Es gibt kein Entkommen!

Eine einsame Sternschnuppe suchte sich ihren Weg über den schwarzen Himmel. Irgendwo in der Ferne schrie eine Eule triumphierend auf, aber ansonsten war es eine ruhige Nacht. Der Mond schlummerte zwischen ein paar Wolkenfetzen und ließ nur ab und zu ein wachendes Auge über die Landschaft gleiten.

Alles schlief tief und fest in Hogwarts. Alle bis, auf einer. Albus Dumbledore war tief in seinen Gedanken versunken. Er wusste nicht genau, wie er sich fühlen sollte. Das Gespräch mit Harry war jedenfalls besser verlaufen, als er sich gedacht hatte.

Seit gut drei Tagen war Severus ihm im Ohr gelegen und hatte auf ihn eingeredet, dass ein Gespräch mit Harry unbedingt nötig sei. Dumbledore beneidete Severus, dass dieser so schnell Zugang zu dem Jungen gefunden hatte. Doch hatte er Angst, dass Harry ihn zurückweisen würde. Es war einfach unverzeihlich, was er dem Jungen angetan hatte.

Doch nachdem Severus ihm versichert hatte, dass Harry sich nichts sehnlicher wünschte, als seinen Direktor zu sehen, gab sich Dumbledore schließlich einen Ruck. Das war er Harry schuldig.

So war er eines Morgens in den Krankenflügel gekommen und hatte gestaunt als er sah, wie weit Harry inzwischen wieder gesundet war.

„Guten Morgen, Harry!" hatte Dumbledore den Jungen begrüßt.

Harry war gerade beim Frühstück gewesen, als ihm diese Worte innehalten ließen. Unsicher hatte er Dumbledore beobachtet, wie er auf ihn zugekommen war und schließlich auf einem Stuhl neben Harrys Bett Platz genommen hatte.

Dumbledore hatte zaghaft gelächelt. Er hatte nicht gewusst, was er sagen solle und Harry hatte es ihm nicht gerade nicht leicht gemacht, wie er ihn mit seinen grünen Augen groß angeschaut und geschwiegen hatte.

„Severus hat mir erzählt, dass du wieder sprichst!"

Stille war diesen Worten gefolgt.

„Ich weiß, ich hätte früher kommen sollen. Ich dachte, du würdest mich nicht sehen wollen" erinnerte sich Dumbledore weiter an seine Worte.

Harry hatte leicht den Kopf geschüttelt. „Vielleicht denken sie zur Abwechslung einmal nicht." hatte er vorgeschlagen, doch nicht ohne einen bitteren Ton zu verhindern.

Es tut mir Leid!" gab Dumbledore zu.

Das hilft mir nicht!" antwortete Harry.

Ja, ich weiß. Aber ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll, als dass mir das alles Leid tut."

Wieder folgte Stille. Harry starrte nun wieder vor sich her. Dann holte er tief Luft und sagte: „Ich verstehe es einfach nicht. Immer wieder kommen sie mit ihren weisen Sprüchen und dann, wenn ich sie mal wirklich brauche, schweigen sie. Verstecken sich in ihrem Büro und wagen es nicht mich anzusehen."

Du hast Recht. Ich wage es nicht, dich anzusehen, weil ich weiß, dass ich für das alles hier Schuld bin."

Harry sah nun wieder auf: „Haben sie mich eingesperrt?"

Nein"

Haben sie mich geschlagen?"

Nein"

Haben sie mir Nachts einen Knebel verpasst, damit ich nicht schreien kann?"

Nein" Dumbledores Gesicht wurde immer entsetzter. Davon zu wissen, oder es direkt von Harry zu hören, waren zweierlei.

Wieso denken Sie dann, dass sie daran Schuld sind, dass man mich bewusstlos in Kings Cross aufgefunden hat?"

Ich habe dich zu den Dursleys zurückgeschickt" wandte Dumbledore ein.

