Kapitel 2: Drohungen und Liebeskummer
Er hatte ihr geduldig zugehört und sie, ob aus Höflichkeit oder Neugierde, nicht unterbrochen. In seinem Gesicht zeichnete sich ein feines Lächeln ab, und es gehört zu der Sorte, die in der Regel jeden Erschaudern lies. Bittersüß, mit einem unheilvollen Beiklang und dazu einen Ausdruck in den Augen, der sagte: "Ich habe alle Trümpfe in der Hand, du hast keine Chance." Hinzu kam in diesem Fall noch, dass er es als persönlichen Triumph empfand, dass diese Person ihn um seinen Schutz bitten musste.
Hatte sie ihm doch dereinst geschworen, sie würde lieber zugrunde gehen, als noch mal unter seine Augen zu treten und ihn um etwas zu bitten. Aber anscheinend war die junge Dame nicht ganz so konsequent in ihren Schwüren, wie er geglaubt hatte.
Nachdem sie geendet hatte blickte sie ihn schweigend an und versuchte, in seiner Mimik irgendeinen Hinweis darauf zu erhaschen, was er gerade dachte. Doch es war unmöglich, und eben dieser Umstand machte sie noch wütender.
"Ich soll also dafür sorgen, dass Eure Feinde Euch nicht Kehle durchschneiden und Euch ausbluten lassen" sagte er in beiläufigem Tonfall, als würde er über das Wetter reden und nicht um das bedrohte Leben seines Gegenübers.
"Ich wäre beruhigt, wenn mir nur das drohen würde" erwiderte sie, etwas heftiger, als beabsichtigt. Sie wollte sich nicht noch schwächer zeigen, als sie sich im Moment ohnehin fühlte.
"Ihr verlangt ziemlich viel von einem Mann der Kirche" meinte er in betont unschuldigem Tonfall, nur um dann wieder zu seiner sachlichen Kälte zurückzufinden.
"Ich weiß um Euer … … kleines Problem."
Sie zuckte plötzlich zurück, als hätte er sie geohrfeigt. Ihr Gesicht verriet eine schmerzliche Erinnerung, und sie schlang plötzlich schützend die Arme um ihren zitternden Körper, als ginge von dem Mann ihr gegenüber eine unmittelbare Gefahr aus. Sie hob den Kopf und sah den Kardinal direkt an, mit einem Blick, so kalt und mitleidslos, dass dem ersten Minister Frankreichs mehr als klar war, dass sie die folgenden Worte ernst meinte.
"Seht Euch vor, Eminenz. Mandeln haben einen bitteren Nachgeschmack" sagte sie – scheinbar völlig zusammenhanglos – doch den Kardinal traf die Aussage dermaßen, dass er Mühe hatte, seine ruhige Miene aufrecht zu erhalten.
Ohne ein Wort des Abschieds drehte sie sich auf dem Absatz herum, verhüllte ihr wutverzerrtes Gesicht wieder unter der Kapuze und schickte sich an, zu gehen.
Einen Augenblick war der Kardinal versucht, aufzustehen und sie zurück zu halten. Er besann sich dann jedoch eines besseren und ließ sie gehen. Wenn sie tatsächlich etwas mit dieser Drohung zu tun hatte, wollte er sie vorerst lieber beobachten lassen, anstatt sie hier festzuhalten. Er lehnte sich grübelnd zurück und las, wohl schon zum zwanzigsten Male, diesen unheilvollen Brief, der ihm – zu seinem eigenen Missfallen – keine Ruhe ließ.
Sie schritt mit erhobenem Kopf aus dem Kardinalspalais, ohne die umherstehenden Gardisten auch nur eines Blickes zu würdigen. Ihre Augen schienen vor Zorn zu funkeln, aber sie konnte warten. Die Zeit arbeitete für sie, und irgendwann würde er schon bemerken, dass er WIRKLICH in Gefahr war. Und sie hoffte, dass sie dabei sein konnte, um die Unsicherheit, Nervosität, um die Angst in seinem Gesicht zu sehen.
Ohne ein Wort des Dankes riss sie dem jungen Gardisten die Zügel ihrer Stute aus der Hand, sprang auf und verließ das Gelände, und preschte im Galopp aus der Stadt, ohne sich umzusehen.
(Szenenwechsel)
"Meine Güte, Aramis, was ist denn mit Euch?"
Athos und Porthos wirkten entsetzt, blass, als hätten sie etwas gesehen, was ihnen der normale Menschenverstand nicht zu erklären vermochte. Sie hatten Aramis zu Hause besuchen wollen, doch ihnen stürzte nur ein aufgelöster Bazin entgegen, der nur vor sich hinstammeln konnte und die beiden Musketiere bat, doch nach seinem Herrn zu sehen. Besorgt hatten Porthos und Athos das Haus betreten, da sie fürchteten, Aramis sei krank oder gar verwundet. Der Anblick, der sich ihnen jetzt jedoch bot, war so bizarr, dass ihnen die Worte fehlten.
Aramis lag mehr als dass er saß auf seinem Bett, hielt eine leere Weinflasche in Händen und ließ sie klirrend zu Boden fallen – wo schon zwei weitere Flaschen ein leeres Dasein fristeten. Aramis' Kopf hing kraftlos herunter, die Arme hatte er auf die Knie gestützt.
