Kapitel 3. Nerz und Sammeltassen

Erik
Ich genoss die Stille, die sich über das Haus gesenkt hatte.
All diese fremden Menschen, die mein Haus belagert und mich förmlich eingekreist hatten. Und dann das Mädchen, das ich bald meine Frau nennen würde - welch fremdartiger Gedanke! Ihr Lächeln unterschied sich von dem der anderen, deren Gesichter zuweilen maskenhafter als meines waren.
Nachdem die letzte Kutsche mein Anwesen verlassen hatte, stieg ich zum Schlafzimmer hinauf. Ich entzündete ein Feuer im Kamin und ließ mich erschöpft in einen Sessel fallen. Würde ich den Bediensteten erlauben, meine Räumlichkeiten zu betreten, wäre es hier bereits wohlig warm. Aber Privatsphäre ging mir über alles. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass mir jemand begegnete, wenn ich meine Maske nicht trug. Außer natürlich Ida, die wusste, was ich unter dem Ledergesicht verbarg. Die Jahre hatten sie an den Anblick gewöhnt.
Ich warf einen müden Blick in das Arbeitszimmer, das eher einer Werkstatt als einem Wohnraum glich. Wenn ich nicht gestört werden wollte, zog ich mich dorthin zurück, um Skulpturen zu fertigen, zu schreiben oder zu malen. Meiner Musik gebührte ein eigenes Zimmer. Um die Akustik nicht zu gefährden, hatte ich auf einen Durchbruch ins Schlafzimmer verzichtet und die Wände mit Holz vertäfeln lassen. Dieses Zimmer beherbergte die heftigsten Leidenschaften, die ich durch Instrumente ausdrücken konnte. Von meinen Reisen hatte ich exotische Gegenstände mitgebracht, um Musik zu erschaffen, die die Reichen und Schönen der Außenwelt in ihren Bann schlug. Diese Narren waren leicht zu beeindrucken.
Meine wirklichen Meisterwerke spielte ich nur hier, für mich alleine. Ida kannte ein paar davon. Es war interessant, ihre Gefühlsregungen im Verlauf der Melodien zu beobachten.
Doch mein mächtigstes Instrument war meine Stimme. Ich war fünf gewesen, als ich lernte, Menschen mit ihr zu manipulieren, ihnen meinen Willen aufzuzwingen. So hatte ich selbst meine Eltern, die mich Zeit ihres Lebens verabscheuten, hin und wieder zum Lächeln bringen können. An die Schläge, die ich nach solchen Vorkommnissen erhalten hatte, wollte ich nicht denken. Mein Mundwinkel zuckte und stieß an die Maske. Zuverlässig erinnerte sie mich daran, wie eingeschränkt ich trotz Titel und Vermögen lebte. Ich nahm sie ab und legte ich sie auf den Beistelltisch.
Ich war nicht gewillt, jeden zweiten Tag zum Tee bei Familie Lindeck zu erscheinen. In der Woche nach Heiligabend würde meine Braut mit ihrer Mutter daher bei mir einziehen. Ich hatte mit Protest seitens der Eltern gerechnet, doch Madame Lindeck hatte nur darauf bestanden, ihre Tochter zu begleiten. Es war wichtig, Alea in der Nähe zu haben, um ihr den Charakter unserer Beziehung deutlich zu machen.
Es gab viel zu tun. Ich musste abklären, welche ihrer persönlichen Besitztümer hergeschafft werden sollten. Sie würden Alea die Umstellung erleichtern.
Mit meiner unbeherrschten Art hatte ich mehr als ein Hausmädchen vergrault, aber ich hatte nicht vor, mich zu ändern. Daran würde sie sich gewöhnen müssen. Es lag mir ohnehin fern, mehr Zeit als nötig mit ihr zu verbringen.
Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich sie bei meinem Antrag vor dem Haus mit meiner Stimme beeinflusst hatte. Mir hatte schlichtweg die Geduld gefehlt, auf ihre Antwort zu warten.
Sie würde meinen Namen gut repräsentieren. Abends alleine durch ein fremdes dunkles Haus zu schleichen erforderte Mut.
Außerdem würde es keine unangenehme Aufgabe sein, mit ihr einen Erben zu zeugen.
Mein Blick heftete sich auf die züngelnden Flammen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der nur eine meinen Antrag hätte annehmen sollen. Aus freiem Willen.