Hatten Sie schon damals gewusst, was die Dursleys so tun; wie sie sind?" fragte Harry weiter.

Nein, aber…"

Haben sie den Ordensmitgliedern gesagt, sie sollen Onkel Vernon drohen mich in Ruhe zu lassen? Wodurch das Ganze erst recht schlimmer geworden war?"

Nein, aber…"

Sind sie Hellseher?"

Nein, aber…"

Aber was? Woher hätten sie wissen sollen, was innerhalb der Wände von Ligusterweg Nummer vier vorging? Ihre Wachposten standen draußen, nicht drinnen. Schreien konnte ich nicht. Und meine Möglichkeiten in den Briefen zu schreiben, was wirklich Sache war, waren sehr begrenzt. Ich habe nicht erwartet, dass es jemand bemerken würde. Es war nur einfach ein kleiner Strohalm an dem ich mich geklammert hatte. Ich dachte der Orden würde die Briefe lesen und so hatte ich gehofft, irgendwer würde sie hinterfragen. Aber offensichtlich hatte Ron sie nicht weiter gegeben. Und na ja, niemand hatte sie hinterfragt." Harry blickte zu seinen Füßen.

Professor Snape hatte sie gleich hinterfragt, kaum dass er einen der Briefe in der Hand hatte. Aber es war schon zu spät." erzählte Dumbledore.

Harry nickte nur kurz. Professor Snape war eben ein scharfsinniger Mann.

Harry. Ich hab alles falsch gemacht. Von Anfang an. Ich hätte dich nie den Dursleys übergeben dürfen" brachte Dumbledore endlich hervor.

Harry lächelte milde „Woher wollen sie das wissen? Okay, mein Leben bei den Dursleys war schrecklich. Aber sie können nicht wissen was passiert wäre, wenn sie es nicht getan hätten."

Harry, wieso versuchst du mir die Schuld abzunehmen?" fragte Dumbledore nun verwirrt.

Weil ich nichts von einen schuldgeplagten alten Mann habe!" meinte Harry schlicht, „Ich möchte vergessen. Wenn ich schon nicht sterben konnte, dann möchte ich wenigstens vergessen können. Und schuldgeplagte Mienen, die mich ständig daran erinnern, dass etwas war, sind nicht sehr förderlich dabei."

Dumbledore hatte erst verdauen müssen, was er da gehört hatte. ‚wenn ich schon nicht sterben konnte' Harry hatte das derart sachlich ausgesprochen, dass es dem Direktor kalt über den Rücken gelaufen war.

Wenn Harry sich Gedanken ums Sterben machte, war er dann noch machtvoll um die Prophezeiung zu erfüllen? Oder wird es genau das sein, was ihn siegen lassen wird? Wenn Harry keine Angst vor dem Tod hatte, dann war er Voldemort einiges voraus. Aber Dumbledore wollte nicht, dass Harry starb. Er würde am liebsten Harry diese Bürde, der Gegenüberstellung mit Voldemort ersparen. Er würde es selber machen, wenn es diese Prophezeiung nicht gäbe. Er wäre bereit sein Leben dafür zu geben. Harry war sechzehn. Er sollte leben!

Dies war einer der vielen Gedanken, die nach wie vor zu dieser späten Stunde in Dumbledores Kopf kreisten.

Egal was Dumbledore über seine Schuld gesagt hatte, Harry hatte alle Argumente abgeschmettert. Das einzige wessen Harry seinen Direktor beschuldigt hatte war, dass Dumbleldore ihn nicht besucht hatte.

Aber was nun wirklich in King Cross passiert war, wusste Dumbledore immer noch nicht. Nachdem Harry immer wieder gesagt hatte, er wolle vergessen, hatte er sich strickt geweigert, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Der Direktor seufzte.

Wieso ist es wichtig was passiert ist? Ich hab es überlebt, oder etwa nicht? Und nun werde ich wieder zu Kräften kommen und mich für meinen Kampf vorbereiten!" hatte Harry einfach geantwortet.

