Lass' den Kater aus dem Sack
Von Katern und anderen Artgenossen
Mit einem leisen Seufzen schloss Kai die Tür und lehnte sich an das kühle Holz, den Türknauf dabei immer noch in der Hand haltend. Aus welchem Grund war Rei eben bei ihm gewesen? Was hatte er bezwecken wollen? Gut, so wie es schien wollte er über das reden, was sich Kai so in den letzten Tagen geleistet hatte. Aber irgendwie… irgendwie war da noch etwas anderes gewesen. Nur was?
Kai atmete einmal tief durch und stieß sich leicht von der Tür ab. Egal. Dem konnte er auch noch später auf den Grund gehen. Etwas anderes war jetzt erst einmal wichtiger. Sofort wanderte sein Blick suchend durch das Zimmer. „Na, du? Wo hast du dich denn dieses Mal versteckt, Rei? Bist ja auffallend still gewesen, als dein Namensvetter hier war." Langsam bewegte er sich in Richtung Bett, vermutete er doch, dass der kleine Kater sich hier verkrochen hatte. Er ging in die Knie und hob mit einer Hand die Bettdecke an.
Doch unter dem Bett war nichts.
Kein Rei.
Ein wenig verwirrt blickte Kai auf. Wo konnte der Kater noch sein? Das Bett war doch die einzige Möglichkeit gewesen, um sich zu verstecken. Wäre er woanders gewesen, so hätte ihn der menschliche Rei doch sicher bemerkt. Schließlich war Rei nicht gerade ein sehr unauffälliges Tier. Vor allem dann nicht, wenn er wieder einmal quer durch das Zimmer sprintete, um dem nächsten Wirbelsturm Konkurrenz zu machen.
„Rei?" Fragend schaute der junge Russe nun auf. „Rei? Wo bist du?" Doch noch immer keine Antwort von ihm.
Nun wurde es Kai doch ein wenig mulmig zumute. Was, wenn dem Kater etwas zugestoßen war? Was, wenn er sich an irgendetwas aus Kais Zimmer verletzt hatte? Gut, dieser Gedanke war sicher ein wenig zu dramatisch, aber Kai machte sich ehrlich Sorgen. Immerhin hatte er den Kleinen doch irgendwie ins Herz geschlossen.
Mit schnellen Schritten durchquerte er das Zimmer, mit seinen Augen suchte er den gesamten Raum nach dem Kater ab…
…als er plötzlich ein leises Maunzen aus dem Schrank vernahm.
Kai hob verdattert seine Augenbraue und ging in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Vorsichtig öffnete er die Tür. Und wurde im gleichen Moment von einem kläglich maunzenden Kater begrüßt.
„Rei, wie kommst du denn hier in den Schrank?" fragte er und nahm dabei den Kater auf den Arm, der sich sofort vertrauensvoll an ihn schmiegte und leise schnurrte. Fast schon vorwurfsvoll sah er zu seinem Besitzer hoch, als habe ihn dieser in besagtem Schrank eingesperrt.
„Was denn? Schau mich nicht so an. Die Schranktür war vorhin noch zu. Keine Ahnung, wie du es da hinein geschafft hast. Aber das hast du dir sicher selbst zuzuschreiben." Den Kater kraulend setzte Kai sich auf sein Bett. „Du machst mir Sachen, Rei. Naja. Auch wenn du im Schrank festgesessen hast. Einen Vorteil hatte es ja. Dein Namensvetter hat dich nicht gesehen. Irgendwie hätte ich es doch ziemlich unpassend gefunden, dich jetzt vorzustellen. Vor allem, bei dem Namen, den du hast."
In diesem Moment, als er den letzten Satz ausgesprochen hatte, fuhr er ein wenig erschrocken zusammen.
Ja, genau. Reis Name. Selbst wenn… Wie sollte er nach allem, was vorgefallen war (und was bei Takao und Max sowieso schon tausende Spekulationen verursacht hatte), den anderen noch plausibel erklären, warum sein Kater Rei hieß? Das würde in deren Augen doch nur geradezu auf etwas hinweisen, was eindeutig nicht vorhanden war. Ein leiser russischer Fluch kam über seine Lippen.
