Harry seufzte. Er hasste den Valentinstag, schon seit Ginnys komischen Liedgruß in der zweiten Klasse. Wie Malfoy sich noch darüber amüsiert hatte... Harry hoffte bloß, dieses Jahr keinen peinlichen Gruß zu kriegen. Cho Chang hatte ihn letzte Woche in ein Gespräch verwickelt, indem sie Harry mitgeteilt hatte, sie wäre wieder zu haben. Als hätte er noch Interesse an ihr. Er wollte lieberein einfaches, unkompliziertes Mädchen kennen lernen.

Harry bog um die Ecke. Spontan beschloss er, in die Bibliothek zu gehen. Lesen zählte zwar nicht zu seinen Hobbys, aber fürs Quidditchtraining war es draußen zu stürmisch. Vielleicht gab es ja ein paar Bücher über Quidditch.

Im Eingangsbereich sah er Madame Pince hinter dem Tresen sitzen. Ein paar Schüler saßen an den Tischen. Harry verkroch sich in die hinteren Reihen.

„O... P...", las er in Gedanken. Um zu Q zu gelangen, musste er in den nächsten Gang. Dort stieß er mit jemandem zusammen, gab ein gedämpftes Geräusch vor sich und hatte, ehe er sich versah, eine Hand auf seinem Mund liegen.

„Klappe, Potter", flüsterte Malfoy durch zusammengebissene Zähne. Er drängte Harry zurück in den P- Gang. Harry versuchte, die Hand zu entfernen, aber Malfoy war stark.

Harry gab unterdrückte Laute von sich. Malfoy presste ihn gegen das Bücherregal. „Klappe!", zischte er wieder.

Harry schüttelte den Kopf und Malfoy drückte ihn fester gegen das Regal, eine Buchecke stach in Harrys Rücken. Er stöhnte.

„Kannst du nicht leise sein!", sagte Malfoy. Harry krallte seine Nägel in Malfoys Finger und zerrte mit aller Gewalt daran. Er schaffte es, die Hand von seinem Mund zu entfernen.

„Draco?", kreischte eine weibliche Stimme.

Malfoys Kopf schoss nach rechts, und auch Harry blickte dorthin. Pansy Parkinson starrte die beiden mit großen Augen an.

„Was?", fragte Malfoy.

„Was – genau – tut ihr da?"

Malfoy runzelte die Stirn. „Wonach sieht es denn aus, Pansy?", fragte er.

„Ihr Slytherins seid doch alle gleich!", beschwerte Harry sich. Malfoy schüttelte ihn. „Klappe Potter, du hast hier nichts zu melden."

„Bist du schwul, Draco? Rennst du deswegen immer vor mir weg?"

Malfoy erstarrte und blickte Pansy wieder an. Dann bekam er einen Lachanfall. Er lehnte seinen Kopf gegen Harrys Schulter und schüttelte sich vor Lachen. Harry fand das gar nicht witzig, eher beklemmend. Er hatte Malfoy noch nie lachen gehört.

Dieser hörte im nächsten Moment auch schon wieder auf.

„Und du denkst, ich würde mit Potter anbändeln?", fragte er. Pansy nickte mit dem Kopf. Malfoy öffnete den Mund und hielt dann inne. Er blickte Harry an, dem das Ganze zu bunt wurde und sich wand. „Lass mich los", sagte er. Malfoy blickte ihn weiterhin nachdenklich an.

„Du hast Recht", sagte er. Harry fragte sich, wobei er Recht gehabt haben sollte. Aber dann wurde ihm klar, dass Malfoy Pansy meinte, und er fühlte Hitze aufsteigen. „Nein", sagte Harry, „es stimmt nicht!"

Malfoys Kopf schoss hervor und Harry spürte weiche Lippen auf seinen. Er erstarrte. Dann verschwanden sie wieder, und Malfoy ließ von ihm ab. Parkinson war nicht mehr da, wahrscheinlich war sie kotzen gegangen, und Malfoy wischte sich mit angeekeltem Blick den Mund ab.

„Potter, du kannst noch nicht einmal küssen. Was findest das Schlammblut nur an dir? Na, kann mir ja egal sein. Deine Beziehung ist jetzt eh im Eimer, wenn Pansy erst einmal anfängt, das rum zu erzählen!"

