Kapitel 5: Liebe
Die Liebe ist eine seltsame Angelegenheit. Sie bringt Menschen dazu, wunderbare Dinge zu tun, aber sie verleitet sie auch zu den schrecklichsten Formen von Verrat und Betrug. Sie kann ungeahnte Kräfte in uns wecken, aber auch unsere dunkelsten Dämonen entfesseln.
Und egal, wer wir sind, egal wo wir stehen, es ist immer Liebe, die wir uns wünschen. Der Wunsch nach Liebe kann so stark sein, dass wir die unbegreiflichsten Taten begehen, um sie zu finden. Aber nicht immer sind wir auch in der Lage, Liebe zu erkennen oder sie anzunehmen, wenn sie uns dargeboten wird.
Und so sehr wir uns auch wünschen, geliebt zu werden, so stark kann auch der Wunsch sein, lieben zu dürfen und so bitter die Erkenntnis, dass unsere Liebe nicht gewünscht ist.
Severus mein Sohn,
Du bist nun ein Jahr alt und meine Hoffnungen für eine gute Wendung schwinden langsam. Ich schwanke zwischen Hoffnung und Verzweiflung, aber ich bin noch nicht bereit, aufzugeben, was ich noch immer als das größte Glück meines Lebens ansehe. Es muss einen Weg geben, für uns alle Frieden und Glück zu finden, denn so wie jetzt kann es nicht weitergehen.
Ich erkenne Deine Mutter manchmal kaum wieder.
Sie ist so zornig geworden, so voller Verzweiflung. Ich kann nicht verstehen, dass das die Frau ist, die ich einmal so sehr geliebt habe, die so wunderschön war, als ich sie das erste Mal wütend erlebte. Jetzt verzerrt der Zorn manchmal ihre Züge so sehr, dass es mich zutiefst erschreckt.
Schließlich, kurz vor Deinem ersten Geburtstag haben Deine Grosseltern endlich eingelenkt und uns erlaubt, sie zu besuchen und ihnen ihren Enkel zu zeigen.
Ich war so sicher, sie würden voller Stolz sein, wenn sie Dich nur erst einmal sähen, aber sie waren kalt und herablassend.
Ich verstehe nicht, wie sie ihre eigene Tochter so verletzen können und mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, wie sie mit Dir umgehen werden, wenn Du älter bist.
Immer wieder versuche ich mit Eileen zu sprechen, die früheren Gedanken und Empfindungen in ihr wachzurufen, aber sie entgleitet mir mehr und mehr.
Sie vermisst ihre Familie mehr, als sie sich das vorgestellt hatte, damals, als sie sich gegen sie entschied.
Ich kann es in ihren Augen sehen, sie ist kein schlechter Mensch, sie ist nur unglaublich traurig und fühlt sich verlassen. Nur, dass wir beide ihr das nicht ersetzen können, das ist es, was mich zutiefst bekümmert.
Nun sprechen ihre Eltern wenigstens wieder mit ihr und ich sehe, dass sie ein wenig aufblüht.
Aber der Preis dafür ist hoch. Und so sehr ich sie auch liebe und es genieße, zu sehen, dass sie ein wenig von ihrer schwermütigen Stimmung verliert, so muss ich doch erkennen, dass sie stark die Gedanken ihrer Familie annimmt.
Natürlich, ich verstehe, dass sie sich ohne die Anerkennung ihrer Eltern wertlos gefühlt hat. Aber sind denn meine Anerkennung, mein Respekt und meine Liebe gar nichts mehr wert? Müssen es unbedingt ihre Eltern und deren Freunde sein, denen sie sich zugehörig fühlen will?
Was ist aus der Rebellin geworden, die sich mutig gegen die Ideale ihrer Umgebung auflehnte und sich zu ihrer Liebe bekannte?
