Kapitel 2. Alea iacta est
Alea
Die Situation war mir äußerst unangenehm.
"Ich bitte nochmals um Verzeihung, dass ich Sie gestört habe, Graf. Sicher vermisst man mich schon auf Ihrem Fest. Wenn Sie mich bitte entschuldigen!"
Dann floh ich den Gang entlang, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Erik
Ich sah der Silhouette der jungen Frau nach. Meine gute Nachtsicht hatte mir die Gelegenheit verschafft, sie genau zu mustern. Schlanke Figur mit außergewöhnlich schmaler Taille. Dunkle Augen und schwarzes Haar. Wie unangenehm es ihr gewesen war, mich unterbrochen zu haben. Entgegen meiner Gewohnheiten schmunzelte ich.
Zuerst hatte ich gedacht, Ida sei an der Tür. Schon vor einer Stunde hatte sie mich zu bewegen versucht, endlich die Gäste im Ballsaal zu begrüßen. Doch ich verspürte nicht die geringste Lust, mich zu ihnen zu gesellen. Und so zögerte ich diesen Moment so lange wie möglich heraus.
Es war auch egal, wie lange ich mich dort unten aufhielt. Ich würde eine der Demoiselles ausdeuten und ihre Eltern würden mir ihre Hand geradezu aufdrängen. Wozu also meine Zeit verschwenden? Ich zuckte die Achseln und ließ mich wieder auf den Klavierhocker fallen.
Hatte man mein Spiel wirklich bis nach unten in die Eingangshalle hören können? Ich hatte geglaubt, hier am ungestörtesten zu sein. Außerdem übte meine Musik auf ihre Zuhörer manchmal einen schlechten Einfluss aus. Ich wollte die Angestellten nicht gefährden. Morgen würde ich Ida zu diesem Thema befragen.
In Gegenwart der jungen Frau hatte ich die Maske wieder angelegt. Die dicken Vorhänge ließen zwar keinen Strahl Mondlicht ein, doch im Flur brannten die elektrischen Lampen.
Ich fühlte mich seltsam ruhelos in diesem Moment, stand auf und lief im Zimmer umher. Dieser Ball war eine Schnapsidee gewesen. Als ich den Vorhang von einem der Fenster zurückzog, klopfte es leise an der Tür.
"Herein!"
Ida trat ein.
"Du bist ja immer noch hier!" Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Was sollen deine Gäste denken, wenn du dich den ganzen Abend nicht zeigst?"
"Wenn man es genau betrachtet, sind es deine Gäste, meine Liebe", erwiderte ich lächelnd.
"Wer braucht einen Erben für seinen guten Namen, du oder ich?"
Ida ließ sich nichts von mir gefallen. Sie war einer der wenigen Lichtblicke in meinem Leben. In der weit zurückliegenden Zeit, in der ich von einem Internat zum nächsten weitergereicht worden war, hatte ich sie schmerzlich vermisst. Es gab zu viele Speichellecker und Jasager in meiner Umgebung.
Doch sie war alt geworden. In den letzten Monaten wurde der Verfall ihres Körpers immer deutlicher. Etwas zehrte sie innerlich auf, auch wenn sie mir immer die starke Frau vorspielte. Ich hatte mehr als einmal beobachtet, wie sehr sie die vielen Stufen meines Hauses quälten. Doch als ich angeboten hatte, ihr ein Zimmer im Erdgeschoss einrichten zu lassen - größer als ihr jetziges - hatte sie davon nichts wissen wollen.
Sie würde nicht ewig bei mir sein. Eine fremde Frau würde das Regime in meinem Haus übernehmen. Nichts würde mehr so sein wie es war. Ich musste meiner zukünftigen Frau klar machen, dass diese Ehe nichts weiter als eine Zweckgemeinschaft sein würde. Dafür hatte ich auch nicht vor, ihr Vorschriften über ihre Lebensgestaltung zu machen. Sie würde alle Freiheiten haben, die auch ich mir nahm. Ich konnte von keiner Frau eheliche Liebe und Treue verlangen. Also würde ich es gar nicht erst versuchen.
"Bitte, Erik. Wahre wenigstens den Schein. Mir zu liebe!"
Ich seufzte Herz zerreißend.
"Das ist nicht gerecht, Ida. Du weißt, dass ich dir nichts abschlagen kann."
"Schauspieler!" Sie lachte. "Jetzt komm. Oder willst du eine alte Frau alleine in die Höhle des Löwen schicken?" Trotz der Dunkelheit zwinkerte sie mir zu. Ich ging zu ihr und legte ihre Hand auf meinen Arm.
