Danke vielmals für die Reviews, an denen es diesmal nicht gemangelt hat! Nur weiter so... ihr wisst schon, das ermutigt! Dieses Kapitel ist auch um einiges länger als das davor!

6 – Ausflug in den Kerker

„POTTER!"

Harry stand sofort auf den Füßen, Zauberstab in der Hand. Es war ein Reflex, wenn er diese Stimme seinen Namen schreien hörte. Dann realisierte er, dass es im Moment ganz und gar unangebracht war, sich mit Malfoy zu duellieren und steckte den Zauberstab widerwillig weg. Malfoy kam in Sicht, bahnte sich seinen Weg durch die Mädchenmassen.

„Ach, hi Draco, du auch hier?", fragte Harry und ignorierte Malfoys wütendes Gesicht. Er war sich keiner Schuld bewusst.

„Stell dir vor, Potter, ich gehe auf diese Schule!"

Malfoy kam vor Harry zum Stehen und schubste ihn.

„Was ist denn, warum bist du so wütend! Vorhin hast du noch ganz andere Sachen mit mir gemacht!"

Von Ron kam ein leises Würggeräusch, und die Mädchen in der Nähe schauten die beiden unverhohlen an. Selbst Fred und George schickten ab und zu Blicke zu ihnen.

„Du hast die Weasley auf mich gehetzt." Malfoys Stimme war nun ruhig, doch voller Kälte.

„Warum sollte ich das tun, Malfoy?"

„Was weiß ich! Um meine Treue zu testen vielleicht? Weiß ich, was in deinem kranken Kopf vor sich geht?"

„Hör mir zu! Ginny tut alles, was sie tut, um mich zu verletzen!"

„Natürlich, die Welt dreht sich nur um dich, Potter!" Malfoy stieß Harry wieder vor die Brust.

„Ginny ist wütend auf mich! Was hat sie überhaupt getan? Waren deine Bodyguards nicht da?"

„Doch, und das ist dein Glück. Sie hat sich um meinen Hals geschmissen, wie Pansy früher, und mich vollgeheult. Und plötzlich war ihre Hand unter meinem Hemd! Das war so ekelhaft, Potter! Ich geh gleich, nachdem ich dir den Hals umgedreht habe, duschen! Und zwar drei Stunden lang! Außerdem kannst du dein Valentingeschenk morgen vergessen!"

Harry lachte auf. „Als würdest du mir etwas schenken, M- Draco. So, wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich muss noch etwas unheimlich wichtiges erledigen. Mir die Zähne putzen zum Beispiel."

Malfoy schnaubte. „Du gehst nirgendwo hin, solange ich nicht fertig bin mit dir."

„Ja, bitte, was hast du denn vor? Mich töten? Das traust du dich doch eh nicht. Mich verprügeln? Tu dir keinen Zwang an!" Harry stellte sich in Boxerposition und tänzelte herum, wobei er Malfoy ab und zu leicht schlug. Malfoy schnappte nach seinen Händen und näherte sich seinem Gesicht.

„Du meinst also, Weasley ist eine durchtriebene kleine Schlampe, die sich uns beide schnappen will? Wärst du für einen Dreier zu haben?"

Harry klappte der Mund auf. Er wusste nicht, was ihn an dieser Vorstellung mehr missfiel... mit Ginny im Bett zu landen, oder dass Ginny mit Draco...

Letzterer lachte in genau diesem Augenblick auf. „Potter, jetzt sag nicht, du hast ehrlich darüber nachgedacht! Bäh, alleine der Gedanke, mit einer Weasley... mir wird schlecht."

Harry riss seine Hände los und verpasste Malfoy eine Ohrfeige. „Dafür, dass du mir so einen Gedanken gegeben hast."

„Welchen Gedanken?", fragte Malfoy, während er sich die Wange rieb.

„Du und Ginny... bäh!"

Malfoy grinste. „Also hast du sie nicht auf mich angesetzt?"

„Boah, Draco, kapier doch endlich: sie würde eh nicht machen, was ich will."

„Willst du es denn?"

„Wie blöde kann man sein?", stöhnte Harry und drehte entnervt die Augen gen Decke. Dann richtete er seinen Blick auf die Mädchen, die meisten hatten sich schon abgewendet und warfen noch ab und zu einen Blick auf sie. Nur Ron ließ sie nicht aus den Augen.

Harry trat einen Schritt auf Malfoy zu und zog an seiner Krawatte. „Draco, du weißt doch, dass ich dich nie zu jemand anderem lassen würde."

