Harry hatte Justin längs auf die Couch gelegt, und Draco hatte ihm heiße Kompressen umgewickelt. Er war noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen, aber seine Atmung hatte sich stabilisiert. Harry und Draco saßen schweigend auf dem Boden vor dem Kamin.

In diesem Moment ging die Tür auf. Ron, Cedric und Theo kamen herein.

„Die gute Nachricht ist: Wir haben den Lift gefunden", sagte Cedric. Er kam zu ihnen und als er sah, dass es Justin nicht gut ging, kniete er sich vor ihn und nahm seine Hand.

„Was ist passiert?"

Ron und Theo stellten sich hinter die Couch. Ron hielt sich dabei seinen Magen und blickte gequält drein.

„Er ist einfach bewusstlos geworden", sagte Harry.

„Einfach so?" Theo runzelte die Stirn.

„Ja, wie denkst du denn, wie so was passiert?"

„Hatte er einen Hustenanfall, oder einen Schwächeanfall? Er kann doch nicht einfach so umgekippt sein!"

„Wir waren nicht da, als es passiert ist, okay?", mischte Draco sich nun ein. Cedric stöhnte auf. „Hättet ihr euch nicht einmal zusammen reißen und eure Streits unterdrücken können, wenn wir euch schon mit einem Todkranken zurücklassen?"

„Wir haben nicht gestritten".

„Ich will endlich in unser Haus, ich habe Hunger!", beschwerte Ron sich. Theo hingegen kniete sich hin und legte seine Arme auf den Couchrücken, seinen Kopf darauf. „Klappe, Weasley, du machst es nur noch schlimmer", nuschelte er dabei.

„Ja, klar, ihr habt nicht gestritten. Was anderes könnt ihr doch gar nicht. Na, wenigstens habt ihr ihm Kompressen gemacht. Mann, wir sind Zauberer und Justin muss an einer Erkältung zugrunde gehen! Und der Lift ist auch nicht in Betrieb!"

„Aber... die Arbeiter da wussten doch, dass wir noch hier oben waren! Die können uns doch nicht hier sitzen lassen!", sagte Harry.

Cedric zuckte nur mit den Schultern, stand auf und entledigte sich seiner Handschuhe. Dann ging er in die Küche und werkelte dort herum. Theo hob seinen Kopf und blickte Draco an.

„Wenn ihr nicht gestritten habt, was habt ihr dann gemacht?"

Draco öffnete den Mund, und er wurde kein bisschen rot, als er sagte: „Wir waren draußen und haben Schnee geholt."

„Harry, ich habe keine Lust mehr", sagte Ron. Er lief unruhig auf und ab.

„Ich auch nicht, Ron", sagte Harry vom Boden aus. Er blickte Draco an, der ins Feuer starrte. Bald aber merkte er, dass Harry ihn anschaute und erwiderte den Blick. Er grinste und strich über Harrys Hand, die nicht weit entfernt von seiner lag.

Harry blickte sich um. Ron stand an einem Fenster und Theo hatte seinen Kopf wieder in seinen Armen vergraben. Harry nahm Dracos Hand und drückte sie, wollte ihm Mut machen. Draco seufzte, und Harry stand auf, um zu Cedric zu gehen.

„Können wir nicht bis zum ersten Lift laufen?", fragte er. Cedric schälte die letzten krüppeligen Kartoffeln und sah nicht auf.

„Wir kennen den Weg nicht und können Justin das nicht zumuten. Außerdem werden wir bestimmt schon vermisst. Wir müssen einfach warten, bis uns jemand findet."

„Aber wer weiß, wie lange das dauert!"

„Ich weiß", sagte Cedric. Er schälte die Kartoffeln mit einer solchen Aggressivität, dass Harry es vorzog, sich zu Ron zu stellen. Eine zeitlang starrten sie hinaus in den Schnee.

„Harry, ich glaube, Theodore ist jetzt auch zusammengeklappt", kam es von Draco. Harry und Ron blickten sich an, Harry runzelte die Stirn und drehte sich um.

„Woher willst du das wissen, Malfoy?"

„Er liegt schon seit ein paar Minuten reglos auf dem Couchrücken." Draco stand auf, ging um die Couch herum und schüttelte Theo. Harry trat zu ihm und flüsterte: „Pass auf, was du sagst. Du hast mich Harry genannt."

