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Der Morgen danach

Leise gähnend öffnete Takao seine Augen und schielte zum Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Verwundert blieb sein Blick an der angezeigten Uhrzeit hängen. Ungläubig rieb er sich noch einmal die Augen, doch die Zahlen veränderten sich nicht.

/Es ist tatsächlich schon halb acht, und Kai hat uns noch nicht aus dem Bett geschmissen. Hatte er gestern nicht etwas von sieben Uhr gesagt? Komisch.../

Immer noch leicht müde stand der Japaner auf und tapste zum Schrank, um sich dort etwas zum Anziehen herauszusuchen. Gerade, als er sich ein Shirt über den Kopf gezogen hatte, klopfte es leise an seiner Tür.

„Ja?" rief er. Vorsichtig wurde die Tür geöffnet, und Max spähte durch den Spalt.

„Oh, du bist ja schon wach. Gut," ein Lächeln umspielte dessen Lippen, „ich dachte schon, ich wäre der Einzige, der rechtzeitig aufgewacht ist."

„Nein, nein. Bist du nicht." antwortete Takao, während er, nachdem er sich fertig angezogen hatte, sein Bett machte.

Einen kurzen Moment beobachtete ihn der Blonde dabei, unterbrach dann jedoch die kurzzeitig eingetretene Stille. „Sag mal. Findest du es nicht auch äußerst seltsam, dass wir noch nichts von Kai gehört haben? Immerhin müssten wir doch, laut seinen Angaben von gestern, seit etwa einer halben Stunde trainieren."

„Das ist wirklich merkwürdig. Komm, wir sollten nachschauen gehen, ob etwas passiert ist und warum Kai uns wegen der Verspätung noch nicht zur Schnecke gemacht hat." Ein letztes Mal schüttelte Takao seine Bettdecke auf, warf einen prüfenden Blick darauf und nickte zufrieden.

Dann packte er den Anderen am Arm und zog ihn aus seinem Zimmer. Langsam schlichen sie sich den Gang entlang bis zu Kais Zimmer. Leise klopften sie an.

Keine Reaktion.

Schulterzuckend sahen sich die Beiden an. Was sollten sie jetzt machen?

„Vielleicht ist Kai ja überhaupt nicht in seinem Zimmer. Vielleicht ist er schon längst auf und wartet irgendwo auf uns." sagte Max flüsternd.

„Da könntest du Recht haben," gab Takao ebenso leise zurück, „lass uns nachsehen."

Behutsam nahm er die Klinke in die Hand und öffnete die Tür. Vorsichtig steckte er seinen Kopf durch den entstanden Spalt und musste unwillkürlich grinsen bei dem Bild, dass sich ihm bot.

Kai lag noch schlafend in seinem Bett.

Nun gut. Das war zwar schon ein wenig untypisch, da er ja immer als Erster auf den Beinen war.

Aber viel ungewöhnlicher war, wie er dalag.

Er hatte nämlich mit beiden Beinen die Decke fest eingeklemmt, als wolle er so verhindern, dass sie sich in der Nacht von ihm verabschiedete. Der linke Arm war in einer Art Umarmung um das Kopfkissen geschlungen, während die rechte Hand halb aus dem Bett hing.

Lächelnd winkte Takao Max heran, der beim Öffnen der Tür einen kleinen Sicherheitsabstand eingenommen hatte. Auch er musste schmunzeln, als er Kai so daliegen sah.

Immerhin kannten sie ihren Teamchef auf diese Weise noch nicht. Wie er so dalag, wirkte er regelrecht friedlich, als könne ihn kein Wässerchen trüben, geschweige denn als könne er jemals einem Anderen böse Worte an den Kopf werfen, weil derjenige mal wieder einen Fehler beim Training gemacht hatte.

Er wirkte eben einfach nur... normal.

Rücksichtsvoll schlossen die Beiden die Tür wieder hinter sich. Wortlos, nur mit einem kurzen Blick, waren sie zu dem Überzeugung gekommen, dass sie den Guten heute ausnahmsweise einmal ein bisschen länger schlafen lassen wollten.

