Wenn die Vergangenheit einem einholt
Hogwarts war inzwischen zwei Meter im Schnee versunken. Bäume und Sträucher neigten ihre Äste zu Boden unter der schweren Last. Einzig und allein die Peitschende Weide konnte sich des Schnees durch ihr wildes Beuteln entledigen und ihre Äste wieder entlasten.
Ein überdimensionaler Trampelpfad zog sich vom Wald bis zum Schloss. Hagrid stapfte nun schon zum zwölften Mal mit einem Baum im Schlepptau zum Schloss hinauf, um die große Halle damit zu zieren. Seine großen Füße und das Gewicht des Baumes machten jegliches Schneeschaufeln unnötig.
Beinahe alle Schüler waren wegen der Kälte, die sich im Schloss ausbreitete, über Weihnachten nach Hause gefahren. Doch die Lehrer hielten beinhart die Stellung. Und so wurde das Schloss auf den kommenden Abend vorbereitet. Die Hauselfen waren ebenfalls schon fleißig dahinter, ein Festmahl zu zaubern.
Harry war aus seinem Bett aufgestanden und blickte aus dem Fenster. Die Decke zog er eng um seine Schultern. Auch wenn der Krankenflügel der wärmste Ort im ganzen Schloss war, so fröstelte es ihn dennoch, sobald er das Bett verließ.
Hübsche Eisblumen zogen sich an der Fensterscheibe entlang, aber zum Glück nahmen sie noch nicht das ganze Fenster ein. So konnte Harry Hagrid beobachten, wie er sich mit dem letzten Baum abmühte, der etwas widerspenstig zu sein schien.
Plötzlich ging die Tür zum Krankenflügel auf. Ginny, Hermine und Ron kamen mit roten Nasen und Wangen herein.
„Wie seht ihr denn aus? Wart ihr draußen?" fragte Harry amüsiert.
„Sehr witzig! Nur weil du es hier drin so warm hast, heißt das nicht, dass das ganze Schloss ebenfalls warm ist." beschwerte sich Ron.
„Du siehst auch nicht gerade so aus, als wenn dir heiß wäre!" stellte Ginny fest und gab Harry einen Kuss auf die Wange. Worauf Harrys Ohren leicht zu glühen anfingen. Es war ihm immer noch unangenehm, wenn Ginny ihn in Gegenwart von Ron küsste. Dabei hatten Ron und Hermine inzwischen ebenfalls offiziell zugegeben, miteinander zu gehen und Ron schien auch nichts dagegen zu haben, dass Ginny mit Harry ging.
Während Ginny sich mit Harry einfach in dessen Bett zurückzog und sich ungeniert zu ihm hinein legte, setzten sich Ron und Hermine auf das Nachbarbett. Hermine kuschelte sich ebenfalls sehr eng an Ron. So quatschten sie und unterhielten sich den gesamten Vormittag.
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„Ah, ich habe mir gedacht, euch hier zu finden!" unterbrach schließlich eine weitere Stimme die fröhliche Unterhaltung.
Professor Dumbledore gesellte sich dazu und meinte, „Nachdem außer euch keiner über Weihnachten hier geblieben ist, fällt es auf wenn ihr das Mittagessen versäumt!"
„Das Mittagessen ist schon vorbei?" fragte Ron geschockt.
„Nun, ich habe die Elfen gebeten, noch nicht abzuräumen!" sagte Dumbledore fröhlich. „Ach und… ehe ich's vergesse. Hier Harry, Professor Snape hat mich gebeten dir das hier zu geben. Er meinte damit du dich nicht verkühlst, solltest du dieses Geschenk schon jetzt bekommen!"
„Ähm, danke!" sagte Harry verwirrt und nahm das Geschenk entgegen.
„Los, mach auf!" rief Ron ungeduldig.
Vorsichtig schob Harry die Schleife beiseite und entfernte das Spellotape, mit dem das Papier zusammen gehalten wurde. Dahinter kam eine Kartonschachtel zum Vorschein. Harry hob den Deckel an und linste hinein. Aber noch konnte er nicht erkennen, was es war, außer, dass es aus feinstem Drachenleder zu sein schien. Mit halb geöffneten Mund hob er einen Umhang hervor, der für kalte Wintertage genau das richtige war. Durch das Drachenleder war er viel dünner als andere Winterumhänge, jedoch wesentlich wärmer.
„Wow!" ging es durch die Reihe.
„Sind sie sicher, dass das von Professor Snape kommt?" fragte Harry und sah auf. Erst jetzt bemerkte er, dass Professor Dumbledore nicht mehr hier war.
„Unglaublich. Der muss ja ein Vermögen gekostet haben!" staunte Ron.
„Los zieh ihn an!" rief Ginny ungeduldig.
Harry wurschtelt sich aus seiner Decke und schlüpfte in den Drachenlederumhang. Das dunkelgrün schien perfekt auf seine Augenfarbe abgestimmt zu sein. Er drehte sich um seine eigene Achse und bewunderte jeden Zentimeter, den er erblicken konnte. Dann blickte er auf und sah in drei staunende Gesichter.
„Er ist wunderschön!" rang sich Ginny schließlich durch zu sagen, stand auf, strich mal hier mal dort über den Umhang und ging langsam um Harry herum. Als sie fertig war, fand sich Harry in ihren Armen wieder. „Er passt zu dir!" sagte sie mit weicher Stimme und küsste ihn erneut.
„Ja, vor allem mit diesen Schuhen und dieser trendigen Hose kommt der Umhang erst richtig zur Geltung!" bemerkte Ron mit einem Schmunzeln.
„Ron!" meinte Hermine empört.
Doch Harry blickte auf seinen nackten Füße und der blauweiß gestreiften Pyjamahose und stellte fest, dass sein Freund Recht hatte. Bis jetzt hatte Harry sich nie Gedanken übers Anziehen gemacht, aber nun kam es ihm komisch vor, immer im Pyjama herum zu rennen.
„So kann ich unmöglich mit in die große Halle gehen!" bemerkte er und zog den Umhang wieder aus.
Wie aufs Stichwort kam Madam Pomfrey herein und meinte: „Wenn du heute in der großen Halle essen möchtest, dann zieh dir bitte etwas an!" und mit diesen Worten legte sie einen Satz frische Kleidung auf Harrys Bett. Socken, Hemd, Hose und sogar Schuhe waren dabei.
„Na bitte!" sagte Ginny und wartete darauf, dass Harry sich umzog.
„Ihr wollt doch nicht zuschauen?" fragte er leicht panisch.
Ginny lachte und zog den Vorhang um Harrys Bett zu, sodass er blickgeschützt war. Harry kam sich doof vor, so in Panik dabei zu geraten. Aber nachdem was diesen Sommer passiert war, zog er sich nicht gerne unter den Blicken von anderen aus.
Schnell hüpfte er in die Klamotten, die eindeutig nicht seine waren und dennoch perfekt passten und zog mit hochrotem Kopf die Vorhänge wieder beiseite. „Entschuldigt!" nuschelte er verlegen.
„Hey, kein Problem, Mann!" versicherte Ron mit ernster Stimme, um Harry das Gefühl zu geben, dass es in seiner Situation nur selbstverständlich war.
„Meint ihr ich brauche den Umhang?" fragte Harry schließlich, da ihm in dem Gewand nun wesentlich wärmer war.
„JA!" riefen Ginny, Ron und Hermine im Chor.
Also zog sich Harry den Umhang an und folgte seinen Freunden hinaus auf den Gang. Kaum war Harry durch die Tür, verstand er warum er den Umhang brauchte. Es war in der Tat sehr kalt im Schloss. Dankbar zog er dem Umhang enger um sich. Ginny hackte sich schließlich bei ihm ein. Hermine tat es bei Ron und so gingen sie in die große Halle.