Harry unterdrückte seinen Brechreiz. „Was sollte das Malfoy! Zu solchen billigen Methoden musst du greifen, um deine Verehrerinnen loszuwerden?"

Malfoy grinste. „Im Gegensatz zu dir, nicht wahr, Potter?", fragte er. Harry schüttelte ungläubig über das eben Geschehene den Kopf.

„Geh mir in nächster Zeit bloß aus dem Weg", raunte er, als er an Malfoy vorbei ging.

Harry fand kein Buch mehr über Quidditch. Lag zum Teil auch daran, dass seine Konzentration anderen Dingen galt. Zum Beispiel den nun entstehenden Gerüchten. Es könnte sogar soweit kommen, dass die Presse Wind davon bekam. Und er wollte auf keinen Fall erstens als Liebespartner von Malfoy gelten (so einen schlechten Geschmack hatte er nun auch nicht) und zweitens überhaupt nicht als schwul dastehen. Dann würde er ja nie ein Mädchen abbekommen!

„Ah, Harry!", rief Ginny, als er in den Gryffindorturm zurückkehrte. Harry nickte ihr zu und verschwand dann in den Schlafsaal. Ron lag auf seinem Bett und starrte die Decke an.

„Wo ist Lav- Lav?", fragte Harry. Ron zuckte mit den Schultern.

„Wie lange willst du sie noch ertragen?"

„Ach", seufzte Ron nun und setzte sich auf, „Ich weiß nicht. Solange Hermine mit diesem McLaggen geht."

„Das tut sie nicht", meinte Harry.

„Dann eben, solange sie nicht mit mir redet!"

„Das wird sie nur, solange du noch mit Lavender zusammen bist!"

Ron seufzte. Harry starrte eine Weile aus dem Fenster. „Du, Ron, ich sollte dich vorwarnen", sagte er dann.

„Ja?"

„Ja. Falls du in nächster Zeit etwas über mich und Malfoy hörst, nichts davon stimmt, okay?"

„Wieso? Habt ihr euch gekloppt?"

„Nein. Ähm, komplizierte Geschichte."

„Ich habe Zeit, Kumpel."

„Nun. Er hat mich, gewissermaßen, -nuschel- und dann zu Pansy gesagt, -nuschel-"

„Harry, ich habe kein Wort verstanden!" Ron stand auf und lief im Zimmer umher. „Wenn ich doch nur einen Weg wüsste", murmelte er dabei. Er stoppte und sah Harry an. „Wird das heute noch was?"

„Er hat mich geküsst und Pansy erzählt, er hätte was mit mir. Stimmt aber nicht", hängte Harry an, als er Rons bleiches Gesicht sah. Ron setzte sich auf sein Bett.

„Du tust mir leid."

Harry nickte. Er konnte ja Ron schlecht erzählen, dass ihn noch dazu Ginny gehörig auf den Keks ging und Hermine sich auch komisch benahm.

Am nächsten Tag, es war der Freitag vor Valentinstag, der auf den Dienstag fallen würde, begannen die Schüler hinter Harrys Rücken zu kichern. Manche zeigten mit dem Finger auf ihn, manche grinsten ihn schelmisch an.

„Meine Güte, was ist denn in die gefahren?", fragte Hermine in einer Pause.

Harry blickte hinüber zu Ron und Lavender. „Wieso? Sie benehmen sich nicht anders als sonst", sagte er.

„Na ja, es gab eine Zeit, in der das nachgelassen hatte", sagte Hermine.

„Denkst du? Seit wann beobachtest du das so genau?"

„Ich beobachte es nicht, das fällt doch einem Blinden mit Krückstock ins Auge!"

Harry zuckte mit den Schultern. Natürlich versteckten Ron und Lavender ihre Beziehung nicht gerade.

„Huh, Potter, heute schon ein Stelldichein gehabt?", rief ein vorbeigehendes Slytherinmädchen. Harry spürte, wie sein Gesicht sich erwärmte.

„Und DAS ist eindeutig neu", sagte Hermine. Bevor Harry antworten konnte, hing etwas, oder besser jemand, an seinem Arm.

