Kapitel 3

Die Tage vergingen schleppend. So unendlich schleppend. Langsam. Träge. Die kleine Uhr an der Wand schien beinahe rückwärts zu gehen. Er hatte nichts zu tun. Nichts, um sich abzulenken. War nur mit sich allein und seinen Gedanken. Schlechten Erinnerungen. Andere hatte er sowieso nicht. Schuldgefühle. Immer wieder tauchte Lucius' geschockter Blick vor seinen Augen auf. Der Moment, in dem er ihn entwaffnet und all die Freundschaft, die sie mühselig aufgebaut hatten, in einer Tat vernichtet hatte. Er schaute aus dem Fenster. Der Ausblick bot auch keinerlei Abwechslung. Gab nur den Blick auf einen Innenhof frei, der genauso trostlos aussah wie der Rest des Hauses. Ein Baum stand da und darunter eine Bank. Eine der Holzplanken war bereits kaputt. Keiner ging nach draußen, um sich darauf zu setzen.

Black hatte sich einen letzten Hieb erlaubt – dieses Mal metaphorisch – und ganz eindeutig selbst das schmale Bücherregal bestückt. Alle waren entweder über Quidditch oder Haarpflege. Das war fast nichts im Vergleich zu den üblichen „Scherzen", welche er von den Rumtreibern hatte ertragen müssen, doch in diesem Moment fühlte es sich vernichtend an. Am dritten Tag hätte er vor Frustration heulen können. Hier zu sitzen, nichts tun zu können, seine ganze Zukunft ungewiss vor sich zu sehen wie ein einzelner schwarzer Schlund…Die einzigen Highlights, welche die letzten Tage bereit hielten, waren einerseits das Essen, was pünktlich sieben, zwölf und neunzehn Uhr zu ihm gebracht wurde von einem grimmigen Hauself, der ihm nur einen verächtlichen Blick zuwarf, das Essen abstellte und direkt wieder verschwand, und andererseits ein Koffer, der am Morgen des fünften Tages auftauchte. Darauf lag ein Zettel und als Snape ihn auseinander faltete, erkannte er Dumbledores Schrift.

„Sehr geehrter Mister Snape,

leider konnten wir keine ihrer Habseligkeiten einsammeln. Ihr Haus wurde vollkommen zerstört vorgefunden, mit einer Warnung, die ganz eindeutig von Voldemort kommt und die ich nicht wiederholen werde, da sie sie nicht von Belang ist. Die Zerstörung Ihres Eigentums tut mir wirklich sehr leid. Es ließ sich nichts aus dem Schutt des Hauses bergen, außer einem einzigen Buch, das ich Ihnen beigelegt habe. Deswegen habe ich es mir erlaubt, selbst einige Artikel für Sie zusammen zu tragen. Ich werde bald nach Grimmauld Platz zurückkehren. Ich hoffe, dass Sie sich bis dahin ein wenig ausruhen und Ihre Gedanken ordnen können. Wir sprechen uns dann wieder.

Mit freundlichen Grüßen

Albus Dumbledore"

Der Koffer enthielt die grundlegendsten Sachen. Unterwäsche, Socken, glücklicherweise einfache schwarze Roben, eine Waschtasche mit Hygieneartikeln und das Buch. Vorsichtig nahm Snape es in die Hand. Es war ein Zaubertrankbuch. Eines, das seine Mutter ihm gegeben hatte, als er fünfzehn war. Ein relativ simples mit Rezepten für einfache Haushaltstränke. Die rechte obere Ecke war etwas angekohlt, doch sonst schien das Buch nichts abbekommen zu haben. Er atmete erleichtert auf, als er sah, dass die Widmung im Einband unversehrt war.

Für Sev,

Der Kessel sollte immer brodeln, doch zu viel Hitze verdirbt den Trank.

Ich weiß, dass du jetzt schon der begnadetste Brauer bist, den England je gesehen hat.

Alles Liebe

Mum

Er wusste, dass auch seine Mutter die Braukunst geliebt hatte. Sehnsüchtig hatte sie auf seine Bücher geblickt, die er von Hogwarts mitgenommen hatte. Begeistert hatte sie seine gebrauten Tränke begutachtet. Doch tatsächlich Brauen durfte sie nie. Tobias hatte es nicht erlaubt.

Niemand sah ihn. Er erlaubte sich eine einzelne Träne, die heiß seine Wange hinunter lief. Seine Augen brannten und sein Hals war wie zugeschnürt. All seine harte Arbeit. Seine gesammelten, wertvollen Bücher – das einzig teure, was er sich in seinem Leben jemals erlaubt hatte. Seine Notizen. Seine Tränke. Die heißgeliebte Brosche seiner Mutter. Fort.

Das Buch glitt ihm aus den Händen und er legte sich auf das Bett. Die Sachen aus dem Koffer lagen verstreut auf dem Boden, doch wen interessierte es schon? Es gab eh niemanden hier. Niemanden außer ihm. Und ihm könnte es nicht egaler sein. Die Stunden zogen vorüber. Und er starrte auf die Decke. Dachte an seine Mutter und war froh, dass sie wenigstens nicht unter seinen Entscheidungen zu leiden hatte. Und starrte weiter auf die Decke. Bis seine gesamte Existenz vereinnahmt war von dem dreckigen Gelb des Raumes. Bis es ihn in seine unruhigen Träume begleitete und ihm beim Aufwachen entgegen stach und er immer noch liegen blieb. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er stand auf und nahm die wackelige Lampe vom Schreibtisch und schmiss sie gegen die Wand. Sah zufrieden zu, wie der Schirm zerschellte und dutzende Scherben sich auf dem Boden ergossen. Der Lärm war nicht zu überhören. Er stand erwartungsvoll da. Wartete darauf, dass Black durch die Tür stürmte, ihn wieder schlug und ihn fragte, was zur Hölle er in seinem Haus anstellte.