Ein Klopfen riss mich aus der Vergangenheit.
"Komm herein, Ida!" rief ich und widerstand dem Drang, die Maske anzulegen.
Dem Rascheln von Röcken folgte das Geräusch der sich schließenden Tür. Seufzend sank Ida in den Sessel neben mir.
"Warum gerade Fräulein Lindeck? Du hast dir die anderen gar nicht angesehen."
"Sie ist mir hier oben das erste Mal begegnet. Mein Klavierspiel hat sie angelockt. Ich muss sie ziemlich erschreckt haben."
"Hat sie dich gesehen?"
"Natürlich nicht, es war stockfinster. Aber als ich ihr zu verstehen gab, wer ich bin, fielen ihr trotzdem fast die Augen aus dem Kopf."
"Du lächelst? Es geschehen noch Zeichen und Wunder!"
"Was hätte ich auch für einen Grund", versetzte ich bitterer als beabsichtigt.
Ida zuckte die Achseln. "Ich glaube, du hast eine gute Wahl getroffen."
"Mir ging es hauptsächlich darum, den Abend nicht weiter in die Länge zu ziehen."
Sie bedachte mich mit einem tadelnden Blick.
"Ich wäre froh, wenn der Charme, den du heute Abend so beeindruckend spielen lassen hast, öfter zum Einsatz käme." Aus dem Augenwinkel sah sie mich an.
"Vielleicht findest du noch das Glück.
"Danach suche ich überhaupt nicht", knurrte ich und richtet meinen Blick wieder starr auf die Flammen. Sie holte tief Luft.
"In manchen Nächten rufst du ihren Namen."
Statt einer Antwort sagte ich: „Mademoiselle und Madame Lindeck werden in zwei Wochen bei uns einziehen."
Ida war überrascht. "Warum überstürzt du die Dinge so?"
"Unangenehmes bringe ich gerne schnell hinter mich."
"Du sprichst von deiner eigenen Hochzeit wie von einem lästigen Geschäftstermin."
"Diese Frau bedeutet die Möglichkeit, meinen Namen und mein Vermögen weiterzugeben. Ich glaube nicht, dass sie jemals mehr für mich sein wird."
Ida rieb sich den Nacken. „Wir könnten den Westflügel für die Damen herrichten lassen."
Sie hielt inne und wandte sich mir zu.
"Du musst Fräulein Lindeck auf dein Gesicht vorbereiten. Schließlich könnte es vererbbar sein."
Wir hatten schon zuvor endlose Diskussionen zu diesem Thema geführt.
Eine Frau, die von meinem Gesicht wusste, selbst wenn dieses Wissen nur von Schilderungen herrührte, würde niemals einwilligen, ein Kind von mir auszutragen. Dessen war ich mir sicher. Doch auch wenn der Erbe mit meiner Fratze zur Welt käme - sie müsste ihn nicht lieben. Es würde ausreichen, wenn sie ihn großzöge. Warum sollte ich ihr also jemals unmaskiert unter die Augen treten?
Ida stand auf und hob kurz die Maske vom Tisch. Sie strich mit dem Handrücken über meine Wange.
"Schotte dich nicht noch weiter ab", flüsterte sie. "Gute Nacht, Erik."
Dann verließ sie mich. Im Kamin knackte ein Holzscheit und fiel glühend in sich zusammen.
Die Uhr auf dem Sims schlug fünf.
Innere Kälte ließ mich frieren. Ich beschloss, ein paar Stunden zu schlafen.
Morgen würden die Zeitungen über den Ball berichten. Skandal! Baranowitz heiratet Bürgerliche.
Ich schmunzelte, während ich die Stiefel auszog und mich auf dem Bett ausstreckte.

Alea
An diesem Morgen weckte mich nicht die Sonne, sondern ein ungewohnter Lärm, der aus der Halle heraufdrang.
Im nächsten Moment stürmte Mama mein Zimmer.
„Alea, du musst aufstehen. Unten sind Herren von der Zeitung, die einen Artikel über uns… über dich schreiben wollen."
Alles fiel mir wieder ein. Mit einem Ächzen zog ich mir die Decke über den Kopf. Mama schlug sie mit einem Ruck zurück und setzte sich auf die Bettkante.
„Als du gestern Abend mit deinem Vater auf dem Weg zur Kutsche warst, nahm der Graf mich kurz beiseite. Das ist alles so aufregend."
Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ich zog eine Augenbraue hoch. Fahrig strich sie sich eine Locke aus der Stirn.
„Er wünscht, dass du bereits nach dem Weihnachtsfest bei ihm einziehst."
Jetzt war ich wach. Doch Mama sprach so schnell weiter, dass ich keine Chance hatte, sie zu unterbrechen.
„Natürlich ist das mehr als … unüblich. Aber er insistierte darauf. Selbstverständlich werde ich bis zur Hochzeit ebenfalls in seinem Haus wohnen." Sie lächelte selbstzufrieden.
„Das kann nicht dein Ernst sein!" brachte ich schließlich hervor.
„Ich rechne es ihm hoch an, dass er dich vor der Hochzeit besser kennen lernen will. Ein so viel beschäftigter Mann kann es sich eben nicht leisten, wie ein verliebter Schwerenöter monatelang um dich herumzuschleichen."
Ich fühlte mich, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen.
„Aber…"
„Kein aber", versetzte sie und stand auf. "Komm, mein Schatz, du hast Pflichten zu erfüllen."
Ich kniff die Augen zu, als ob mich das vor meinem Schicksal bewahren würde. Mama zog mich aus dem Bett und half mir in den Morgenmantel.
Als ich in die Eingangshalle kam, fielen die Journalisten der größten Tageszeitungen Wiens über mich her. Das Aufhebens um diese Hochzeit ging mir bereits auf die Nerven. Zwei geschlagene Stunden lang ließ ich Fragen zu Graf Baranowitz über mich ergehen, die ich weder beantworten konnte noch wollte.
Als Papa die Herren bat zu gehen, knurrte mein Magen schrecklich. Sie wünschten mir alles Gute für die Zukunft. Nicht sehr glaubhaft. Mit Sicherheit sähen sie es lieber, wäre meine Zukunft von Katastrophen geprägt.
Dankbar umarmte ich Papa.
"Dieses Affentheater hält doch kein Mensch aus", meinte er. „Und auch noch zu so früher Stunde."
„Weiß eigentlich irgendjemand in dieser Stadt noch nicht, was sich bei Baranowitz abgespielt hat?" seufzte ich.
"Die Presse ist überall, Alea. Aber jetzt zu einem erfreulicheren Besuch. Im Esszimmer wartet Eva mit Herrn Berczeledi auf dich. Ich lasse dir Frühstück bringen."
"Sehr gerne." Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. "Danke, für die Rettung."
"Jederzeit wieder, Prinzessin!"

Beim Frühstück amüsierte Laszlo Eva und mich mit Anekdoten aus der kaiserlichen Kavallerie, in der er diente. Danach folgte Eva mir in mein Zimmer. Endlich konnte ich mein Herz ausschütten.
Kaum hatte ich die Tür geschlossen, sprudelte sie los: "Alea, du wirst tatsächlich die Frau von Graf Baranowitz? Die Zeitungen schreiben, dass du von dir aus eingewilligt hast. Meine Kristallkugel hat selten so versagt, was?"
"Ich würde dir gerne alles erzählen, wenn du mich zu Wort kommen ließest." Wir mussten beide lachen. Etwas von der Anspannung fiel von mir ab.
Als ich zu der Stelle kam, in der ich im Schneetreiben gestanden hatte, hielt ich inne. Ich stand auf und ging ans Fenster. Draußen war alles mit einer dicken weißen Decke überzogen. Wie sehr ich diesen Anblick liebte. Jedes Jahr aufs Neue.
Eva wurde ungeduldig. "Was geschah, nachdem der Graf dich beobachtet hat?"
Ich hob die Schultern. "Er hat den Antrag gemacht. Dort draußen, weit ab von den Gästen im Ballsaal, hatte ich auf einmal das Gefühl, nicht Herr meiner Sinne zu sein. Wahrscheinlich hätte ich auf jede Frage eingewilligt. Seltsamer Mann." Ich schüttelte den Kopf. „Sein Klavierspiel war wunderschön. Solche Musik habe ich nie zuvor gehört. Und diese ungewöhnliche Stimme." Ich setzte mich auf die Recamiere.
"Faszinierend! Bereust du deine Entscheidung?"
"Wenn ich ehrlich bin, machen mir die Veränderungen der nächsten Zeit Angst. Schon in der übernächsten Woche werden Mama und ich umziehen."