Professor Flitwick war schwer damit beschäftigt die Bäume per Schwebezauber zu schmücken. Die Professoren Dumbledore, McGonagall und Snape waren in einer Diskussion vertieft. Und die anderen Lehrer beobachteten, oder halfen beim Weihnachtsputz. Jedenfalls waren alle hier, die das Schloss zurzeit bewohnten und das lag sicher an der Tatsache, dass es hier in der großen Halle sehr warm war.
Harry klappte den Mund auf, als er zu Decke sah. Sie zeigte ausnahmsweise nicht das Wetter von draußen, sondern glitzerte und funkelte in hellen Himmelblau, als wenn die große Halle in einer Schneewolke stecken würde.
„Da seid ihr ja!" begrüßte Hagrid die vier. Er war der erste, der sie bemerkt hatte. Aber nun drehten sich alle um. Viele sahen Harry jetzt erst zum ersten Mal. Alle wussten welches Schicksal der Junge hinter sich hatte, aber keiner hatte damit gerechnet ihn bei solch einer Gesundheit wieder zu sehen. Harry konnte bereits ohne Hilfe wieder normal gehen und das verdankte er unter anderem dem harten Training mit Professor Snape.
Unsicher blickte Harry in die Gesichter der Lehrer und lächelte verlegen. Es war ihnen anzusehen, wie sehr sie sich freuten, ihn zu sehen. Hagrid rutschte ein Stückchen mit seinem Sessel und winkte die Kinder zu sich. Statt der Schüler- und Lehrertische gab es eine große Tafel in der Mitte der Halle.
Neben Hagrid waren noch vier leere Sesseln. Der vierte Sessel, stand direkt gegenüber von Professor Snape. Harry suchte Professor Snapes Blick und strahlte ihn an.
„Danke!" sagte Harry und deutete dabei auf den Umhang.
Professor Snape grinste: „Ich nahm an, du könntest ihn jetzt schon gebrauchen. In den Gängen ist es ziemlich kalt! Die letzten Nächte hatte es Minus fünfundzwanzig Grad!"
„Er ist wunderschön! Und wirklich warm!" erzählte Harry.
„Na das hoffe ich doch! Denn sonst hätte ich ihn umtauschen müssen! Aber ich denke, hier in der Halle kannst du ihn ausziehen!" bemerkte der Professor.
„Ausziehen?" wiederholte Harry beinahe empört, „Den zieh ich doch nicht mehr aus!"
Daraufhin zog Snape eine Augenbraue hoch.
Inzwischen hatte sich Dumbledore die Mühe gemacht Harrys Teller zu befüllen und stellte nun diesen vor dem Jungen ab. Harry roch daran und schloss genüsslich die Augen. Es war schön, einmal nicht im Krankenflügel zu essen. Obwohl er genau wusste, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren, ignorierte er sie gekonnt und fing an zu schlemmen.
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Nach und nach trauten sich die Lehrer Harry Fragen zu stellen und schon bald verlor Harry seine Unsicherheit. Vor allem Hagrid und Professor McGonagall waren sehr an Harrys Befinden interessiert. Schließlich verkündete Dumbledore, dass er keinen Grund mehr sah, warum Harry nicht wieder in den Unterricht gehen sollte. Allen war klar, dass der Junge den Stoff nicht mehr nachholen konnte, doch sollte Harry zumindest die Möglichkeit haben, sich wieder in den Schulalltag einzugewöhnen.
Harry war sich immer noch nicht sicher, ob er das wollte. Die Vorstellung allen Schülern wieder unter die Augen zu treten, machte ihm immer noch Angst, doch er verbarg es so gut er konnte.
Ginny konnte er jedoch nicht täuschen. Sie drückte ihm unter dem Tisch die Hand und meinte schließlich: „Ich freu mich schon auf nächstes Schuljahr. Denn dann sind wir in der selben Klasse!"
Überrascht drehte sich Harry zu ihr. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Und schließlich grinste er.
„Ich sehe schon. Ich werde meine nächtlichen Kontrollgänge wohl verstärken müssen!" bemerkte Professor Snape.
Harry und Ginny liefen rot an und alle anderen mussten lachten.
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Am Nachmittag wollte Harry ein bisschen hinaus ins Freie, von seinem Selbstmordversuch abgesehen, hatte er schon Ewigkeiten keine frische Luft mehr geamtet. Professor Snape und Madam Pomfrey gaben nur widerwillig die Erlaubnis und Snape ließ es sich nicht nehmen mit hinaus zu gehen, um ein Auge auf Harry zu werfen.
Dank dem Drachenlederumhang, war Harry überhaupt nicht kalt, obwohl die Luft eisige Temperaturen hatte. Aber im Gesicht war der Junge ungeschützt und so dauerte es nicht lange, bis seine Nase rot wurde. Harry, Ron, Ginny und Hermine bauten einen mannsgroßen Schneemann. Als Hermine einen dürren Ast gefunden hatte und ihn dem Schneemann als Nase ansteckte, war das Werk vollbracht. Zufrieden betrachteten sie es.
„Hmm… etwas fehlt noch!" meinte Hermine grübelnd.
„Was denn? Ich glaub nicht, dass wir was vergessen haben. Und wenn du meinen Schal meinst, den kriegt er nicht." sagte Ron bestimmend.
Hermine zog den Zauberstab, „Nein, du kannst deinen Schal behalten!" und damit schwang sie ihren Zauberstab auf den Schneemann.
Dieser erwachte kurzer Hand und fing an Weihnachtslieder zu singen.
„Wow!" staunten die anderen.
„Nun ich denke für Harry war das jetzt genug frische Luft!" bestimmte Professor Snape und kam nun näher.
„Aber mir ist nicht kalt!" versicherte Harry.
„Deine Nase und Wangen sind so rot wie Tomaten. Du solltest es langsamer angehen!" meinte der Professor und blickte die Teens auffordernd an.
„Na gut!" sagte Harry und wandte sich vom singenden Schneemann ab.
„Sehr beeindruckend Miss Granger!" meinte Snape schließlich, als die anderen Harry folgten.
„Danke!" nuschelte Hermine und wurde rot.
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Wegen der Kälte im Schloss versammelten sich die Schüler wieder in der großen Halle. Ron hatte ein Schachspiel geholt und Ginny hatte ihn kurzer Hand herausgefordert. Hermine saß Buch lesend an Ron gekuschelt und Harry versuchte eine Weile, dem Schachspiel zu folgen. Doch schließlich wurde er so müde, dass er seinen Kopf auf die Arme legte und Sekunden später eingeschlafen war.
Als Harry kurz vor dem Nachtmahl immer noch schlief, machten sich seine Freunde Sorgen, den Jungen vielleicht doch überfordert zu haben.
Professor Snape erklärte er, dass die kalte Luft Harry wahrscheinlich so müde gemacht hatte. Doch anstatt den Jungen schlafen zu lassen, rüttelte er energisch an Harrys Arm.
„Lasmichbinmüde!" murmelte Harry und vergrub sein Gesicht tiefer in seinen Armen.
„Harry! Wenn du jetzt so viel schläfst, wirst du die Nacht nicht schlafen können!" erklärte Professor Snape und rüttelte weiter an Harrys Arm.
Widerwillig hob Harry leicht den Kopf und lugte von seinen Armen hoch.
„Das Essen wird bald serviert! Und zieh endlich deinen Umhang aus! Hier drinnen ist es zu warm dafür!" befahl Snape.
