Kapitel 8: Niederlage

Triumph ist ein mächtiges Gefühl, eine Triebfeder für so manche große Heldentat und für so manche niederträchtige Schandtat. Das Gefühl gesiegt zu haben, überlegen zu sein, den Gegner am Boden zu sehen. Zerstört durch unsere Macht, auf unseren Befehl, oder durch die Hand eines unserer Gefolgsleute. Nicht immer ein körperlicher Tod, manchmal zerbrechen wir unsere Gegner nur, aber trotzdem sind sie vernichtet. Und dennoch bleibt ein schales Gefühl, denn nicht alles stirbt mit der Person.

Severus,

Nun hast Du das Alter erreicht, in dem Du nach Hogwarts gehen wirst. Du wirst keinen Schutz mehr brauchen und es quält mich immer der Gedanke, wie wenig ich Dir geben konnte, dass Du nicht einmal mehr wissen wirst, wer ich war, sondern nur noch das verzerrte Bild der letzten Jahre und die Einflüsterungen Deiner Mutter und ihrer Familie im Kopf haben wirst.

Ich glaube nicht, dass ich noch da sein werde, wenn Du nach Hause kommst, aber ich möchte, dass Du durch diese Briefe eines Tages erfährst, wie sehr ich Dich geliebt habe und dass ich daran zerbrochen bin, Dich nicht schützen zu können, dass ich nicht der Vater war, den jeder Junge verdient, den Du gebraucht hättest.

Sie haben gesiegt, aber ich hoffe und bete, dass durch diese Briefe ihr Sieg eines Tages ein bitterer Sieg sein wird.

Ich werde Dir einen letzten Dienst erweisen, indem ich aus Deinem Leben verschwinde. Deine Mutter hat mir oft genug gesagt, dass das einzige, was sie sich von mir wünscht, ist, dass ich verschwinde und Dir und ihr damit die Chance gebe, für Dein zukünftiges Leben Deine schändliche Herkunft vergessen zu können.

So schwer es mir fällt, Dich gehen zu lassen, ich weiß doch tief in meinem Herzen, dass es besser für Dich ist. Dieses Haus ist kein guter Ort für einen Jungen. Glaube nicht, Du wärest mir gleichgültig gewesen, ich habe oft gesehen, wie Du alleine in Deinem Zimmer gehockt und düster vor Dich hin gestarrt hast in den letzten Jahren. Wie viele Stunden hast Du auf Deinem Bett gelegen und die Decke angesehen?

Aber ich war schon lange nicht mehr die Person, der Du Dich anvertraut hättest, ich habe Deine Verachtung jede Minute gespürt.

Ich kann nur hoffen, dass Du an Deiner Schule neue Freunde findest, dass Du lernst, offen für andere Gedanken zu werden.

Vielleicht findest Du dort die Anerkennung, die Deine Leute Dir hier nie gegönnt haben. Dass Du meine nicht mehr wolltest kann ich ja verstehen, wer hätte Dir weniger ein Vater und Freund sein können, als ich?

Nun, dort warten so viele Menschen auf Dich, Lehrer, Mitschüler, und weiß der Himmel, wer noch so alles in einer Zaubererschule lebt.

Nutze die Chance neu anzufangen, als unbeschriebenes Blatt, ohne Vorbelastungen und ohne Makel. Du wirst Freunde und Vertraute finden, Leute, zu denen Du eine so starke Bindung aufbauen kannst, dass es ihnen eines Tages egal sein wird, was für eine Herkunft Du hast, wenn sie erst erkannt haben, was Du für eine Person bist.

Ergreife die Chancen, die sich Dir dort bieten.

Und wenn Du dann Deine Ausbildung beendet hast und als erwachsener Mann zurückkehrst, dann warten diese Briefe auf Dich. Du wirst so viel gelernt haben, so unterschiedliche Sichtweisen erfahren haben, dass es unmöglich sein wird, noch weiter die Wahrheit zu verleugnen.

Du wirst auf dieser Schule auch Halbblüter und Muggelgeborene treffen, so sagte man mir und das wird Dir die Chance geben, eine neue Perspektive zu bekommen für diesen ganzen Reinblutunsinn. Du wirst erkennen, dass weder Du noch andere Halbblütige, ja nicht einmal Muggelgeborene weniger wert sind, dass es alles nur davon abhängt, was man aus seinem Leben macht.