Denn wenn Kai einmal verschlief, dann hatte das mit Sicherheit einen sehr guten Grund.

Dass sie dies sicher später bereuen würden, da Kai ihnen deshalb hundertprozentig Extrarunden aufs Auge drücken würde, soweit dachten die Zwei im Moment nicht.

Schweigend machten sie sich auf den Weg in die Küche, um schon einmal ein paar Dinge für das Frühstück vorzubereiten.

„Ich frage mich ja ernsthaft, warum Kai noch nicht wach ist. Normalerweise ist er doch der Erste, der morgens aufsteht, nur, um uns unsanft aus dem Bett zu schmeißen." Immer noch leicht lächelnd ließ sich Takao auf einen Stuhl am Esstisch fallen, während Max zum Herd ging, um Teewasser aufzusetzen.

„Eigentlich schon. Da muss er wirklich extrem fertig gewesen sein, wenn er es sogar verschläft, uns triezen zu können. Woran das wohl liegt..." kam es von Max, der inzwischen nach den Teebeuteln suchte.

„Vielleicht..." begann Takao, während er seinen Freund weiter bei seinem Tun beobachtete.

„Was?" Max drehte sich zu dem Anderen um und schaute ihn fragend an.

„Ich weiß ja auch nicht. Doch irgendwie war Kai gestern Abend doch schon recht merkwürdig drauf, findest du nicht? Er hat sich so absolut untypisch verhalten. Und wenn man es mal genauer überlegt, war es fast das Gleiche bei Rei. Der war ja auch ein wenig... Wie soll ich sagen? Denk doch mal an das Essen, was er gekocht hat... Das war so..." gab der Japaner zu Bedenken, wobei es ihn leicht schüttelte, als er an den missglückten Kochversuch vom vorigen Abend dachte.

„Hm...," Max schien nachzudenken, „Du hast irgendwie recht. Beide waren schon ein wenig... anders? Nun gut, sie haben gestern wirklich heftig gestritten. Aber das Kai deshalb heute Morgen verschläft? Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Meinst du, dass das etwas mit ihrem Verhalten zu tun hat?"

Ein wenig ungläubig schaute der Blonde Takao an. Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht..."

Kais POV

Verschlafen öffnete ich die Augen. Komisch. Ich hatte heute Morgen den Wecker noch gar nicht gehört. War ich etwa zu früh aufgewacht? Na, kein Wunder. Bei dem irren Traum, den ich gehabt hatte. In diesem war ich plötzlich in Reis Körper gefangen und hatte keine Ahnung, wie ich mich aus diesem Schlamassel retten konnte. Was für Dinge man doch manchmal träumte?

Kopfschüttelnd stand ich auf und streckte mich ausgiebig, wobei mein Blick auf den Spiegel an der Wand fiel. Im ersten Moment war ich ein wenig verwundert, hatte ich doch bisher nie einen Spiegel an dieser Seite der Wand gehabt.

Im zweiten Moment allerdings, als ich mein Spiegelbild sah, wurde mir klar, warum das Glas an einer für mich ungewöhnlichen Stelle hing.

War es wohl doch kein Traum gewesen... Seufzend ließ ich mich wieder auf das Bett zurückfallen, nachdem ich Reis Gesicht im Spiegel entdeckt hatte. Also war ich wohl wirklich in dessen Körper... Schade, doch kein Traum.

Einen Moment starrte ich an die Decke, in der Hoffnung, dass sich dort vielleicht die Lösung meines Problems auftun würde. So nach dem Motto göttliche Offenbarung oder ähnliches. Aber leider geschah nichts dergleichen.

„Womit habe ich das nur verdient?" Grummelnd sah ich mich im Zimmer um, nachdem ich die Decke noch ein letzte Mal mit einem strafenden Blick bedachte hatte, da sie mir nicht die erhoffte Lösung gebracht hatte.