Doch nichts geschah.

Snape hätte schreien können vor Wut und Verzweiflung. Dumbledore hatte ihn hier abgesetzt wie ein unerwünschtes Kind und nun war er verloren und vergessen.

Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, hob er ein Kleidungsstück vom Boden auf, riss schonungslos eine Tür des Holzschrankes auf, den er bis jetzt ignoriert hatte, und warf es ziellos hinein. Erneut hob er eins auf. Wieder wurde es in den Schrank geworfen.

Snape strauchelte zurück.

Eine Gestalt trat aus dem Schrank.

Eine viel zu bekannte Gestalt. Die letzte Person, die Snape sehen wollte. Was?! Wie. NEIN.

„Severus." Ein kaltes Lächeln erschien auf den Lippen seines Meisters. „Ich habe nicht erwartet, dass wir uns nach dem letzten Treffen unter solchen Umständen wiedersehen."

Angst – ungehemmte, reine Angst – ließ seine Beine weich werden und er sank hilflos auf die Knie. „Mei- Mein Lord", keuchte er. Wie kam der Dunkle Lord in das sichere Haus des Ordens?! Eine dünne, schlanke Hand legte sich um sein Kinn und zwang seinen angsterfüllten Blick auf das Antlitz des Mannes, den er verraten hatte.

„Oh Severus…" Beinahe schon sanft hauchte er diese Worte. „Du dachtest doch nicht wirklich, dass du an irgendeinem Ort dieser Welt sicher vor mir bist?" Sein kaltes Lachen drang durch Snape hindurch bis auf seine Knochen. Ließ ihn erschaudern. Hallte von den Wänden wieder.

Snape wusste, dass er etwas sagen sollte. Er war wortgewandt. Etwas, das sein Meister immer an ihm geschätzt hatte. Er sollte sich erklären. Sollte sagen, dass er nicht wusste, was in ihn gefahren war. Sollte um Vergebung betteln. Doch er bekam kein einziges Wort heraus. Würgte fast schon, als er doch versuchte, seiner Kehle einen Laut zu entlocken.

Ein einzelner Finger fuhr seine Wange entlang, über seine Stirn und nach hinten, um schmerzhaft seine Haare zu umschließen und seinen Kopf nach hinten zu zwingen. „Die Frage ist, was ich nun mit dir anstelle. Eine solche Tat verlangt nach angemessener Bestrafung. Wie ich sehe, ist dein Aufenthalt beim Orden nicht sehr angenehm. Vielleicht sollte ich dich hier lassen. Sie vergessen lassen, dass du existiert. Dich hier verrotten und langsam in den Wahnsinn abdriften lassen. Ich glaube, das würde mir gefallen." Snape wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Blieb stumm. „Mhm…keine Einwände? Dann ist es beschlossen. Doch vorher…" Plötzlich löste sich der Griff in seinem Haar. Er versuchte, sich aufzurappeln, wandte rasch den Blick nach vorn, doch bevor er etwas sagen, etwas tun konnte, traf ihn eine harte Faust im Gesicht. Schmerz blühte in seinem Kopf auf. Ließ ihm schwummrig vor Augen werden. Aber nicht bevor er einen kurzen Blick auf die Person vor sich erhaschen konnte. Voldemort war verschwunden. An seiner Stelle stand Tobias Snape und starrte mit diesem allzu bekannten hasserfüllten Blick auf ihn.

Ein Irrwicht, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Diese war allerdings nur kurz zu hören, bevor Furcht wieder seine Sinne vereinnahmte. Verzweifelt kroch er weg, suchte sich panisch um, mit dröhnendem Kopf und doppelter Sicht, doch es war sowieso nichts hier, was ihm helfen konnte. Dumbledore hatte seinen Stab. Und genügend Kraft, um stablos einen Irrwicht zu bekämpfen, hatte er ganz sicher nicht. Er strauchelte zurück. Fiel gegen die Tür.

„Du verdammter, nichtsnutziger Bastard!", schnaufte Tobias. Dem Irrwicht und seiner Angst schien es absolut egal zu sein, dass mit dieser Manifestation ein Geist vor ihm stand. Auch das Eis, das sich in seinem Inneren aufzubauen schien, ignorierte den Bruch der Realität. Breitete sich aus, ließ ihn zittern und japsen und taub werden und gleichzeitig alles so viel intensiver wahrnehmen. Die geröteten Wangen seines Vaters, die sonst auf dutzende leere, zerbrochene Flaschen irgendwo schließen ließen. Das dumpfe Pochen der schweren Schuhe, die über den Holzboden schritten. Den harten Arbeiter-Dialekt in der Stimme seines Vaters, der sein eigenes erstes Schuljahr auf Hogwarts noch schlimmer gemacht und bei dem er so hart gekämpft hatte, ihn abzulegen. „Ich habe dir doch gesagt, dass du irgendwann allein in einem Loch enden wirst. Du bist gut für nichts. Deine Mutter hast du ins Grab gebracht." Snape schloss verzweifelt die Augen, presste sich die Hände über die Ohren, doch es half nichts. „Wenn sie dich jetzt sehen könnte…sie wäre enttäuscht. Sie würde bereuen, dich jemals auf die Welt gesetzt zu haben. Und dieses Mädchen, diese Lily, die hat erkannt, dass man mit dir nichts anfangen kann. Hat dich fallen gelassen, wie du es verdient hast." Snape wich zurück. Wollte fliehen fliehen fliehen...Doch Albträume hatten keine Ausgangstür. Und auch die Tür seines Zimmers war verschlossen. Verzweifelt schlug er gegen sie. Hämmerte so hart dagegen, dass seine Hände schmerzten. Und immer noch kam ihm kein Laut über die Lippen. Wen sollte er rufen? Dumbledore, der sich nicht einmal im Haus befand? Black, der ihm den Irrwicht sicherlich überhaupt erst im Zimmer gelassen hatte und ihn verabscheute?

