Abschied
1. Eine Begegnung nach 10 Jahren
Hermine Granger schritt langsam den verschneiten Pfad entlang, der sie zu
ihren Freunden führte. Ihre Freunde, Ron und Harry, gefallen im
letzten Kampf gegen Voldemort. Tiefe Trauer umfasste ihr Herz bei dem
Gedanken, dass sie als einzige noch übrig war vom goldenen Trio.
Bittere Tränen rannen ihr langsam über die kalten, vom Wind
geröteten Wangen herab und bildeten, am Kinn angekommen, kleine
Eistropfen in perfekter Form.
Als sie den kleinen Hügel vor
den beiden Gräbern erreichte, verharrte sie. Sie war nicht
alleine auf dem Friedhof nahe London. Niemand aus der Zaubererwelt
wusste, wo die Helden des Endkampfes ihre letzte Ruhe gefunden
hatten. Dies konnte nur einer der Friedhofsgärtner sein.
Sie
ging näher und betrachtete die fremde Person aufmerksam. Sie war
hochgewachsen und verbarg ihre Statur unter einem dicken, bodenlangen
schwarzen Wollmantel und die Haare unter einer schwarzen
Wollmütze.
Endlich hatte sie die Person, den Mann,
erreicht.
„Entschuldigen Sie, Sir! Dürfte ich meinen
Freuden die Ehre in Ruhe erweisen?"
Ihre Stimme klang selbst in
ihren eigenen Ohren auf einmal wie die der Elfjährigen, sie sie
vor 17 Jahren einst gewesen war.
„Natürlich!" Eine tiefe,
wie flüssige Seide klingende Stimme sprach dieses eine Wort mit
einer Präzision aus, die sie nur zu gut kannte. Snape? Hier? Am
Todestag von Ron und Harry und an deren Grab?
Sie zückte
ihren Zauberstab und hielt ihn schützend vor sich.
„Wie
können Sie es wagen, hier aufzukreuzen! Warum?"
Severus
Snape, ehemaliger Lehrer für Zaubertränke und Verteidigung
gegen die Dunklen Künste wandte sich ihr langsam zu. Ein
leichtes Lächeln umspielte seine dünnen Lippen und ein
seltsames Leuchten lag in seinen sonst unbeweglichen schwarzen
Augen.
„Ich glaube, dass jeder das Recht hat, den Toten die Ehre
an ihrem Todestag zu erweisen. Auch ich. Miss Granger, nehmen Sie den
Stab weg, bitte. Ich bin unbewaffnet und wir befinden uns hier auf
einem Friedhof. Mit dunklen Herrschern und deren Vorlieben habe ich
nichts gemein."
„Und doch haben Sie sich Ihm
angeschlossen!"
„Und doch habe ich mich Ihm angeschlossen! In
der Tat. Aber ich habe ebenso die Seiten gewechselt. Das wissen Sie,
Miss Granger!"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich weiß
nur, dass Sie Dumbledore ermordet haben! Wo waren Sie beim Endkampf?
Wo? Wenn Sie die Seiten gewechselt hätte, wie Sie es behaupten,
dann könnten meine Freunde heute noch leben!" Der Zauberstab
in ihrer Hand bebte leicht.
„Ich war dort! Ich habe Seite an
Seite mit Ihren Freunden gekämpft! Ich habe die beiden geschützt
mit meiner Magie! Der Kampf wäre sonst viel schneller
ausgegangen - aber nicht zu unseren Gunsten!" Er streckte die
rechte Hand aus und umschloss vorsichtig ihre Stabhand. Sachte
drückte er diese nach unten.
„Ich will Ihnen nichts Böses.
Nur Reden - wenn Sie zuhören wollen. Vielleicht habe ich ein
oder zwei Antworten für Sie parat, was den Tod Ihrer Freunde
anbelangt. Aber wir sollten einen gastfreundlicheren Ort als diesen
hier aufsuchen. Ich bin bereits schuld am Tod von Albus, ich will
nicht noch schuld an dem Ihrigen sein!"
Severus nahm ihr den
Stab aus der Hand und steckte ihn in ihre Manteltasche. Dann legte er
ihre rechte Hand in seine Armbeuge und führte sie von den
Gräbern und dem Friedhof fort.