Malfoy klappte der Mund auf. Er sah sich hektisch um und räusperte sich. „Tja, Harry, dann geh ich jetzt mal duschen. Du weißt schon, Wieselgestank."

Harry nickte, ließ aber nicht los. Stattdessen ruckte er an Malfoys Krawatte.

„Wenn du gehst, ohne mich zu küssen, ist das sehr auffällig."

Malfoy nickte langsam. Er legte seinen rechten Arm auf Harrys Schulter und blickte ihn eine Zeitlang an. Harry grinste nervös. Die grauen Augen schauten nun nachdenklich und abwesend, wie gestern.

„Was ist?", fragte Harry.

Malfoy schüttelte den Kopf, legte seine andere Hand auf Harrys Hüfte und zog ihn zu sich. In fast demselben Augenblick trafen ihre Lippen sich. Harry legte viel Leidenschaft in den Kuss hinein, genau wie Malfoy. Wie lange der Kuss dauerte, konnte Harry nicht sagen. Nur, dass Ron sie mal wieder störte.

„Langsam glaube ich, du bist eifersüchtig, Weasley. Geh zu deiner Schwester und gründe mit ihr den Club der Ungeliebten", sagte Malfoy, als Ron neben Harry stand und an dessen Arm zerrte.

Ron schüttelte den Kopf. „Du spinnst, Malfoy! Wenn du nicht so ein arrogantes Arschloch wärst, dann wärst du immer noch ein verlogenes Miststück!"

Malfoy verzog wütend sein Gesicht, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Harry einen Finger auf Malfoys Lippen gelegt. Aggressiv schleuderte Malfoy Harrys Hand weg, stierte beide wütend an und ging zum Kerker. Die Halle war nur noch halb so voll wie noch vor einer Stunde.

„Was gibt es denn so wichtiges?", fragte Harry Ron. Der glotzte ihn doof an.

„Wieso bist du so undankbar? Gestern hast du auch schon so komisch getan, und dauernd küsst du ihn, obwohl das sicher leicht zu vermeiden wäre."

Harry zuckte mit den Schultern. „Na und? Ich hab wenigstens jemanden zum küssen."

Ron wurde rot. „Was willst du damit sagen?"

„Nichts. Nur, dass du und Hermine mal in die Pötte kommen solltet. Aber ansonsten nichts."

„Kann ich da was für!"

„Ja! Gesteh ihr endlich alles! Denkst du, sie empfindet nach so kurzer Zeit was für Boot? Natürlich nicht! Das wäre doch zu lächerlich! Guck mal, wie lange ich bei M- äh, Cho gebraucht habe."

„Cho? Was wolltest du wirklich sagen? Doch nicht Malfoy? Harry, jeden, nur nicht Malfoy! Ich würde damit klarkommen, wenn du wirklich auf Jungs stehen würdest – aber nicht auf Malfoy! Nein, nein, nein!"

Harry stöhnte und schüttelte den Kopf. „Nein, ich hasse M – ich hasse Dr – na gut, ich hasse ihn nicht mehr. Scheiß drauf! Es geht hier nicht um mich!"

„Doch! Ich bin mir wenigstens darüber im Klaren, was ich für Hermine empfinde. Aber du und Malfoy? Harry, ich geh jetzt nach oben, kotzen, ich habe schon die ganze Zeit Brechreiz, und du kannst ja zu Malfoy. Er wollte doch duschen, was hält dich auf, zu ihm zu schlüpfen? Äh, warum habe ich das gesagt, jetzt ist mir noch schlechter!" Mit den letzten Worten rannte Ron die Treppe hinauf.

Harry schaute sich um. Sie hatten leise geredet, Harry konnte nur hoffen, dass nicht trotzdem jemand Ron gehört hatte. Harry lehnte sich gegen die Wand und rutschte daran hinab. Ron hatte wohl Recht. Er, Harry, hatte es sich bis jetzt noch nicht eingestanden... aber er mochte Draco irgendwie. So ein Pech, dass dieser ihn immer noch hasste und nur benutzte. Aber Harry hatte ja zugestimmt, also durfte er sich nicht beschweren, wenn er benutzt wurde, oder?

„Harry!"

Harry sah auf. Schon wieder kam eine Liebeskugel angeflogen. Harry fing sie auf, stand auf und rannte ebenfalls die Treppe hinauf, ohne zu gucken, wer sie geworfen hatte. Er wollte nicht nass werden. Und er wollte die Kugel für Ron aufbewahren, wen Fred und George ihm schon keine gaben.

