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Ich bin du, und du bist ich!
„Mein Kopf."
Stöhnend rieb sich Rei besagten und öffnete benommen die Augen. Was war nur geschehen? Er konnte sich nur noch dunkel daran erinnern, dass er sich auf das Heftigste mit Kai gestritten hatte. Plötzlich war den beiden irgendwie ein Blitz in die Quere gekommen, und sie waren danach ohnmächtig geworden.
/O Gott. Mir tut alles weh. Ich habe das Gefühl, als wäre ich unter eine Dampfwalze geraten./ Mühevoll versuchte Rei sich aufzurichten. Sein Blick fiel dabei auf Kai, der neben ihm lag.
Aber Moment.
Da lag nicht Kai neben ihm.
Erschrocken starrte er die Gestalt an und musterte sie von oben bis unten.
Schwarze lange Haare, Chinadress. Das war ganz und gar nicht Kai. Das war...
/ICH? Wieso liege ich da drüben? Ich bin doch hier/ Nervös sah er an sich herunter. /Warum hab ich jetzt Kais Klamotten an? Und er meine? Und warum hat er meine schwarzen Haare/
Wie wild rasten die Gedanken in Reis Kopf. Fahrig fuhr er sich durch die Haare, wobei ihm die graublauen Strähnen nicht verborgen blieben, die dabei durch seine Finger glitten.
Hastig rappelte er sich auf und kroch zu dem Anderen hinüber.
„Kai!" flüsterte er verschreckt und rüttelte an dessen Schulter.
„Was?" kam es leise von diesem zurück.
Gerade eben hatte er die Augen geöffnet. Er drehte sich zu Rei um und schaute in dessen Gesicht.
„Was?" keuchte er nun erschrocken. Seine Augen weiteten sich, während sein Blick schnell über den Körper des Anderen glitt.
„Du...du..." stammelte Kai, woraufhin Rei nur nickte.
Die beiden schwiegen einen Moment, in dem sie sich eingehend musterten.
„Kannst du mich bitte einmal kneifen?" bat Rei leise.
„Warum?" wollte Kai wissen. Immer noch geschockt wanderte sein Blick von Rei zu sich und wieder zurück.
„Ich will wissen, ob das nur ein böser Traum ist."
Schnell beugte sich Kai zu dem Anderen und zwickte ihn in den Arm.
„Autsch!" Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Rei die Stelle.
„Und?" fragte Kai.
„Nichts," antwortete Rei, „ich seh' immer noch mich vor mir."
„Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wie konnte das nur passieren?" Seufzend ließ sich Kai nach hinten fallen und starrte in den Himmel.
Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Nur von fern war ab und zu ein leises Donnergrollen zu hören.
„Glaubst du, mir gefällt das? Ich steck jetzt wohl in deinem Körper." brummte Rei und starrte verwirrt auf Kais... halt nein... seine...ach, auf irgendwem seine Hände...
/Argh. Das glaub ich jetzt wirklich nicht. Was ist bloß passiert? Eben war doch noch alles normal. Wieso sitze ich jetzt hier in Kais Körper fest und er in meinem/
Er sah zu Kai, der inzwischen die Augen geschlossen hatte.
„Hey. Du kannst doch jetzt nicht einfach einschlafen. Wir haben immerhin ein kleines, nicht ganz unerhebliches Problem!" fuhr Rei ihn an, wobei er ihn grob an der Schulter packte.
„Lass das," zischte Kai und öffnete die Augen wieder, „ich weiß, dass wir ein Problem haben. Aber es bringt doch auch nichts, wenn wir jetzt hier wie die wildgewordenen Hühner rumrennen und den Aufstand proben. Wir sollten in Ruhe darüber nachdenken. Nur so können wir eine Lösung finden."
„Ok. Mag sein, dass ich ein bisschen überreagiere. Aber... Hallo. Ich stecke in deinem Körper und du in meinem. Das ist ja nicht gerade alltäglich." meckerte Rei und funkelte sein Gegenüber an.