2. Zurückgeblieben
„Wo
sind wir hier?" Angespannt nahm Hermine ihre neue Umgebung in
Augenschein. Es war eine kleine Wohnung bestehend aus zwei kleinen
Zimmern, einer winzigen Küche und einem noch winzigeren
Badezimmer.
„Nun, Hogwarts nicht. Auch nicht das Savoy. Nun, wir
befinden uns immer noch in Muggellondon und das hier ist meine
bescheidene Bleibe."
Er sah aus den Augenwinkeln, wie sie mit
ihren Augen rollte.
„Paddington. Gleich um die Ecke ist die
nächste U-Bahn-Station. Falls Sie so schnell wie möglich
weg wollen."
„Was machen wir hier?"
Jetzt war es an ihm,
mit den Augen zu rollen. Ihre Frage erst einmal ignorierend begab er
sich in seine Küche und setzte Wasser für Tee auf.
„Sie
trinken Ihren Tee immer noch ohne alles, oder? Ich glaube mich an das
letzte Treffen im Hauptquartier zu erinnern, wo dies der Fall
war."
Hermine hatte angefangen, die Zimmer zu durchwandern und
stand mitten in seinem Schlafzimmer mit einem altersschwachen
Doppelbett komplett bedeckt mit einem zerschlissenen dunkelroten
Überwurf mit ehemals goldenen Rosenstickereien darauf, einer
Schrankwand, welche die gesamte Zimmerbreite einnahm und seine
gesamten Bücher enthielt. Sie gab einen zustimmenden Ton von
sich und nahm den Einblick in sein Wohnzimmer in Angriff. Beim
Betreten zog sie erstaunt die Luft ein.
Das Wohnzimmer enthielt 2
kleine, dunkelbraune Ledersofa und einen gemütlich aussehenden
Ledersessel. Dazwischen stand ein schwächlich wirkender
Holztisch, dessen Platte sich durchbog aufgrund der Büchermenge,
welche auf ihm abgelegt war.
An der einen Seite war eine große
Fensterfront, von welcher man den gesamten Stadtteil aus überblicken
konnte. An der anderen Wand befanden sich rechst und links jeweils
einzelne Regale. Jedes davon enthielt dutzende gerahmter Photos.
Sie
trat näher heran.
Die Bilder bewegten sich. Es waren
Zauberbilder und sie erkannte die Personen auf den Bildern.
Harry,
Ron, Professor Dumbledore, Remus Lupin, Professor McGonagall,
Nymphodora Tonks, die Weasley-Zwillinge Fred und George und unzählige
mehr. Von fielen kannte sie die Namen nicht einmal. An einem
Ehrenplatz entdeckte sie aber die Bilder von James und Lily
Potter.
„Es sind die Opfer des Krieges, Miss Granger."
Snape
war leise hinter ihr erschienen. Sie hatte nicht bemerkt, wie er den
Raum betreten, den Tisch geräumt und gedeckt hatte und wie er
sie danach beobachtet hatte.
„Tee und etwas Gebäck." Er
schenkte ihr ein und setzte sich danach, seine Tasse in den Händen
haltend.
„Es sind die Bilder derjenige, die ich nicht habe
retten können. So viele Freunde. Ja, Miss Granger! Es waren für
mich Freunde. Für Freunde kämpft man und für Freunde
geht man auch in den Tod! Ich hätte es getan. Und doch sitze ich
heute hier - an ihrer Stelle!" Sein Blick richtete sich von den
Bildern auf seine Tasse.
„Wissen Sie welcher Tag heute ist, Miss
Granger?" Seine Stimme war so leise, dass sie ihn kaum
verstand.
„Ihr Todestag und das Ende des Krieges."
Er
schnaubte.
„Wären wir noch in Hogwarts, so müsste ich
Ihnen 5 Punkte abziehen! Schauen Sie auf den Kalender, Miss Granger
und antworten Sie noch einmal!"
Er deutete mit einer Hand zu
einem Adventskalender, der sorgsam an der Seite eines der Regale
befestigt war.
Alle Türen waren geöffnet - bis auf die
letzte, große Tür.
Langsam dämmerte in ihr die
Erkenntnis. Es war nicht nur der Tag, an dem ihre Freunde gestorben
waren. Auch wenn dies immer so sein würde, so war heute auch ein
Tag der Besinnung, ein Tag der Freude.