„Weißt du, du hast mir echt einigen Ärger bereitet…" murmelte Kai vor sich hin, während er Rei weiter hinter den Ohren kraulte. Dieser ließ dies gerne mit sich machen und schnurrte zwischendurch immer wieder leise.
„Rei…," kam es gedämpft über die Lippen des Russen, „was waren das nur für Gedanken, die ich hatte, als er vor mir stand? Wieso ist mir plötzlich das Funkeln in seinen Augen aufgefallen? Das verstehe ich nicht. Obwohl… Das liegt sicher alles an dem Kater. Er ist Rei einfach zu ähnlich…" Und just in diesem Moment kamen ihm auch wieder die gleichen Bilder in den Sinn wie schon wenige Minuten zuvor. Nämlich die, eines schnurrenden menschlichen Reis, der sich an Kai kuschelt und die Streicheleinheiten genießt.
„Nein!" Kai sprang auf, warf den Kater dabei unbewusst von seinem Schoß und erntete (wieder mal) ein leises Fauchen dafür. „Das darf nicht sein. Das…" Mit einem Seufzen ließ sich der Junge zurück auf sein Bett fallen und starrte nachdenklich an die Decke.
Ich verstehe das nicht. Die ganze Zeit war doch alles in Ordnung gewesen. Ich war hier. Rei war hier. Takao und Max waren hier. Alles lief bestens. Und kaum taucht dieser Kater auf, bricht Chaos aus. Ich tue und sage Dinge, die ich im Grunde doch gar nicht so meine… Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Oder doch? Gut. Ich mag Rei, kein Zweifel. Er ist derjenige, der noch am vernünftigsten von den anderen ist. Er ist nicht so kindisch, viel erwachsener. Mit ihm kann ich mich wenigstens normal unterhalten. Ja, mit ihm kann ich auch einmal ein wenig mehr reden, ohne gleich Sprüche zu ernten wie „Na, taut unser Eisklotz jetzt ein wenig auf?" oder ähnliches. Rei hat es nie was ausgemacht, dass ich eben nicht so der gesprächige, gesellige Typ bin. Er hat mich immer so akzeptiert, wie ich war. Selbst jetzt… Er will mir auf seine Art und Weise helfen, indem er mit mir redet, indem er versucht, eine Lösung für diese verzwickte Situation zu finden. Doch warum wurde mir vorhin so komisch, als wir uns unterhalten haben? Wieso habe ich plötzlich über seine Augen nachdenken müssen? Und warum, zum Teufel, habe ich sie als schön bezeichnet?
Es war zum Haare raufen. Kai wusste nicht, was sich ihm für komische Gedanken aufdrängten, woher diese plötzlich kamen. Er wusste nur eines. Sie waren da. Und das stand fest.
Während er so in Gedanken versunken dagelegen hatte, war Rei zurück auf das Bett gekrabbelt und stupste nun sein Herrchen leicht mit seiner Nase an, so als wolle er sagen, dass Kai nicht so viel grübeln solle.
„Ach, Rei. Kannst du mir nicht helfen? Irgendetwas stimmt nicht mit mir." Der Russe drehte den Kopf, so dass er dem Kater direkt in die Augen sehen konnte. Rei legte seinen Kopf schief und miaute kurz. Es war, wie wenn er Kai eine Antwort gegeben hätte.
„Rei, was meinst du? Was soll ich machen? Weißt du, warum ich plötzlich so seltsame Dinge mit Rei in Verbindung bringe?" Eindringlich sah er den Kleinen an… und er hätte schwören können, dass dieser jetzt grinsen würde, wenn er es könnte. Verwirrt schüttelte Kai den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Kater konnten nicht grinsen… obwohl, bei diesem hier würde ihn nichts mehr verwundern. Doch so schnell, wie sich ihm dieser Eindruck aufgedrängt hatte, war er auch schon wieder verschwunden. „Hm." Schulterzuckend nahm Kai den Kater auf den Arm und stand auf.