Voller Angst und Furcht und der letzten schwindenden Kraft trommelte er trotzdem weiter gegen das langsam splitternde Holz. „Das ist nutzlos, Severus. Sieh das ein." Und dann hörte er etwas, das ihn innehalten ließ. Das Geräusch eines Gürtels, das aus dem Hosenbund gezogen wurde. Er würde es überall erkennen. Er war zurückversetzt. Acht war er. Und neun und zehn und elf und – dann kam Hogwarts. Doch davor. Jeder Fehler. Jeder noch so kleine Fehler. Und nicht mal die Fehler – auch nur kleine Verhaltensweisen oder Aussagen, die seinen Vater genervt hatten. Sie hatten alle zu demselben Ergebnis geführt. Er kauernd in einer Ecke. Sein Vater mit dem Gürtel in seiner Hand. Härtere Schläge, wenn er sich wehrte. Er drehte sich nicht um. Schlug nur noch härter gegen das Holz. Und fiel schmerzerfüllt und schluchzend zu Boden, als der erste Schlag seinen Rücken traf. Er hatte es fast schon wieder vergessen. Wie seine Haut sich anfühlte, als würde sie aufplatzen, da wo das Leder ihn traf. Er hatte seine Roben an, doch genauso gut hätte er nackt sein können. Die Pain war durchdringend und rasend, einnehmend…Ein zweiter Schlag. Ein dritter. Er krümmte sich zusammen. Betete, dass es bald aufhören würde. Ein vierter. Ein fünfter. Seine Lungen brannten. Er war nicht mehr in der Lage, Luft zu holen. Das einzige, zu dem sich seine Welt zusammenzog, waren die Schmerzen. Ein sechster. Ein siebter. Vage hörte er ein dumpfes Klicken, bevor ihm komplett schwarz vor Augen wurde und er voller Erleichterung in Ohnmacht fiel.

Als er zu sich kam, war sein Kopf wie leergefegt. Bis sich langsam Fragen formten. War er in der Hölle? War er immer noch in Blacks Haus eingesperrt? War das nicht auch irgendwie seine persönliche Hölle? Er fragte sich, ob Black Anweisungen von Dumbledore hatte, ihn nicht sterben zu lassen.

Sein Mund fühlte sich trocken an und sein Kopf war voller Watte. Gedanken formten sich nur träge. Wie große, schwere Blasen schwebten sie an die Oberfläche seines Bewusstseins. Durchbrachen die ruhige Oberfläche. Die Augen zu öffnen schien ihm wie die schwerste Aufgabe der Welt.

Er schaffte es trotzdem irgendwie. Enttäuschung lag bitter auf seiner Zunge. Das hässliche Gelb der Decke erwartete ihn. Er war nicht tot.

„Severus!" Oh nein. „Du bist wach! Wie geht es dir?" Die Wut, die in seinem Inneren hochkochte, überraschte sogar ihn. Sie verlieh ihm genügend Kraft, um sich zittrig aufzusetzen. „Wie-" Bei Merlin, war das seine Stimme, die klang wie Schmirgelpapier? „Wie es mir geht?! Ganz hervorragend nach dieser Runde Höllenfolter. Herzlichen Glückwunsch, Lupin. Auf so etwas Perfides ist bis jetzt nicht einmal der Dunkle Lord gekommen. Schließt den Todesser einfach mit einem Irrwicht ein und seht zu, wie er sich einpisst vor Angst. Wie er schreit und bettelt in dem Loch in dem ihr-" Er holte rasselnd Luft. Seine Brustkorb fühlte sich an, als würde er gleich zerspringen. Der Raum fing an sich zu drehen. „Bitte Severus, beruhige dich!" Ein kühles Glas wurde ihm an die Lippen gehalten und gierig trank er. Ausgedörrt fühlte er sich an. Er trank zu schnell und Wasser rann seine Wangen hinab. Er ignorierte es. Versuchte auch die Person neben sich zu ignorieren, obwohl Hass seinen Magen zuschnürte.

Schließlich war das Glas leer und wurde ihm wieder entrissen. Sein rasendes Herz wurde ruhiger und der Raum stabilisierte sich. Lupin saß auf einem Stuhl neben seinem Bett und sah ihn mit einem Blick an, den Snape fast schon als besorgt interpretiert hätte. Was natürlich lachhaft war.

„Es tut mir wirklich leid, Severus." Das waren die letzten Worte, die Snape jemals aus dem Mund des Mannes erwartet hätte. Oh wie sehr er sich in seiner Jugend gewünscht hätte, sie auch nur einmal von seinen Peinigern zu hören. Doch jetzt fühlten sie sich schal und unbedeutend an. Er sank zurück in das Kissen. Zog die Bettdecke nach oben. Kontemplierte, ob er sie über den Kopf ziehen sollte wie ein schmollender Fünfjähriger – sein Stolz war in diesem Moment eine unerhebliche Sache. Lupin redete weiter. Mit dieser ruhigen, besorgten Stimme für die Snape ihn am liebsten erwürgen würde. Snape ließ die Worte über ihn spülen, ohne auf sie zu reagieren.