„Natürlich nicht. Aber was willst du tun? Hast du eine Ahnung, warum das passiert ist?" Als von Rei keine Antwort kam, fuhr Kai pragmatisch fort: „Siehst du. Ich schlage vor, wir gehen jetzt erst einmal zurück und ziehen uns vor allem was Anderes an. Ich will schließlich keine Erkältung bekommen."
Mit diesen Worten stand der Russe auf und hielt Rei seine Hand hin, welcher diese zögerlich annahm.
„Und was sagen wir den Anderen?" fragte der Chinese, während sie gemeinsam zurück zum Haus gingen.
„Die brauchen das erst mal nicht zu wissen. Stell dir doch mal vor, was die beiden für einen Zirkus veranstalten würden, wenn sie das wüssten." Genervt rollte Kai mit den Augen. Ja, genau das würden Max, Takao und Kenny tun.
Takao würde sich vermutlich über sie lustig machen. Wie so was nur passieren könne und so weiter.
Max würde es sicherlich süß finden. Schließlich fand der Blonde fast alles süß.
Und Kenny würde gleich Dizzy anschalten und irgendwelche Berechnungen anstellen, die im Endeffekt leider doch nicht den gewünschten Erfolg brächten.
„Meinst du wirklich, wir sollten es ihnen nicht erzählen?" wollte Rei wissen. Immerhin waren die anderen Drei ihre Freunde und könnten ihnen sicher helfen, wieder in ihre alten Körper zurückzufinden.
„Spreche ich jetzt chinesisch, oder was?" fuhr Kai Rei an, woraufhin dieser trotz der verfahrenen Situation leise lachen musste.
„Wenn du so fragst..."
Kai schnaubte verärgert und funkelte sein Gegenüber zornig an.
„Ist ja schon gut. Reg dich bitte nicht so auf," der Chinese seufzte kurz, „ok. Du meinst also, wir sagen erst einmal nichts. Denkst du nicht, dass es ihnen auffällt, auch wenn wir es verschweigen? Ich meine... Immerhin sind wir zwei doch.. wie soll ich sagen... recht verschieden."
Kai verlangsamte seine Schritte und blieb dann komplett stehen. Auch Rei stoppte und sah den Anderen verwirrt an.
„Was ist los? Warum gehst du nicht weiter?" wollte er wissen, während ihn Kai mit einem undefinierbaren Blick musterte.
„Was?" Fragend sah Rei an sich herunter, ob es da irgendetwas Ungewöhnliches zu sehen gab. Gut, mal davon abgesehen, dass es nicht SEIN Körper war.
„Du musst MICH spielen." kam es von Kai, wobei er ihm fest in die Augen sah.
„Ich soll was? Ich soll du sein? Das kauft mir doch kein Mensch ab." Rei lachte kurz auf. Wie sollte das denn funktionieren? Er sollte so tun, als wäre er Kai? Das würde nie im Leben klappen. Davon war er felsenfest überzeugt. Wie sollte er den Anderen realistisch vorgaukeln, er sei der Eisklotz höchstpersönlich?
„Du wirst es wohl oder übel müssen," ein wenig belustigt blickte Kai auf sein Gegenüber, „oder hast du etwa Angst, meine Rolle zu übernehmen?"
„Pah. Ich hab keine Angst. Ich finde nur, dass du das alles ein wenig zu gelassen siehst." kam es von Rei zurück.
„Ach? Gibt es da nicht ein Sprichwort ‚Es lohnt sich nicht über verschüttete Milch zu heulen'? Was soll ich mich jetzt darüber aufregen? Allem Anschein nach ist es passiert, und ich kann es nicht ändern. Also versuch ich mich damit abzufinden und logisch über eine mögliche Lösung nachzudenken." erklärte Kai ruhig und zuckte mit den Schultern.
„Na gut. Da könntest du recht haben. Aber wenn ich schon du sein musst, dann ist dir ja klar, dass du auch mich spielen musst, oder?"