„Nein!" beschwerte sich Harry und zog den Umhang enger um sich.
„Willst du damit etwa auch ins Bett gehen?" fragte Snape nun leicht ärgerlich.
„Ja!" grunzte Harry.
„Harry, wie alt bist du eigentlich?" fragte der Professor nun nachdenklich.
Harry grummelte und schlüpfte schließlich aus dem Umhang raus. Das Hemd darunter war vollkommen verschwitzt.
Professor Snape schüttelte ungläubig den Kopf, zog seinen Zauberstab und ließ Harrys Hemd mit einen Wärmezauber trocknen.
Harrys Freunde beobachteten die Szene mit einem Lächeln. Auch wenn es ungewöhnlich war, dass sich Professor Snape von einer derart väterliche Seite zeigte, so freuten sich alle für Harry, dass er jemanden wie Snape gefunden hatte.
Das Abendmahl war ebenso ein Genuss wie das Mittagsmahl und zum Erstaunen von Ron und Ginny, kamen Molly und Arthur zum Essen, so wie auch Tonks und Remus. Sie alle begrüßten Harry herzlich und freuten sich, dass er wieder unter Menschen war.
Als die Nachspeise serviert wurde, erhob sich Dumbledore und fragte: „Was haltet ihr eigentlich davon, wenn wir die Nacht alle hier verbringen? Die Große Halle ist schön warm. Es wäre doch schade, wenn wir alle in unsere unterkühlten Schlafgemächer zurück müssten!" Ein eigenartiges, beinahe kindliches Glühen tauchte in Dumbledores Augen auf.
Die Lehrer sahen im ersten Moment etwas geschockt aus, bei dem Gedanken an ein Matratzenlager, doch der Punkt mit den unterkühlten Schlafräumen hatte auch was.
„Das meinst du doch nicht im Ernst, Albus?" sagte McGonagall unsicher.
„Doch, das ist mein Ernst. Das wäre doch mal was anderes! Und die Halle ist groß genug!" Dumbledore gefiel seine Idee immer besser.
Einige Lehrer murmelten noch vor sich hin. Aber die Tatsache, dass die Große Halle so warm war, ließ sie schließlich zustimmen.
„Und wir?" fragte Hermine vorsichtig, die sich nicht sicher war, ob der Direktor mit alle sie, Ginny, Ron und Harry einschloss.
„Wenn ich alle sage, dann meine ich alle!" gluckste Dumbledore.
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Es war lange nach Mitternacht, doch Harry konnte nicht einschlafen. Es war so absurd hier im selben Raum mit all den Lehrern zu liegen, wo er Monate lang alleine im Krankenflügel war. Sein provisorisches Bett bestehend aus Matratze und Schlafsack befand sich gleich neben den von Ginny. Das Mädchen schlief bereits tief und fest.
Auf Harrys anderen Seite, weiter entfernt, war Snapes Schlafstätte. Er saß an die Wand gelehnt und las. Harry blickte zu ihm hinüber. Seit beinahe zehn Minuten beobachtete Harry Snape schon, ohne dass der Professor etwas zu bemerken schien.
Doch dann ließ Professor Snape plötzlich das Buch sinken: „Wie lange willst du mich noch anstarren, Potter!" flüsterte er genervt.
„Was lesen Sie da?" fragte Harry zurück.
„Starrst du mich deshalb an? Weil du wissen willst, was ich lese?"
„Nein. Ich kann nicht schlafen!"
„Wundert mich nicht. Du hast den ganzen Nachmittag verschlafen!"
Harry schälte sich aus seinem Schlafsack und huschte zu Professor Snape hinüber. Dieser ließ überrascht eine Augenbraue hoch wandern.
„Was genau denkst du, was du hier tust?" fragte er irritiert.
Doch Harry antwortete nicht. Er setzte sich auf Snapes Matratze und fischte sich das Buch. Im schwachen Zauberstablicht las er ‚Verteidigungstechniken ohne Zauberstab' Harrys Augen wurden groß. Neugierig schlug er das Buch auf und wollte anfangen zu lesen, doch da wurde ihm das Buch wieder aus der Hand genommen.
„Warte, ich…" rief Harry und wollte das Buch festhalten.
„Potter, das ist mein Buch!"
„Aber das kann auch für mich interessant sein!"
„Was denkst du, warum ich es lese!"
„Wieso darf ich dann nicht auch darin lesen?" fragte Harry wie ein beleidigtes Kleinkind.
„Weil ich es zuerst lese!" bestimmte Snape und schlug das Buch wieder auf und vertiefte sich darin.
Eine Weile sah Harry zu. Dann stand er auf, holte seinen Schlafsack und kam wieder zurück. „Rück mal ein Stück!" sagte er.
Professor Snapes Kopf schoss in die Höhe. Seine Augen wanderten von Harrys Schlafsack, den er in der Hand hielt, hinauf zu Harrys Gesicht. Sein Blick war dabei undefinierbar starr. Noch nie hatte es ein Schüler gewagt, so mit ihm zu sprechen. Andererseits war es auf eigenartigerweise schön, so offen angesprochen zu werden. Es zeigte offensichtlich, dass Harry ihn mochte und keine Scheu mehr vor ihm hatte.
Harry blickte die ganze Zeit über erwartungsvoll seinen Lehrer an, offensichtlich schien er sich nicht für seine Dreistigkeit entschuldigen zu wollen.
Schließlich atmete der Professor tief durch und machte auf der Matratze Platz, sodass Harry seinen Schlafsack neben den seinen legen konnte. Schnell schlüpfte Harry hinein und sah dann frech grinsend den Professor an.
„Ich bin aber Mitten drin und ich werde sicher nicht zurück blättern!" stellte Snape klar.
„Ist schon klar, das macht nichts!" erklärte Harry unbekümmert.
Professor Snape schüttelte leicht den Kopf und begann schließlich weiter zu lesen. Harry las einfach mit. Er schien auch nicht langsamer beim Lesen zu sein, als der Professor, denn wann immer Snape umblätterte, beschwerte sich Harry nicht.
So verging mindestens eine Stunde. Doch dann spürte Snape, dass der Druck an seinen Oberarm, an dem Harry lehnte, immer stärker wurde. Mit einen Seitenblick, stellte der Professor fest, dass der Junge eingeschlafen war.
„Na toll!" schimpfte er mit sich selbst, legte das Buch beiseite und schob Harry vorsichtig in eine liegende Position. Eine Weile beobachtete er, wie sich Harrys Brustkörper leicht hob und senkte und er musste unweigerlich an seinen Sohn denken. Er sah auch immer so unschuldig und zerbrechlich aus, wenn er schlief. Und einmal mehr dachte er darüber nach, ob er den Jungen fragen sollte, bei ihm zu bleiben. So lange war Snape einsam gewesen. So lange hatte er niemanden, der ihn wirklich brauchte. Und Harry war auch einsam, genau wie er. Okay, vielleicht war Harry nicht ganz so einsam, immerhin hatte er Freunde und die junge Miss Weasley und ihre Eltern sind auch ganz vernarrt in Harry. Aber Harry lag nun an seiner Seite. Nicht bei Ginny, nicht bei seinen anderen Freunden, und auch nicht bei Lupin, der von Albus Idee so begeistert war, dass er auch hier geblieben war.
Wieso lag Harry bei Snape? Es war sicher nicht nur das Buch. Und dieser neckische Blick, den er aufgesetzt hatte, als er Snape aufforderte Platz für ihn zu machen. Das zeigte doch, dass Harry irgendwie vertraut mit Snape war, oder täuschte sich da der Professor?