„Wir wussten nicht, dass ein Irrwicht in dem Raum ist. Sirius hatte Kreacher angewiesen den Raum fertig zu machen und Kreacher…nun, er ist nicht gerade der kooperativste Hauself und hat wohl eine andere Definition von „fertig machen". Hätten wir das geahnt – wir hätten dich niemals hier gelassen. So sind wir nicht."

Snape wusste nicht, ob er ihm glauben sollte oder nicht. Ihm war gerade sowieso alles egal. Er bemerkte, dass Lupin sich nicht dafür entschuldigte, ihn allein und isoliert in diesem Zimmer zurückgelassen zu haben.

Er blieb reglos und stumm liegen, bis Lupin aufgab und ihn allein ließ. Wie zuvor.

…..

Irgendwann öffnete sich zum zweiten Mal die Tür.

„Sev?"

„Verschwinde." Er überraschte sich selbst damit, wie kalt er klang. Er überraschte sich selbst damit, wie schnell er sie fortjagen wollte, während jede Zelle seines Körpers aufatmete, als er ihre Stimme hörte. Während sein Körper sich zu ihr drehte, sich nach ihr sehnte, als wäre er ein ausgedörrter Baum und sie die Sonne.

„Sev, bitte. Ich möchte nur mit dir reden." Bei Merlin, wann hatte sie ihn zuletzt so genannt?

Er lachte. Er wusste selbst nicht wieso. Das Lachen bekam eine hysterische Note. „So einfach ist das. Ich muss nur mein gesamtes Leben für dich wegschmeißen und in der Gefangenschaft des Ordens dahinvegetieren, damit die große Lily Evans sich dazu herablässt, mit mir zu reden." Er setzte sich schwer atmend auf. „Entschuldigung, es ist ja jetzt Lily Potter."

Zu seiner Überraschung standen Tränen in ihren Augen. Immer noch schmerzte es ihn, sie weinen zu sehen. Erbärmlich.

„Bitte, wir hatten wirklich keine Ahnung, dass ein Irrwicht in dem Schrank ist. Sirius hatte nichts-"

Schmerz durchfuhr seine Brust. Ließ sein Herz in tausend Teile zerspringen wie zuvor den Lampenschirm. Er hätte es wissen müssen. Er war ein verdammter Idiot, dass er auch nur kurz die Hoffnung gehegt hatte, dass sie wegen ihm hier war. Ihn mit diesem vertrauten Namen ansprach und sehen wollte, wie es ihm ging.

„Natürlich." Seine Stimme war getränkt in Verbitterung. „Black. Du bist hier wegen deinen heiß geliebten Rumtreibern. Sie können ja nie etwas falsch machen. Ich rette das Leben deines Mannes und du dankst mir nicht einmal. Aber sobald ich beinahe draufgehe, wegen eines verdammten Irrwichts und du annimmst, dass ich Black die Schuld gebe, stehst du hier und brichst dein Schweigen, um ihn zu verteidigen."

„Severus, ich-" „Nein. Ich bin es leid. Ich bin diese gesamte Scheiße so leid. Verschwinde. Verschwinde einfach und lass mich hier versauern. Damit hattest du doch die letzten Jahre auch keine Probleme."

Nun wurde Lily wütend. „Ich habe dich versauern lassen? Du hast dich den Todessern angeschlossen! Einer Gruppe, die Muggelgeborene wie mich tot sehen will! Und da soll ich einfach weiter mit dir plaudern, als wäre nichts? Als ob deine Freunde nicht meine gesamte Existenz verachten würden? "

Sie verstand es nicht. Verstand nicht, dass er alles für sie getan hätte. Hätte sie nur etwas gesagt, hätte sie sich für ihn entschieden. Verstand nicht, dass sie ihn aufgegeben hatte, bevor er verloren war. Dass er die einzige Wahl ergriffen hatte, die ihm noch geblieben war, nachdem jede andere Wahl ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, was sie von ihm hielt. Wenn das Licht einen verbrannte, zog man sich in die Dunkelheit zurück.

Er hätte sich am liebsten von ihr abgewandt. Sie ignoriert, wie er es bei Lupin getan hatte. Doch er konnte genauso wenig die Augen von ihr abwenden, wie er aufhören konnte zu atmen.

„Nun, dann haben wir uns wohl ähnliche Freunde gesucht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass deine Freunde meine Existenz sonderlich mochten." Sein Ton war schneidend. Und wie von einem Messer geschnitten, zuckte Lily auch zusammen. „Nein." Sie senkte den Blick. „Nein, da hast du recht. Ich…" Sie wurde leiser. „Ich bin dir umso dankbarer, dass du James trotzdem gerettet hast."

Snape schnaubte. „Ich habe es nicht für ihn getan."

Auf ihren Lippen tauchte ein schmales, trauriges Lächeln auf und ein Stechen durchfuhr sein verräterisches Herz. Sein verdammtes, verschrumpeltes, nutzloses Herz.

„Für wen hast du es dann getan?"