Draco schaute auf und zuckte mit den Achseln. „Im Moment ist mir so ziemlich alles egal."

„Im Moment vielleicht, Dr- Malfoy!"

Theo stöhnte und schlug Dracos Hand weg. „Schon gut, Mann! Ich bin nur eingenickt. Es ist kalt, ich bin frustriert, ich habe Hunger und schlafen konnte ich in diesem Kaff auch nicht."

„Ich schon", grinste Draco.

„Schön für dich", sagte Theo. „Ich glaub, ich hau mich hin. Weckt mich, wenn etwas passiert oder Justin abkackt. Warte, dann doch nicht." Er schleppte sich zur Tür und verschwand. Harry und Draco blickten sich an.

„Denkst du, ich sollte hinterher?"

„Warum? Er will schlafen, da kannst du ihm kaum helfen", meinte Harry und verschränkte die Arme. Ron trat neben sie.

„Was ist hier los? Ist was passiert, als wir weg waren? Hattet ihr eine Offenbarung oder so was?"

„Oh, so kann man es auch nennen, Weasley", sagte Draco.

„Verdammt, Malfoy!" Harry sah Draco eindringlich an, der mit den Schultern zuckte.

„Langsam wird es unerträglich, Potter", sagte er.

„Ach, nicht mehr Harry?", fragte Ron spöttisch.

„Ich bitte euch", sagte Harry. „Seid nett zueinander."

„Harry, was ist bloß los mit dir! Seit wann bist du so unparteiisch?"

„Ron, ich verliere hier oben fast den Verstand, da kann ich Streit einfach nicht gebrauchen! Auch nicht mit Malfoy!"

Ron schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Ich geh wieder aus dem Fenster starren", murmelte er.

Draco grinste ihm hinterher, trat auf Harry zu und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Harry stieß ihn zurück.

„Du bist unmöglich, Malfoy", herrschte er ihn an.

„Das sagt der Richtige, Potter!"

„Ach, aber selber darfst du mit ihm streiten?", kam es von Ron.

„Es geht nun mal nicht anders", sagte Harry. „Wie gesagt, er ist unmöglich."

Draco funkelte Harry an.

„Was sollen wir denn tun, ich halt das nicht mehr aus!", sagte Ron vom Fenster her.

„Ich auch nicht", sagte Draco, zu Harry gewandt. Harry schloss die Augen und atmete tief durch. Er war kurz davor, auszuflippen, rumzuschreien und ihr kleines Geheimnis zu offenbaren. Ein Satz lag ihm dermaßen auf der Zunge, dass er sich auf die Lippen beißen musste, um ihn nicht hinauszulassen: Mein Gott, Draco, sei nicht immer so ungeduldig, wenn du mich hier bespringst, wissen die anderen sofort, was Sache ist!

Harry spürte, wie Ron neben ihn trat. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, Harry zuckte kurz zusammen.

„Schon gut, Harry. Ich halt meine Klappe. Wir werden das gemeinsam durchstehen."

Harry öffnete seine Auge. Ron sah ihn so mitleiderregend an, dass Harry nicht anders konnte, als ihm aufmunternd zuzulächeln.

„Ja, Ron. Das werden wir."

Harry warf einen Blick auf Draco, und was er da sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Seine Augen hatten sich zusammengezogen, die Stirn sich in Falten gelegt. Der Mund öffnete sich, aber bevor er etwas sagen konnte, meinte Harry: „So wie alle anderen hier in dieser Hütte, nicht wahr, Malfoy?"
Draco verschränkte seine Arme. „Meinst du, Potter? Ich habe das Gefühl, hier läuft grad so einiges schief."

Harry flehte Draco mit Blicken an, zu verstummen. Doch Ron fragte: „Und was, Malfoy? Nur, weil du nichts anderes als Streit im Sinn hast?"

„Ron, bitte", flüsterte Harry. Diesen Blick von Draco kannte er nur zu genau.

„Wenn ich meinen Zauberstab hier hätte, Weasley...", knurrte Draco. Ron verschränkte die Arme und blickte noch wütender drein. Harry beschloss, die Situation zu beruhigen. Er trat auf Draco zu, packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn sacht.

„Hört auf damit! Bitte, wir müssen hier alle zusammen halten."