Nach gut einer Stunde des Hin- und Herüberlegens, seufzte Professor Snape und legte sich ebenfalls hin. Harrys friedlich schlafende Figur hatte ihn ebenfalls müde gemacht und schon bald schlief auch er ein.
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Die Sonne lachte wieder aus vollem Herzen. Der Himmel war glasklar. Kein Wölkchen wagte es den Himmel zu trüben und so wanderte die Sonne höher und höher, bis sie über die projizierende Hallendecke von Hogwarts die Schlossbewohner in ihren Nasen kitzelte.
Professor Snape war allerdings schon länger wach. Er war aufgeschreckt, als er plötzlich gespürt hatte, wie sich etwas um ihn gelegt hatte. Er hatte die Augen aufgerissen und bemerkt, dass es ein Arm war. Ein Arm, der zu einem schlafenden Jungen gehörte, dessen Gesicht sich halb unter dem Professor vergraben hatte. Harry.
Da Snape befürchtete Harry aufzuwecken, verharrte er steif und wartete darauf, dass der Junge endlich von sich aus aufwachte. Doch wie es schien, wollte er nicht aufwachen. Die Sonne war aufgegangen und rings um wurden allmählich alle munter. Doch Harry vergrub sein Gesicht nur noch fester in Snapes Oberarm, so dass er das helle Licht gar nicht sehen konnte.
Ein wenig hilflos sah der Professor zu Dumbledore. Dieser wusste nicht gleich, worin das Problem lag. Doch als Snape einen Blick zur Seite machte, zog Dumbledore die Augenbrauen hoch und nickte verstehend.
Die anderen Lehrer waren eher erstaunt. Keiner hatte mitbekommen, das Harrys und Severus Verhältnis sich derart geändert hatte. Sogar Remus Lupin klappte der Mund auf, was Severus irgendwie gefiel. Es kam einem Triumph über den ehemaligen Herumtreiber gleich.
Einzig und allein Ginny war sichtlich enttäuscht, das Harry nicht bei ihr war. Doch irgendwo konnte sie Harrys Bedürfnis nach ‚väterlichen' Nähe verstehen. Wann hatte Harry denn je die Möglichkeit gehabt?
Der ansteigende Geräuschpegel ließ Harry schließlich doch aufwachen. Er brummte irgendwas Undeutliches und wollte sich auf die andere Seite drehen. Als er jedoch das Licht bemerkte, drehte er sich sofort wieder um und wollte sein Gesicht erneut vergraben, doch da ertönte eine leicht ärgerliche Stimme: „Jetzt reichts' aber! Willst du nicht endlich aufwachen?"
Harrys verschlafenes Gehirn war langsam. Die Stimme klang jedenfalls nicht nach Ginny, doch wer war es dann, an den er sich so schmiegte? Er riskierte ein Auge und fuhr dann erschrocken hoch.
„Professor! Wie…? Hab ich…? Oh…, entschuldigen Sie!" Hoch rot wie eine Tomate bemerkte Harry, wie ihn alle belustigt ansahen. Harry wäre am liebsten im Erdboden versunken. Professor Snape befreite sich endlich aus seinen Schlafsack und streckte sich ordentlich durch.
„Wieso haben Sie mich nicht wieder zurück geschickt?" fragte Harry beinahe vorwurfsvoll.
Professor Snape war, wie vor den Kopf gestoßen, ob dieses Vorwurfes. Entgeistert sah er Harry an.
„Ich denke, ein nettes Frühstück, würde uns allen jetzt gut tun. Und dann…!" Dumbledore wies zum größten Weihnachtsbaum in der Halle, „machen wir uns über die Geschenke her!"
Allen, die seinem Blick folgten, klappte nun die Kinnlade runter. Unter dem Baum lag ein ganzer Berg von Päckchen. Vergnügt klatschte Dumbledore in die Hände.
Als Harry die Päckchen sah, wurde ihm schwer ums Herz. Er hatte kein einziges. Für niemanden. Schuldbewusst senkte er den Blick.
„Hey!" flüsterte ihm eine sanfte Stimme ins Ohr, „Das schönste Geschenk bist du. Und du schenkst uns allen Freude, indem du Weihnachten mit uns feierst. Du brauchst nichts Materielles. Freude ist das beste Geschenk überhaupt. Immerhin ist Weihnachten das Fest der Freude!"
Harry sah auf und blickte direkt in Ginnys Augen. Sofort verlor er sich in dem schönen Braun. Ein dankbares Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sanft strich er Ginny über die Wange und wäre sicher noch weiter gegangen, wenn ihn nicht eine Stimme wieder aus seiner Trance gerissen hätte.
„Darf ich euch darauf aufmerksam machen, dass das immer noch meine Matratze ist!"
Zum zweiten Mal lief Harry rot an und wurschtelte sich endlich aus seinem Schlafsack. Snape verscheuchte die Kinder und ließ mit einen Schwenker seines Zauberstabs die Matratze und seinen Schlafsack verschwinden.
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Es war ein kurzes Frühstück, obwohl es herrlicher war, als je zu vor. Doch die Neugierde auf die Geschenke ließ so manchen sein Frühstück eher beenden. Ron und Ginny waren die ersten, die unter dem Weihnachtsbaum knieten und nach ihren Geschenken suchten. Hermine schüttelte nur den Kopf, gesellte sich aber bald dazu. Harry hingegen beobachtete alles aus der Ferne. Er knabberte langsam an seinem Tost herum und schien nie mit seinem Frühstück fertig zu werden.
Erst als Dumbledore mit einer eindeutigen Geste auch die Lehrer zum Weihnachtsbaum einlud, rutschte auch Harry von seinem Stuhl. Ein wildes Durcheinander folgte, als Päckchen herum gereicht wurden. Und schon bald fand Harry einen kleinen Berg vor sich. Erstaunt klappte ihm der Mund auf.
Es war zwar nicht das erste Mal, dass er Geschenke bekam, aber irgendwie kam es ihm diesmal eigenartig vor. Er hatte kein einziges Geschenk für jemanden, aber offensichtlich hatten alle eines für ihn. Er konnte sich nicht helfen, aber es kam ihm nicht richtig vor. Eine Weile saß er da und guckte auf den Päckchenberg, der Harry sehr stark an Duddleys Geschenksberge erinnerte, die pro Jahr immer um ein Päckchen höher wurden.
„Was ist los?" fragte schließlich Professor Snape, der den Jungen mit skeptische Augen betrachtete.
„Nichts!" sagte Harry schnell und nahm Alibi halber ein Geschenk zur Hand und begann es zu öffnen. Es war der alljährliche Pullover, den Mrs Weasley immer strickte. Ein Schmunzeln zierte nun das Gesicht des Schwarzhaarigen. Für Harry hatte dieser Pulli beinahe so viel Bedeutung, wie für einen Hauselfen ein Stück Gewand. Denn der Pullover erinnerte den Jungen immer daran, dass es auch Menschen gab, die sich um ihn Sorgen machten. Von den Dursleys hatte er ja nie etwas Neues zum Anziehen bekommen. Demnach hatte neue Kleidung bei Harry einen sehr hohen Stellenwert.
Als nächstes nahm Harry ein kleines Päckchen in braunen Papier zur Hand, aber irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, daher legte er es unbewusst beiseite und nahm das nächste. So ging es dahin, bis der Berg in zwei Teile geteilt war. Links die Geschenke, rechts das Papier. Schließlich erreichte er das größte Packet. Er hatte gesehen, dass Professor Dumbledore es mittels Zauberstab zu ihm schweben hatte lassen. Als er es anheben wollte, wusste er auch warum: Es war viel zu schwer.