Snape atmete schwerer. Fühlte wie seine Wangen brannten und Wut und Scham und Hass und alles andere in ihm rangen. Sie beide zuckten zusammen, als ein Ausbruch seiner Magie die Bücher vom Regal zu seiner Linken fegte. „Soll ich es wirklich sagen? Bist du so grausam es mich aussprechen zu lassen?" Sein Ton war leise, doch angestrengt. Er atmete schwer. Wünschte sich so sehr, dass sie ihre Augen von ihm nehmen würde. Ihm wenigstens dieses Stück Würde ließ. Sie wich einen Schritt zurück, erfüllte ihm jedoch nicht den Wunsch. „Nein – ich. Es tut mir leid. James hat mir davon erzählt. Also von deinem Patronus. Ich- Sev. Es tut mir so leid."

Snape schnaubte. „Es tut dir leid." Er lachte freudlos auf. „Was natürlich alles besser macht – nicht! Komm nicht näher!" Abwehrend hob er eine Hand. Die zitterte.

Lily blieb unsicher einen Schritt vor seinem Bett stehen. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster und entflammte ihre Haare. Ließ einen zarten Streifen auf ihrem Gesicht entstehen, der ihre Sommersprossen hervorhob und ihre Haut beinahe zum Leuchten brachte. Wenn er jetzt die Hand hob und sie sachte an ihre Wange legen würde…würde er zu Asche zerfallen? Hatte er überhaupt das Recht darauf, sie so zu sehen? Nie waren ihm die Unterschiede zwischen ihnen so deutlich gewesen wie jetzt. Sie auf der einen Seite, der Inbegriff des blühenden Lebens, die wackere Kämpferin des Ordens, und er auf der anderen Seite…gebrochen. Ein Verräter.

Müde ließ er sich zurück ins Bett fallen.

Zögernd ging Lily zum Stuhl, auf dem zuvor noch Lupin gesessen hatte. Bevor er sie aufhalten konnte, hatte sie ihren Zauberstab gezückt und einen schnellen Diagnostik-Zauber gesprochen. „Godric sei Dank, dir geht es besser", sagte sie und in seinem Magen breitete sich ein warmes Gefühl aus bei der Erleichterung in ihrer Stimme. „Ich habe mir so Sorgen gemacht, als Kingsley zu uns gestürmt ist und uns gesagt hat, dass du von einem Irrwicht angegriffen wurdest. Ich habe auch noch nie erlebt, dass ein Irrwicht so brutal geworden ist."

Snape sagte nichts. Wartete darauf, dass sie ihn auf das Offensichtliche ansprach. Was Lily bemerkte. Ein dünnes Lächeln erschien. „Keine Sorge. Kingsley hat niemandem erzählt, was er gesehen hat, als er in dein Zimmer gegangen ist, um dir zu helfen. Auch wenn Sirius ihn ganz schön genervt hat." Was? Konnte wirklich irgendein Gott Mitleid mit ihm zeigen? Oder, in diesem Fall, ein einfacher Zauberer. Er zog die Augenbrauen zusammen. „Wer ist dieser Kingsley?"

„Er ist auch Mitglied des Ordens. Ein Auror. Und ein verdammt guter noch dazu. Er hat den Irrwicht in null Komma nichts ausgeschaltet."

Pff, der Irrwicht hätte Snape auch keine Probleme bereitet– hätte er seinen verdammten Stab gehabt! Ganz sicher…Er dachte an das Gesicht seines Meisters, das der Irrwicht angenommen hatte. Die sichere Erkenntnis, die in ihm aufgeblüht war, dass er sterben würde.

„Ich bin müde.", meinte er schließlich. Lily verstand die Aufforderung und stand tatsächlich auf. „Ich werde später noch einmal kommen und nach dir sehen.", sagte sie. Für einen kurzen Moment sahen sie sich an und Snape sah die vielen unausgesprochenen Worte zwischen sich. Ließ sie vorüber ziehen. Schloss die Augen.

Lily ging.

Als er das nächste Mal aufwachte, fühlte er sich wesentlich besser. Auch die Depression, die sich in den letzten Tagen über ihn gelegt hatte, schien ein wenig gewichen zu sein, denn er überlegte tatsächlich, ob er aufstehen sollte. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob das Gespräch mit einer gewissen rothaarigen Hexe etwas mit seinem verbesserten Zustand zu tun hatte.

Er sah sich im Zimmer um und Hass stieg in ihm auf, als er die alten Möbel betrachtete. Er war es leid hier zu sein. Zu versauern. In Selbstmitleid zu versinken.

Also stand er auf und ging ins Bad, um sich Wasser in die Wanne einzulassen. Ein Seufzen entwich ihm, als er sich in dessen Wärme sinken ließ. Er erlaubte sich eine Weile lang nur dazuliegen. Das Gefühl der Schwerelosigkeit zu genießen. Es war nicht perfekt – die Wanne war zu klein für seinen schlaksigen Körper und seine spitzen Knochen stießen gegen die weiße Keramik. Dennoch war es eine Wohltat.

Als er schließlich aus der Wanne stieg, war seine Haut schon schrumpelig, doch sein Kopf schien klarer zu sein. Einen Föhn gab es natürlich nicht in diesem magischen Haus, also ging er mit nassen Haaren zum Schrank, um sich Klamotten herauszusuchen. Als er eine frische, einfache Robe überzog, da überkam ihn fast schon ein Gefühl der Zufriedenheit. Und da er es plötzlich nicht ertragen konnte, einen weiteren Tag in dieser verdammten Kammer zu verbringen, ging er zur Tür und versuchte, sie zu öffnen. Zu seiner Überraschung ging sie ohne Probleme auf. Er trat in den Flur. Und hatte absolut keine Ahnung, wo er hingehen sollte.