Das Herz wurde mir schwer. Ich sah auf meine Hände.
"Ich werde dich besuchen kommen. Versprochen. So oft du willst."
"Was, glaubst du, versteckt er hinter seiner Maske?" fragte ich. „Ob die Gerüchte der Wahrheit entsprechen?"
Sie dachte nach. "Würde es für dich etwas ändern, wenn du es wüsstest?"
"Ich glaube nicht." Allerdings wußte ich nicht, ob ich in diesem Punkt vollkommen ehrlich zu mir war. Schnell schob ich den Gedanken beiseite.
"Ich möchte versuchen, diese Melodie von ihm nachzuspielen. Bisher hielt ich alle seine Kompositionen für genial. Doch gegen diese wirken sie platt und aufgesetzt."
"Du suchst schon wieder nach Geheimnissen, Alea." Sie strahlte. "Und ich glaube, das ist ein gutes Zeichen."

Als Eva gegangen war, nahm ich ein ausgiebiges Bad. Im warmen Wasser liegend schickte ich meine Gedanken auf die Reise. Meine Zukunft war gesichert und gleichzeitig absolut ungewiss.
Die Melodie geisterte durch mein Gedächtnis. Als ich die Augen schloss, hatte ich plötzlich jede Note wieder im Kopf. Ich griff mir das Handtuch und wickelte ich mich hastig ein. Eine Spur aus Tropfen hinterlassend eilte ich in mein Zimmer. Ich nahm auf dem Klavierhocker Platz und legte die Hände auf die Tasten. Wieder schloss ich die Augen. Wie von selbst fand ich die richtigen Töne. Die Musik formte ein Bild in meinen Geist. Ich sah einen jungen Mann vor mir, an seiner Seite eine schöne Frau. Weit und breit gab es nichts als die goldenen Ähren eines Feldes und das strahlende Blau des Himmels. Das Sonnenlicht zauberte rote Reflexe in das Haar der Frau. Ihre Augen blickten seltsam leer, während sie flink den Bogen einer Geige führte. Der junge Mann, der zu ihrem Geigenspiel sang, sah verliebt zu ihr auf. Sein schwarzes Haar wurde von einem Seidenband zusammengehalten.
Seine weiße Maske war ein Fremdkörper in der idyllischen Szenerie.
Ich musste diese Vision malen. Meine Finger kamen zur Ruhe. Das Handtuch war mir von den Schultern gerutscht. Mich fröstelte.

Am Abend wurde ein Festessen aufgetischt.
"Es ist doch noch gar nicht Heiligabend", bemerkte ich spitz, als ich zu meinen Eltern stieß.
"Aber wir haben etwas zu feiern!" Mama hielt mir ein Glas Champagner hin.
"Auf die zukünftige Gräfin Baranowitz!" Sie prostete mir zu. Halbherzig erwiderte ich die Geste, während ich Papas mitleidigen Blick auffing.
Die gesamte Dauer des Abendessens erzählte mir Mama ihre Pläne für die nächsten Tage. Mit Weihnachten hatten sie nicht das Geringste zu tun. Mama stellte eine neue Garderobe für mich zusammen. Papa schwieg.
Ich seufzte. Weihnachtszeit, schönste Zeit. Dieses Jahr würde sich alles nur um den Umzug drehen. Mir war die Lust am Essen vergangen, was selten vorkam. Unter einem Vorwand verschwand ich in meinem Zimmer. Ich ließ mich auf das Bett sinken und atmete tief durch. Mein Blick fiel auf die Staffelei am Fenster. Bald musste ich alles, was ich kannte, hinter mir lassen.
Ich entzündete alle Gaslampen. Bis spät in die Nacht skizzierte und malte ich die Szene, die Graf Baranowitz´ Musik mir gezeigt hatte. Mama vergaß, mir eine gute Nacht zu wünschen. Mir war das nur recht.

Entweder hatte ich inzwischen Übung oder sie war zu beschäftigt – jedenfalls gelang es mir in den folgenden Tagen, Mamas Gegenwart zu meiden. Da die Maße noch vorlagen, war meine Anwesenheit bei der Anfertigung der neuen Garderobe zum Glück nicht vonnöten. Frühmorgens verließ ich das Haus, um letzte Erledigungen für Weihnachten zu machen. Für einige Stunden konnte ich so die bedrückenden Gedanken verdrängen. Durch das winterliche Wien zu laufen beruhigte mein Gemüt. Mir fehlte noch ein Geschenk für Evas Verlobten. Auch das Personal zu beschenken ließ ich mir nicht ausreden. Mittags half ich Johanna beim Plätzchenbacken.