„Klar weiß ich das." war Kais Antwort.
„Da bin ich ja gespannt, ob du das hinbekommst." grinste Rei ihn an.
„Wäre doch gelacht, wenn nicht." brummte Kai und setzte sich nun wieder in Bewegung.
Rei folgte ihm mit wenigen Schritten Abstand. Ein paar Minuten später hatten sie das Haus, das sie mit den Anderen bewohnten, erreicht.
„Na, habt ihr euch wieder abgekühlt?" Grinsend sah Max seine beiden Teamkameraden an, die gerade durch die Tür kamen.
„Was gibt es da zu grinsen, Blondie?" schnaubte der falsche Rei, woraufhin er jedoch einen Rippenstoß von ebenso falschen Kai erntete. Dieser flüsterte ihm noch leise etwas ins Ohr, was Max jedoch nicht verstand, und zog ihn dann die Treppe nach oben in ihre Zimmer.
Der Amerikaner blieb im Gang zurück und sah den beiden nur schulterzuckend hinterher.
„Hat er sich etwa immer noch nicht beruhigt?" fragte Takao seufzend, der die Szene von der Wohnzimmertür aus beobachtet hatte.
„Scheinbar nicht," antwortete Max, „aber was soll's? Jeder darf ja mal einen schlechten Tag haben. Vermutlich ist morgen schon wieder alles vergessen und wir haben unseren alten Rei zurück."
Mit diesen Worten ging er auf Takao zu und zog den Japaner ins Wohnzimmer.
„Komm, lass uns lieber weiter fern sehen. Die Pause ist sicher gleich vorbei."
Gemeinsam ließen die beiden sich auf die Couch fallen und waren nach nur wenigen Augenblicken schon wieder in ihren Film vertieft.
Währenddessen waren die beiden Anderen in Reis Zimmer angekommen. Kaum hatte Rei die Tür geschlossen, fauchte er Kai verärgert an.
„So etwas kannst du doch nicht zu Max sagen. ICH würde das nie tun. Wenn du dich nicht daran hältst, dann kannst du es sowieso gleich vergessen."
„Pff," schnaubte Kai und verschränkte die Arme vor seiner Brust, „was kann ich dafür, dass er so blöd gefragt hat?"
Genervt verdrehte Rei die Augen und ließ sich auf sein Bett fallen. Dass er immer noch in den vom Regen vollkommen durchnässten Sachen steckte, bemerkte er nur am Rande, ignorierte es jedoch größtenteils, da es im Moment Wichtigeres gab.
„Kai. Du musst schon versuchen, so zu tun als ob du ich wärst. Sonst klappt das nicht. Heute hast du noch Glück. Immerhin war ich vorhin nicht gerade gut drauf, so dass die Anderen meine Bemerkungen heute noch als Folge meiner schlechten Laune interpretieren. Aber spätestens morgen musst du nett zu ihnen sein."
Kai lehnte sich an die Wand und starrte Rei an.
„Wie soll ich denn nett sein?" brummte er leise, woraufhin Rei anfing zu kichern.
„Ich dachte, es wäre kein Problem für dich, in meine Rolle zu schlüpfen." feixte er.
„Das ist es auch nicht." kam prompt aus Kais Richtung.
„Na, dann sollten wir klare Spielregeln aufstellen." begann der Chinese.
„Wenn du meinst, dass das nötig ist." unterbrach ihn Kai, was Rei jedoch vollkommen ignorierte.
„Also. Erstens. Max heißt Max und nicht Blondie. Zweitens, Takao wird nicht angeschrieen, fertig gemacht oder in irgendeiner Weise beleidigt."
„Na, das kann ja spaßig werden..." seufzte Kai leise.
Der Chinese hatte es jedoch gehört und musste grinsen. „Ja, auch wenn es dir schwer fällt. Ich behandle die beiden wie Freunde. Was dir im Übrigen auch nicht weh tun würde, wenn du es tätest. Aber das ist ein anderes Thema."