„Das bringt ja alles nichts. Ich kann mich nicht ewig hier in meinem Zimmer verschanzen. Irgendwann muss ich doch wieder mit den anderen zusammenkommen." Mit diesen Worten setzte der Russe Rei auf den Boden und sah ihn eindringlich an. „So, mein Kleiner. Du bleibst hier. Ich gehe jetzt runter in die Küche und werde etwas essen. Und wenn du mein Zimmer nicht verwüstet hast, wenn ich wieder zurück bin, dann bringe ich dir sogar etwas Leckeres mit. Einverstanden?" Ein leises „Miau" folgte auf Kais Frage. „Gut, dann sind wir uns einig."
Noch ein letztes Mal strich er dem Kater über das schwarze Köpfchen und lächelte, bevor er das Zimmer verließ. Rei schaute ihm noch einen kurzen Moment nach und legte sich anschließend auf das Bett, kuschelte sich in die weiche Decke und war wenige Minuten später auch schon eingeschlafen.
„Ich werde wirklich zu weich." murmelte Kai kopfschüttelnd, während er die Tür hinter sich schloss. Plötzlich hörte er ein leises Klicken und drehte sich um.
Sein Blick fiel auf Rei, der ein wenig unsicher mit dem Rücken zu seiner Zimmertür stand. Seine Finger hatten sich um den Türknauf gekrallt, und sein Blick war leicht gesenkt. „Oh, Rei…" Zu mehr war Kai in diesem Moment nicht fähig. Wie hypnotisiert starrte er auf den schwarzhaarigen Jungen vor sich. Bis dieser langsam seinen Kopf hob. „Kai… wir…" Es war kaum mehr als ein leises Flüstern, was der Chinese von sich gab.
Ihre Blicke trafen sich. Wie gebannt schauten sich beide an. Ihre Köpfe waren wie leergefegt. Auch wenn keiner richtig wusste, weshalb und woher es so plötzlich kam.
Es schien, als würde der Moment ewig dauern. Auch wenn in Wirklichkeit nur ein paar Sekunden vergangen waren, in denen die beiden schweigend im Flur gestanden hatten.
„Kai? Rei? Kommt ihr zum Essen?" Takaos Stimme durchschnitt die Stille, die zwischen den Beiden geherrscht hatte. Wie, als wache er aus einer Art Trance auf, in die ihn die bernsteinfarbenen Augen seines Gegenübers gebracht hatten, schüttelte Kai kurz seinen Kopf und drehte sich abrupt von dem Anderen weg. Mit schnellen Schritten und mehr als nur verwirrt von dem, was sich zwischen ihm und Rei abgespielt hatte, eilte Kai davon, in Richtung Küche, wo schon Takao und Max mit dem Essen warteten.
„Was…" murmelte Rei. Nachdenklich sah er dem Russen hinterher. Was war nur mit ihm los? Was hatte das alles zu bedeuten?
Noch vor ein paar Tagen war alles in Ordnung gewesen.
Noch vor ein paar Tagen war Kai wie immer gewesen.
Doch jetzt? Rei konnte damit nichts so recht anfangen, wieso sich der Russe so anders verhielt. Und vor allem… Warum er selbst sich so plötzlich so anders verhielt? Woran lag das nur? Es war doch nichts wirklich vorgefallen… oder?
Kann es sein, dass mir das, was Kai gesagt und getan hat, nicht mehr aus dem Kopf geht? Kann es sein, dass es mich mehr beschäftigt, als es sollte? Ich frage mich nur, warum dem so ist… In Gedanken legte er den Kopf leicht schräg und blickte auf die Stelle, an der der Russe wenige Minuten zuvor noch gestanden hatte. Wäre es möglich… Nein. Das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da schon immer etwas war. Und dass das jetzt, durch Kais Verhalten nach außen gekommen ist… Oder? Spielt mein Unterbewusstsein mir vielleicht einen Streich? Ach, ich weiß auch nicht. Aber… es macht mir überhaupt nichts aus, wenn Kai mich so eindringlich ansieht. Im Gegenteil. Irgendwie… ja, irgendwie… Rei seufzte. Er verstand nicht wirklich, was im Moment passierte. Es war alles so merkwürdig. Zuerst Kai, sein Verhalten, dann seine eigenen Gedanken, die ihn mehr als einmal erröten ließen, waren sie doch nicht immer so normal, wie sie hätten sein sollen.