„Potter!", keuchte Malfoy. Harry blickte ihn angewidert an. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst mir aus dem Weg gehen?"

Malfoy schaute etwas ängstlich aus der Wäsche, wie Harry fand. Er blickte sich nervös um.

„Sie sind hinter mir her", sagte er.

Harry stöhnte. „Dann freu dich doch!"

„Nein, du verstehst nicht! Eine Horde wildgewordener Mädchen, die sich in den Kopf gesetzt haben, mir zu beweisen, dass ich nicht schwul bin – da stehen sie!"

Harry blickte nach hinten. Eine Gruppe Mädchen, angeführt von Millicent Bullstrode, stand nicht weit entfernt. Sie winkten, kicherten (etwas, was Harry an Mädchen noch nie gemocht hatte) und klimperten mit den Wimpern.

„Malfoy? Was wird das?", fragte Hermine scharf.

„Halt dich da raus, Schlammblut. Dein Harry ist jetzt anderweitig – Au!"

Harry hatte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf gegeben. „Beleidige nicht meine Freunde!"

Ron und Lavender schauten nun interessiert zu ihnen, so wie ungefähr die Hälfte des Schulhofes. Harrys Gesicht wurde immer wärmer.

„Malfoy, könntest du mich jetzt loslassen und verschwinden? Und wehe, du küsst mich, dann schreie ich laut los!"

Hermine klappte der Mund auf. Sie beugte sich zu Harry. „Harry, seit wann bist du – mit Malfoy – "

„Verdammt, wir sind nicht zusammen!", zischte Harry ihr aus den Mundwinkeln zu. Jemand zerrte an seinem linken Arm.

„Potter, ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber... bitte!"

Harry sah Malfoy erstaunt an. Dann fiel sein Blick auf die immer größer werdende Mädchenmeute. Sie versprühten nicht gerade Veelacharm. Malfoy trat beunruhigt von einem Fuß auf den anderen und warf kurze Blicke umher.

Harry hatte schon fast Mitleid mit dem Bastard.

„Tut mir leid, Malfoy, ich wüsste nicht, warum ich die Gerüchte bestätigen sollte. Es ist mein Leben, weißt du, das ich damit ruiniere."

„Potter, ich kann dich auch unter den Imperiusfluch setzten!"

„Das wagst du nicht!"

„Wetten?"

„HARRY UND MALFOY!"

Beide blickten Hermine an. „Ja?", fragte Harry. Hermine verdrehte die Augen. Sie zeigte auf eine Stelle hinter Malfoy. Dort standen mittlerweile Mädchen aus allen Häusern. Cho trat hervor. „Harry, es stimmt doch nicht, oder?"

„Äh", stammelte Harry.

Millicent trat neben Cho. „Ich beweise ihm, dass er nicht schwul ist", sagte sie. Harry sah sie auf sich zukommen. Panisch versteckte er sich hinter Malfoy. Cho versuchte, sie aufzuhalten, aber sie hatte keine Chance.

Malfoy zog Harry zu sich und presste seine Lippen auf Harrys. Dieser erstarrte wieder. Dann kam ihm der Einfall, dass es ulkig und ganz und gar nicht überzeugend aussehen müsste, wenn er Malfoy mit offenen Augen anstarrte und nichts tat, während dieser ihn küsste.

Harry zwang sich zur Entspannung, schloss die Augen und erwiderte den Kuss. Seine Arme schlug er dabei um Malfoy, und die Lippen bewegte er gegen seine. Sie waren weich und warm. Harry seufzte leise.

Und dann war es zuende. Harry blinzelte und blickte sich desorientiert um. Die Mädchen verzogen sich der Reihe nach, Cho blickte ihn noch enttäuscht an, bevor auch sie umkehrte.

Malfoy ließ Harry los. „Das war mal wieder erbärmlich, Potter", sagte er und setzte zum Gehen an.

„Ha, erbärmlich? Du warst erbärmlich, ich habe noch das Beste daraus gemacht!"

Malfoy sprang vor Harrys Füße und hob einen Finger in sein Gesicht. Harry starrte ihn wütend an, doch dann zerrte jemand an seinem rechten Arm.

„Wir müssen gehen, Harry", sagte Hermine. Harry nickte und drehte Malfoy den Rücken zu.