Als er im Gryffindorturm ankam, sah er Ron in einem Sessel sitzen. Er ging zu ihm und hielt ihm die Kugel unter die Nase.

„Guck mal! Hab ich für dich ergattert! Kriegst du aber nur, wenn du nicht sauer auf mich bist!"

Ron sprang sofort auf. „Warum sollte ich sauer auf dich sein! Gib her, Hermine sitzt da drüben und starrt in ihr Buch!"

Ron schnappte sich die Kugel und wollte zu Hermine gehen. Als er jedoch einen Schritt getan hatte, sah Harry, wie die Kugel sich in eine Träne verwandelte und sich dann in Wasser auflöste. Er konnte sich das Lachen einfach nicht verkneifen, als Ron sich klitschnass zu ihm umdrehte.

„Das war pure Absicht", sagte Ron. Harry schüttelte den Kopf.

„Nein, ich dachte, du empfindest was für mich!", prustete er. Rons Miene verzog sich. Harry zwang sich, ruhiger zu werden. Er hob die Hände.

„Ich hab echt nicht dran gedacht, Ron! Du musst dir wohl selber eine schnappen!"

Ron nickte und zauberte sich auf dem Weg in seinen Sessel trocken. Harry setzte sich daneben und ließ seine Gedanken fliegen.

((o)) ((o)) ((o))

Ginny kehrte voller blauer Flecken und Schrammen im Gesicht eine halbe Stunde später in den Gemeinschaftsraum zurück. Sie rauschte an Harry und Ron vorbei, ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen. Harry grinste nur. Er sprang auf.

„Ich denke, ich werde ein bisschen im Schloss spazieren gehen", sagte er.

Ron hielt ihm am Ärmel fest. „Hoffst du, eine bestimmte Person zu treffen?"

Harry grinste. „Vielleicht. Was dagegen?"

„Ja", grummelte Ron. Aber er ließ Harry los. Der ging auch schnurstracks in die Eingangshalle. Es standen immer noch Mädchen dort, die Schlange reichte jetzt ein paar Meter aus der Türe zur Großen Halle heraus. Viele waren auch noch um den Stand der Zwillinge versammelt.

Harry nahm sich das Privileg heraus, hinter den Stand zu schlüpfen.

„Hi!"

George blickte ihn schief an, während Fred einfach weiter Sachen verkaufte. „Ach, Harry. Wo ist denn Ron? Hats mit Hermi geklappt?"

„Noch nicht, er hat noch keine Kugel abbekommen. Das heißt, doch, aber da ich sie ihm gegeben habe, ist sie zerplatzt."

George riss die Augen auf. „Du kannst auch nicht genug bekommen, ne? Ich hoffe, du stehst nicht auch auf uns?"

„Mach dich nicht lächerlich, ich stehe nicht auf Ron oder euch!"

„Ach, sind wir dir nicht gut genug, ja? Stehst wohl nur auf Arschlöcher."

George nahm ein paar Sickel entgegen und händigte eine Phiole mit pinkem Inhalt an ein Mädchen aus. Harry verschränkte die Arme. „Kommst du damit nicht klar?"

„Nein, Harry, ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass du mit Malfoy ausgehst! Malfoy! Es gibt hier so viele vernünftige, gutaussehende Jungs, und du nimmst dir Malfoy!"

„Draco sieht doch gut aus", protestierte Harry.

„Ja, wenn man blind ist oder sonst keinen abkriegt", warf Fred nun ein.

„Ihr seid ja bloß neidisch!"

George lachte auf. „Nein, Harry. In deinen Träumen vielleicht – ah, ich will gar nicht wissen, was du träumst!"

„Was bewirkt euer Liebestrank eigentlich?"

George schwenkte eine Phiole vor Harrys Augen hin und her. „Hast du doch nicht nötig, du hast doch einen Freund. Er macht, dass derjenige, der ihn trinkt, das Verlangen nach einem Kuss kriegt. Es ist nicht gesagt, dass er den Überbringer des Trankes küssen muss, von daher hat Dumbledore ihn auch erlaubt. Toll, ne?"

„Unglaublich", murmelte Harry. „Ich geh dann jetzt mal... jemanden suchen."

„Ja, ja. Geh nur zu deinem Todesser erster Klasse. Mann Harry, du bist so ein Verräter."

Harry schaute George beleidigt an. „Darüber sprechen wir noch."

Harry umging die Mädchen, die Schlange standen, und öffnete die Kerkertür. Stille und Kälte schlugen ihm entgegen. Gruselig, dachte Harry. Was will ich, in den Slytherinraum? Egal, jetzt kann ich keinen Rückzieher mehr machen.