Rei seufzte erneut. Mit einem leichten Kopfschütteln ließ er endlich den Türknauf los, den er die ganze Zeit fest umklammert gehalten hatte. Mit langsamen Schritten machte er sich auf den Weg nach unten, um den anderen Gesellschaft zu leisten.
Und er kam gerade richtig, um noch mitzuerleben, wie Takao mit Kai ein doch recht interessante Unterhaltung führte.
„Mensch, Kai. Jetzt sei doch nicht so." Der Japaner verdrehte die Augen und schubste Kai leicht von der Seite an. Dieser knurrte nur entsprechend und murmelte etwas auf Russisch. Man brauchte allerdings nicht viel Fantasie, um zu verstehen, dass er Takao mit seinen Worten am liebsten auf den Mond gewünscht hätte.
„Lass mich in Ruhe." zischte der Russe nur, als ihn Takao erneut leicht in die Seite knuffte. „Komm schon. Du bist immer so ein Griesgram. Ich versteh das nicht. Wir sind doch deine Freunde, oder? Warum kannst du uns nicht einfach sagen, was Sache ist? Wir sind auch nicht böse oder so. Wir mögen dich doch so wie du bist."
Max saß neben den Beiden und verfolgte stumm das Geschehen vor ihm, dachte aber ernsthaft darüber nach, ob Takao wirklich DIESE Vorgehensweise unter diskret und „inflagranti-Erwischen" verstand.
„Lass mich endlich in Ruhe, du Nervensäge." wiederholte sich Kai und stand auf. Er wollte gerade verärgert aus dem Zimmer gehen, als er Rei bemerkte, der sich, seit seinem Auftauchen in der Küche, nicht aus dem Türrahmen weg bewegt hatte. Ihre Blicke trafen sich erneut, und Kai hielt in der Bewegung inne. Fast hätten beide die anderen zwei Jungen im Zimmer vergessen, die sich schon mit eindeutigen Blicken ansahen und wissend nickten.
„Rei." krächzte Kai. Mehr bekam er im Moment nicht heraus. Was ist nur los mit mir? Das darf doch nicht wahr sein. Wieso macht mich Rei auf einmal so… so… so…
Und wieder war es Takao, der den Moment zwischen den beiden zerstörte. Scheinbar hatte er beschlossen, dass ihm sein Leben doch noch etwas lieb war und er Kai besser nicht weiter reizen wollte, so dass ein einfaches „Hallo, Rei. Da bist du ja. Dann können wir essen." von ihm kam.
Der Chinese nickte leicht und ging schweigend zu seinem Platz. Er versuchte dabei, Kai nicht noch einmal anzusehen, hatte er Angst, noch einmal sprachlos vor dem Anderen zu stehen und diesen anzustarren. Rei, beherrsch' dich. So darf das nicht weiter gehen. Wenn du dich weiterhin so verhältst, ist es kein Wunder, wenn Takao und Max auf diverse Gedanken kommen. Dass er allerdings langsam begann, sich noch nicht einmal so unwohl unter Kais Blick zu fühlen, schob er dabei erst einmal in die äußerste Ecke seines Kopfes.
„Dann mal guten Appetit." Mit diesen Worten ‚eröffnete' Takao das Abendessen und schöpfte sich erst einmal Gemüse in seinen Teller. „Max, willst du auch?" fragte er und nahm seinem Gegenüber den Teller ab, ohne auf dessen Antwort zu warten. „Danke, Takao." Der Blonde betrachtete seinen Teller etwas schief, da das Gemüse fast zu beiden Seiten über den Tellerrand quoll. Sein Freund hatte es wohl ein wenig zu gut mit ihm gemeint. „Ist das nicht ein bisschen viel?" wollte er skeptisch wissen. „Nein, nein. Das packst du schon. Du musst doch groß und stark werden." neckte ihn der Japaner, woraufhin er nur ein Schnauben erntete. „Pfff, von wegen. Gegen dich kann ich es allemal aufnehmen." „Ach ja? Das wollen wir doch mal sehen?"