Der Direktor schüttelte den Kopf. Harry hatte sich verändert. Er war nun definitiv kein Junge mehr. Er sprach und dachte wie ein Erwachsener. Eine Tatsache die Dumbledore gar nicht gefiel. Wenn Harry so schnell erwachsen geworden war, wie lange würde er dann noch leben? Ein ungutes Gefühl beschlich den Direktor.

Immer wieder ließ sich Dumbledore die Prophezeiung durch den Kopf gehen, aber es lief immer auf dasselbe hinaus. Einer stirbt durch die Hand des andern. Das hieß, dass zu mindest einer streben würde. Aber wäre es auch möglich, dass beide sterben würden?

ooooooo

Ein lauter Schrei hallte durch die Gänge von Hogwarts. Es war ein schmerzerfüllter, verzweifelter Schrei, der einem jeden einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ginny schreckte aus ihrem leichten Schlaf auf. ‚Was um alles in der Welt war das?'

Sie schlug die Decke zurück und sah sich im Zimmer um. Ihre Klassenkameradinnen schienen nichts gehört zu haben. Sie eilte aus dem Zimmer und stieß beinahe mit Hermine zusammen.

„Hast du das auch gehört?" fragte Ginny verunsichert.

„Harry!" war das einzige Wort was Hermine rausbrauchte.

„Du meinst es war Harry?" fragte Ginny nun beunruhigt.

„Ja!" meinte Hermine und lief weiter in den Gemeinschaftsraum.

„Wieso denkst du das war Harry? Und… was hast du vor?" Ginny sah Hermine nach, wie sie nun die nächste Treppe zu den Jungenschlafsälen hoch eilte.

„Ich hole Ron. Und dann gehen wir in den Krankenflügel. Ich hab Harry noch nie so schreien gehört. Er muss etwas furchtbares geträumt haben. Vielleicht hilft ihm unsere Anwesenheit, sich wieder zu beruhigen!" erklärte Hermine.

ooo

Die drei Teenager rannten durch die dunklen Gänge Hogwarts Richtung Krankenflügel. Das einzige Licht, das ihnen den Weg erhellte, war das Mondlicht, das bei den Fenstern herein schien.

„Miss Weasley? Miss Granger? Mr Weasley?" ertönte eine überraschte Stimme.

Eine dunkle Gestalt war eben vor der Tür des Krankenflügels aufgetaucht. Doch der weiß schimmernde Bart verriet sofort, um wen es sich handelte.

„Professor Dumbledore! Was ist passiert?" fragte Hermine sofort.

„Ich weiß noch nicht. Aber ich denke es ist gut, dass sie da sind!" meinte der Direktor und öffnete die Tür.

Doch sie waren nicht die ersten. Madam Pomfrey und Professor Snape waren ebenfalls schon hier. Sie standen um Harrys Bett und schienen irgendwie Schwierigkeiten zu haben.

„Halten sie seinen Kopf still, Professor. Wenn ich seinen Pyjama damit tränke hilft das niemanden etwas!" rief Madam Pomfrey.

„Was denken sie, was ich gerade versuche?" zischte Snape. „Er wehrt sich zu stark"

„Natürlich wehrt er sich. Er wurde über längeren Zeitraum misshandelt! In seinem jetzigen Zustand, erkennt er keinen Unterschied!" erklärte die Medihexe aufgebracht.

„Wir sollten es umgekehrt probieren. Geben sie mir den Trank!" bestimmte Snape schließlich.

Nach weiterem Gerangel wurde es kurz ruhig. Danach gab es ein Husten und Spucken und Harry übergab sich.

„Na toll. Volltreffer, Potter!" knurrte Professor Snape und ging ein paar Schritte vom Bett zurück. Er zog seinen Zauberstab und ließ die Schweinerei auf seinem Umhang verschwinden. Als er wieder aufsah, entdeckte er die stillen Beobachter an der Tür. Drei entsetzte Schüler und ein besorgter Direktor.