"Habe ich schon gesagt, dass du hervorragend aussiehst, Ida?"
"Ja. Aber aus deinem Munde höre ich es immer wieder gern."
Als sich die Flügeltüren zu meinem großen Saal öffneten und ich mit Ida am Arm eintrat, verstummten alle Anwesenden. Die Blicke folgten uns auf dem Weg in die Mitte des Raumes. Damen knicksten, Herren senkten den Kopf. Keiner von ihnen entging meiner Aufmerksamkeit. Ich fühlte mich unwohl, doch ich bewahrte Haltung. Ein großer Kreis bildete sich um uns. Das Orchester beendete sein Lied. Stille trat ein.
"Mesdames, Messieurs", setzte ich an und ließ den Zauber meiner Stimme wirken. "Es freut mich außerordentlich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Den Grund für diese Veranstaltung werden die meisten von Ihnen selbst erraten oder aber der Presse entnommen haben. Deren Aussage habe ich nichts hinzuzufügen. Ich hoffe, dass Sie sich in meinem Haus wohl fühlen und wünsche Ihnen weiterhin einen angenehmen Abend."
Jovial senkte ich kurz den Kopf. Ich ließ meinen Blick über die raunende Menge schweifen. Viele hübsche Gesichter lächelten mir entgegen. Die Falschheit in ihren Augen sprang mich geradezu an. Dann sah ich weit hinten die junge Frau, die mich während des Klavierspiels überrascht hatte. Ruhig musterte sie mich. Für einen Moment hielt sie meinem Blick stand, dann schlug sie die Augen nieder. Im Licht der vielen Kerzen konnte ich deutlicher sehen, wie hübsch sie war. Ihre Augen schienen etwas zu groß für ihr Gesicht und verliehen ihr einen träumerischen Ausdruck.
Das erste Mal seit vielen Jahren fällte ich eine Entscheidung aus dem Bauch heraus.
Ich sah Ida an. Sie nickte. Zielstrebig bahnte ich mir den Weg durch die Umstehenden.
Warum sollte ich bei dieser unsäglichen Farce nicht wenigstens streckenweise
meinen Spaß haben?
Alea
Ich hatte den Schreck über mein Zusammentreffen mit dem Grafen noch nicht überwunden, als sich die Türen des Saals öffneten. Ein großer, sehr schlanker Mann trat ein. An seiner Seite ging lächelnd eine ältere, immer noch schöne Frau.
So strahlend weiß Graf Baranowitz´ Rüschenhemd war, so makellos schwarz war alles andere an ihm – Gehrock und Weste, die Hose und die sorgfältig polierten Stiefel. Selbst das Haar, das ihm über die Schultern fiel, und die lederne Maske, die fast das ganze Gesicht bedeckte.
Dem Mädchen links neben mir entgleisten die Gesichtszüge. Mich dagegen erschreckte der Anblick des Grafen seltsamerweise nicht so sehr wie er meine Neugier weckte. Ich ertappte mich dabei, dass ich ihn wie alle anderen anstarrte, als er mit geschmeidigen Bewegungen vorüberging.
Während seiner kurzen Ansprache scharten sich die Gäste um ihn. Als er geendet hatte, trafen sich kurz unsere Blicke. Ich hatte das Gefühl, dass er mich erkannte. Hitze stieg mir ins Gesicht. Aber das war unmöglich. Der Flur war so dunkel gewesen, dass er mich unmöglich gesehen haben konnte. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder aufzusehen getraute.
Direkt vor mir stand er und hielt mir auffordernd die Hand entgegen. Sie war feingliedrig mit langen schlanken Fingern. Die Hand eines Künstlers. Ich schluckte. Zögernd ergriff ich sie.
Ich spürte alle Blicke auf uns ruhen, als er seine freie Hand auf meine Taille legte und dem Orchester zunickte. Wie von selbst passten sich meine Füße seinem Tempo an. Nachdem ich die Überraschung überwunden hatte, fand ich echtes Vergnügen an diesem Tanz. Ein Teil seines Mundes wurde nicht von der Maske verdeckt und er erwiderte mein Lächeln. Seine Augen hatten eine seltsame Farbe, grau wie der Himmel an einem Wintertag. Durch die dunkle Maske wirkten sie unglaublich hell.
Auch meine Eltern mussten uns aufgeregt beobachten. Zum Glück kannten sie nicht den Grund, warum der Graf auf mich aufmerksam geworden war.
"Sie sind also die kleine Musikliebhaberin, die alleine durch fremde Häuser schleicht." Ich hätte schwören können, dass er eine Augenbraue hob. „Ihre überstürzte Flucht hat mich verdrießlich gestimmt. Diesmal werden Sie mir nicht entkommen."