Und schon waren die Beiden in eine ihrer allabendlichen Kabbeleien verstrickt, ließen sich nicht von dem Schweigen am Tisch in irgendeiner Weise beirren, welches von Kai und Rei ausging.
Die beiden schauten auf ihre bis dato noch leeren Teller. Erst, nachdem Takao ihnen ungefragt ebenfalls eine gehörige Portion Gemüse auf den Teller geschaufelt hatte, begannen sie langsam zu essen. Immer darauf bedacht, bloß nicht hoch zu schauen, um nicht den Blicken des jeweils anderen ausgesetzt zu sein.
Etwa eine Viertelstunde später waren alle Vier fertig. Takao rieb sich zufrieden über den Bauch und konnte nicht verhindern, dass ihm ein kleines Rülpsen über die Lippen kam. „Takao!" schimpfte Max sogleich und schaute den Japaner vorwurfsvoll an. „Tschuldigung," nuschelte dieser, „aber es hat mir eben geschmeckt." Sein Blick glitt über den Tisch. „Hm, irgendwie bin ich der Meinung, dass jemand anderes aufräumen sollte. Nachdem Max und meine Wenigkeit ja so schön gedeckt und gekocht haben." Dass er in Wahrheit nur das Essen vom Vortag aufgewärmt hatte, ließ er dezent unter den Tisch fallen. Max grinste, verstand er doch, auf was der Andere hinaus wollte. Immerhin hatten sie Kai und Rei nun ein paar Minuten Ruhe gegönnt. Allerdings war es in ihren Augen jetzt wieder an der Zeit, dass ihre Mission weiterverfolgt wurde.
„Ich denke, ihr beiden solltet aufräumen. Das wäre nur mehr als fair." Stimmte Max nun Takaos vorheriger Aussage zu. Synchron hoben sich zwei Köpfe und starrten Takao und Max ein wenig besorgt an.
„Genau." Takao nickte und stand auf. „Ihr räumt hier auf, und wir suchen schon einmal den Film für heute Abend aus, ja?" Ohne Kai und Rei eine Chance zu geben, sich zu wehren, war er auch schon mit Max im Schlepptau aus dem Raum verschwunden.
Für einen weiteren Moment herrschte Stille in der Küche. Dann ergriff Rei endlich das Wort. „Du kannst gerne gehen, Kai. Ich räum schon auf. Ist kein Problem." sagte er, während nun auch er aufstand und die ersten Teller zur Spüle brachte. „Nein, ich helfe dir." kam es spontan von Kai. „Bei dem Chaos, dass die Beiden hier veranstaltet haben… Da kann ich dich doch nicht allein lassen." Und schon war auch er aufgestanden. Mit schnellen Schritten war er ebenfalls an der Spüle und schnappte sich das Handtuch. „Du spülst, ich trockne ab, ja?" fragte er, woraufhin Rei nur nickte.
Ohne ein Wort zu sagen, sahen die beiden zu, wie das Wasser langsam in die Spüle floss. Unbewusst beobachtete Kai Rei dabei, wie dieser Spülmittel hinzuschüttete und vorsichtig prüfte, dass das Wasser auch die richtige Temperatur hatte. Schließlich wollte er sich nicht die Finger verbrennen.
Kais Blick folgte Reis Fingern, wie sie das Spültuch in die Hand nahmen und behutsam den ersten Teller in das Wasser gleiten ließen. Wie sorgfältig Rei mit dem Geschirr umgeht. Kein Vergleich zu Takao. Dieser hätte sicher die Teller ohne Nachzudenken in die Spüle geschmissen und sich hinterher gewundert, warum die Hälfte kaputt ist. Rei nicht. Er gibt acht und schaut immer, was er tut. Das gefällt mir so an ihm.