„Guten Abend, Albus!" begrüßte Snape mit sarkastischem Unterton.

„Severus, was ist hier los?" fragte der Direktor und kam nun näher, die drei Schüler hinter sich haltend.

Harry war in seinem Bett wieder nach hinten geplumpst und blieb zitternd liegen. Madam Pomfrey legte ihm einen kaltes Tuch auf die Stirn.

„Mr Potter hatte Schwierigkeiten aus seinem Schlaf aufzuwachen, der allen Anschein nach mit Alpträumen gefüllt war" erklärte Professor Snape schließlich.

Worauf Madam Pomfrey schließlich fortsetzte: „Mr Potter hatte sich schon den ganzen Abend in seinem Bett herum gewälzt. Am Anfang dachte ich, es sei ein ganz normaler Alptraum. Doch er wälzte sich immer wilder umher, daher wollte ich ihn aufwecken, aber es ging nicht. Als er dann plötzlich auch noch zu schreien anfing, habe ich Professor Snape um Rat gebeten. Wir dachten, ein einfacher Stärkungstrank würde ihn munter genug machen um aufzuwachen. Doch das einzige, was gestärkt wurde, war seine Stimme!"

„Daher mussten wir Mr Potter ein Brechmittel einflößen. Es ist zwar eine brutale Methode, aber wir hatten keine Wahl! Der Stärkungstrank musste wieder raus. Und, das ist das Ergebnis!" Professor Snape deutet auf den Boden und ließ nun auch hier das Erbrochene verschwinden.

„Danke!" hauchte eine kaum hörbare Stimme, die alle wieder verstummen ließen. Harry lag noch immer mit geschlossenen Augen da. „Aber irgendein Gift, wäre effektiver gewesen!" setzte er sarkastisch nach.

„Mr Potter, wie fühlen sie sich?" fragte Madam Pomfrey.

Diese Frage ließ Harry auflachen. Doch es war ein kaltes, emotionsloses Lachen. Hermine und Ginny schlugen entsetzt ihren Hände über den Mund.

„Ich wollte nur wissen, ob ihnen noch schlecht ist. Dann bringe ich ihnen was dagegen!" verteidigte sich die Medihexe.

„Ist doch egal. Wieso bringen sie mir nicht einen Tollkirschen-Cocktail?" fragte Harry verbittert.

„Harry!" rief nun Ginny entsetzt, die sich nicht mehr länger zurückhalten konnte.

Nun öffnete Harry seine Augen. Etwas überrascht blickte er von Ron zu Hermine und anschließend zu Ginny. Ginny hatte bereits Tränen in den Augen.

Harry sah sie traurig an „Tut mir Leid, aber ich halte das nicht mehr aus. Ich habe versucht zu vergessen. Jede einzelnen Sekunde verdrängt, seit ich aus dem Koma aufgewacht bin, aber nur um festzustellen, dass es kein Entkommen gibt. Ich kann meiner Vergangenheit nicht entfliehen. Ich bin ein Gefangener. Weil alles in mir drinnen ist. Ob ich daran denke, oder nicht. Es verfolgt mich auf Schritt und Tritt und schlägt zu, wenn ich denke, ich könnte glücklich werden. Ich will, dass es vorbei ist. Endgültig. Vielleicht sollte ich Dracos Vater bitten, mich zu Voldemort zu bringen. Ja, ich denke, das wäre das Beste!"

Harry schwang seine Beine aus dem Bett und wollte aufstehen.

„Mr Potter, was tun sie da?" rief Madam Pomfrey entsetzt und drückte den Jungen zurück aufs Bett. Oder zumindest wollte sie das, doch Harry schob sie beiseite und stand wenige Sekunden später neben seinem Bett. Aber gerade mal für einen Bruchteil einer Sekunde, denn sein Kreislauf war in den Keller gefallen wodurch seine Beine nachgaben und Harry zusammensackte. Professor Snape, der offensichtlich damit gerechnet hatte, fing den Jungen auf.