Kai ging zu dem Anderen und setzte sich neben ihn auf das Bett. „Gut, wenn du mir Regeln machen willst... Dann hör mir mal zu. Gleich zu Anfang. Hör endlich auf zu grinsen. So etwas tue ich nämlich nicht."
„Ich dafür umso mehr." Rei lächelte sein Gegenüber an. „Also wirst du das dir jetzt wohl oder übel angewöhnen müssen."
„Ja, ja," mit einer wegwerfenden Handbewegung winkte Kai ab, „weiter geht's. Du mischst dich nicht bei den Anderen ein. Du kümmerst dich darum, dass das Training eingehalten wird und die zwei ihr Bestes geben. Am besten machst du damit weiter, was ich für morgen geplant hatte, was soviel heißt, dass wir spätestens um sieben trainingsbereit sind. Bis um zehn dann Konditionstraining, anschließend ein paar Trainingskämpfe und am Nachmittag übt jeder an seiner Technik. Du wirst natürlich ebenfalls trainieren. Nicht, dass mein Körper wegen dir in irgendeiner Weise an Kondition verliert."
Kai schaute Rei eindringlich an, um ihm den Ernst der Lage noch einmal bewusst zu machen.
„Und das Allerwichtigste ist. Tu auf keinen Fall irgendetwas, was nicht zu mir passt!" versuchte er seinem Gegenüber einzuschärfen.
„Ok. Das dürfte nicht so schwer sein. Jetzt aber zu dir. Wenn wir um sieben zum Training sollen, dann kannst du dich schon einmal darauf einstellen, um sechs aufzustehen und Frühstück zu machen. Anschließend sortierst du noch die Wäsche, bevor wir dann raus gehen und anfangen. In der Mittagspause bereitest du das Essen vor, genau wie abends, während wir anderen duschen gehen. Und wenn du dann noch Zeit hast, kannst du vielleicht noch einkaufen gehen, da, wenn ich mich recht erinnere, nicht mehr viel an Lebensmitteln im Haus ist. Und Kai," mit einem ernsten Blick sah Rei nun seinerseits den Anderen an, „für dich gilt natürlich genauso. Tu nichts, was ich nicht tun würde."
„Gut. Dann hätten wir das ja jetzt geklärt," Kai stand auf und drehte sich zur Tür, „ich für meinen Teil werde mich jetzt erst mal aus diesen nassen Klamotten schälen und eine lange Dusche nehmen."
Er hatte gerade die Klinke heruntergedrückt, als ein leises „Wie jetzt?" von Seiten des Chinesen kam.
„Was hast du an dem Satz denn nicht verstanden? Ich werde jetzt duschen gehen. Hast du ein Problem damit?" Er drehte sich noch einmal zu Rei um, der vom Bett aufgestanden und einen Schritt in Kais Richtung gegangen war.
„Ich meine... du kannst doch nicht... wenn du duschst..." stammelte Rei und schaute ein wenig verlegen auf den Boden.
Doch trotz dieses unzusammenhängenden Satzes verstand Kai, auf was der Andere hinaus wollte.
„Natürlich kann ich. Immerhin bin ich komplett durchnässt. Keine Angst, ich guck dir schon nichts ab. Auch wenn es recht interessant ist..." grinste er süffisant.
„Blödmann." nuschelte Rei, während er immer noch den Teppich zu seinen Füßen anstarrte.
„Na, dann," mit diesen Worten drückte Kai die Klinke herunter, nicht jedoch ohne sich noch ein letztes Mal an den Anderen zu richten, „ach, und Rei. Es wäre wohl besser, wenn du in Kais Zimmer gehen würdest. Schließlich ist das hier Reis Zimmer. Und der bin momentan immer noch ich, zumindest nach außen hin."
Und dann war er auch schon verschwunden.
