Sooo ... hier vorab eine Anmerkung: An dieser Stelle entschuldige ich mich bei allen historischen Personen, die ich hier für meine Geschichte missbrauche. Die meisten ihrer erwähnten Taten sind frei erfunden.
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Kapitel 4: Das Bündnis
Die Nachricht vom Zusammenbruch des Kardinals verbreitete sich ziemlich rasch in Paris, allerdings hatte man zumindest vermeiden können, dass die wahrscheinliche Ursache bekannt würde. Die – wie immer gut informierten – Pariser gingen davon aus, dass den gesundheitlich immer sehr anfälligen Ersten Minister mal wieder die mit seinem Amt verbundene Aufregung niedergestreckt hatte, und so schwankten die Reaktionen zwischen gespielter Besorgnis, offener Schadenfreude, und Diskussionen um seinen möglichen Nachfolger. Letztere Diskussion nahm man jedoch auf die leichte Schulter. Der Kardinal war so präsent und unverrückbar ins Gedächtnis der Franzosen eingebrannt, dass manche wohl dem Irrglauben erlagen, sie würden selbst nie einen anderen Ersten Minister zu Gesicht bekommen. Und so tratschte man in Paris munter von einem Wirtshaus zum nächsten, und das Wettgeschäft florierte wie seit Jahren nicht.
D'Artagnan, der das Schauspiel miterlebt hatte, weigerte sich derweil strikt, Rochefort ohne eine Erklärung für das ganze gehen zu lassen.
"Aber … " setzte unser Gascogner erneut an, um zu erfahren, weswegen ihn der Kardinal denn nun so dringend sprechen wollte.
"Euer Dickschädel übertrifft alles was mir je begegnet ist, aber selbst wenn ihr mir eine Woche lang folgt … über meine Lippen kommt kein Sterbenswörtchen!" Rochefort, den die ganze Sache sowieso schon mehr als genug Nerven gekostet hatte, schien kurz davor, seinem zugegeben frechen Gegenüber an die Gurgel zu gehen, um ihn zum schweigen zu bringen.
"Aber Monsieur, der Kardinal selbst wollte mich doch eingeweiht wissen! Bevor ihn die Kräfte verließen, schien er nach … einem Brief oder etwas ähnlichem greifen zu wollen, der ihm offenbar Kopfzerbrechen bereitete."
Rochefort schien nur unter Aufbringung aller Willenskraft einen Fluch vermeiden zu können. Als er den jungen Musketier erneut abwimmeln wollte, betrat der Leibarzt des Kardinals das Zimmer, und die durchaus besorgte Miene ließ den Grafen schlimmes ahnen.
"Wie schlimm ist es" fragte er nach einer Weile des Schweigens.
"Das Gift war nicht lebensgefährlich. Aber es hat ihn enorm geschwächt, und mehr als ein paar Minuten ist er nie bei Bewusstsein. Ich habe ihm zwar davon abgeraten … aber er will euch unbedingt sprechen." Mit einem Seufzen verabschiedete sich der Leibarzt und ließ die Beiden alleine zurück. Nach einer Weile betrat Rochefort wortlos das Zimmer seines Herrn, der offenbar mit einer erneuten Ohmacht zu kämpfen hatte, und trat an sein Bett heran.
"Ihr wolltet mich sprechen, Monseigneur … "
Der Kardinal drehte den Kopf zur Seite, öffnete müde die Augen und nickte knapp.
"Das hier sollte nur eine weitere Warnung sein" sprach er mit erschreckend dünner Stimme, unter Aufbringung der ihm noch verbliebenen Kräfte. "Es wird Zeit dass Ihr dem Spuk ein Ende macht. Und zwar gemeinsam mit unserem Gascogner."
Rochefort öffnete empört den Mund, um zu widersprechen, aber ein warnender Blick ließ ihn verstummen.
"Ihr werdet Eure Rivalität für eine Weile vergessen, verstanden?"
Rochefort nickte. "Natürlich, Eminenz … … wenn Ihr die Frage gestattet … die junge Frau von heute Morgen … .. … wäre es möglich dass sie etwas hiermit zu tun hat?"
Der Kardinal schien eine Weile nach den passenden Worten zu suchen, oder neue Kräfte sammeln zu müssen, bevor er weiter sprach.
"Es ist nicht nur möglich, es ist gewiss, Rochefort. Schlangen, die einmal zu gebissen haben, besitzen auch das Gift, ein zweites Mal zu verwunden. Und diese Frau scheint genug Gift für ganz Paris zu besitzen."
Rochefort runzelte die Stirn. Er nahm an, dass das Fieber seinem Herrn die Zunge lockerte, denn es war ungewohnt, dass er so offen sprach.
"Ihr kennt sie?"
"Besser als Ihr glaubt, Rochefort. Besser als ihr glaubt … Ihr erkennt sie, wenn ihr sie wieder seht. Und falls Ihr zweifelt, seht ihre linke Schulter an. Das Brandmal dürfte noch gut erkennbar sein."
Rochefort schluckte. Es war ihm irgendwie unangenehm, diese Geschichte, die offenbar das Privatleben des Kardinals betraf, so detailliert zu hören.
