Ahoi!
Wir Piraten Umbars haben eine Weile gebraucht, aber das neue Kapitel musste so nie-wo-voll wie nur möglich werden. Schließlich handelt es sich um wahre Literatur.
Uns reviewt hier zwar niemand, aber wir haben trotzdem Spaß! (zwinker)
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Erestor
Mit großen Schritten entjungferte Erestor den frisch gefallenen Schnee, dessen sich der Frühling bediente um die Scham seines noch immer spärlichen Wildwuchses zu bedecken. Doch als er den Weg zum Garten erreichte sah er, dass an dieser Stelle der Schnee von einer Person bereits durchrammelt worden war.
Etwas verwundert runzelte er die Stirn und musterte die leichten Eindrücke. Glorfindel! Seit Eruiwen sich auf sein Schwänzchen gesetzt und es damit erheblich verkleinert hatte, hatte Glorfindel jede Möglichkeit genutzt, um Ringel-Rein zu spielen – Ringel rein in den Schnee, um es zu kühlen und anschließend mit seinen Händen wieder zu restaurieren.
Ein schadenfrohes Grinsen huschte über sein Gesicht. Er hatte nicht vor, Eruiwen in irgendeiner Weise zu nahe zu treten und sich derartiger Gefahr auszusetzen. Nein. Er wollte sie umgarnen und ihr die Initiative überlassen... und sie würde ihm verfallen. Da war er sich sicher.
Hastig setzte er sich wieder in Bewegung. In seinen Armen hielt er einen Stapel kleiner Bücher, die er in der Bibliothek des Hauses gefunden hatte. Gedichte befanden sich darin – Gedichte jeder Art. Er wollte Eruiwen damit zu Tränen rühren... oder zum Lachen bewegen... vielleicht auch erregen.
Auf jeden Fall wollte er sie... ins Bett bekommen, damit sie dort seinem kleinen Lesezeichen huldigen konnte – Erestor war nicht so vermessen, von einem großen Lesezeichen auszugehen. Klein, aber oho!
Nur wenige Minuten später erreichte er eine Holzbank im Schatten einer Latrine. Eruiwen hatte sich diesen Ort ausgesucht, um sich mit ihm zu treffen, und er hatte zugestimmt. Sie wartete bereits und Erestor ließ sich neben ihr nieder.
Nachdenklich öffnete er ein Buch. Er hatte sich lange, SEHR lange mit der Frage beschäftigt, welche Gedichte sie wohl verstehen könnte, und deshalb eine kleine Vorauswahl getroffen. Irgendwie waren sie alle harmlos, und doch hoffte er, dass Eruiwen darin irgendeine Verbindung zu Orks entdecken und damit Gefallen an ihnen finden konnte.
„Unkraut", begann er leise und doch betont.
„Unkraut! Nur Unkraut!
Wurde vom Schnee bedeckt,
unter den Blumen versteckt.
Unkraut.
Unkraut! Nur Unkraut!
Hat sich mit den Blumen vermählt
und mit dem Löwenzahn erzählt.
Unkraut."
Nur zu gerne hätte er mit Eruiwen über die tiefere Bedeutung dieses Gedichtes gesprochen. Schließlich war offensichtlich, dass ER der Löwenzahn, also eine Blume, und sie das Unkraut war, welches sich so lange vor den Augen der Elben hatte verbergen können.
Aber Eruiwen starrte nur hungrig auf einige Schneeglöckchen und sprach kein Wort.
„Die Elster", fuhr Erestor fort.
„Die Elster flog von West nach Nord,
nach Süd und Ost hinweg,
und nahm sich jedes Schätzchen weg,
das sie fand im Versteck.
Da kam 'ne zweite Elster
und nahm ihr alles weg.
Da wurd' die andre böse
und flog in ihr Versteck."
Dieses Gedicht war sicherlich schwieriger mit Orks in Verbindung zu bringen, aber vielleicht erkannte Eruiwen die Habgier, die hinter den Elstern steckte?
Doch Eruiwen würdigte ihn keines Blickes oder Wortes. Im Gegenteil. Intensiv begann sie in der Luft den Duft der Latrine zu erschnüffeln und schien sich sehr daran zu ergötzen.
Verstand sie ihn überhaupt? Erestor hätte es zu gerne gewusst, aber aufgeben wollte er noch lange nicht.
„Hier etwas Trauriges", sagte er und rückte ihr ein winziges Stück näher.
„Die Fische.
Es waren hundert Fische,
die warn noch ziemlich klein,
da kam ein großer Fisch,
schluckte sie in den Schlund hinein.
Nur einer, der blieb übrig,
der war auch ziemlich klein.
Den schluckten die anderen Fische
in ihren Schlund hinein."
Entsetzt sah Eruiwen ihn an. Erestor war sich nicht sicher, ob sie nicht lieber selber den kleinen Fisch gefressen hätte, aber nichtsdestotrotz war sie so traurig, dass er die Gelegenheit gekommen sah, ihr tröstend die Hand zu tätscheln.
Seufzend lehnte sie ihre Wange an seine Schulter.
SO weit war bisher kein Elb in Imladris jemals gekommen. Triumphierend holte Erestor sein letztes Gedicht hervor.
„Maus, Maus, komm heraus! Komm heraus aus deinem Haus..."
Doch noch bevor er das Gedicht beenden konnte, löste sich Eruiwen und verpasste ihm zornig eine schallende Ohrfeige.
„So war das nicht gemeint!", rief Erestor empört, als der Schmerz ihm die Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten seiner Worte einbläute. „Das Gedicht handelt von einem Igel, der die Maus jagt... aber ich bin doch kein Igel... und deine Maus habe ich auch noch nie gesehen...!"
Als eine weitere Ohrfeige ihn traf, ließ er alles stehen und liegen, um sich zornig zu entfernen.
„Bleib mir vom Leibe, du Banause!", brüllte er wütend.
Eruiwen sah ihm empört hinterher, ließ sich dann jedoch nieder und schaute erschöpft auf den Bücherstapel. Zögernd ergriff sie einen kleinen blauen Band und öffnete ihn. Ohne Stimme und nur ihre Lippen bewegend las sie:
„Umhüllt vom blauen Dunst des Schweigens
steht sie einsam im vergilbten Laub,
in einer Menschenmasse mit verschränkten Armen.
Eine rote Blume in ihrer Hand wärmt ihr Herz,
und sie möchte gleichzeitig lachen und weinen,
schreien und jauchzen.
Sie kann es nicht. Der blaue Dunst entzieht ihr all ihre Kraft,
so dass auch sie verwelkt zu Boden fällt."
Traurig beobachtete sie die hängenden Köpfchen der Schneeglöckchen. Langsam erhob sie sich, ließ das Buch fallen und wanderte nachdenklich zwischen den mit Schnee bedeckten Bäumen zurück zum Haus Elronds.
Sie hörte nicht mehr, wie sich die Latrinentür öffnete, Figwit heraus trat und die zu Boden gefallenen Bücher einsammelte. Auch das kleine, blaue Büchlein sammelte er ein. Nur einige Sekunden lang öffnete er es und starrte auf das Gedicht.
„Für Marianna, das schönste Mädchen, das Minas Tirith jemals gesehen hat", stand auf der Seite. „In Liebe - Figwit."
Eine Träne benetzte die verwelkte Blume unter dem Gedicht.