„Weihnachten, Sir."
Hermine hauchte ihre Antwort mit einer ebenso leisen, wie tonlosen
Stimme.
„Wann haben Sie das letzte Mal diesen Tag richtig
begangen?"
Sie sah ihn überrascht an. Wusste sie doch, dass
Snape Weihnachten hasste. In der Schule hatten die Schüler ihn
immer als den Grinch bezeichnet.
„Vor…"
„11 Jahren,
oder?" Er beendete ihren Satz für sie und nahm ihre Tasse aus
ihren nun mehr zitternden Händen.
„Die Schuld am Tod der
anderen bei sich als Überlebenden zu suchen, ist keine besonders
schöne Zukunftsaussicht, Hermine! Glauben Sie mir ich habe
reichlich Erfahrungen darin sammeln können. Das Geschäft
der Schuldzuweisung betreibe ich seit mehr als 30 Jahren! Und es
bringt nichts - außer noch mehr Selbstvorwürfen! Wachen
Sie auf, bevor es zu spät ist."
Eindringlich sah er in ihre
haselnussbraunen Augen.
„Wachen Sie auf, bevor Sie werden wie
ich! Dann gibt es keine Ruhe und keinen Frieden mehr für Ihre
Seele! Bitte!"
Sie starrte ihn erschüttert an. Wie hatte er
dies erkannt? Im nächsten Augenblick schalt sie sich selbst.
Natürlich wusste er, wie es war. Er hatte all dies am eigenen
Leib verspürt und all die Emotionen selbst erfahren.
„Fangen
Sie wieder an, zu leben. Ihren Freunden tun Sie mit Ihrer Trauer
keinen Gefallen. Ich habe Potter und Weasley nie wirklich gemocht,
aber ich weiß auch, dass sie keine Kinder von Traurigkeit
waren. Genießen Sie ihr Leben in vollen Zügen! Dafür
haben Sie alle schließlich gekämpft! Es ging um ein Leben
in Freiheit, ohne Angst vor Verfolgung. Lassen Sie sich daher nicht
von den Schatten der Vergangenheit einholen."
Severus stand auf
und ging zu dem Adventskalender. Vorsichtig, um den Kalender nicht
herab zu reißen, öffnete er die Tür des 24.
Dezembers.
Wortlos gab er ihr das kleine Stück
Schokolade.
Sie betrachtete mit Staunen den kleinen, pausbäckigen
Engel, der eine Trompete blies. Dann blickte sie auf und ihre Augen
trafen sich erneut. Hermine sah tiefe Empfindungen in den einst als
tot erachteten Augen dieses in der Zaubererwelt immer noch als
Todesser und Mörder gesuchten Mannes. Tränen traten in ihre
und sie begann zu schluchzen.
„Ich war auch dort, Sir. Obwohl
Professor McGonagall und Harry es verboten hatten. Ich wollte einfach
nur helfen. Und doch war ich so absolut hilflos. Harry und Ron hatten
es nicht geschafft. Sie waren schon tot als er endlich fiel. Ich habe
die zwei regungslos auf dem Boden liegend gesehen. Er stand über
ihnen und lachte." Sie zitterte nun am ganzen Leib. Sachte nahm er
sie in die Arme und drückte sie an sich.
„Sie waren es,
oder?"
Sie spürte sein leichtes Nicken gegen ihre
Wange.
Lange saßen die zwei letzten überlebenden
Zeugen des finalen Kampfes eng aneinander geschmiegt und sich
gegenseitig Trost spendend.
In der Ferne schlug Big Ben
schließlich Mitternacht.
„Sie sollten besser gehen,
Hermine! Beginnen Sie Ihr neues Leben. Besuchen Sie Ginny und die
anderen. Sie warten auf Sie, dass weiß ich. Verkriechen Sie
sich nicht länger. Versprechen Sie mir das, Hermine!"
Sie
nickte.
„Ich verspreche es Ihnen, Severus!"
Sie drehte sich
in der Tür noch einmal um.
„Was wird mit Ihnen?"
Er
lächelte ihr zu.
„Machen Sie sich keine Sorge. Ich habe
meinen Weg gefunden! Leben Sie Ihr Leben!"