Meine Augen blieben am Nachttisch hängen, auf dem immer noch das Tablett mit dem Suppenteller von gestern Abend stand.

Ich erinnerte mich. Nachdem ich das Abendessen gründlich versiebt und im Anschluss daran Bekanntschaft mit der Toilettenschüssel gemacht hatte, war Rei ja zu mir gekommen und hatte mir etwas zu Essen gebracht.

FLASHBACK

Nachdem Rei wütend aus dem Zimmer gerauscht war, hatte ich mich zur Seite gedreht und die Augen geschlossen. Ich wollte ein wenig schlafen. Vielleicht half es ja, und ich wachte am nächsten Morgen auf, und alles war wieder normal.

Jedoch konnte ich nicht wirklich schlafen. Irgendwie ließ mich der Gedanke nicht los, dass Rei, in meinen Augen vollkommen grundlos, auf mich sauer war. Das hatte ich doch beim besten Willen nicht gewollt. Wir durften eben einfach nicht vergessen, wie verzwickt die Lage war.

Im Grunde war ich ja dankbar, dass er sich um mich sorgte, auch wenn sich immer wieder leise Zweifel in meinen Kopf schlichen, dass er dies alles nur tat, weil ich momentaner Besitzer seines Körpers war. Ich hätte es ihm doch sagen sollen. Ich hätte einfach den Mund öffnen und dieses kleine Wort mit D sagen sollen.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ich Max von unten rufen hörte. Jedoch konnte ich nicht verstehen, was er genau schrie. Lediglich die Worte „Takao... Recht... Merkwürdig..." konnte ich aufschnappen. Daraufhin musste ich leicht grinsen. Ich hatte ja schon immer gewusst, dass Takao recht merkwürdig war. Wieso das dem Blonden erst jetzt auffiel?

Dann war es wieder still im Haus. Kein Geräusch drang aus dem unteren Stockwerk hier in das Zimmer. Ich überlegte, ob ich nicht vielleicht doch wieder zu den Anderen gehen sollte, da ich sowieso nicht schlafen konnte.

Ich wollte mein Vorhaben gerade in die Tat umsetzen, als es plötzlich leise an der Tür klopfte. Überrascht sah ich auf, hatte ich doch nicht damit gerechnet, dass noch einmal jemand nach mir sehen wollte.

„Kai. Kann ich reinkommen?" hörte ich Rei nach einem erneuten Klopfen flüstern. Ich gab immer noch keine Antwort. Irgendwie wollte ich nicht, dass er herein kam, da ich keine Ahnung hatte, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten sollte. Wenn er immer noch so wütend war... Darauf hatte ich jetzt wirklich keine Lust.

Also stellte ich mich schlafend, in der Hoffnung, er würde einfach wieder verschwinden und mich in Ruhe lassen.

Dem war allerdings nicht so. Ich hörte, wie die Tür vorsichtig geöffnet und wieder geschlossen wurde. Die Augen hatte ich immer noch fest zusammengekniffen und tat, als würde ich schlafen. Vielleicht würde er ja jetzt gehen.

Doch scheinbar ließ er sich auch von einem schlafenden Kai nicht abschrecken. Ich merkte, wie er sich langsam näherte. Dann vernahm ich ein leises Klappern und spürte, wie er sich neben mich auf die Bettkante setzte.

Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, war, dass er es bemerkt hatte, dass ich nur simulierte und mich jetzt zur Rede stellen wollte.

Aber nichts dergleichen geschah. Einzig seine ruhigen Atemzüge waren zu hören. Dann plötzlich kam ein leises Seufzen von ihm, und er stand wieder auf.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass er nun endlich das Zimmer verlassen würde. Doch weitgefehlt.

Vollkommen überrascht spürte ich seine Hände auf meinen Schultern, wie er sanft die Decke über mich legte. Instinktiv kuschelte ich mich in diese, woraufhin ich ein leises Kichern von ihm zu hören bekam.