Seine Stimme klang anders als jede, die ich bisher gehört hatte. Jede Silbe war deutlich, rund und klar, als würde der die Resonanzräume seines Kopfes anders nutzen. Offen war das Wort, das ich für diesen Klang gesucht hatte.
"Sie haben eine bemerkenswerte Stimme, Graf Baranowitz. Aber das hat man Ihnen mit Sicherheit schon des öfteren gesagt." Ich beschloss, den Vorwurf des Herumschleichens geflissentlich zu ignorieren.
"Durchaus", sagte er nonchalant. In einer eleganten Linksdrehung wirbelte er mich herum. Ich war erstaunt, wie leicht ich mich von ihm führen lassen konnte. Nicht einmal die Koordination meiner Füße mit der Schleppe des Kleides bereitete mir Probleme. Wir waren die einzigen, die tanzten.
"Wofür interessieren Sie sich noch, Mademoiselle Lindeck?"
Ich hatte damit gerechnet, dass er nach einem Tanz das Interesse an mir verlieren würde, doch er nickte dem Orchester zu, das übergangslos das nächste Lied begann. Wie froh ich war, dass er mir den Ausflug durch sein Haus nicht übel zu nehmen schien, konnte niemand ahnen.
"Es gibt vieles, für das ich mich interessiere. Ich male leidenschaftlich gerne. Oder ich ziehe mich abends mit einem Buch vor den Kamin zurück. Vielleicht zusammen mit einer Tasse Schokolade."
"Eine Romantikerin. Was machen Ihre Eltern, Mademoiselle? Ihr Name ist mir nicht unbekannt, aber ich kann mir nicht in Erinnerung rufen, woher ich ihn kenne."
Der Mann faszinierte mich. Seine Art war nicht so gekünstelt, wie man es von der Wiener Oberschicht kannte. Und seine Arroganz reizte etwas in mir.
"Meine Eltern betreiben einen gut gehenden Stoffhandel. Im letzten Monat wurde die dritte Filiale unseres Geschäfts eröffnet. Wir beliefern inzwischen halb Wien mit den schönsten Stoffen für Feste und Bälle."
Ich erwartete eine abwertende Reaktion auf die Sätze, die Mama mir eingeschärft hatte. Doch er lächelte.
"Aber natürlich. Ich beziehe meine eigenen Tuche von Ihnen. Wie konnte ich das vergessen?"
Er zog mich näher heran, als sich das Tempo des Walzers steigerte. Überall um uns herum wurde getuschelt. Auf einmal fühlte ich mich unwohl.
Die Musik schwoll noch einmal an, dann klang das Lied aus. Seine Hand glitt von meiner Taille, er trat einen Schritt zurück und verbeugte sich.
"Es war mir ein Vergnügen, Mademoiselle Lindeck. Sie werden mich jetzt sicher entschuldigen. Ich muss mich um meine anderen Gäste kümmern. Der Ärger über mein verspätetes Auftreten ist schon groß genug."
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es war wohl wirklich nur unserer Begegnung zu verdanken, dass er mich zum Tanz gebeten hatte. Allerdings war mir noch immer ein Rätsel, wie er mich in der Finsternis hatte erkennen können.
Bevor ich mich zurückhalten konnte, rief ich ihm schon nach: "Warum sind Sie erst so spät erschienen, Graf?" Sofort biss ich mir auf die Zunge. Wie konnte ich nur so respektlos sein? Erst dachte ich, er sei verärgert, als er sich noch einmal umwandte. Doch fast augenblicklich wirkte er wieder amüsiert.
"Warum, glauben Sie, lebe ich so zurückgezogen, Mademoiselle Lindeck? Bestimmt nicht, weil mir oft der Sinn nach großen Festen steht."
Noch einmal huschte ein Lächeln über seine Lippen, dann kehrte er mir den Rücken zu und ging davon.
Als ich die Tanzfläche verlassen wollte, stürmte Mama mir entgegen.
"Ich bin so stolz auf dich, Alea!"
„Mama, bitte, du bringst uns in Verlegenheit. Alle schauen schon."
„Ganz sicher sogar", triumphierte sie.
„Mama!"
„Ich habe gleich gesagt, dass du genau das bist, was ein Graf sich wünscht!"
Mit einemmal kam ich mir vor wie Ware, die man meistbietend verscherbelte. Im selben Augenblick machte sich die Nervosität wieder bemerkbar.
„Es war reiner Zufall, dass der Graf den ersten Tanz mit mir getanzt hat."