Mit diesen Worten
schloss er sanft hinter ihr die Tür.
3. Epilog
Jedes Jahr besuchte Hermine an Weihnachten die Gräber von Harry Potter
und Ron Weasley. Und jedes Jahr legte sie seit nun mehr 10 Jahren auf
ein drittes Grab Blumen.
Zaghaft berührte sie den schlichten
Stein.
Er hatte in der Tat seinen Weg gefunden. Sein Weg hatte ihn
zu ihr an diesem Weihnachtsabend vor 10 Jahren geführt. Noch nie
in ihrem Leben hatte sie sich ihm so nahe gefühlt, wie in der
Nacht. Befreit hatte sie das erste Mal seit Jahren wieder
durchgeschlafen. Sie war entspannt und ausgeruht nach dieser ersten
ruhigen Nacht.
Umso härter Traf sie der Schock, als sie ein
paar Tage später einen kurzen Artikel in der Tageszeitung
entdeckte:
Selbstmord an Heiligabend.
Am gestrigen Tag
wurde vom Vermieter des 47 jährigen S. dessen Leiche in seiner
Wohnung aufgefunden. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Der Tote
hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Er hinterließ einen
Abschiedsbrief, in welchem er um Vergebung für seine Taten bat.
Unterschrieben soll der Brief zum einen mit dem Namen des Toten
gewesen sein, zum anderen mit dem Zusatz „Ich habe meinen Weg
gefunden!"
Nun hatte sie einen weiteren Menschen verloren. Jemand, dem sie alle ihr Leben und ihre Freiheit verdankten und es ihm nie würden danken können.
Sie drückte sachte ihre Lippen gegen den eiskalten Stein und strich den Schnee von der Inschrift.
Severus Snape
9. Januar 1960 - † 24. Dezember 2007
Der Menschlichkeit in Ihrem
Herzen verdanken wir unser Leben.
Möge Ihr Weg Sie an Ihr
Ziel gebracht haben!
Langsam richtete sie sich auf und schritt den Hügel über verschneiten Pfad herab. Herab zu den Lichtern der Stadt und dem dahinter liegenden Leben.
AN:
Ich habe mich bewusst
für dieses Ende entschieden. Normalerweise bin ich ein Vertreter
von Happy Ends und irgendwie ist auch dies eines - wenn auch ein
zugegebenermaßen sehr trauriges. Er hat seinen Frieden
schlussendlich gefunden.
Auch bin ich mir bewusst, dass diese
Geschichte ein sehr ernstes Thema zum Ende hin besitzt. Selbstmord -
gerade in der Weihnachtszeit - wird dort statistisch gesehen am
häufigsten begangen.
Und in den seltensten Fällen sind
es allein stehende Menschen.
Während meiner Schulzeit habe
ich es selbst erfahren, wie ein Mitschüler sich an Heiligabend
im Hause seiner Eltern getötet hat. Es war eine Erfahrung, die
mich - unreligiös wie ich bin - doch zutiefst mitgenommen und
bewegt hat.
Es gab hier aber keinen Abschiedsbrief, keine im
Nachhinein als Hinweise gedeutete Begebenheiten vorher - nichts, rein
gar nichts hatte bei ihm darauf hingewiesen, dass er eine derartigen
Schritt gehen würde.
AN:
Ich urteile nicht über
Selbstmörder. Ich sage nicht, dass es richtig oder falsch ist,
was sie tun.
Ich sage nur, dass sie ihre Gründe haben und für
sich selbst in ihrer Situation keinen Ausweg mehr für sich
selbst sehen. Ob sie vorher vielleicht hätten erkennen können,
dass es helfen kann, sich jemandem anzuvertrauen? Ich weiß es
nicht!
Auch dies ist eine Frage, deren Beantwortung mir nicht
zusteht.
Das Einzige, was ich sagen kann ist, wenn jemand sich
in einer derart trostlosen und scheinbar ausweglosen Situation seinem
Empfinden nach befinden sollte, wendet doch noch den letzten Rest Mut
auf und wendet euch an jemanden. Irgendwo ist immer ein anderer
Mensch, der helfen will und kann. Gebt nicht auf.
Es gibt immer
jemanden, den ihr zurücklassen werdet. Irgendwer sorgt sich
immer um euch.