„Kai? Träumst du?" wollte der Chinese wissen, da er den frisch gespülten Teller immer noch in der Hand hielt, während ihn Kai geistesabwesend anstarrte. Als dieser nicht gleich reagierte, wurde Rei ein wenig lauter. „Kai?" Erschrocken zuckte dieser zusammen, hatte er nicht gemerkt, dass sich seine Gedanken gerade selbstständig gemacht hatten.
„Entschuldigung." murmelte er leise und nahm Rei den Teller aus der Hand.
Das heißt, er wollte ihn nehmen. Jedoch berührte er dabei unbewusst Reis Finger, wobei ihnen beiden ein wenig merkwürdig zumute wurde. Ein Kribbeln ging von ihren Fingerspitzen aus und zog sich langsam den ganzen Arm hinauf. Unbewusst beschleunigte sich ihr Herzschlag und eine leichte Röte bildete sich auf ihren Wangen. „Ich…" stammelten beide gleichzeitig und zogen abrupt ihre Finger weg.
Dass sie dabei den Teller allerdings auch los ließen, fiel ihnen erst eine Sekunde später ein. Und zwar, als das weiße Porzellan mit einem lauten Klirren auf dem Boden aufkam. Geschockt blickten beide auf die Scherben, die sich um ihre Füße gesammelt hatten.
„Ich…" begann Rei, wollte schon wegeilen, um Schaufel und Besen zu holen. Doch Kai hielt ihn am Arm zurück. „Warte. Ich geh schon. Du hast keine Schuhe an. Nicht, dass du in eine Scherbe trittst." Und schon war er verschwunden, kam jedoch keine Minute später mit dem Kehrwerkzeug in der Hand zurück. Behutsam nahm Kai den Besen und kehrte vorsichtig um Reis Beine herum, der wie erstarrt auf einer Stelle stand, um Kai bei seiner Arbeit nicht im Weg zu sein. „Einen Schritt zur Seite bitte." forderte der Russe den Schwarzhaarigen einen kurzen Moment später auf. Rei kam der Bitte sofort nach und ging einen Schritt nach hinten, so dass Kai die restlichen Scherben zusammenkehren konnte.
„Danke." kam es leise von Rei, der gebannt Kais langsamen Bewegungen folgte. „Kein Problem." antwortete dieser, vermied es jedoch, dem Anderen dabei in die Augen zu sehen. Er war ganz froh für den Moment der Ablenkung, konnte er so doch sein Herz wieder ein wenig beruhigen, welches immer noch einen Tick zu schnell schlug.
„Was ist denn passiert?" Fragend schlüpfte Max in die Küche, waren Takao und er erst eben zu dem Entschluss gekommen, nachzusehen, woher der Krach gekommen war. Rei drehte seinen Kopf zu dem Blonden. „Es ist nichts. Mir ist ein Teller heruntergefallen, und Kai fegt nun die Scherben auf." entschuldigte er sich, allerdings wurde er von Kai sogleich unterbrochen. „Es ist doch nicht allein deine Schuld. Ich hätte ihn ja auch fester packen können." erklärte dieser, während er aufstand und die eingesammelten Scherben in den Mülleimer warf. Er wandte sich erneut Rei zu, drehte jedoch den Kopf schnell wieder weg, bevor dieser seinen Blick erwidern konnte. Doch der Chinese hatte dies sehr wohl bemerkt. Sein Blick ruhte einen kurzen Moment auf dem Russen, bevor auch er seine Augen ruckartig wieder abwandte.
„Achso," kam es von Max, der diesen Blickwechsel bzw. diesen Nicht-Blickwechsel verfolgt hatte, „dann ist ja alles in Ordnung. Ich geh wieder zu Takao zurück. Beeilt euch. In ein paar Minuten fängt ein Film an." Lächelnd verschwand er aus dem Raum.
„Dann machen wir mal weiter, oder?" fragte Kai und nahm erneut das Handtuch. Rei nickte und stellte sich schweigend an die Spüle zurück. Einträchtig standen beide da und spülten und trockneten ab, vermieden es jedoch tunlichst, sich noch einmal, egal ob absichtlich oder unbeabsichtigt zu berühren.