Er hörte Stimmen und beschloss, sich nach ihnen zu richten. Die alten Treppenstufen knarzten unter seinen Füßen, als er zum ersten Stock hinunterging und sich einem Raum näherte, aus dessen leicht geöffneter Tür Licht drang. Zögernd blieb er stehen. Sollte er einfach hineingehen? Oder sie belauschen? Vielleicht konnte er Informationen zusammentragen? Sie sammeln und sie seinem Meister bringen? Ihn damit um Vergebung anbetteln? Wenn er es schaffen würde, von hier zu fliehen…

Er presste die Lippen zusammen. Der Dunkle Lord würde ihm niemals vertrauen. Nicht nachdem Malfoy ihm sicherlich von allem erzählt hatte – vor allem vom Grund seines Handelns. Der Dunkle Lord hasste Schwäche.

Harsch riss er die Tür auf und trat in den Raum. Und blieb stehen.

Eine Bibliothek. Die Black Bibliothek. Heiliger Salazar! Tausende Bücher drängten sich auf den dunklen Eichenholzregalen. Raschelten. Wisperten. Riefen. Die Dunkle Magie, die sich hier versammelte umschmiegte ihn. Zog ihn zu den Pergamentseiten und dem Wissen, das sich hier versammelte. Ob Black überhaupt wusste, was für einen Schatz er da in seinen nutzlosen Händen hielt? Wahrscheinlich nicht. Die Welt war so unfair.

Bei seinem Eintreten, drehten sich drei Köpfe zu ihm um. Neben Black befanden sich noch eine Frau und ein Mann in der Bibliothek, die er nicht kannte. Die Frau saß auf einem Sessel, spielte lässig mit ihrem Stab und hatte die Beine überkreuzt. Sie trug eine moderne Kurzhaarfrisur und hatte blutrot gefärbte Nägel, die so lang waren, dass Snape sich fragte, ob sie damit jemanden erstechen könnte. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, fesselte der Mann neben ihr seine Aufmerksamkeit. Er war groß, vielleicht sogar so groß wie Snape. Seine Haut war dunkel, was die gelbe Farbe seiner Robe noch mehr leuchten ließ. Außer Dumbledore hatte er noch nie jemanden getroffen, der genauso außergewöhnliche Roben trug. Doch wo sie Dumbledore wie einen verrückten alten Mann aussehen ließen, da verliehen sie diesem Mann eine erhabene Aura. Wie ein Juwel unter Kohlen wirkte er. Gerade umgeben von den dunklen Büchern und umhüllt vom Schein des flackernden Kaminfeuers. In seinem Ohr funkelte ein einzelner goldener Ohrring. Sein kahler Kopf spiegelte das Feuerspiel. Dunkle, intelligent wirkende Augen ruhten auf Snape.

„Schniefelus", begrüßte ihn Black genervt. Allerdings machte er keine Anstalten ihn aus der Bibliothek zu werfen. Dumbledore schien tatsächlich angeordnet zu haben, Snape nicht mehr in seinem Zimmer einzusperren. „Ich hatte schon gehofft, dein hässliches Gesicht hier unten nicht mehr sehen zu müssen."

„Black, es wundert mich dich hier anzutreffen. Ich dachte nicht, dass du lesen kannst." Die Worte brachen aus ihm heraus, bevor er sie aufhalten konnte. Der fremde Mann, legte Sirius eine Hand auf die Brust, als dieser dann doch aufgebracht Anstalten machte, sich auf Snape zu stürmen. Die Frau betrachtete ihn misstrauisch. „Das ist er? Der Todesser?" Sie ließ den Blick über ihn fahren und Snape ballte die Hände zu Fäusten. „Er sieht nicht aus, als ob er eigenhändig Malfoy und ein paar seiner Lakaien ausschalten kann." Snape lächelte kalt, zeigte seine Zähne. „Ihr hingegen seht genauso aus, wie ich mir Mitglieder von Dumbledores Orden des zerrupften Huhns vorgestellt habe." Black und die Frau sahen nicht amüsiert aus, doch dem fremden Mann entwich ein kurzes Glucksen. „Gestern noch habe ich dich ohnmächtig am Boden liegend vorgefunden und heute fegst du hier rein, als würde dir das verdammte Haus gehören und verteilst Beleidigungen rechts und links wie Dumbledore seine Zitronendrops. Du hast dich ziemlich schnell erholt." Bei Salazar, diese Stimme. Der Mann hatte nicht den geringsten Groll in der Stimme, dafür ein angenehmes, ruhiges Timbre, das durch Snapes Körper zu vibrieren schien. Snape hob eine Augenbraue. „Kingsley, nehme ich an?" Der Mann nickte und deutete eine neckende Verbeugung an. Sein Ohrring fing ein Feuerflackern ein. „Kingsley Shacklebolt. Freut mich." Die letzten Worte klangen, als ob er sie tatsächlich ernst meinte. Shacklebolt. Shacklebolt?!

„Shacklebolt? Wie die Shacklebolts von Hampshire?", fragte er überrascht.

Kingsley lächelte. „Ah, überrascht ein Mitglied der „Unantastbaren Achtundzwanzig" hier zu sehen? Du dachtest wahrscheinlich dein Meister hat uns alle in seiner Tasche." Er beugte sich nach vorne und senkte die Stimme, als würde er Snape ein Geheimnis erzählen. „Es gibt tatsächlich auch ein paar Reinblüter im Orden. Aber das wird ein Halbblut mit dem Dunklen Mal sicherlich verstehen."