Überrascht besah Harry das Geschenk genauer, ehe er anfing das Papier zu lösen. Doch dann bemerkte er, dass es merkwürdig still geworden war und als er aufsah waren alle Blicke auf ihn gerichtet.
„Stimmt was nicht?" fragte Harry verunsichert.
„Nein, nein. Alles in Ordnung Harry!" sagte Dumbledore, doch sah er, so wie auch die anderen, weiter Harry beim Auspacken zu.
Verlegen grinsend machte Harry weiter. Doch als der Inhalt das Päckchens zum Vorschein kam, vergaß er die anderen für einen Moment. Was um alles in der Welt sollte denn das sein? Das konnte doch nicht etwa…? Oder doch…? Nun blickte er hoch und sah direkt in Dumbledores Augen.
Dieser grinste vergnügt und sagte: „Ich dachte, du könntest das ganz gut brauchen. Vielleicht hilft es dir deine Vergangenheit zu verarbeiten, damit du keine Alpträume mehr hast."
„Aber brauchen sie ihr Denkarium nicht selber?" fragte Harry noch immer erstaunt.
„Das ist nicht meines, Harry! Das hier ist extra für dich angefertigt worden. Ich muss mich an dieser Stelle auch entschuldigen für meinen kürzlich plötzlichen Aufbruch. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen, aber als mir die Idee mit dem Denkarium kam, musste ich schnell handeln! Der Bauer war nur kurze Zeit in Hogsmead."
Harrys Kinnlade klappte immer mehr herunter. Sein eigenes Denkarium! Hier würde er alle grauenvollen Erinnerungen deponieren und anschließend wegsperren können. Nie wieder würde es sich erinnern müssen.
„Das ist… ich weiß gar nicht was ich sagen soll!" stammelte Harry.
„Du brauchst nichts zu sagen! Deine Augen sagen genug!" meinte Dumbledore und zwinkerte vergnügt.
Harry war einfach nur sprachlos. Fasziniert strich er über die eingravierten Runen und vergaß den Rest um sich. Doch dann fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, wie man seine Erinnerungen aus dem Kopf bekam.
„Ich kann es dir beibringen! Aber ich bin sicher Severus kann dir diesbezüglich auch behilflich sein," bekam Harry Dumbledores Antwort, noch bevor er die Fragen stellen konnte.
Ein glückliches Grinsen huschte dem Jungen über das Gesicht. „Danke!" war alles was ihm als Antwort einfiel.
Als Harry das ganze Papier wegräumen wollte, fiel ihm wieder das kleine Päckchen im braunen Papier auf. Er wunderte sich, von wem es sein konnte. Es war keiner mehr übrig, den er kannte, von dem er noch nichts bekommen hatte. Stirne runzelnd nahm er es in die Hand. Er wusste nicht wieso, aber seine Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Unsicher betrachtete er das braune Ding, das merkwürdig leicht war. Ob er es überhaupt öffnen sollte?
„Von wem ist das?" fragte Ginny, als sie Harry sah.
„Ich weiß nicht. Es steht nichts drauf." gestand Harry.
„Mach's auf!" forderte Ginny.
Harry biss sich auf die Lippen, dann öffnete er vorsichtig das Papier. Es schien beinahe nur aus Papier zu bestehen. Doch schließlich war Harry zum Inhalt vorgedrungen. Als er sah, was da in seine Hand glitt, starrte er es Sekunden lang entsetzt an.
„Was ist?" fragte Ginny nun verunsichert.
Harry warf ihr einen Blick zu, der ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ und verließ fluchtartig die große Halle.
„Harry!" rief Ginny ihm noch nach, doch da war der Junge schon verschwunden. Die Lehrer sahen verwundert auf. Keiner wusste, was plötzlich in Harry gefahren war.
„Was war das jetzt?" fragte Hermine.
Ginny schüttelte ihren Kopf, „Keine Ahnung!" Dann hob sie auf, was Harry fallen gelassen hatte.
„Eine Feder?" fragte Ginny verwundert.
Hermine nahm ihr die weiße weiche Feder ab und betrachtete sie. Dann zog sie die Augenbrauen zusammen. „Das ist doch nicht…?" grübelte sie.
Doch als Professor Snape plötzlich an ihr vorbei schritt und fluchte „Dieser verdammte Bastard von einem Muggel!" schien Hermines Theorie bestätigt worden zu sein.
„Was?" Ginny wurde nun unheimlich zu Mute. Vor allem wenn sie bedachte, welchen Blick sie eben von Harry erhalten hatte, voll von seelischen Qualen.
„Ich glaube, das ist eine Feder von Hedwig!" flüsterte Hermine, die es nicht wahr haben wollte.
„Hedwig? Harrys Eule? Aber wieso bekommt er eine Feder von ihr?" Ginny verstand überhaupt nichts mehr, aber gleichzeitig wurde ihr immer kälter, als wenn sie die Antwort schon spüren würde.
„Hast du Hedwig in diesem Jahr je in der Eulerei gesehen?" fragte Hermine. Ginny schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, Harrys Onkel hat… Hedwig… oh mein Gott, das ist so scheußlich!" rief Hermine und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Ron strich ihr beruhigend über den Rücken.
Ginny starrte nun genau so entsetzt, wie Harry vorhin. Nur langsam kroch die Wahrheit in ihr Hirn.
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Während dessen war Professor Snape Harry gefolgt, er war der einzige, der die Geschichte von Hedwigs Tod kannte und daher sofort begriffen hatte, was diese Feder zu bedeuten hatte. Während er durch die Eingangshalle schritt fluchte er laut über diesen verrückten Muggel, der Harry alles andere als ein guter Onkel war.
Als er das Eingangsportal öffnete, verstummte er jedoch. Schockiert beobachtete er Harry, der sich verzweifelt gegen die dicke Schneewand schmiss, die durch Hagrids Trampelpfad durch den Zwei-Meter-Schnee entstanden war. Harry rannte Kopf voran gegen den Schnee, fiel hin, rappelte sich wieder auf und rannte erneut gegen die Schneewand. Seine bloßen Füße waren schon beinahe blau und sein Pyjama längst durchnässt. Selbst der Weasleypullover konnte keinen Schutz vor dem Schnee bieten.
Kaum hatte Snape sich von seinem Schock erholt, rannte er zu Harry. Dieser hatte inzwischen eine weichere Stelle des Schnees gefunden und seinen Kopf tief hinein gebohrt. Zusätzlich hämmerte er mit den Fäusten in den Schnee.
Professor Snape hatte Mühe Harry wieder heraus zu bekommen. Vor allem weil der Junge nicht aufhörte, wie wild um sich zuschlagen.
„Lass mich los!" rief Harry immer wieder und versuchte freizukommen. Doch schließlich gelang es Snape Harrys Arme unter Kontrolle zu bekommen. Harry war viel zu schwach, als gegen den Professor anzukommen, der seine Arme so um den Jungen gelegt hatte, dass ein Herumschlagen nicht mehr möglich war.
Doch dann begann Harry zu treten und schaffte es den Professor zu Fall zu bringen. Nur kam er dennoch nicht frei. Denn Snape ließ einfach nicht locker. Beinahe fünf Minuten rangen die beiden noch, ehe Harry die Kraft verließ. Professor Snape hatte die ganze Zeit über versucht den Jungen mit Worten zu beruhigen. Doch Harry war wie in Trance und bekam kaum mehr was von seiner Außenwelt mit.
Als Professor Snape spürte, wie die Anspannung in Harrys Körper nachließ, lockerte auch er seinen Griff etwas. Der Junge ließ sich kraftlos fallen und fing an zu heulen wie ein kleines Kind. Snape war im ersten Moment etwas ratlos. Doch dann drückte er Harry an sich, wie er es seinerzeit bei seinem Sohn gemacht hatte, wenn dieser einen bösen Traum gehabt hatte. Harry schmiegte sich instinktiv in die Arme des Professors und vergrub sein Gesicht in dessen Brust.
