft wissen.
„Ja." Lara nickte. „Ich glaube schon." Sie legte das vierte Stück behutsam in eine Innentasche ihrer Jacke. „Nochmals vielen Dank, Craig Oktolik."
„Passen Sie auf sich und den Schatz auf."
„Das werde ich", versprach Lara, zog ihre Handschuhe wieder an, verließ das Zelt, wobei sie Craig Oktolik ein letztes Mal ansah und ihn siegessicher anlächelte. Draußen wartete geduldig Samantha. Die Archäologin zeigte ihr das goldene Prisma.
„Du hast es geschafft, super. Was ist das nächste Ziel?", wollte Samantha begeistert wissen.
„Chile", antwortete Lara. „Um genau zu sein, die hohen Anden."