„Den ersten?" strahlte sie. „Es waren ganze drei Tänze, Alea!"
Ich spürte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Das hatte ich tatsächlich nicht mitbekommen. Drei Tänze! War ich wirklich so in unser Gespräch vertieft gewesen?
Ich brauchte frische Luft.
„Entschuldige mich für einen Moment." Ich ließ sie stehen und floh aus dem Saal. Als sich großen Flügeltüren hinter mir schlossen, atmete ich tief durch.
Die Eingangshalle lag still vor mir. Meine Schritte klapperten auf dem marmornen Boden. Kühle Luft schlug mir entgegen, als ein Lakai die Eingangstür öffnete. Ich trat unter das säulengestützte Vordach hinaus. Entlang des Weges brannten noch immer Fackeln. Es hatte begonnen zu schneien.
Ich stieg die Stufen zum Kiesweg hinunter und ließ mich von den wirbelnden Schneeflocken umringen. Als ich ihrem Tanz zusah, verflog meine Nervosität. Ich hatte zu viel in die Situation hineininterpretiert.
Die Flocken, die auf meinem Gesicht schmolzen, führten mich in Kindertage zurück. Ich breitete die Arme aus und drehte mich langsam im Kreis. Während ich die Augen schloss, ließ ich den Kopf in den Nacken fallen. Der schmelzende Schnee kitzelte meine Haut und die kalte Luft brachte meinen klaren Kopf zurück. Unwirklich und befremdlich hatte sich dieser Abend entwickelt – und genauso schön. Ich lachte leise. Dieses alberne Herumflanieren und sich zur Schau Stellen. Andererseits hatte ich schon lange nicht mehr das Vergnügen eines so guten Tanzpartners gehabt. Erstaunt stellte ich fest, dass mir das Interesse des Grafen – sei es auch noch so oberflächlich – schmeichelte. Als mir schwindelig wurde, hielt ich an und öffnete die Augen. Das Schneetreiben nahm zu. Die weiten Rasenflächen, die den Kiesweg einsäumten, färbten sich weiß.
Gerade als ich beschlossen hatte, wieder hineinzugehen, entdeckte ich im Hausportal eine dunkle Gestalt, die mich beobachtete. Sie war nicht schwer zu erkennen. Als ich auf ihn zuging, lächelte Graf Baranowitz.
"Gefällt Ihnen mein Fest nicht?" fragte er leise, aber so durchdringend, dass ich ihn selbst am anderen Ende des Kieswegs gehört hätte.
"Im Gegenteil, Herr Graf. Aber mir war zu warm und etwas frische Luft tat mir gut. Dann habe ich den Schnee bemerkt. Ich liebe Schnee!" Ich ging weiter auf ihn zu, ohne seinem Blick auszuweichen.
„Die schönen Künste haben es Ihnen offensichtlich angetan. Musik, Malerei, Literatur und Schnee", zählte er an den Fingern ab. Ich musste lachen.
„Wie lange beobachten Sie mich schon?"
"Eine Weile", antwortete er knapp. " Ich kam aus demselben Grund hierher wie Sie."
Er reichte mir die Hand, als ich die Treppe hinaufstieg.
"Ich gestehe, Sie haben mein Interesse geweckt, Mademoiselle Lindeck. Sie wüssten das zu schätzen, wenn Ihnen bekannt wäre, wie lange das nicht mehr der Fall war. Dieses Fest", er machte eine Handbewegung in Richtung des Hauses, "war nicht meine Idee. Aber meine Lage macht es durchaus erforderlich."
Seine Stimme war so angenehm, dass ich ihm stundenlang hätte zuhören können. Er blickte an mir vorbei und schien mich vergessen zu haben. Nach einer Weile berührte ich ihn am Arm.
"Graf, es ist kühl. Vielleicht sollten wir wieder hineingehen."
"Ich muss mich um meine Zukunft und die meines Namens kümmern", sprach er wie zu sich selbst, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. Dann hefteten sich seine Augen wieder auf mich.
"Entschuldigen Sie. Manchmal suchen mich meine Erinnerungen in den unpassendsten Momenten heim. Mademoiselle Lindeck, könnten Sie sich vorstellen, hier mit mir zu leben?"
Diese Frage traf mich vollkommen unerwartet. Heißes Blut schoss mir ins Gesicht. Schwindel breitete sich in meinem Kopf aus. Benommen sah ich mich nach etwas um, an dem ich mich festhalten konnte. Der Graf hielt mir augenblicklich seinen Arm hin, den ich dankbar ergriff.