Mit einem leisen „Schlaf gut, Kai!" verließ er das Zimmer, und ich öffnete verwundert meine Augen.

FLASHBACK ENDE

Jetzt erinnerte ich mich wieder. Rei hatte sich wirklich nett um mich gekümmert. Er hatte mir sogar einen Teller mit Suppe gebracht, welchen in dankbar aufgegessen hatte.

Warum hatte er das getan? Warum war er so fürsorglich? Das konnte doch wirklich nicht allein an der Tatsache liegen, dass ich jetzt er war, oder? Nein, irgendwie glaubte ich das nicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Rei dies alles nur aus diesem einen Beweggrund tat. So schätzte ich den Anderen nicht ein.

Vielleicht sollte ich mich ja doch bei ihm bedanken. Möglicherweise konnte ich auch so die ungeschickte Bemerkung vom Vortag wieder ein wenig gerade biegen. Immerhin hing diese ja auch noch zwischen uns.

Unbewusst war mein Blick weiter durch den Raum gewandert und an der Uhr hängen geblieben, deren Zeiger mittlerweile schon acht anzeigten.

Erschrocken sprang ich auf. War es wirklich schon so spät? Wieso hatte mich noch keiner geweckt? Hatte ich Rei gestern nicht ausdrücklich erklärt, dass er pünktlich mit dem Training anfangen sollte? Leicht verärgert zog ich ein paar Klamotten aus dem Schrank und zog mich um, da ich ja immer noch die Sachen vom Vortag trug.

Meine guten Vorsätze bezüglich entschuldigen waren in dem Moment vergessen.

Wie konnte er nur verschlafen? Das durfte einfach nicht passieren. So würden Takao und Max ihm ja nie abkaufen, dass er jetzt ich war. Zornig stapfte ich aus dem Zimmer und ging ohne anzuklopfen in mein altes hinein.

Gerade wollte ich ein Donnerwetter loslassen, als mein Blick jedoch auf den schlafenden Jungen vor mir fiel, der sich friedlich in die Decke gekuschelt hatte. In diesem Moment war mein Ärger wie weggeblasen.

Er sah so ruhig und ausgeglichen aus, wie er da lag. Sah ich normalerweise etwa auch so aus, wenn ich schlief? Es war ungewohnt, mich ohne meine normale gefühllose Maske so daliegen zu sehen. Es wirkte irgendwie... verletzlich. Oder lag das einfach nur an Rei?

Leise ging ich zum Bett und schüttelte den noch Schlafenden sanft an der Schulter.

„Rei. Aufwachen." flüsterte ich, fast, als hätte ich Angst, dass er wirklich aufwachen könnte.

„N'schlaf'n...nisch aufsteh'n." nuschelte er und drehte sich zur anderen Seite. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

Ich schüttelte ihn ein wenig energischer, jedoch kam noch immer keine Reaktion. Merkwürdig. Bisher hatte ich gar nicht bemerkt, dass Rei so ein Morgenmuffel war. Normalerweise war er doch nach mir immer als erstes wach.

Ein wenig ratlos stand ich nun vor dem Bett. Wie sollte ich den Guten denn jetzt bitte wecken? Immerhin würden die Anderen sicher bald nach ihm sehen, warum ‚Kai' sie noch nicht zum Training geholt hatte.

Doch plötzlich kam mir ein Einfall. Langsam beugte ich mich zu ihm hinunter.

„Rei, Takao hat aus Versehen Driger in der Toilette runtergespült." flüsterte ich ihm ins Ohr.

Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, schrak er auf, wobei ich nicht schnell genug ausweichen konnte, so dass er mit seinem Kopf gegen meinen knallte.

„Au." Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht rieb ich mir die angehende Beule.

„Was ist los?" Rei hatte den Zusammenstoß gar nicht wirklich realisiert, sondern war aufgesprungen und wollte schon panisch aus dem Zimmer rennen, um sein Blade zu retten. Gerade noch rechtzeitig packte ich ihn am Arm und hielt ihn an der Hand fest, woraufhin ich einen mehr als verärgerten Blick erntete.