"Und nehmt Euch von Ihr in Acht, Rochefort, dieses Weib vermag mit ein paar wohl gewählten Worten und Blicken einen Mann in den Untergang zu treiben, mag er noch so tugendhaft sein. Und schenkt Ihren Worten keinen Glauben, so wie ich es einst getan habe."
Die letzten Worte waren kaum noch zu verstehen, und mit einem fiebrigen Blinzeln sank der angeschlagene Minister wieder in eine tiefe Ohnmacht. Sein Stallmeister stand noch immer wie vom Donner gerührt am Bett, und schien nicht glauben zu wollen, was ihm da gerade berichtet worden war.
Wortlos verließ er das Zimmer und sah, dass der junge Musketier noch immer wartete.
"Und" fragte er neugierig.
Rochefort schob den Befehl zur Zusammenarbeit mit diesem … vorlauten Gascogner ebenfalls dem Fieber des Kardinals zu, wollte sich dem Befehl aber dennoch nicht verweigern.
"Seine Eminenz wünscht, dass Ihr mich unterstützt während ich versuche, diesem hinterhältigen Weibsbild beizukommen!"
D'Artagnans Augen wurden größer.
"Eine Dame?"
Rochefort verkniff sich erneut das Fluchen.
"Ein Wort hiervon und Ihr findet Euch in der Bastille wieder!"
D'Artagnan legte, als Zeichen der Verschwiegenheit, den Finger auf die Lippen.
"Keine offenen Anfeindungen bis diese Sache geklärt ist."
"Und dann bringen wir unser Duell zu Ende."
Im Palais de Tréville war derweil lautes Schimpfen zu hören. Bereits wenn man vor dem Palais stand hörte man durch die geöffneten Fenster von Trévilles Arbeitszimmer, dass der Capitain der Musketiere offenbar über irgendetwas höchst erbost war.
"Ein Musketier betrinkt sich schamlos und kann nicht zum Dienst erscheinen!" schnaubte er erneut, und schritt aufgeregt vor Athos und Porthos auf und ab, denen die Sache mehr als unangenehm war. Sie hatten alles versucht, um Aramis auszunüchtern, aber zwecklos. Da Aramis solche Mengen Alkohol nicht gewöhnt war, passierte, was passieren musste. Dass von Bazin liebevoll zubereitete Frühstück trat den Rückzug an. Aramis war wohl für den Rest des Tages zu nichts mehr zu gebrauchen, am allerwenigsten zum Wachdienst im Louvre.
"Aber Monsieur … " begann Porthos, wurde aber sofort mit einem strengen Blick zum Schweigen gebracht.
"Ihr wisst dass es für so etwas keine Entschuldigung gibt!" rief Monsieur de Tréville erneut und schien kurz davor, in seinen Hut zu beißen.
"Monsieur, lasst in diesem Fall Gnade vor Recht ergehen. Ihr wisst dass Aramis sich mehrere aufopfernder Dienste für Seine Majestät rühmen kann, und dass er die Zuverlässigkeit in Person ist. Seid nachsichtig, mon capitain, ich bitte Euch" sprach Athos in sehr höflichem Tonfall.
"Und jetzt fangen meine Musketiere an zu betteln … "
Porthos schnaubte leise.
"Wenn diese Vorfall zu einer Bestrafung oder gar zur Entlassung Aramis' führt, müsst Ihr auch auf drei weitere Musketiere verzichten!"
Tréville sah seine beiden Musketiere nacheinander forschend an, und als er in ihren Augen nur die Aufrichtigkeit erblickte, die ihm an ihnen so lieb und teuer, senkte er den Kopf und seufzte.
"Seine Majestät wird hiervon nichts erfahren. Aber sobald Aramis wieder bei Sinnen ist, schickt ihn her."
"Danke, Monsieur!" riefen die Musketiere wie aus einem Munde und verabschiedeten sich mit einer Verneigung. Das war noch mal gut gegangen. Sie eilten zu Aramis' Wohnung um ihm zu berichten, doch an der Tür fanden Sie nur einen aufgelösten Bazin, der schluchzend die Hände über dem Kopf zusammenschlug.
"Bazin, sprich, was ist passiert?" sprach Athos und schüttelte den Bediensteten seines Freundes kräftiger als nötig.
"Oh, Messieurs, es ist grausam! Und unwürdig obendrein! Monsieur Aramis wollte ein wenig an die Luft, um sich etwas auszunüchtern, als diese Reiterin auf einer weißen Stute an uns vorbeistürmte, dem armen Monsieur Aramis einen so brutalen Schlag gegen den Kopf verpasst, dass er das Bewusstsein verlor und ihn, bevor ich auch nur eine Hilfeschrei ausstoßen konnte, auf Ihr Pferd zerrte und davon ritt!" Bazin brach wieder in ein herzzerreißendes Schluchzen aus.
Porthos und Athos sahen sich fragend. Reiterin? Weiße Stute? Sollte das etwa die Unbekannte von heute morgen sein? Und als würde ihre Verwunderung nicht schon groß genug sein, preschten in diesem Moment zwei ihnen gut bekannte Reiter in trauter Eintracht an ihnen vorbei. D'Artagnan und Rochefort verließen auf schnellstem Wege die Stadt.