Eine Weile wartete Snape noch, ehe er mühsam aufstand und Harry mit sich hochhob. Als er sich umdrehte, entdeckte er eine ganze Traube an Menschen beim Eingangstor. Sie alle hatten einen ängstlichen und erschrockenen Gesichtsausdruck. Snape stapfte auf sie zu und erklärte knapp. „Ich bringe ihn in den Krankenflügel."
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„Severus, würdest du dich bitte einmal setzten?" fragte Professor Dumbledore, der dem Mann nun schon eine Weile dabei zu sah, wie er ständig auf und ab ging.
„Haben sie ein Ahnung, was dieser vermalträtierte Muggel angerichtet hat? Haben sie eine Ahnung, was das auf Harry für eine Auswirkung haben kann? Dieser Bastard hatte Harry mehr Leid zugefügt, als der dunkle Lord je fähig sein wird. Der Tod von Harrys Eule hat den Jungen mehr mitgenommen, als der Tod von Black und Cedric zusammen. Die beiden hatte der Junge nur flüchtig und kurz gekannt. Aber seine Eule Hedwig, die kannte er schon sehr lange. Es war das erste Geschenk, dass Harry überhaupt je im Leben bekommen hatte. Und sie war die einzige, die ihm in den Ferien immer beistand. Und dieser Bastard hat sie einfach umgebracht. DAS hat Harry gebrochen! Nicht der Tod von Black. DESWEGEN hatte Harry versucht sich am Kings Cross umzubringen. Vermutlich hatte er es ähnlich gemacht wie heute, nur dass die Wände in der Toilette des Bahnhofs härter waren, als der Schnee!"
Professor Snape musste schließlich Luft holen eher er noch hinten nachsetzte: „Und jetzt, wagt er es auch noch eine Feder von Harrys Eule zu Weihnachten zu verschicken. Wie krank muss dieser Muggel im Hirn sein?"
Dumbledore starrte Professor Snape erstaunt an. Er wusste, dass Severus den Jungen inzwischen sehr mochte, aber so aufgeführt hatte sich Severus noch nie. Er musste Harry wirklich lieben.
„Das kann einen massiven Rückschlag zu Folge haben!" rief Severus aufgebracht nach dem Dumbledore ihm nur einen amüsierten Blick zu warf. Doch schließlich wurde Dumbledore wieder ernst.
„Ich weiß, was dieses ‚Geschenk' zur Folge haben kann. Dennoch muss ich dich bitten, dich hinzusetzten. Der Jungen schläft im Moment, also sollten wir besprechen, was zu tun ist!"
„Ich will ihn adoptieren!" sagte Severus rasch, als er sich endlich setzte.
Dumbledore hob die Augenbrauen: „Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst. Aber eine Adoption? Denkst du das wäre das richtige für Harry?"
„Ich will ihm zeigen, dass es auch anders geht. Ich will ihm zu verstehen geben, dass ich immer für ihn da sein werde. Ich will ihm ein Zuhause geben." sprudelte es aus Severus heraus.
Dumbledore strich sich nachdenklich durch den Bart: „Der Junge hat nun schon mehrmals versucht, sich umzubringen. Du hast selber gesagt, er möchte nach der Konfrontation mit Voldemort, sollte er es überleben, Selbstmord begehen. Und ich bezweifle, dass ihn jemand aufhalten können wird. Harry scheint mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. Bist du stark genug dafür, ihn gehen zu lassen, wenn es soweit ist?"
Severus starrte den alten Mann ungläubig an. „Ich werde ihn nicht gehen lassen! Er wird leben! Und ich werde alles tun was nötig ist, um ihn glücklich zu machen!"
Der Direktor sah Severus traurig an, doch dann meinte er: „Das letzte Wort in Sachen Adoption hat ohnehin Harry. Wenn er nicht will, kann ihn keiner zwingen!"
„Das ist mir klar. Ich will ihn auch nicht zwingen!" erklärte Severus entschieden.
oooooo
„Miss Weasley!"
„Professor!"
„Wie geht es ihm?"
Ginny ließ den Kopf hängen, ohne zu antworten.
„Sie sehen fertig aus. Sie sollten sich schlafen legen! Ich werde bei Harry bleiben!" sagte Professor Snape schließlich.
„Was für ein Mensch tut so was?" fragte Ginny mit einen traurigen Blick auf Harry.
Doch Professor Snape konnte nur den Kopf schütteln. „Ich habe keine Ahnung!"
„Denken sie, Harry kommt wieder zu sich?"
Snape sah nun seinerseits zu Harry. Es dauerte eine Weile, ehe er sagte: „Das ist Harrys Entscheidung."
„Sie wussten das mit Harrys Eule?" fragte Ginny.
Der Professor nickte stumm. Ginny seufzte und ließ erneut den Kopf hängen. Schließlich warf sie einen letzten Blick auf Harry und verließ den Krankenflügel.
Professor Snape blickte Harry leicht schockiert an. Der Junge lag in seinem Bett und starrte die Decke an. Würde er nicht ab und zu zwinkern, hätte man ihn für tot gehalten. Der Professor setzte sich neben Harrys Bett und nahm Harrys Hand in die seine. Seltsam kalt fühlte sie sich an.
„Ich weiß, du kannst mich hören!" begann Snape „Ich hätte da ein Angebot für dich. Also... wenn es dir Recht wäre... ich würde dich gerne adoptieren! Dich für immer von diesen Muggeln wegbringen."
Eine Weile war es still. Snape rechnete auch nicht, dass Harry darauf antworten würde. Umso mehr erschrak er, als er doch Harrys Stimme hörte.
„Was soll das bringen?" flüsterte Harry kraftlos, ohne den Blick von der Decke zu wenden.
„Ich will, dass es dir besser geht!" erklärte Snape.
„Es wird mir nicht besser gehen. Nicht, bis alles beendet ist!"
„Harry… ich…" Snape rang mit sich, doch dann sprach er aus, was ihm am Herzen lag: „Ich liebe dich! Genau wie ich meinen Sohn geliebt habe!"
Nun wandte Harry sich zum Professor um. Durchdringlich studierte er das Gesicht des Professors. Keine Pore schien ihm dabei zu entgehen. Doch dann sagte er: „Ich bin aber nicht ihr Sohn! Irgendwann werden auch sie das erkennen und dann werden sie mich wieder zurückweisen!"
Snape schüttelte vehement den Kopf: „Ich werde dich nicht zurückweisen und mir ist bewusst, dass du nicht mein Sohn bist. Ich verlange auch nicht von dir, dass du so wirst wie er war. Alles was ich dir anbieten will, ist ein Zuhause!"
Harry sah wieder zur Decke hinauf: „Es wird sich nicht auszahlen mir ein Zuhause anzubieten. Sie machen sich unnötige Hoffnungen, denn ich werde nicht mehr lange hier sein. Ich bin sicher, wenn sie mich adoptieren, dann würden sie mich nicht gehen lassen! Aber ich will gehen und zwar für immer. Es gibt nichts auf dieser Welt was mich hält. Nicht einmal die Liebe zu Ginny ist stark genug, gegen das Leid, das mir dieses Leben aufbürdet. Es ist mir nicht vergönnt glücklich zu sein. So bald ich es bin, passiert wieder etwas. Es wird nie aufhören. Ich will Sie da nicht mit reinziehen. Sie denken, Sie können das Unglück abwenden. Sie denken, wenn ich bei Ihnen bleibe, dann würde mir nichts mehr passieren. Aber dem ist nicht so. Mein Leben ist so vorbestimmt und niemand kann etwas dagegen tun!"