Ich bin sicher, die Zeit in der Schule wird Dir klar machen, dass sich Dein Wert nur über Deine Leistungen, Deine Entscheidungen und Deine Menschlichkeit definiert und nicht über Deine Herkunft. Ja, langsam beginne ich zu glauben, dass Deine große Chance dort auf Dich wartet.

Und während ich das hier schreibe und mir ausmale, welche wunderbaren Möglichkeiten sich dort für Dich eröffnen, fern von diesem Haus und seinem Wahnsinn, dann erfüllt neue Hoffung und unbändige Freude mein Herz. Ich wünschte, ich könnte in Deiner Nähe sein und mit ansehen, wie sich Dein Leben zum Besseren verändern wird. Denn ich will fest daran glauben, dass trotz der traurigen Kindheit nun eine Zeit der Freude und des Spaßes mit neuen Freunden auf Dich wartet.

Ich hoffe nur, Du legst den Schutzpanzer der Gleichgültigkeit und Verbitterung ab, wenn Du diesen neuen Lebensabschnitt betrittst, dann bin ich überzeugt, eine wunderbare Zukunft wird sich für Dich öffnen.

Und eines Tages, wenn Du all das gelernt hast, was es dort zu lernen gibt, wenn Du die Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht hast, dann wirst Du diese Briefe lesen.

Ich erhoffe mir, sie mögen auf einen gut ausgebildeten, weltoffenen Geist treffen, der verstehen kann dass alles, was geschehen ist niemandes Schuld war. Dass es einfach Dinge gibt, die sich entwickeln und so sehr man sich auch dagegen stemmt, man kann sie nicht ändern. Manche Entwicklungen kann man nicht in seinen kühnsten oder schlimmsten Träumen erahnen, und selbst, wenn man es könnte, man wäre machtlos, sie aufzuhalten.

Es ist eine bittere Erkenntnis, dass man nicht mit dem Finger auf eine Person zeigen kann und sagen "die ist schuld". Dass es kein Ereignis gibt auf das man deuten kann und sagen: „da hätte man etwas aufhalten können". Aber das Leben ist voller solcher Entwicklungen und wir stehen oft da und wundern uns, wie wir hierher gekommen sind.

Und dann kannst Du mir vielleicht vergeben, dass ich nicht der Vater war, den Du Dir gewünscht hättest und der ich immer für Dich sein wollte.

Ich werde niemals aufhören, mein einziges Kind zu lieben.

Dein Vater

Snapes Gesicht war erstarrt, nur seine Augen huschten unruhig durch den Raum, als könne er dort die Schatten vergangener Personen ihrer täglichen Routine nachgehen sehen.

Er legte diesen letzten Brief mit marionettenhaft anmutenden Bewegungen auf das Tischchen zurück und man konnte den Eindruck gewinnen, er merke nicht einmal was er dort tat.

Mit der gleichen Art Bewegung sank seine Hand in seinen Schoß und verschränkte sich mit der anderen, dort schon genauso teilnahmslos liegenden Hand.

Vollkommen erstarrt und gefangen in seinen Erinnerungen und Gedanken schien Snape zu sein, nur wenn man sehr genau hinsah, konnte man neben dem unruhigen Blick auch sehen, wie der Kiefer sich anspannte und dass die Hände so sehr ineinander verkrampft waren, dass die Knöchel weiß leuchteten.

Seine Gedanken wirbelten um etwas, das er nie, niemals in diesen Briefen vermutet hätte.

Hoffnung.

Nach Allem, was er gesehen, erlebt und empfunden hatte, war dieser Mann fähig gewesen Hoffnung für seinen Sohn zu sehen.

Snape begann langsam zu verstehen.

War es das, was ihn und seinen Vater unterschied? Der Glaube, dass das Leben immer wieder Chancen bot?

War es das, was eine glückliche Kindheit aus einem Menschen machte?

War es das, was sein Vater sich so sehr für ihn gewünscht hatte, das Fundament für Hoffnungen und den Blick, um Chancen zu sehen, wo er selber ohne diese Basis nichts hatte sehen können?

Er schloss die Augen, als er spürte, wie ihn ein Gefühl von Verlust zu überrollen drohte.

Am Ende muss manch einer erkennen, dass nicht jeder Sieg ein Triumph ist und dass Hochmut oft vor dem Fall kommt.