„Lass mich los!" fauchte er, was mich jedoch grinsen ließ. Verdattert starrte er mich an. „Warum lachst du?"

„Deinem Blade geht es gut. Das habe ich nur so gesagt, weil es die einzige Möglichkeit war, dich aus deinem Tiefschlaf zu holen, Dornröschen." Immer noch grinsend schaute ich ihn an.

„Du..." begann er grummelnd, wusste jedoch nicht, was er weiter sagen sollte. Also klappte er den Mund ein wenig verwirrt und ratlos wieder zu. Dies wirkte recht amüsant, vor allem, da es meine Gesichtszüge waren, die diese Regungen vollbrachten. „Ich wusste gar nicht, dass ich so gucken kann."

„Und ich wusste nicht, dass du auch lachen kannst." kam es von Rei, der scheinbar endlich den letzten Rest Schlaf abgeschüttelt hatte. Nun lächelte auch er.

Das hatte ich ja noch gar nicht bemerkt... Ich stand hier und lachte ungezwungen vor mich hin. Schon seltsam. Normalerweise war ich ja nicht der Typ, der seine Gefühle, egal welcher Art, einfach so offen zeigte. Eigentlich versteckte ich sie immer, um so niemanden an mich ran zu lassen, war es doch oftmals viel einfacher, den Unnahbaren zu spielen. Damit hatte man meist weniger Probleme.

„Äh... Kai..." rissen mich Reis Worte aus meinen Gedanken. Fragend sah ich ihn an.

„Könntest du vielleicht meine Hand loslassen?" wollte er wissen, während er ein wenig verlegen auf seine Hand starrte, die ich immer noch fest umschlossen hielt.

„Na- Natürlich." stotterte ich und löste meine Griff, nicht ohne jedoch ebenso verlegen auf den Boden zu schauen.

Für einen Moment herrschte betretene Stille.

„Rei. Ich... ich...," begann ich unsicher, nahm dann jedoch meinen ganzen Mut zusammen, um über meinen Schatten zu springen, „ich wollte mich bedanken. Dass mit der Suppe und deiner Hilfe gestern war wirklich sehr nett von dir."

Ich schaute auf und blickte zu Rei, der mich freundlich anlächelte. „Kein Problem, Kai." kam es von ihm, woraufhin ich sein Lächeln erwiderte.

In diesem Moment fiel mir allerdings ein, warum ich eigentlich hergekommen war.

„Sag mal, weißt du eigentlich, wie spät es ist?" fragte ich mein Gegenüber, versuchte jedoch nett zu klingen, da ich die gerade eben hergestellte gute Atmosphäre nicht mit irgendwelchen falschen Worten zerstören wollte.

„Wieso?" wollte Rei wissen, während sein Blick zur Uhr wanderte. Er wurde ein wenig blass um die Nasenspitze, als er sah, dass es schon lange nach der von mir vorgegebenen Zeit war.

„Tut mir leid. Ich hab' wohl verschlafen." nuschelte er, wobei er eilig zum Schrank ging, um sich schnell anzuziehen.

„Das macht ja nichts. Dann fangen wir eben später an." kam es von mir, woraufhin ich einen etwas verwunderten Blick von dem Chinesen einfing.

Natürlich war er es nicht gewohnt, dass ich ausnahmsweise keinen bissigen Kommentar abließ beziehungsweise immer noch ruhig blieb. Jedoch wäre ich auch gar nicht dazu in der Lage gewesen, ihn jetzt noch fertig zu machen, nachdem wir endlich wieder ein einigermaßen angenehmes Klima zwischen uns hergestellt hatten.

Reis POV

Schulterzuckend drehte ich mich wieder zum Schrank, um mir dort ein Shirt rauszunehmen. Nun gut. Mich sollte es nicht stören, dass Kai es mal auf die nette Tour versuchte. Ich hatte genug andere Sorgen, welche mich gestern Abend auch noch einige Stunden wach gehalten hatten.