/Idiot. Da wäre ich schon noch von selbst drauf gekommen, dass ich nicht hier bleiben kann. Jetzt muss ich doch tatsächlich mit dem das Zimmer tauschen. Prima. Da habe ich ja überhaupt keine Lust darauf./
Verärgert verließ der Chinese sein ehemaliges Zimmer und betrat nach nur wenigen Schritten sein neues Reich. Neugierig schaute er sich im Raum um, immerhin konnte er so einmal ungeniert in Kais Sachen schnüffeln.
Aber sein kleiner Streifzug war nicht unbedingt erfolgreich.
/Hier ist ja überhaupt nichts Interessantes zu sehen./ Seufzend ließ sich Rei auf das Bett fallen. Beziehungsweise wollte sich fallen lassen. Doch kaum hatte er die Matratze berührt, sprang er sofort wieder auf.
/Iiih. Ich hab ja ganz vergessen, dass ich immer noch die nassen Klamotten anhab./ Ein kleines Grinsen stahl sich über seine Lippen. /Kai wird seine Freude haben. Schließlich habe ich ja vorhin auch auf meinem Bett gesessen. Mit den nassen Sachen. Das Bettzeug dürfte inzwischen recht durchgeweicht sein. Ich schätze, das kann er jetzt erst einmal frisch beziehen./
Mit einer nicht gerade geringen Portion an Schadenfreude ging Rei zum Schrank, um sich dort trockene Kleidung herauszuholen. Dabei fiel sein Blick auf den Spiegel, in dem er Kais Ebenbild sah.
/Schon komisch. Jetzt steck ich hier in Kais Körper fest, während er sich in meinem breit macht. Wirklich ein seltsames Gefühl, nicht mehr man selbst zu sein. Ob die Anderen es wohl bemerken? Ich hoffe ehrlich, dass Kai sich zusammen reißt. Die würden das doch sofort spitz kriegen, wenn er sich weiterhin so verhält wie er es immer tut. Seine Verhaltensweise schreit ja geradezu nach Kai Hiwatari. Hm. Aber ob ich das kann? Kann ich wirklich wie er sein? Eigentlich will ich das überhaupt nicht. Klar, wer will schon so sein? Immer den Unnahbaren spielen./
Mit einem weiteren Seufzen begann Rei das T-Shirt auszuziehen, als er plötzlich aus dem angrenzenden Raum ein deutliches Wasserrauschen hörte. Verlegen starrte er die Wand an, hinter der sich das Badezimmer befand.
/Jetzt duscht der Kerl tatsächlich. Ich will gar nicht wissen, was der mit meinem Körper alles macht./
Er konnte es nicht verhindern, dass er leicht errötete, bei dem Gedanken daran, dass Kai ihn nun zwangsläufig nackt sehen würde. Was ja auch recht logisch war, immerhin würde dieser sicher nicht nur aus reiner Nettigkeit Rei gegenüber mit Badehose oder ähnlichem duschen.
Aber es half ja alles nichts. Selbst wenn Kai sich zu dieser Geste entschlossen hätte, spätestens beim Umziehen oder auf die Toilette gehen, würde er Reis Körper komplett sehen bzw. berühren.
Somit war diese Tatsache wohl unumgänglich. Für Kai wie auch für Rei.
Wobei es letzterem allem Anschein nach ein wenig schwerer fiel, dies zu akzeptieren, fand er es doch nicht gerade alltäglich, dass ein anderer Junge seinen Körper anfasste.
/Na ja, ich werde wohl nicht drum herumkommen. Also, bringen wir die Angelegenheit hinter uns./
Der Gedanke daran, Kais Körper ( ich betone: den GANZEN Körper ) zu berühren, war ihm schon ein wenig peinlich.
Langsam begann er den Gürtel zu öffnen und entledigte sich zögerlich der Hose. Jetzt stand er nur noch mit Unterwäsche bekleidet vor dem Spiegel.
/Dann mal los./ dachte er, während er sich frische Shorts griff.
Entschlossen kniff er die Augen zusammen. Schnell entfernte er nun auch noch das letzte Kleidungsstück und schlüpfte rasch in die trockene Hose.