"Aramis!" war Porthos entsetzte Stimme zu vernehmen.
Langsam, als wäre er unendlich schwer, hob der stark angetrunkene Musketier den Kopf, blinzelte seine Freunde ein paar Mal an, bis er sie offenbar erkannte. Doch da ihm die Zunge offenbar ebenso schwer war wie der Kopf, brachte er nichts außer ein paar nicht verständlichen Wortfetzen hervor, bevor er wieder in ein nachdenkliches Schweigen verfiel. Athos und Porthos blickten sich fragend, und auch etwas hilflos an, denn das Aramis sich in den Morgenstunden so hemmungslos betrank war ungewöhnlich. Athos sah sich um, und deutete plötzlich auf ein kleines in Leder gebundenes Buch, auf dem ein kleines goldenes Kreuz aufgedruckt war. Porthos zählte in enormer Denkleistung eins und eins zusammen.
"Wahrscheinlich Liebeskummer. Lassen wir ihn alleine … " brummte Porthos leise und warf dabei einen etwas mitleidigen Blick auf Aramis, dem ein Rausch so gar nicht zu Gesicht stand, und schüttelte den Kopf.
Aramis bekam von alldem nicht viel mit. Er sah nurnoch verschwommen und er spürte, dass ihm wohl irgendwann übel werden würde. Missmutig blickte er die geleerten Flaschen an, in deren Inhalt er seine Gedanken ertränkt hatte.
Dieser bezaubernde Anblick ging ihm nicht aus dem Kopf, pausenlos sah er, wie sich die Unbekannte zu ihm umgedreht und ihn mit einem zarten Lächeln gedankt hatte. Wortlos sank er rückwärts aufs Bett, die Arme ausgebreitet und starrte an die Decke. Er war selbst wütend auf sich, dass er sich wegen dieser kurzen Begegnung veranlasst sah, sich zu betrinken, aber ihm war einfach danach. Er wollte sich nicht rechtfertigen müssen.
"Herr Aramis?" war plötzlich die ängstliche, nervöse Stimme seines Dieners zu hören.
Der Musketier machte sich gar nicht die Mühe, sich aufzusetzen, sondern gebot Bazin nur mit einem Wink seiner Hand, sich zurückzuziehen. Bazin seufzte leise und ließ seinen Herrn und Meister wie befohlen alleine, wenn auch mit einem sehr mulmigen Gefühl.
Man fragt sich, warum d'Artagnan unsere Freunde nicht zu Aramis begleitet hatte. Das lag nicht etwa daran, dass er Dienst hatte, oder ein Rendez-vous.
D'Artagnan wich gerade geschickt einem Degenstoß von Rochefort aus, mit dem er wieder mal in streit geraten war.
"Ihr wart auch schon schneller" rief Rochefort spöttisch, und griff seinen Kontrahenten erneut an. Er wusste genau, dass D'Artagnan keineswegs langsamer geworden war, im Gegenteil: Die Fechtkunst des jungen Musketiers verbesserte sich von Tag zu Tag, und mit jedem Tag war dem Stallmeister Seiner Eminenz verständlicher, warum sein Herr mehrmals versucht hatte, den Gascogner auf seine Seite zu ziehen.
"Au contraire, Monsieur de Rochefort, Euer Übermut könnte Euch noch irgendwann teuer zu stehen kommen" gab d'Artagnan zurück, vollführte einen schnellen, beinahe unbemerkten Stich und fügte seinem gegenüber eine Wunde an der Schulter zu.
Rochefort hielt überrascht inne, betrachtete mit einem beiläufigen Blick seine linke Schulter, die leicht, aber nicht weiter schlimm blutete.
"Entschuldigt Euch für Eure Unverfrorenheit, dann sehe ich davon ab, Euch Gott näher zu bringen als es Seine Eminenz jetzt ist" sagte er ruhig, und sah Rochefort eindringlich an. Letzterer dachte nicht daran, dieses Duell nur leicht angeschlagen aufzugeben und sich zurückzuziehen. Er wollte gerade antworten, als plötzlich Schüsse über sie hinweg peitschten und die beiden Kontrahenten in Deckung gehen ließ.
"Hey, mein Hut" hörte man d'Artagnan empört rufen, als er das stolze Loch betrachtete, dass die Kugel durch seinen neuen Federhut geschlagen hatte. Wütend sah er auf, doch der Gedanke, Rochefort könnte etwas mit diesem feigen Anschlag zu tun haben, erlosch, als er den Grafen völlig entsetzt am Boden sitzen sah. Eine andere Kugel, die offenbar für ihn bestimmt war, war nur knapp an seinem Auge vorbeigesaust und hatte sein Gesicht gestreift. Eine Weile schwiegen sich die Beiden an, und Rochefort kam der beunruhigende Gedanke, dass man ihn gerne aus dem Weg räumen würde, vermutlich um dem Kardinal seinen Schatten zu entreißen. Aber warum dann auch den Musketier, der ihn nicht minder überrascht anstarrte, erschießen? Er wusste nichts davon und war dem König verpflichtet, nicht Seiner Eminenz. Langsam nahm die Geschichte obskure Formen an.