„Potter, was soll das werden?" fragte Snape sanft.

„Lassen Sie mich los! Wenn ich nicht fähig bin zu gehen, dann hab ich das Recht auf die Schnauze zu fallen. Vielleicht hau ich mir den Schädel an, oder breche mir das Genick dabei!" rief Harry, jedoch ziemlich kraftlos.

Worauf ein schluchzendes Aufheulen folgte, das nur von einen der beiden Mädchen stammen konnte.

„Ein andermal vielleicht!" antwortete Professor Snape und hievte Harry wieder zurück in sein Bett. „Für heute haben sie genug Schrecken verbreitet!"

„Ooooh. Ich verbreite Schrecken. Buuuhhh! Und wieso sind dann noch alle da?" fragte Harry und blickte giftig in die Runde.

Professor Snape holte tief Luft und meinte dann, an die anderen gewandt. „Ich denke es ist besser, wenn sie alle gehen. Mr Potter steht im Moment etwas neben sich. Womöglich durch das Zusammenspiel der beiden Tränke und seiner psychisch instabilen Phase."

„Soll ich einen Schlaftrank holen?" fragte die Medihexe.

„Nein, keine Tränke mehr!" entschied Professor Snape.

Nach und nach verschwanden Harrys Freunde, Professor Dumbledore und schließlich auch Madam Pomfrey.

„Psychisch instabile Phase?" fragte Harry schließlich und sah Professor Snape von der Seite an. „Ich will Schluss machen! Wieso versteht das keiner?"

„Ich kann es verstehen, aber leider nicht zulassen!" antwortete Snape.

Danach folgte Stille. Harry zog seine Beine zu sich und legte den Kopf darauf.

„Er hat Hedwig umgebracht." flüsterte Harry nach einer Weile. „Ich hab ihr gesagt, sie soll ruhig sein. Doch sie ist seit Anfang der Ferien nicht mehr geflogen. Sie konnte es kaum erwarten. Ich hatte ihr versprochen sie im Zug frei zu lassen. Sie hat unaufhörlich gekreischt. Da hat Vernon den Käfig genommen und aus dem Fenster geschmissen. Das nachfolgende Auto hatte keine Möglichkeit auszuweichen."

Eine neue Stille folgte. Professor Snape sah den Jungen traurig an. Er wusste nicht was er darauf sagen sollte.

Schließlich fuhr Harry fort: „Sie war zwar nur eine Eule. Aber sie war die einzige Freundin die ich im Ligusterweg hatte. Und sie musste sterben, weil sie den Drang zu fliegen nicht mehr länger unterdrücken konnte. - Ein Vogel muss doch fliegen!"

Harry vergrub sein Gesicht in seinen Knien. Es war vollkommen still, doch die leicht zuckenden Schultern verrieten, dass der Junge weinte.

Während dessen verarbeitete Snape, was er eben gehört hatte. Und zum ersten Mal bekam er eine Vorstellung davon, was am Londoner Bahnhof passiert sein könnte.

„Sag mal Harry, den Wunsch zu sterben, hattest du schon am Kings Cross?"

Harry hielt einen Moment inne. Dann sprach er weiter.

„Hagrid hatte sie mir geschenkt. Neben ihm, war sie meine erste Freundin aus der Zaubererwelt."

„Du hast versucht dich selber umzubringen?" fragte Snape stur weiter.

„Sie war die zuverlässigste Eule, die es je gab. Ich habe erfahren, dass meine Mum auch so eine Schneeeule hatte" erzählte Harry mit glasigem Blick.

„Potter!" sagte der Professor streng und zwang Harry sich wieder aufs Jetzt zu konzentrieren.

Harry verstummte und blickte dem Professor in die Augen.