Draco entspannte sich unter Harrys Händen. „Sag das deinem Freund."

„Okay." Harry blickte intensiv in Dracos Augen, die nun schmunzelten, wenn Augen das denn konnten. Doch Draco ließ sich nichts anmerken. Er kräuselte sogar seine Lippen.

„Lass mich los, Potter."

Harry ließ von ihm ab. Anscheinend hatte Draco sich wieder unter Kontrolle. Manchmal bekam Harry richtig Angst, so schnell wie Draco von einer Sekunde auf die andere undurchdringlich und abweisend werden konnte.

Ron gab ein abwertendes Geräusch von sich, während er zur Couch ging, um nach Justin zu sehen. Harry tätschelte Draco auf der Schulter, aber er schlug Harrys Hand weg, blickte ihn kurz an und ging dann durch die Tür, die zu den Schlafräumen führte. Stirnrunzelnd sah Harry ihm hinterher. War Draco wegen irgendeinem lächerlichen Grund sauer oder einfach nur auf Sex- Entzug? Aber das konnte nicht sein, sie hatten doch erst vorhin...

Sofort meldete Harrys schlechtes Gewissen sich wieder und er trat zur Couch.

„Alles in Ordnung?"

Ron sah von seiner Hockposition auf. „Ja, soweit ich das beurteilen kann. Aber so geht das nicht weiter, er braucht Heilzauber oder Medikinn."

„Du meinst Medizin, ja, das denke ich auch. Ich werde mich auf den Weg machen, vielleicht komme ich ja unten an, dann kann ich Dumbledore sagen, er soll hierhin apparieren."

Ron sprang auf. „Das kannst du nicht, es ist viel zu gefährlich!"

„Ich muss, oder willst du, dass Justin stirbt? Vielleicht hat er eine Lungenentzündung und muss ins Spital!"

Cedric trat mit einem dreckigen Lappen, an dem er sich die Hände abwischte, zu ihnen. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht, dass wir uns aufteilen. Drei bleiben, drei gehen. Ich bleibe aber auf jeden Fall bei Justin..."

Harry nickte. „Was ist Ron, kommst du mit, oder lässt du mich mit zwei Slytherin gehen?"

„Ich komme mit, aber ich glaube, wir werden zu zweit gehen müssen. Eigentlich finde ich das sogar besser."

„Zu zweit kommt ihr nicht weit, Ron", sagte Cedric. „Drei sind auf jeden Fall besser."

„Na gut. Aber nur mit Nott, sonst wird das nie etwas!"

„Ja, da stimme ich dir zu, auch wenn ich dann Malfoy am Hals habe", seufzte Cedric.

Harry kam sich übergangen vor, wollte aber nicht protestieren. Was hätte er auch sagen sollen? Nein, ich will lieber mit Malfoy gehen, ich mag es, jede Minute im Streit zu verbringen?

„Dann sollte ihn mal jemand holen", sagte er stattdessen. Ron und Cedric blickten ihn an. Harry hob die Hände. „Ja, ja, ich gehe schon."

Harry ging durch den dunklen Holzflur zur zweiten Tür auf der linken Seite, wo er Nott und auch Draco vermutete. Seine Hand lag auf der Türklinke, als er etwas hörte, was ihn innehalten ließ.

„...so nervtötend wie noch nie. Und ich bin auch noch mit ihm auf einem Zimmer", drang Dracos schneidende Stimme leise zu ihm.

„Ach Draco, niemand mag es, hier zu sein", sagte eine dunklere und leicht genervt klingende Stimme. Nott.

„Du verstehst das nicht! Es ist nicht nur hier... dauernd muss ich ihm vorspielen, ihn nicht zu hassen. Dabei könnte ich kotzen, sobald ich ihn sehe!"

„Selber schuld, findest du nicht? Du hättest – "

Harry hatte genug gehört. Er pochte an die Tür und riss sie, ohne eine Antwort abzuwarten, auf. So, Draco spielte ihm also nur etwas vor? Gut zu wissen!

„Nott, wir brauchen dich", sagte Harry, darauf bedacht, wirklich nur Nott anzuschauen. Dieser lag auf seinem Bett ausgestreckt, und Draco saß auf dem unteren Etagenbett. Stöhnend erhob Theo sich.