Und warum lässt sie zu, dass man ihr erzählt Du warest ein Halbblut. Was bedeutet Blut, wenn man ein Kind hat, das man liebt? Warum verachten sie Dich dafür, mein Sohn zu sein?
Sollen sie MICH verachten, aber Du kannst doch nichts für Dein Blut. Du verstehst Gott sei Dank noch nichts von alledem, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, um Dir eine unbeschwerte Kindheit fern von diesem Unsinn zu ermöglichen.
Es ist diese Ignoranz, diese sinnlose Verurteilung, die mich so ohnmächtig wütend macht. Und es ist die Wandlung Deiner Mutter, die all das früher mit der gleichen Verachtung abgelehnt hat, die auch ich noch empfinde.
Sie war so kämpferisch gegen diese alten und unsinnigen Traditionen und Gedanken eingestellt, dass ich mich jetzt manchmal zu fragen beginne, ob das noch die gleiche Frau ist, die ich geheiratet habe.
Aber das ist nicht von Belang für Dich, mein Sohn, Du musst nur wissen, dass ich alles tun werde, um Schaden von Dir fern zu halten.
Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es schaffen müssen, Eileen wieder das Gefühl zu vermitteln, das sie hatte, als wir zusammen fortlaufen wollten.
Ich weiß, diese Frau steckt noch in ihr und ich muss versuchen, sie vor den Gedanken ihrer Eltern zu beschützen. Sie darf nicht glauben, was ihr erzählt wird. Sie darf nicht glauben, dass sie durch ihren Mann und ihren Sohn weniger wert ist.
Ich muss ihr vermitteln, dass es unsere Liebe ist, Deine und meine, die für sie wichtig sind und dass sie diese Liebe ohne Gegenleistung bekommt, während ihre Eltern angepasstes Benehmen und nachplappern von Ideologien als Preis für ihre Anerkennung und Liebe fordern.
Ich bin sicher, sie wird erkennen, welcher Liebe sie sich eher zuwenden muss, wenn sie das Beste für ihr Kind will.
Es gibt Abende, an denen bin ich fast sicher, dass Deine Mutter wieder die Alte ist, sie lacht, scherzt, singt leise Lieder für Dich, damit Du schlafen kannst. Sie strahlt und wirkt glücklich und ich habe das ehrliche Gefühl, dass doch noch alles wieder gut werden kann.
Dann wieder gibt es Tage, an denen ist sie mürrisch und reizbar, aber oft schaffst Du es, sie zu besänftigen, wenn Du sie anlachst oder wenn ich ihr die Feldblumen mitbringe, die sie früher so liebte. Dann wird ihr Blick verklärt und ich kann sehen, dass die alten Gefühle wieder ihr Herz erfüllen.
Vielleicht, vielleicht schaffen wir drei es, eine glückliche Familie zu werden und Dir eine lohnenswerte Zukunft zu geben.
Vielleicht….
In Liebe
Dein Vater
Snape legte auch diesen Brief zur Seite. Seine Mutter? Sie war es, die sich verändert hatte?
Ungläubig versuchte er sich zu erinnern, aber die Szenen in seinem Kopf waren verschwommen, er wusste nicht genau, wie er sie zuordnen konnte. Ein leichter Schmerz pochte hinter seinen Schläfen und er rieb sich die Augen.
Aber langsam war er gefangen in der Geschichte, die sich da vorsichtig vor seinen Augen entblätterte und er wusste, er würde sie bin zum Ende verfolgen, egal, was sie ihm enthüllen würde.
Einige von uns finden Liebe dort, wo sie sie nie vermutet hätten. Sie ernten eine Saat, die sie selber niemals gesät haben, aber trotz dieses Wunders sind sie nicht immer bereit, das Geschenk auch entgegen zu nehmen. Und so liegt es lange Zeit im Verborgenen und wir erkennen voller Ehrfurcht, dass Liebe nicht vergeht, nur weil wir sie nicht annehmen wollten.