Nun ja. Zumindest versuchte er das. Doch mit geschlossenen Augen schien dies nicht so einfach zu sein...
Er versuchte krampfhaft sein zweites Bein in die Hose zu bringen, was ihm jedoch nicht gelang, da er die Shorts verkehrt herum in der Hand hielt, was er jedoch nicht sehen konnte.
„So ein Mist aber auch!" fluchte er leise und hüpfte auf einem Bein herum, in der Hoffnung, doch noch irgendwie die Hose anzubekommen.
Aber wie das Schicksal so spielt. Es gelang ihm keineswegs. Im Gegenteil. Es kam, wie es kommen musste, dass er bei seinem Rumgehüpfe an die Bettkante stieß und ein wenig unsanft auf dem Boden landete.
Reflexartig öffnete er die Augen und starrte verärgert auf das Stück Stoff, welches sich partout geweigert hatte, problemlos angezogen zu werden.
Unbewusst wanderte sein Blick weiter nach oben, über den Rest von Kais Körper.
„Na, dann hätten wir das ja jetzt auch geklärt." gab er ein wenig peinlich berührt von sich.
Schnell hatte er die Shorts wieder aus – und dann richtig herum angezogen. Die restliche Kleidung war ein Kinderspiel.
Kai drehte gerade das Wasser ab, als er ein leises Rumsen aus seinem Zimmer hörte.
/Was stellt der denn da bitte mit meinem Körper an/ dachte er leicht verärgert und nahm sich ein Handtuch. /Wehe, ich habe irgendwelche blauen Flecken, wenn ich wieder zurück bin. Dann kann Rei aber was erleben./
Leise brummelnd verließ er das Badezimmer. Auf dem Flur begegnete er Takao, der ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte.
„Und? Hast du dich inzwischen wieder eingekriegt?" fragte er und lief neben ‚Rei' her zu dessen Zimmer.
Kai wollte schon etwas erwidern, es lag ihm regelrecht auf der Zunge, dass es den Japaner einen feuchten Kehricht anginge, ob er sich denn wieder gefangen hatte. Doch in der letzten Sekunde konnte er sich gerade noch bremsen.
/Stopp. Du bist jetzt Rei. Sag irgendwas Nettes./
„Ja. Danke der Nachfrage." kam es leise von dem Russen, wobei er sich innerlich vor Stolz auf die Schulter klopfte, etwas Normales gesagt zu haben.
„Weißt du, Rei." fing Takao auch gleich an und folgte dem Anderen in dessen Zimmer, was nur mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert wurde.
/Wieso läuft der mir denn jetzt hinterher/ Ein wenig verwirrt, aber auch verärgert über die Dreistigkeit des Japaners schaute Kai diesen an.
„Ich muss echt sagen, dass war schon krass, wie du vorhin Kai zur Schnecke gemacht hast," erzählte Takao munter weiter, wusste er ja nicht, mit wem er da eigentlich redete, „sein Blick war einfach genial. Wie der so schön auf 180 war. Gut, dass dieses Mal wenigstens nicht ich es war, der ihn so wütend gemacht hat. Aber ich wette mit dir, wir dürfen morgen seine miese Laune wieder ausbaden. Ich kann es mir schon richtig vorstellen, wie er uns morgen mit irgendwelchen bescheuerten Übungen schikaniert."
Mit jedem Satz von Takao war Kai wütender geworden. So also redete dieser über ihn, wenn er nicht dabei war. Gut zu wissen. Der Japaner sollte nur mal abwarten, bis er wieder er selbst war. Doch jetzt musste er sich beherrschen. Schließlich war er jetzt Rei.
Nur, wie reagierte Rei gewöhnlich auf so etwas? Machte er mit? Oder hielt er sich da raus?
Gott sei dank musste Kai diese Frage nicht beantworten, da Takao längst zu einem anderen Thema übergegangen war.