Am Weihnachtsmorgen stapfte ich durch einen halben Meter Neuschnee, um Eva ihr Geschenk zu bringen. Ich freute mich auf ihren Gesichtsausdruck beim Auspacken.
Das Haus in der Nähe des Stephansdoms war mit Girlanden aus Tannenzweigen und roten Schleifen geschmückt. Evas Mama begrüßte mich herzlich und drückte mir ein Paket Plätzchen in die Hand.
"Frohe Weihnachten, Alea. Ich hoffe, du kommst uns weiterhin besuchen."
Mein Herz krampfte sich zusammen.
Schon im Flur hörte ich Musik aus Evas Zimmer. Als sie auf mein Klopfen nicht reagierte, öffnete ich die Tür. Eva saß mit glühenden Wangen am Arbeitstisch
"Das ist von Laszlo." Sie zeigte auf den Apparat vor ihr. Ein Grammophon! Ich hatte von dieser neuen Erfindung gehört. Es musste ein Vermögen gekostet haben.
"Da ich am Klavier längst nicht so begabt bin wie du, wird mir das hier in Zukunft Musik vorspielen. Laszlo hat mir fünf Schellackplatten dazu geschenkt."
Sie hielt mir eine Karte unter die Nase. Ich denke in jeden Augenblick an dich. Für immer, Kedvesem, las ich.
"Wie süß! Dann brauchst du mein Geschenk ja gar nicht", grinste ich.
"Das würde dir so passen." Sie täusche links an und machte einen Ausfallschritt, um mir das lange Paket aus den Händen zu ziehen, das ich hinter dem Rücken hielt.
"Dieser Sport macht dich wirklich unberechenbar."
Ich legte den Umhang ab und setzte mich dem Schreibtisch gegenüber. Sorgfältig wickelte sie das Geschenk aus. Ich selbst bewies niemals eine solche Geduld mit Geschenkpapier. Evas Freudenschrei, als sie den Deckel der Holzkiste hob, ließ mein Herz einen Satz machen.
"Du bist wahnsinnig, Alea!"
"Das heißt, es gefällt dir?" fragte ich lächelnd. Fast ein halbes Jahr hatte ich gespart, um Eva ein neues Florett kaufen zu können.
Erst fiel sie mir um den Hals, dann hob sie die Waffe vorsichtig aus der Verpackung. Der vergoldete Griff war mit kunstvollen Gravuren verziert. Sie parierte einige imaginäre Stöße.

Fechten geziemte sich nicht für eine Frau. Da die Marhoffers ihrer Tochter jedoch keinen Wunsch abschlagen konnten, hatten sie vor fünf Jahren ihrer Bitte um Fechtunterricht nachgegeben - unter Voraussetzung der Geheimhaltung. Durch die Fechtstunden hatten sich Eva und Laszlo kennen gelernt.
Ich sah Eva gerne beim Üben zu. Im Sommer fuhren wir in den Wiener Stadtwald hinter dem Prater, wo sie vergeblich versuchte, mir die Grundtechniken ihres Sports beizubringen. Wenn Spaziergänger auftauchten, ließ sie die Waffe ins Gras fallen und warf sich zu mir auf die Picknickdecke.
Eva schlug das Florett wieder in das Samttuch ein und legte es in die Schachtel zurück Nach einer gefühlten halben Stunde geräuschvoller Suche förderte sie aus einer Schreibtischschublade ein Päckchen zu Tage.
"Du sollst auch nicht leer ausgehen."
Ich hielt es ans Ohr und schüttelte es. Ungeduldig riss ich das Papier herunter und öffnete das
Schächtelchen. Vor mir lag eine feine, mit glitzernden Steinen besetzt Silberkette.
"Die ist traumhaft." Ich legte mir das Schmuckstück um den Hals.
"Damit du nicht vergisst, dass deine Freunde nicht weit sind. Egal was kommt!"
"Danke", flüsterte ich heiser.