„Na toll, ihr habt euch wohl alle gegen mich verschworen!"

Er stakste aus dem Zimmer und auch Harry drehte sich um, ohne Draco zu beachten. Doch bevor er aus dem Zimmer gehen konnte, umschlossen ihn zwei starke Arme und ein Lippenpaar vergrub sich in seinem Nacken.

„Gute Idee, Harry!"

Harry schlug heftig um sich. „Lass mich in Ruhe!", rief er dabei. Draco fuhr zurück. Er starrte Harry entgeistert an.

„Was ist denn in dich gefahren?"

„Wenn du das nicht weißt, dann kann ich dir auch nicht helfen", keifte Harry. Dann ging er schnellen Schrittes in den Wohnraum, einen verwirrten Draco im Schlepptau.

„Ah, Potter, dann sind wir ja vollzählig! Ich schlage vor, wir verschwenden keine Zeit und brechen sofort auf!", sagte Nott.

„Aufbrechen? Wollt ihr Schnee holen?", fragte Draco.

„Nein, wir suchen einen Weg nach unten."

„Was? Seid ihr jetzt völlig verrückt geworden?"

Theo verschränkte die Arme. „Wir suchen eine Lösung, Draco."

„Na schön. Ich werde mitkommen." Draco zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch und blickte in die Runde, wo ihn nur offene Münder erwarteten. Cedric fasste sich als erster.

„Malfoy? Hast du vielleicht auch Fieber?"

„Denkst du, ich will nicht so schnell wie möglich nach unten, Diggory? Oder schaffst du es nicht, Finch- Fletchley alleine zu versorgen?"

„Draco... Warum willst du denn mit, warte hier doch einfach!"

„Nein, Nott. Ich werde mitkommen, ob du es willst, oder nicht."

Harry war kurz davor, zu verkünden, dass er dann hier bleiben würde. Aber das konnte er nicht mit sich vereinbaren, zu groß war der Drang, raus zu gehen und einen Weg zu suchen. Er konnte nicht hier bleiben und Däumchen drehen. Dann würde er halt Draco ertragen müssen. Vielleicht ergab sich ja eine Möglichkeit, ihn zur Rede zu stellen, ihm ins Gesicht zu sagen, was für ein Arsch er war und sich zu rächen.

„Lasst uns endlich gehen. Es besteht immerhin die Hoffnung, dass Malfoy unter einer Lawine begraben wird", sagte Harry, funkelte Draco kurz an und ging dann zur Tür. Ron blickte die anderen an, zuckte mit den Schultern und machte sich ihm auf die Fersen.

„Tschüss Cedric, pass gut auf Justin auf!"

Draco setzte sich ebenfalls in Bewegung, aber Theo blieb stehen.

„Schaffst du es alleine, Diggory? Ich könnt hierbleiben."

Cedric schüttelte den Kopf. „Nein, geh nur. Du musst Malfoy bändigen. Ich hab das Gefühl, mit ihm stimmt etwas nicht."

Theo nickte. „Okay. Dann... viel Glück!"

„Euch auch. Ihr braucht es mehr als ich."

Theo verließ als letzter die Hütte und zog die Tür hinter sich zu. Die Sonne schien an einem klaren Himmel, und der Schnee reflektierte ihre Strahlen noch. Ein Weg oder ein Pfad war nicht zu erkennen, aber man sah deutlich, wo Ron, Cedric und Theo am frühen Morgen entlang gegangen waren.

Theo zog seinen Kragen hoch, nickte Draco zu und rief zu den beiden entfernten Gestalten: „Kommt, hier entlang!"

Die Landschaft war herrlich. Es war still, noch nicht einmal der Wind wehte, und der Schnee glitzerte in der Sonne. Selbst die Bäume waren zentimeterdick mit dem weißen Pulver beladen und unter den Spuren, in die sie traten, war keine Erde zu erkennen.

Schweigend liefen sie, bis sie zu der stillgelegten Liftstation kamen. Draco trat gegen das Häuschen. „Verdammt, alles eure Schuld", fluchte er.

„Lass das, spar dir deine Energie", sagte Nott.

„Wohin sollen wir uns wenden?", fragte Harry Theo.

Theo zeigte nach vorne. „Lass uns dahin gehen und gucken, irgendwo muss es einen Pfad nach unten geben."