So waren sie auch nach nur wenigen Minuten fertig, und die Küche sah aus, wie zuvor. „Danke für deine Hilfe." unterbrach Rei die Stille, die zwischen ihnen geherrscht hatte. „Kein Problem. Mach ich doch gern." Kai begann zu lächeln. Es war irgendwie… Rei bedankte sich immer bei ihm, wenn er einmal etwas für ihn tat. Das war so…
In diesem Moment drehte sich der Chinese zu ihm um, und er sah, wie Kai lächelte. Dieser fühlte sich ein wenig ertappt, war es doch eher ungewöhnlich, dass er solche Gefühle zeigte. Ruckartig drehte er sich um. „Ich geh dann schon mal ins Wohnzimmer." sagte er eilig und war auch schon verschwunden. Zurück ließ er einen Jungen, dem dieses Verhalten ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Mit einem letzten kontrollierenden Blick verließ Rei die Küche und folgte Kai ins Wohnzimmer.
„Ach komm schon, Max. Der Film hat doch noch gar nicht angefangen. Solange können wir doch noch weiter das Quiz schauen." nörgelte Takao, während er krampfhaft versuchte von Max die Fernbedienung zu bekommen. „Nein. Sicher nicht. Ich weiß genau, wie das wieder ausgeht. Sobald einmal das Quiz läuft, vergisst du die Zeit und lässt uns nicht mehr umschalten. Und ich habe einfach keine Lust, dieses blöde Quiz zu schauen." entgegnete Max. Mit einer Hand hielt er Takao auf Abstand, mit der anderen stützte er sich auf der Sofalehne ab, um nicht von der Couch zu fallen.
„Du bist fies." grummelte nun Takao. Er hatte es aufgegeben. Schmollend verschränkte er die Arme und rutschte ein Stück von dem Blonden weg. Dieser atmete erleichtert aus und setzte sich endlich bequem hin. In diesem Moment bemerkte er Rei, der gerade das Zimmer betreten hatte. „Oh, Rei. Du kommst genau richtig. Der Film fängt gleich an. Setz dich doch." lächelte er den Anderen an.
„Was ist das denn für ein Film, wenn du ihn so vehement sehen willst?" Mit einem Grinsen ließ sich der Schwarzhaarige auf die kleinere Couch fallen, auf der schon Kai in einer Ecke saß. „Troja. Ich wollte ihn schon damals im Kino sehen. Doch wegen unserem Training," ein leicht vorwurfsvoller Seitenblick zu Kai folgte, woraufhin von diesem nur ein etwas genervt klingendes Schnauben kam, „habe ich ihn verpasst. Aber heute Abend kommt er endlich im Fernsehen." „Wirklich? Das ist ja super. Ich wollte den Film auch schon länger sehen. Meinst du, sie haben es wirklich geschafft, die ganzen historischen Aspekte so einzubauen, dass es passt?" ereiferte sich Rei mit einem Strahlen im Gesicht. Den Film hatte er auch schon längere Zeit anschauen wollen, interessierte er sich doch sehr für solche Verfilmungen. „Ja, ich bin schon echt gespannt." antwortete Max sofort. Und schon waren beide in eine angeregte Diskussion über ihre Erwartungen an den Film vertieft.
Takao hatte dem Gespräch nur kurz gelauscht. Dann war er zu dem Entschluss gekommen, dass er wohl wirklich keine Chance mehr hatte, Max zu überstimmen bezüglich des Films. Aus diesem Grund hatte er sich nun der Zeitschrift gewidmet, die auf dem Tisch lag.
Auch Kai war für einen Moment dem Gespräch der beiden anderen Jungen gefolgt, bis sich unbewusst seine Gedanken wieder eigenständig machten. Ich wusste ja gar nicht, dass Rei sich so für einen Film begeistern kann. Er ist richtig bei der Sache. Sein Blick wanderte über das Gesicht des Schwarzhaarigen. Er strahlt regelrecht. Selbst seine Augen leuchten vor Freude. Einfach unglaublich. Dieses... dieses...