Der Heiligabend verlief wie jedes Jahr. Um sechs Uhr genossen meine Eltern und ich im Wohnzimmer Gänsebraten und Klöße. Neben dem Tisch stand der Weihnachtsbaum mit dem Schmuck von vier Generationen. Wie immer an Weihnachten verzichteten wir auf die Gaslampen und erhellten die Wohnung mit Kerzen und Kaminfeuer. Endlich stellte sich auch bei mir weihnachtliche Stimmung ein.
Bereits am Nachmittag hatte ich meine Geschenke unter den Baum gelegt. Danach war ich in die Küche gegangen, um unsere Angestellten zu beschenken. Wie immer trug ich mehr Geschenke nach oben in mein Zimmer als ich mitgenommen hatte. Papa, der sich leidenschaftlich mit Sternkunde und Astrologie beschäftigte, bekam ein Teleskop. Für Mama hatte ich zwei Sammeltassen aus der Serie, die sie seit Jahren zusammentrug, gekauft. Mir mussten sie ja nicht gefallen.
Als der Tisch abgeräumt war, wurden die Bediensteten mit den besten Weihnachtswünschen in die Feiertage entlassen. Johanna füllte noch den Plätzchenteller auf, bevor sie ging.
Ich saß unter dem Baum und packte Papas Geschenk aus, als es läutete. Überrascht sahen wir uns an.
"Ich gehe schon", sagte ich und stand auf.
Ein vermummter Mann wartete vor der Tür im Schneetreiben. Sein Hut war so tief ins Gesicht gezogen, dass ich ihn nicht erkennen konnte.
"Guten Abend, gnädiger Herr."
Er streckte mir einen Karton entgegen.
"Frohe Weihnachten", murmelte er in den Schal. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte durch den Schnee davon.
"Ihnen auch fröhliche Weihnachten", rief ich ihm nach. Kopfschüttelnd schloss ich die Tür.
Das Paket war an mich adressiert.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer und ließ mich wieder unter dem Baum nieder, legte die Schachtel beiseite und fuhr fort, Papas Geschenk auszupacken.
"Wer war das, Liebes?" wollte Mama wissen.
Ich zuckte die Achseln. "Ein Mann, der dieses Paket für mich abgegeben hat."
"Willst du es nicht aufmachen?"
"Gleich. Ölfarben! Vielen Dank, Papa! Meine Vorräte gehen tatsächlich zur Neige."
Die vielen Pakete von Mama enthielten allesamt meine neue Garderobe. Ein Kleid war schöner als das andere. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich mein Geschenk überreichte. Aber ich schien ins Schwarze getroffen zu haben.
Papa zog sich auf den Balkon im obersten Stockwerk zurück, um sein Geschenk auszuprobieren. Mama sortierte die Tassen in die Vitrine ein. Mein Blick fiel auf das geheimnisvolle Paket. Ich löste die Schnur, zog das Packpapier herunter und hob den Deckel von der Schachtel. Vor mir lag ein Umhang aus schwarzem Nerz, wie ich noch nie einen gesehen hatte. Darunter kam ein passender Muff zum Vorschein. Eine rote Karte fiel mir entgegen.
Damit Sie für einen weiteren Tanz im Schnee gerüstet sind, stand dort in schnörkeligen, schwarzen Lettern.
Ich hatte nicht an ein Geschenk für Graf Baranowitz gedacht.
Hätte mein Verlobter nicht an erster Stelle kommen müssen? Ich berichtigte mich - er war mein Verlobter und ein völlig Fremder.
Ich legte mir das Nerzcape um die Schulter und kuschelte mich hinein. Eins musste man dem Grafen lassen, er hatte Geschmack. Mit den Fingerspitzen fuhr ich durch den seidigen Pelz. Ein spitzer Schrei riss mich aus meinen Gedanken.
"Hat den etwa Graf Baranowitz geschickt, Alea?" Mit vor Aufregung fleckigen
Wangen sprang Mama herbei. Der Abend war bisher so friedlich verlaufen. Außerdem steigerte ihre Begeisterung mein schlechtes Gewissen.
"Wunderschön, nicht wahr? Und ich habe gar nichts für ihn besorgt."
"Eine hübsche Frau genießt und schweigt, Alea."
"Ich hätte trotzdem gerne ein Geschenk für ihn."
"Wir besorgen nächste Woche eins."
Wie gerne hätte ich diese Sache ebenso leicht abgetan..