„Vielleicht kann ich das Unglück nicht abwenden, aber ich kann dir beistehen! Und was das 'nicht mit hineinziehen' angeht. Dafür ist es zu spät, denn ich bin schon mittendrin."
Harry verzog sein Gesicht zu einem freudlosen Grinsen. Snape schmerzte es, den Jungen so zu sehen. Harrys Lebenswille war ausgelöscht worden. Wenn Ginny nicht die Fähigkeit hatte, seinem trübseligen Dasein wieder einen Sinn zugeben, wie sollte es dann er, Professor Snape, schaffen?
Snape konnte nicht begreifen, wie man einem Kind nur so weh tun konnte. Wie viele Höllenquallen musste der Junge durchlebt haben, derart zu zerbrechen? Mit einem tiefen Seufzer ließ der Professor den Kopf hängen. Wäre es anders gekommen, wenn er Harry nie so grausam und ungerecht behandelt hätte? Wieso hatte er nicht bemerkt, dass Harry mit seinem Vater so überhaupt nichts gleich hatte? War er derart geblendet gewesen von seinem Hass? Oder war Harry ein guter Schauspieler gewesen?
Nach allem, was Professor Snape über den Jungen erfahren hatte, hatte Harrys Leid angefangen, lange bevor er einen Fuß nach Hogwarts gesetzt hatte. Es hatte mit dem Tod seiner Eltern angefangen. Und egal, ob sich Harry in der Muggelwelt, oder in der Zaubererwelt aufhielt, der Schatten des Leids hatte ihn stets verfolgt. Doch, was immer geschah, Harry hatte sich nie beklagt. Er ist nach jedem Tiefschlag aufgestanden und hat weiter gemacht. Eigentlich war es erstaunlich, dass er nicht schon früher aufgegeben hatte.
Was mit Cedric geschehen war, war schon schlimm genug gewesen. Das gesamte Schuljahr musste für den Jungen schlimm gewesen sein. Alle hatten gedacht, er hätte sich ins Tournier gemogelt. Alle hatten ihn beschuldigt, sogar sein bester Freund. Das alleine muss ja schon hart gewesen sein. Und selbst unter diesem Druck hatte er weiter gekämpft. Er hatte bis zum Schluss gekämpft und am Ende dennoch verloren. Sein Sieg bedeutete die Rückkehr seines schlimmsten Feindes. Was für ein Sieg sollte das sein, wenn man dafür dem Tod ins Auge blicken muss?
Und während der Junge damit zu kämpfen hatte, nicht den Mut zu verlieren, haben andere ihn für geisteskrank erklärt. Sie haben ihn bestraft, wann immer er es wagte die Wahrheit zu sagen, die so grauenvoll war, dass es niemand wahr haben wollte. Und das, obwohl es so viele Möglichkeiten gegeben hätte, die Wahrheit zu beweisen. Veritaserum, ein Denkarium oder Legilimentik. Aber man wollte es nicht hören und nicht sehen.
Und dann der nächste Tiefschlag. Der Tod seines Patens. Professor Snape verzog gequält das Gesicht. An dem Tod trug auch er eine gewisse Schuld. Er hatte versagt, Harry Okklumentik beizubringen. Dafür hätte er ein Vertrauen zu dem Junge schaffen müssen. Doch stattdessen, war er immer wieder in Harrys Geist eingebrochen und hatte darauf gewartet, dass sich der Junge selbst verteidigte.
Wie hätte Harry jemals seinen Geist verschließen können, wenn sein Zorn jedes Mal aufs Neue wuchs? Harry hatte keinen Schimmer, was diese Visionen anstellen konnten. Woher auch, wenn es ihm keiner sagte? Und so trat das ein, was eigentlich verhindert werden sollte: Durch eine falsche Vision, war er in eine halsbrecherische Rettungsaktion aufgebrochen, obwohl niemand in Gefahr schwebte. Niemand, außer Harry selbst. Schlimm genug, dass Harry diesen Fehler begangen hatte, nahm danach die ganze Aktion auch noch einen tragischen Ausgang. Der, den Harry zu retten glaubte, war zu Harrys Rettung gekommen und dabei gestorben. Welch Ironie des Schicksals?
Es war schwer für den Jungen. Aber noch immer hatte er nicht aufgegeben. Noch immer hielt er seinen Kopf aufrecht. Und nach all den Menschen, die sterben mussten, war der Tod einer Eule die Ursache dafür, dass der Jungen vollkommen aus der Bahn geworfen wurde.
Es war nur eine Eule! Aber wie wichtig musste sie gewesen sein? Sie war das Bindeglied der Muggel- und der Zaubererwelt. Sie war diejenige, die Harry überall hin begleitet hatte. Sie kam zu ihm, sobald Harry erfuhr, dass er mehr war, als nur ein kleiner Junge. Sie war von Anfang an dabei, als Harry die Zaubererwelt kennen gelernt hatte. Eine Welt, in der Harry zum ersten Mal seit langem glücklich war. Sie war für Harry ein Symbol der Freiheit. Eine Freiheit, die er erst in Hogwarts kennen gelernt hatte. Sie war das Ende einer langen qualvollen Zeit.
Der Schock, den Harry bekommen haben musste, als sein Onkel die Eule aus dem Autofenster geworfen hatte, musste riesig gewesen sein. Und dann auch noch sehen zu müssen, wie die Eule vom nächsten Auto überfahren wurde… Snape schüttelte fassungslos den Kopf. Die Bilder von Harry, wie er sich wie ein verrückter gegen die Schneewand geschmissen hatte, kamen ihn wieder ins Gedächtnis. Wenn er sich mit derselben Wucht gegen die harten Wände der Toilette geschmissen hatte, dann war es kein Wunder, dass der Junge sein Bewusstsein verlor.
Und dass Harry nicht wieder aufwachen wollte, konnte Snape auch verstehen. Aber letztendlich hatte er doch beschlossen zurück zu kommen. Die Liebe hatte ihn angezogen. Hatte ihn aus seiner Komawelt geholt. Aber wo war diese Liebe jetzt? Harry hatte sich nun ganz verschlossen und ließ niemanden mehr an sich heran. Er schien nur mehr von einem einzigen Gedanken erfüllt zu sein. Nämlich seine Aufgabe hier zu beenden. Er dachte keinen Moment daran, wie es denn sein könnte, wenn er überleben würde. Er hatte keine Hoffnung daran, dass es besser werden würde. Und wer weiß, ob es besser werden würde? Niemand. Es würde selbst nach Voldemorts Tod noch genug Todesser geben. Was wenn sie einfach einen Nachfolger wählen? Sie würden ohne Zweifel weiter hinter Harry her sein.
Snape verstand langsam, wieso Harry sich das Leben nehmen wollte. Harry war des Kämpfens müde. Er sammelte seine Kräfte für den letzten Kampf. Und dann hofft er auf Erlösung. Erlösung durch den Tod.
Aber sollte ein Teenanger so von dieser Welt gehen? Hatte nicht auch Harry ein Recht zu erfahren, dass das Leben auch ohne Leid sein konnte?
ooooooo
Mit ausgebreiteten Flügeln genoss sie ihren Flug. Die Nachtjagd war gut verlaufen. Nun war sie mit gefülltem Magen unterwegs zurück zu ihrer Schlafstätte. Der Morgen graute bereits und die Eule wollte ihren Turm im Schloss rechtzeitig erreichen, bevor die Sonne aufging. Nur noch wenige Flügelschläge und sie setzte zur Landung an. Ein aufgeregtes Schuhuen begrüßte sie bei ihrer Ankunft. Die Eule hopste auf ihren Platz, reinigte ihre Federn und steckte schließlich den Kopf unter das Gefieder. Sie war müde von dem langen Flug, jedoch auch satt und zufrieden.