Snape spürte, wie er rot wurde. Was furchtbar an ihm aussah – das wusste er aus Erfahrung. Das Rot war fleckig und biss sich mit dem gelblichen Ton seiner Haut. Und wieso er darüber nachdachte, wusste er selbst nicht.

Black starrte Kingsley mit offenem Mund an. „Snape ist ein Halbblut?" Die Frau verdrehte die Augen. „Ihr seid doch zusammen nach Hogwarts gegangen? Habt ziemlich viel miteinander zu tun gehabt, wie ich hörte. Oder eher gegeneinander zu tun gehabt. Wie kannst du das da nicht wissen?"

„Tut mir leid, dass ich Schniefelus nicht nach seinem Familienleben ausgefragt habe, Marlene.", antwortete Black bissig. „Ich war zu sehr damit beschäftigt, seinen dunklen Flüchen auszuweichen und mein Essen nach Gift abzusuchen." Snape schnaubte. Er hatte nie versucht, Blacks essen zu vergiften. Er hatte gewusst, dass die Hauselfen ihn aufgehalten hätten.

„So rührend das Schwelgen in Erinnerungen auch ist", sagte er. „so würde ich es dennoch gern kurz halten. Ich will mit Dumbledore reden."

„Ich glaube nicht, dass Dumbledore mit dir reden will. Du bist nicht gerade ein angenehmer Gesprächspartner. Und er ist sowieso nicht hier. Also sei eine gute kleine Schlange und kriech wieder zurück in dein Zimmer und bleib' dort.", entgegnete ihm Black.

Kingsley schüttelte den Kopf. „Das ist ja schlimmer als im Kindergarten. Komm, Snape! Ich glaube frische Luft wird helfen die erhitzten Gemüter abzukühlen." Er warf noch Marlene einen Blick zu. „Wenn sich das Dröhnen in den Ohren bis heute Abend immer noch nicht gelegt hat, dann geh zu St. Mungos. Marlene, ich meine es ernst. Mit Dunkler Magie ist nicht zu spaßen. Du hast gesehen, wie Alastor mittlerweile herumläuft. Willst du auch so enden? Nein? Dachte ich mir." Er ging zur Tür und warf Snape einen erwartungsvollen Blick zu, bevor er in den Flur trat. Snape hatte also die Wahl entweder zurück in sein deprimierendes Zimmer zu gehen, hier bei Black und Marlene zu bleiben oder dem faszinierenden Mann zu folgen, der nicht den Anschein machte, ihn in nächster Zeit anzugreifen oder beleidigen zu wollen. Eine einfache Entscheidung.

Sie gingen durch eine kleine Hintertür, die in den Hof führte, den Snape von seinem Fenster aus bereits gesehen hatte. Von hier unten sah er sogar noch trostloser aus. Er atmete erleichtert auf, als die kühle Abendluft auf seine Lungen traf. Er hatte nicht bemerkt, wie stickig und beengend Blacks Haus doch gewirkt hatte.

Kingsley lehnte sich an die Hauswand, die auch schon bessere und vor allem sauberere Tage gesehen hatte – er schien sich dabei nicht um seine hellen Roben zu kümmern.

Er war offenbar zufrieden damit, in Ruhe die frische Luft zu genießen, doch nach den Tagen der Isolation hatte Snape den ungewohnten Drang, die verhasste Stille zu füllen. „Was hat Marlene abbekommen?" Er sagte es eigentlich leise, doch in dem leeren Innenhof schienen die Worte ungewöhnlich laut.

Kingsley zuckte mit den Schultern. „Einen Fluch von einem deiner Kollegen. Keiner von uns kennt ihn. Hat ihr das Trommelfell zerhauen, aber Lily konnte es retten. Seitdem hat sie noch ein paar Probleme. Das ist in einem Gefecht vor ein paar Tagen passiert. Bei Fentwood."

„Ah." Snape hatte es mitbekommen. Der Dunkle Lord wollte ein Exempel statuieren an einer höherrangigen mugglegeborenen Ministeriums-Mitarbeiterin, doch der Orden hatte davon gehört und sie und ihre Familie retten können.

Snape sah Kingsley an. Dem es offenbar nichts auszumachen schien, neben einem Todesser zu stehen und sich mit ihm zu unterhalten. Er stand entspannt da, die Hände in den Taschen seiner Roben vergraben und ein Bein über das andere gekreuzt.

„Auscultatum mundus", hörte Snape sich sagen.

„Gesundheit.", sagte Kingsley grinsend.

Snape verdrehte die Augen. „Der Gegenzauber. Auscultatum mundus. Das wird ihr helfen."

Kingsley hob die Augenbrauen. „Du weißt, was sie getroffen hat?"

Snape vermied es, ihn anzusehen und starrte stattdessen auf den Baum vor ihnen. Ein Rabe hatte es sich auf einem seiner Äste bequem gemacht. Blickte ihn mit genauso durchdringendem Blick an, wie Kingsley es gerade machte. Ein Prickeln machte sich in seinem Nacken breit. Kein unangenehmes. Einfach ein…Prickeln. Er nickte.

„Woher kennst du ihn? Ich habe gesehen, was er mit Marlenes Ohren gemacht hat und habe vorher noch nie so etwas erlebt."

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Also schwieg er.