Max ist so gemein zu mir. Dieser blöde Film. Nur wegen dem muss ich heute auf das Quiz verzichten. Dabei wird doch heute die Quizfrage der Woche aufgelöst. Ein leises Seufzen kam über Takaos Lippen, während er die Schlagzeilen der Zeitung überflog. Und da steht auch nichts Interessantes drin. Unzufrieden legte er das Papier beiseite. Dabei fiel sein Blick auf Kai, woraufhin der junge Japaner leicht grinsen musste. Also, noch offensichtlicher kann Kai ja nicht starren. Ich würde zu gern wissen, was Kai jetzt denkt. Dass Rei das nicht bemerkt? War es doch ganz gut, dass Max und ich uns gleich die große Couch geschnappt haben. Dann können es sich Kai und Rei auf der kleinen bequem machen. Innerlich klopfte er sich selbst auf die Schulter.
„Oh, Rei. Der Film fängt gleich an." Fast schon ein wenig panisch, in der Angst, den Anfang zu verpassen, drückte Max wie wild auf der Fernbedienung herum, um den passenden Sender einzustellen. Gerade noch rechtzeitig hatte er bemerkt, dass es Zeit war, umzuschalten.
Erschrocken fuhr Kai bei diesen Worten hoch, hatte er doch nicht registrierte, wie lange er nun schon Rei angestarrt hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, wie viel Zeit inzwischen vergangen war, seit der Schwarzhaarige sich neben ihn gesetzt hatte. Verlegen drehte er den Kopf zur Seite und hoffe im Stillen, dass dies niemand bemerkt hatte. Vor allem nicht Rei selbst.
Ich muss wirklich aufpassen, wohin meine Augen wandern. Wenn Takao oder Max das mitbekommen, dann bin ich geliefert. Das fällt auf und gibt ihnen nur noch mehr Grund für ihre merkwürdigen Spekulationen. Nicht auszudenken, was ich mir dann wieder anhören darf. Mit einem leichten Kopfschütteln verschränkte Kai die Arme vor der Brust und drückte sich noch ein wenig tiefer in das Sofakissen.
Dann begann auch schon der Film, und die vier Jungen verfolgten interessiert das Geschehen auf dem Fernsehschirm.
Doch schon nach zwanzig Minuten war Kai von der Handlung gelangweilt. Mühsam konnte er ein Gähnen unterdrücken. Auch seitens der anderen schien es nicht viel besser. Einzig Max starrte gebannt auf die Figuren, die über den Bildschirm hopsten.
Ich weiß gar nicht, was die alle an diesen Schauspielern finden. Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete Kai skeptisch die beiden Männer, die sich gerade ein heftiges Wortgefecht lieferten. Was soll an dem Film nur so toll sein? Rei ist sicher enttäuscht, hat er sich doch so drauf gefreut, den Film endlich sehen zu können. Er drehte sich zu dem Anderen, der sich stark darum bemühte, dass ihm die Augen nicht zufielen. Immer wieder sackte sein Kopf leicht nach vorne, woraufhin er ruckartig die Augen wieder aufriss.
Kai musste grinsen. Der Anblick, den ihm Rei bot, war einfach genial. Einfach sü... Abrupt stoppte er sich selbst, bevor er gedanklich das Wort beenden konnte. DAS wollte er sicher nicht denken!
Erschöpft rieb er sich die Augen und schloss sie. Den Kopf legte er auf der Rückenlehne des Sofas ab. Gott, ich hoffe, der Film ist bald zu ende. Oder Max entschließt sich endlich, doch umzuschalten, bevor wir hier alle gelangweilt einschlafen. Er gähnte kurz, konnte es sich nicht mehr verkneifen.
Und nur wenige Minuten später war er schon ins Land der Träume entschwunden, seine Arme immer noch überkreuzt, den Kopf in den Nacken gelegt.
Auch Rei fiel es inzwischen immer schwerer, sich wach zu halten. Immer wieder schlossen sich seine Augen wie von selbst, und es war immer schwerer, sie wieder zu öffnen. Dass der Film so langweilig sein würde, hätte er nicht gedacht. Nun gut, er hatte vermutlich einfach zu viel erwartet. Er gähnte kurz, und seine Augen fielen ein erneutes Mal zu.