"Ist der Gedanke, meine Frau zu werden, so unerträglich? Sie müssten sich für den Rest Ihres Lebens keine Gedanken mehr um das Materielle machen. Und große Einschränkungen hätten Sie auch nicht zu erwarten." Er sah hinaus in das Schneetreiben.
Ich senkte den Kopf. Die Situation überforderte mich maßlos. "Ich wollte Sie nicht kränken, Graf Baranowitz."
"Sie müssen doch zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen haben, dass der unbekannte Graf Sie auswählt." Wieder lächelte er, sah mich aber nicht an.
"Es war die Idee meiner Mutter, die Einladung anzunehmen. Und natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt", gestand ich, „mehr als einmal. Aber das waren eben nur Gedanken."
"Ich weiß Ihre Ehrlichkeit zu schätzen. Sie sind erfrischend jung, Mademoiselle."
Wieder schwieg er, was mir die Möglichkeit gab, mein Herzklopfen auszukosten. Mamas Worte gingen mir durch den Kopf: "Alea, einem Grafen gibt man keinen Korb!"
Neben mir atmete Graf Baranowitz tief ein.
"Ich weiß, dass meine Maske abschreckend wirkt, aber glauben Sie mir: Wäre es nicht notwendig, würde ich sie nicht tragen."
"Das ist es nicht! Ganz im Gegenteil", fügte ich leise hinzu. "Das kommt nur sehr überraschend."
"Dann frage ich Sie jetzt noch einmal in aller Ruhe." Er ergriff meine Hände. Das Herz musste mir bald aus der Brust hüpfen. Seine hellen Augen suchten meine. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
"Mademoiselle Alea Lindeck", sagte er, „würden Sie mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?"
Ich schluckte schwer. Es war, als hätte er die Kontrolle über mich übernommen. Doch ich fühlte mich dabei nicht unwohl. Wie von selbst begann ich zu nicken.
„Danke", flüsterte er und richtete sich auf. "Wollen wir hineingehen?"
Immer noch wortlos hakte ich mich bei ihm unter. "Bitte", sagte er, „nennen Sie mich Erik."
Ich lächelte zittrig. "Alea", erwiderte ich.
Als wir den Ballsaal betraten, richteten sich sofort alle Augen auf uns. Ich brauchte dringend die Bestätigung, das Richtige getan zu haben. Die würde ich von Mama garantiert bekommen. Doch ich konnte meine Eltern nirgends entdecken.
Erik schritt hocherhobenen Hauptes neben mir her. Plötzlich kam ich mir plump und ungelenk vor. Aufs Neue bildete sich ein großer Kreis um uns. Der Graf räusperte sich. Nicht das kleinste Geräusch war mehr zu hören.
"Mesdames, Messieurs! Dieser Abend hat für mich einen erfreulichen Ausgang genommen. Darf ich vorstellen: Mademoiselle Alea Lindeck." Er verbeugte sich geschmeidig und küsste meine Hand. "Meine zukünftige Frau."
Ein Raunen ging durch die Menge. Selten hatte ich meinen Namen so häufig gehört wie an diesem Abend.
Dann begannen einige der Anwesenden zu klatschen. Die Übrigen taten es ihnen nach. Die Dame, die Graf Baranowitz bei seinem ersten Auftauchen im Saal begleitet hatte, trat heran und drückte mir ein Glas Champagner in die Hand.
"Herzlichen Glückwunsch, Kindchen!" Ihre Augen glitzerten feucht und sie lächelte. Nun traten Bedienstete mit Tabletts an die Gäste heran und teilten ebenfalls Champagner aus. Der Graf prostete in die Runde. Ich tat es ihm gleich.
Als ich das Glas an meine Lippen setzte, standen meine Eltern wie aus dem Erdboden gewachsen neben mir und nahmen mich gleichzeitig in die Arme, was zur Folge hatte, dass ich mich verschluckte. Aufgrund meines Hustenanfalls verstand ich nicht, was Mama mir unter Tränen zuflüsterte. Der Graf deutete bei ihr einen Handkuss an und schüttelte Papas Hand.
"Ich werde später noch einmal auf Sie zukommen, Madame Lindeck, Monsieur Lindeck. Wir haben viel zu besprechen, aber nun möchte ich den Abend gerne mit einem letzten Tanz abrunden."
Er senkte den Kopf und sah mich an.
"Möchten Sie noch einmal mit mir tanzen?"
Ich lächelte zu ihm auf, während Mama mir das Glas aus der Hand nahm. Das Orchester stimmte einen langsamen Walzer an. Auch um uns herum wurde nun getanzt. Väter drehten mit ihren Töchtern an uns vorbei. Die erleichterten und neidischen Blicke entgingen mir nicht.