„Sirius hat uns viel über dich erzählt, als du hergebracht wurdest", sagte Kingsley langsam. Bedächtig. „Dass du schon immer einen Hang zu Dunklen Flüchen hattest. Dich mit ihnen beschäftigt und experimentierst hast. Er sagte, du hast auch an eigenen gearbeitet. Er hat uns Muffliato gezeigt. Ein überaus nützlicher Zauber. Wenn man ihn allerdings etwas ausbaut, stärker macht, dunkler macht…" Snapes stoisches, anhaltendes Schweigen sagte ihm alles, was er wissen musste.

„Beeindruckend."

Damit hatte Snape nicht gerechnet. Skeptisch sah er Kingsley an. „Du findest es beeindruckend, dass ich einen Zauber entwickelt habe, der Marlene das Trommelfell zerfetzt hat?"

Kingsley grinste. „Versteh mich nicht falsch: Das ist schon ein ziemlich scheußliches Stück Magie, das du da fabriziert hast und ich bin verdammt froh, dass du an den Gegenzauber dazu gedacht und mir davon erzählt hast. Ich nehme an, dass das Dröhnen bedeutet, dass da immer noch Reste des Zaubers in ihrem Körper sind, aber…einen Zauber erfinden. Das kann nicht jeder."

„Nein, nur die Leute, die tatsächlich von den Zellen Gebrauch machen, die sich in ihrem Gehirn befinden und sie nicht für idiotische Gryffindor-Heldentaten verschwenden, welche sowieso zum Scheitern verurteilt sind."

Kingsley musste lachen. Ein tiefes, ehrliches Lachen. Snape war verwirrt und leicht verärgert. Warum nahm Kingsley seine beißenden Worte die ganze Zeit so…gelassen hin?

„Manchmal sind die Aktionen unserer hauseigenen Gryffindors wirklich etwas eigensinnig. Ich weiß nicht, um wie viele Jahre mich die Ideen der Rumtreiber schon haben altern lassen. Und es hört ja hier nicht auf! Black und Potter verfolgen mich auch in der Aurorenabteilung! Hätte ich Haare wären sie mittlerweile wahrscheinlich grau."

Snape legte den Kopf schief. „Dann bist du kein…?"

„Gryffindor? Salazar bewahre, nein. Der Hut hat einen Blick in meinen Kopf geworfen und mich direkt nach Slytherin geschickt." Ein Slytherin! Einer, der zu den Familien der „Unantastbaren Achtundzwanzig" gehörte. In Dumbledores verdammten Orden! Wie?

Snapes Gedanken schienen sich auf seinem Gesicht gezeigt zu haben.

„Es gibt viele Reinblüter, die nicht mit Du-weiß-schon-wem sympathisieren", sagte er ernst. „Er greift einen großen Teil unserer Bevölkerung an aus absolut schwachsinnigen, unlogischen und rassistischen Gründen. Bringt Terror über die Magische Welt nur wegen seinem Machthunger und seiner Gier. Ich würde eher sterben als mich so jemandem anzuschließen."

Die Worte trafen Snape härter als gedacht. „Muggle sind keine Unschuldslämmer", zischte er. „Es gibt viele von ihnen, die unsere Magie verabscheuen. Sie ausrotten wollen. Der Dunkle Lord will die Zauberwelt schützen. Er bewahrt uns davor, uns zu sehr zu verlieren."

Kingsleys Augen bohrten sich in seine. Snape hob das Kinn, weigerte sich wegzuschauen und hielt dem Blick des anderen Mannes stand. Forderte ihn geradezu heraus.

„Du hast die gleiche Nase wie er."

„Ich-was?"

„Du hast die gleiche Nase, wie der Mann, in den sich dein Irrwicht verwandelt hat. Auch das Kinn. Dein Vater nehme ich an. Wenn dieser Mann dein Muggle-Vater ist, dann wundert es mich nicht, dass der Dunkle Lord dich mit seiner Anti-Muggle-Propaganda überzeugen konnte."

Snape ballte die Hände zu Fäusten, drückte so stark zu, dass er spürte, wie sich die Nägel in seine Hände bohrten. „Es ist absolut unerheblich, in was sich mein Irrwicht verwandelt hat", zischte er.

„Natürlich ist es das.", sagte Kingsley sarkastisch. „Deswegen hast du dich auch in eine Mugglegeborene verliebt. Und hängst immer noch so sehr an ihr, dass du andere Todesser bekämpft hast, um ihren Mann zu retten. Ganz offensichtlich hast du Du-weißt-schon-wens Hass auf Muggle und Muggle-Geborene komplett verinnerlicht."

Sein seit Jahren perfekt gehütetes Geheimnis so nonchalant ausgesprochen zu hören, von einem fast völlig Fremden, tat mehr weh, als die Schläge des Irrwichts. Und Kingsley nutzte sie perfekt gegen ihn, entwaffnete ihn komplett. Deckte die Heuchelei seiner Taten auf.

Snape drehte sich ohne ein weiteres Wort um und schritt auf die Haustür zu.

„Snape!", rief Kingsley.

Fast schon gegen seinen Willen blieb er stehen. Wandte sich nicht um, hatte eine Hand schon auf den rostigen Türknauf gelegt.

„Ich weiß, es geht mich nichts an, aber das mit deinem Vater tut mir leid. Er scheint ein kompletter Bastard gewesen zu sein. Von mir wird keiner etwas über den Irrwicht erfahren."

Immer noch wütend, aber mit einem weiteren, undefinierbaren Gefühl im Magen kehrte Snape in sein Zimmer zurück. Und versuchte Kingsley aus seinen Gedanken fernzuhalten.