Ein paar Stockwerke tiefer war Professor Snape erneut auf dem Weg zum Krankenflügel. Seine Hand war fest umklammert um eine kleine Glasflasche. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, doch er war überzeugt davon, das Richtige zu tun.
ooo
Harry war eben aus seinem Schlaf aufgewacht. Er hatte zum Glück keinen Alptraum gehabt. Das Denkarium war diesbezüglich sehr hilfreich. Er hatte sich eben aufgesetzt, als Professor Snape den Raum betrat.
„Guten Morgen!" begrüßte der Professor leicht lächelnd.
Harry studierte den Mann einen Moment ehe er ein „Morgen!" zurück murmelte.
Nachdem Snape das Bett erreicht hatte sagte er: „Ich hab hier etwas für dich. Ich gebe es dir aber nur, wenn du der Adoption zustimmst!"
Die Augen des Jungen verfinsterten sich kurz, doch dann siegte die Neugierde: „Was ist es?" fragte er.
Der Professor zog die kleine Glasflasche hervor: „Ich nenne es ‚der stille Tod'!" erklärte er dazu.
Nun wurden Harrys Augen groß. Er nahm die Glasflasche in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten. Es war eine tiefrote Flüssigkeit darin.
„Damit hast du es selber in der Hand, wann du von uns gehen magst" sagte Snape.
„Sie geben es mir jetzt schon? Woher wollen sie wissen, dass ich es nicht bei der nächst besten Gelegenheit trinken werde?" fragte Harry verwirrt.
„Ich vertraue dir, Harry!" war die schlichte Antwort.
„Und… sie wollen mich immer noch adoptieren? Warum?" Harry sah Snape fragend an.
„Ich möchte dir ein Zuhause geben, unabhängig davon, wie lange du noch vor hast zu leben. Ich möchte sichergehen, dass du nicht alleine bist, wenn es soweit sein sollte!"
Harry starrte die kleine Flasche in seiner Hand an. Es musste Professor Snape eine Menge Überwindung gekostet haben, ihm das zu geben. Wer weiß, wie viel Ärger er deswegen bekommen könnte, sollte sich heraus stellen, dass ein Lehrer seinem Schüler Gift gab.
„Wie… wie funktioniert es?" fragte Harry schließlich mit belegter Stimme.
„Es verlangsamt sie Organfunktionen. Man wird immer müder und schläft schließlich ein. Bloß dass man nicht mehr aufwacht. Für alle Fälle, habe ich auch etwas zur Linderung von Schmerzen hineingetan!" erklärte der Professor.
„Woher weiß ich, dass es funktioniert?" Harry legte den Kopf schief und kippte die Flasche hin und her.
„Probiere es aus. Im Kerker gibt es genug Ratten!"
Der Junge schien zu überlegen. Dann ließ er die Flasche in die Tasche seines Umhangs gleiten, der am Sessel neben an lag.
„Heißt das du nimmst an?" fragte Snape.
Harry lächelte leicht und nickte dann mit dem Kopf. „Wenn Sie meinen, Sie müssen es legal machen, dass Sie sich ständig um mich kümmern, dann soll es mir recht sein. Wo soll ich unterzeichnen?"
Nun musste Snape schmunzeln. Irgendwo, war er froh dass Harry erkannt hatte, dass Snape, egal ob mit, oder ohne Adoption, sich weiterhin um Harry sorgen würde.
oooooo
Viel zu schnell waren die Weihnachtsferien vorbei. Das Schloss füllte sich mit Schülern und damit auch mit Leben. Harry würde beim Empfangsessen dabei sein müssen. Zumindest meinte das Professor Snape. Snape meinte auch, dass Harry nun bereit war, um wieder in den Unterricht zu gehen.
Harry hatte irgendwie Panik davor. All die Gesichter, die er wieder sehen würde. All dieses Getuschel, was zwangsläufig wieder entstehen würde, er wünschte sich es würde keiner bemerken, wenn er wieder da war. Aber das war ein unerfüllbarer Wunsch. Er war Harry Potter und er war seit einem halben Jahr nicht im Unterricht gewesen. Wie könnte seine Präsenz da plötzlich unbemerkt bleiben?
Ein letztes Mal atmete er noch tief durch, ehe er Hermine zunickte. Seine Freunde hatten Harry vom Krankenflügel abgeholt und wollten nun Harry beistehen. Hermine drückte die Türschnalle zur Großen Halle hinunter und die Tür ging auf. Ein fröhliches Stimmengewirr schlug den Freunden entgegen. Noch hatte keiner bemerkt, wer hier bei der Tür herein kam. Für einen kurzen Augenblick hoffte Harry, vielleicht doch unbemerkt zu seinem Platz zu kommen, doch schon rief da eine Stimme.
„Harry! Ich glaub's nicht. Du bist es wirklich!" Neville war aufgesprungen und rannte auf die kleine Truppe am Eingang der Halle zu. Es dauerte keine Sekunde, und das Stimmengewirr erlosch.
„Hi, Neville!" sagte Harry mit gezwungenem Lächeln.
„Es so schön, dich wieder zu sehen. Wir durften dich ja im Krankenflügel nicht besuchen kommen, weißt du. Und Ron und Hermine und Ginny durften nichts sagen. So konnten wir nur raten, was dir zugestoßen war!" sprudelte es aus Neville heraus.
„Ja, nun, es freut mich auch dich wieder zu sehen!" sagte Harry und steuerte seinen Platz am Gryffindortisch an. Neugierige Blicke folgten ihm. Aber nachdem Harry offensichtlich nicht preisgab, was geschehen war, nahm der Geräuschpegel bald wieder zu und Harry konnte sich wieder entspannen. Alles in allem, war es nicht ganz so schlimm gewesen, wie er erwartet hatte.
Es gab zwar immer wieder Fragen, wo er war und was passiert war, doch Harry lächelte nur und schwieg und bald hörten die Fragen auf. Jeder ging wieder seiner normalen Unterhaltung nach und ehe sich Harry versah, war er wieder Teil der Gryffindors. Es war komisch nach so langer Zeit der Isolation wieder unter ihnen zu sein, doch irgendwie auch vertraut, es hatte sich kaum was geändert.
Schon bald würde Harry wieder im Unterricht sitzen und seine kleine Welt im Krankenflügel würde der Vergangenheit angehören. Professor Snape bestand darauf, dass Harry wieder im Gemeinschaftsraum schlief. Und wenn Harry in die strahlenden Gesichter seiner Freunde blickte, so freute er sich auch ein klein wenig. Ganz so öde war sein Leben doch nicht. Er hatte immer noch Freunde, die zu ihm standen. Freunde, die für ihn durchs Feuer gehen würden, wenn nötig.
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An diesem Abend war Harry lange wach gelegen. Er fingerte mit der kleinen Flasche herum, die Snape ihm gegeben hatte. War er vielleicht doch voreilig mit seinem Beschluss? Sollte er nicht zumindest abwarten, wie ein Leben nach Voldemort aussehen könnte? Doch Harry hatte kein Vertrauen mehr darauf, dass sein Leben auch glücklich verlaufen könnte, zu oft wurde er schon vom Gegenteil überzeugt. Was versuchte er sich hier vorzumachen? Früher oder später würde wieder etwas passieren. Da war sich Harry sicher.