„Ist es so schwer zu glauben?" zischte Harry „Wenn dir alles genommen wird, was dir je etwas bedeutet hatte?" Und mit grimmig entschlossener Miene fügte Harry hinzu „Ja, ich habe versucht mich umzubringen. Vernon hat mich aus seinem Auto geschmissen und gemeint, ich solle nie mehr wieder kommen. Ich hatte nur mehr diesen einen Gedanken im Kopf. Ich verstand nicht mehr, wozu ich überhaupt noch da war. Ich wollte zu Sirius, zu Mum, zu Dad und zu Hedwig. Was sollte ich noch hier, wo jeder sich wünschte, dass ich tot wäre? Wieso sollte ich nicht alle glücklich machen? Einfach sterben - und alle Probleme sind gelöst. Das hätte ich schon vor fünfzehn Jahren tun sollen!"

Nach einem weiteren langen Moment der Stille, erhob Professor Snape leise die Stimme: „Ich kann mir in etwa vorstellen, wie du dich fühlst. Ich hatte einige Phasen in meinen Leben, an denen ich mir auch gedacht hatte, das Beste wäre, wenn ich sterben würde. Aber oft stellt sich heraus, dass es nur ein kurzer Tiefpunkt im Leben war. Und danach ging es immer aufwärts!"

Harry seufzte ergeben. In seinem Kopf drehte es sich. Er wusste, dass Professor Snape das nicht nur so sagte, um ihn aufzumuntern und dennoch, konnte er sich nicht vorstellen, dass sein Leben je wieder lebenswert werden würde. Je länger er lebte, um so mehr müssen sterben. War es da nicht das Beste, das alles zu beenden?

Harry schloss die Augen und lehnte sich in sein Kissen zurück. Er lag einfach still da und rührte sich nicht.

Nachdem Professor Snape davon überzeugt war, dass der Junge eingeschlafen war zog er sich auch wieder zurück.

ooo

Ein eiskalter Wind blies ihm ins Gesicht und er schloss kurz die Augen. Sollte er es wirklich tun? Seit die Dunkelheit sich gehoben hatte, war vieles passiert, wovon er niemals geträumt hätte. Aber wie lange würde diese Ruhe anhalten? War es nicht nur die Ruhe vor dem Sturm? Und wer wäre der nächste, der dem Sturm zum Opfer fallen würde?

Nein, es durfte keiner mehr seinetwegen leiden. ‚Man soll gehen wenn es am schönsten ist. Und schöner wird es sicher nicht mehr. Die Alpträume waren ein eindeutiger Hinweis, dass die Ruhe sich verabschiedet hatte. Er wollte keine Alpträume mehr. Er wollte keine Erinnerungen an das was war. Es zählte der Augenblick. Und im Moment war er frei. Er konnte tun was er wollte. Und er wollte fliegen.

Fliegen wie ein Vogel. Die Flügel spreizen und abheben. In die kalte Nacht hinaus. Der Mond lies die weiße Landschaft einladend aufblitzen.

Erneut schloss Harry seine Augen. Mit tiefen Atemzügen sog er die eisige Luft ein. Dann löste er seinen krampfhaften Griff am Fensterbrett, der sein Gleichgewicht stabil gehalten hatte. Ein weiterer Windstoß ließ ihn den Halt verlieren. Harry breitete seine Arme aus…

Doch er fiel nicht. Eine eiserne Klammer umschloss seinen Körper und zog ihn mit einem kräftigen Ruck zurück ins Innere.

„Nein!" rief Harry verzweifelt, als er feststellte, dass man ihn seiner Freiheit beraubt hatte und er sich am Boden es Krankenflügels wieder fand. „Nein! Nicht!" er versuchte sich frei zu kämpfen.

„Verdammt" fluchte der vermeidliche Retter.

„Mr Potter!" schrie Madam Pomfrey entsetzt und schloss das Fenster.