„Du, Kai?" fragte ich leise, während ich den Gürtel der Hose schloss.

„Hn?" kam es von ihm.

„Ich weiß ja nicht, ob du dir darüber schon Gedanken gemacht hast. Aber wie sieht es denn eigentlich mit dem Bladen aus?" Langsam war ich auf ihn zugegangen und blieb vor ihm stehen. „Was meinst du?" Verwirrt sah er mir ins Gesicht.

„Na, wir beide haben doch jetzt getauscht. Unsere Bitbeasts sind jedoch immer noch die gleichen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass plötzlich Dranzer auf mich hört, nur weil ich du bin und umkehrt."

Ich konnte regelrecht sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Scheinbar war ihm diese Tatsache noch überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Aber es würde wohl ein großes Problem für uns darstellen. Ich glaubte nicht, dass sich Dranzer auch nur annähernd von mir kontrollieren lassen würde. Auch Driger konnte Kai sicher nicht als seinen neuen, wenn auch hoffentlich nur vorübergehenden, Besitzer anerkennen. Ich hatte mich die ganze letzte Nacht mit diesem Problem beschäftigt, war jedoch nicht unbedingt auf eine Lösung gekommen.

„Da könntest du recht haben, das könnte uns einige Schwierigkeiten bereiten," sagte Kai, während er langsam zur Tür ging, „aber vielleicht sollten wir erst einmal frühstücken gehen, damit die Anderen nicht noch länger auf uns warten müssen. Beim Essen fällt mir sicher etwas ein. Verlass dich drauf."

Leicht lächelnd öffnete Kai die Tür und ging nach draußen. Ich folgte ihm langsam, ein wenig erleichtert, dass ich nun nicht mehr allein derjenige war, der sich seinen Kopf darüber zerbrechen musste.

„Da seid ihr ja endlich, Rei." wurden wir beide von Takao begrüßt, der ungeduldig am Küchentisch saß. Nervös trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte.

„Ja, da sind wir." murmelte Kai, während er sich auf den nächstbesten Stuhl fallen ließ.

Ich war noch einen Moment im Türrahmen stehen geblieben, um wenigstens ein bisschen wie Kai zu wirken, gab es jedoch schulterzuckend auf. Hungrig ging ich auf den Tisch zu, den ich mit einem erstaunten Blick musterte. Scheinbar waren Takao und Max in der Zeit, die sie nicht trainieren mussten, recht fleißig gewesen und hatten schon einmal den Tisch gedeckt.

Jedoch hatte noch keiner von ihnen auch nur einen Bissen angerührt, was wohl auf der Grund für Takaos schlechte Laune war.

Als könne er Gedanken lesen, sagte dieser auch im selben Augenblick: „Dann können wir ja endlich anfangen. Max hat mich gezwungen, auf euch beide zu warten."

Ehe ich es mich versah, hatte er sich ein Brötchen geschnappt, auf den Teller geworfen und eine dicke Schicht Marmelade darauf geschmiert. Kai wollte gerade dazu ansetzen, etwas über Takaos Tischmanieren loszulassen, als ich ihn mit einem Blick zum Schweigen brachte.

DAS durfte er sich jetzt auf keinen Fall erlauben. Der gestrige Abend war schon schlimm genug gewesen, hatten wir beide uns doch nicht unbedingt wie der jeweils Andere verhalten. Würde er jetzt zu einer seiner berüchtigten Schimpftiraden ansetzen, wüssten die Anderen eher Bescheid als uns lieb war.

Ich konnte sehen, wie Kai ein wenig verärgert seinen Mund wieder schloss, bedeutete ihm jedoch mit einem entschuldigenden Blick Richtung Takao und Max, warum er still sein sollte. Scheinbar verstand er und nickte unmerklich.

Das war ja noch gerade mal gut gegangen.