„Also, Rei. Wann gibt es denn jetzt Abendessen?" wollte der Blauhaarige wissen.
„Hn?" kam es klugerweise von Kai, der ein wenig überrascht war von dem abrupten Wechsel.
„Abendessen? Wieviel Uhr?" wiederholte Takao die Frage und schaute den Anderen neugierig an.
„Lass mich doch erst einmal etwas anziehen." brummelte Kai leise und drehte seinem Gegenüber demonstrativ den Rücken zu. Dass der aber auch immer nur ans Essen denken konnte.
„Gut, dann warten wir unten auf dich. Soll ich denn schon mal den Tisch decken?" fragte Takao, woraufhin Kai nur nickte.
Fröhlich pfeifend verließ der Japaner das Zimmer und ließ Kai endlich alleine.
/Der Junge ist wirklich anstrengend. Aber interessant zu wissen, was er so über mich denkt. Das würde er sich doch nie trauen, mir das einmal ins Gesicht zu sagen. Wer weiß? Vielleicht ist es ja nicht schlecht, jetzt Rei zu sein. So kann ich endlich erfahren, wie die Anderen wirklich zu mir stehen./ dachte Kai, während er sich anzog.
Als er damit fertig war, widmete er sich nun den Haaren. Nach fünf Minuten gab er es jedoch auf, dieses Wirrwarr von Haaren irgendwie bändigen zu wollen, und kämmte es nur ordentlich durch.
/Meine Güte, wie macht Rei das immer? Bei der Masse von Haaren. Das dauert doch fünf Jahre, bis die mal trocken sind, geschweige denn zu einem Zopf gebunden./
Da klopfte es leise an der Tür.
„Herein." sagte Kai, wobei er immer noch ein wenig verzweifelt auf sein Spiegelbild schaute.
„Ich bin's." Vorsichtig schlüpfte Rei ins Zimmer, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keiner ihn beobachtete. Schließlich wäre es ein wenig seltsam, würde Kai so ohne Grund bei Rei vorbeischauen. Vor allem, nach dem Streit, den sie ja noch kurz zuvor hatten.
„Was willst du?" fragte der Russe und drehte seinen Kopf langsam zu dem Anderen um.
Als er in dessen Gesicht sah, konnte er sich nur schwer das Lachen verkneifen.
„Was hast du denn da bitteschön angestellt?" wollte er wissen und deutete auf ‚seine' Wangen.
„Warum?" Rei schaute ihn verwirrt an.
Nun konnte sich Kai nicht mehr beherrschen. Erst begann er leise zu kichern, was sich jedoch schnell in ein Lachen umwandelte.
„Bist du denn in einen Farbkasten gefallen?" kam es von dem Russen, nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.
„Ach, das meinst du. Ich habe nur versucht, diese komischen Dreiecke wieder dahin zu malen. Durch den Regen waren die recht verwischt. Wie machst du das nur, dass die so aussehen, wie sie aussehen?"
Verlegen rieb sich Rei am Hinterkopf.
„Das ist jahrelange Übung. Aber ich schlage dir einen Deal vor. Ich mal die Dinger für dich, während du mir hilfst, diese Haarmassen irgendwie zu bändigen."
Nun war es an Rei zu grinsen, als er sah, dass der Andere ein wenig ratlos vor dem Zopfband saß und nicht wirklich wusste, was er damit anfangen sollte.
„Ok. Abgemacht." Mit diesen Worten ging er auf Kai zu und nahm die Haarbürste in die Hand. Nach nur zwei Minuten waren die langen schwarzen Haare unter dem Band versteckt und sahen genauso aus wie immer.
Wortlos drehte sich Kai um, ließ sich von Rei den Stift geben, den dieser vorsorglich eingesteckt hatte, und malte die vier Dreiecke auf dessen Wangen.
Zufrieden betrachtete er sein Werk.
„Na. Das hätten wir." sagte er, während er aufstand, „dann können wir ja jetzt essen gehen."