„Lass mich los!" jammerte der Junge verzweifelt. Er schlug und trat nach allen Richtungen. Doch je mehr er sich bemühte, umso fester wurde der Griff um ihn. Harry flehte und fluchte. „Bitte!" schrie er schließlich.

„Das ist keine Lösung, Potter." rief Harrys Retter.

„Ist mir egal!"

„Harry!" versuchte der Retter ihn zur Vernunft zu rufen.

„Nein. Ich will nicht. Ich will nicht mehr!"

Nach einem weiteren erfolglosen Versuch sich frei zu winden, gab Harry schließlich auf, frei zu kommen. Kraftlos ließ er seine Arme und Beine sinken. „Nicht einmal umbringen darf ich mich. Was soll ich hier denn noch?" fragte er aufgelöst.

„Das weißt du genau!" war die Antwort und mit einem Ruck, wurde Harry in eine sitzende Position gebracht und wenig später fand er sich in den Armen seines Retters wieder, der niemand geringerer war, als Professor Snape.

Madam Pomfrey blickte nur erschrocken, zwischen Harry und dem Professor hin und her.

ooo

„Wieso habe sie das gemacht?" fragte Harry matt.

„Harry. Du bist ein Gryffindor. Und Gryffindors hauen nicht einfach ab!"

„Ich pfeif auf Gryffindor. Bin sowieso kein ganzer."

„Das hast du schon mal gesagt. Was ist denn der Rest von dir?"

„Slytherin!"

„Na fein. Dann sage ich dir, als beinahe dein Hauslehrer, dass Flucht, selten die richtige Lösung ist!"

„Doch! Jeder wäre besser dran ohne mich!"

„Das ist Unsinn, Harry. Es gibt einige, die sich sehr viel aus dir machen" machte Professor Snape klar.

„Aber jeder, dem etwas an mir liegt und meine Wünsche respektiert, sollte mich gehen lassen. Ich bin doch nur noch aus einem einzigen Grund hier. Um Voldemort zu töten."

Eine kurze Stille entstand. Schließlich fuhr Harry fort: „Okay. Ich werde diesen Bastard umlegen, aber das war's dann. Sollte ich das Ganze überleben, versprechen Sie mir dann, dass ich gehen darf?"

Professor Snape sah den Jungen gequält an.

„Würden Sie einen Giftmix für mich brauen? Bitte!" flehte Harry.

„Darüber reden wir noch. Inzwischen wirst du damit Vorlieb nehmen müssen!" Professor Snape fischte eine Phiole aus seinem Umhang.

„Was ist das?" fragte Harry misstrauisch, worauf der Professor amüsiert den Kopf schüttelte.

„Gerade wollest du dich umbringen, Potter. Und jetzt machst du dir Sorgen, dass ich dich vergifte?"

„Nein. Aber…"

„Runter damit!" befahl Professor Snape.

Harry nahm die Phiole und trank, was immer auch darin war. Wenig später wusste er, um was es sich gehandelt hatte. Seine Augen wurden immer schwerer und seliger Schlaf übermannte ihn.

ooo

„Ich hab so was befürchtet!" gestand der Direktor, „wie geht es ihm jetzt?"

„Ich hab ihm einen Schlaftrunk gegeben. Madam Pomfrey hat die Fenster nun magisch gesichert. Die Nachtwache werden wir uns aufteilen. Ich denke ein längeres Gespräch mit dem Jungen steht an."

„Ich werde morgen mit ihm sprechen!" sagte Dumbledore bestimmt.

„Na schön. Ich werde mich dann hinlegen, um ein wenig Ruhe zu bekommen!" Mit diesen Worten verschwand Professor Snape. Dumbledore blickte ihm nach. Wenn die Umstände nicht so dramatisch wären, würde er sich freuen über Severus Änderung dem Jungen gegenüber. Auch im Unterricht schien er mit seinen Schülern mehr Nachsicht zu haben.