Harry ging hinein und zog die Tür hinter sich zu. Die Treppe wurde von Fackeln erleuchtet, genauso wie die Gänge. Die Stille schien Harry jeden Moment schlucken zu wollen. Er drang tiefer in den Kerker, ging an dem Klassenraum für Zaubertränke vorbei und kam schließlich zu der Steinwand, die die Tür zum Slytherinsaal verbarg. Obwohl er zum letzten Mal in der zweiten Klasse hier gewesen war, wusste er ganz genau, dass es diese Wand war, da sich an der gegenüberliegenden ein Portrait von Salazar Slytherin befand.

Harry starrte die Wand an. „Reinblut. Erbe Slytherins. Voldemort. Ach ne, sie trauen sich ja nicht, seinen Namen auszusprechen. Hm, der dunkle Lord? Todesser. Salazar. Böse Gryffindors. Schlacht. Rache. Schlange. Verdammt!"

Harry stampfte mit dem Fuß auf. Dann hörte er Stimmen und Schritte. Er schaute sich um, fand aber keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Schon kamen zwei jüngere Mädchen, die er nicht kannte, um die Ecke. Sie kicherten leise und hielten beiden Karten, von denen Lockhart aus winkte und sein Zahnpastalächeln vorführte, in der Hand.

Als sie Harry sahen, erstarrten sie und runzelten die Stirn.

„Du bist doch Harry Potter, ne?", fragte eine der beiden. Sie hatte blonde Locken und eine pinke Schleife in den Haaren, die überhaupt nicht zu ihrer Slytherinuniform passte.

„Äh – ja. Ich will meinen Freund Draco Malfoy besuchen, aber ich weiß das Passwort nicht."

Das Mädchen nickte. „Ich weiß", sagte sie, und Harry fragte sich, was sie wusste – dass er Draco besuchen wollte, oder dass er das Passwort nicht wusste?

„Es lautet ‚Kronleuchter'."

Kaum hatte sie das Wort gesagt, zeichnete sich eine Tür ab und öffnete sich. Die beiden Mädchen glitten kichernd hinein. Harry schlüpfte unauffällig hinterher. Es sah noch immer düster aus, der Raum war ungewöhnlich länglich und Harry entdeckte auch die Treppen, die Draco im zweiten Schuljahr hinauf gegangen war. Er lächelte und strebte auf sie zu.

Doch plötzlich baute sich jemand vor ihm auf und packte ihn am Kragen.

„Potter – ich glaube es nicht, du traust dich in die Höhle der Schlangen?" Nott lachte dunkel, und die umsitzenden stimmten halbherzig mit ein. Anscheinend war Nott hier ein Anführer.

„Lass mich runter!" Harry zappelte und versuchte, frei zu kommen.

„Sicher, sobald ich dich zu Muss verarbeitet habe!"

Harry wurde von hinten an den Schultern gepackt und von Nott fortgerissen. Ein Junge, ein wenig größer als Harry, stellte sich vor ihn.

„Was denkst du, was du tust, Nott?", fragte er.

„Ich vertreibe das Ungeziefer aus unserem Revier! Was er und Malfoy tun, dass ist nicht normal!"

„Das geht dich einen Scheißdreck an! Ich mag Potter auch nicht, aber Malfoy kann tun und lassen, was er will."

„Das sagst du, weil du dich bei Malfoy einschleimen willst, Zabini! Du denkst doch genauso wie ich!"

Zabini schüttelte den Kopf. „Ich schleim mich bei niemandem ein, kapiert? Außerdem, schon einmal was von Loyalität gehört? Zufälligerweise ein Grundsatz unseres Hauses!"

„Das weiß ich besser als jeder andere! Nur hält Malfoy sich nicht daran, wenn er sich mit Potter verbündet."

Zabini stöhnte und fasste sich in die schwarzen Haare. Er drehte sich zu Harry um und musterte ihn abwertend.

„Komm mit, Potter. Ich bring dich zu Malfoy. Aber denk ja nicht, du kannst hier jetzt ein und aus gehen, wie es dir passt."

Harry nickte und folgte Zabini die Treppe hinauf. Ihm war sehr mulmig zumute. Wie ist er auf die Idee gekommen, hierhin zu kommen, war er lebensmüde? Selbst, wenn er und Malfoy wirklich zusammen wären, wäre es gefährlich gewesen. Wie würde Malfoy reagieren? Würde er sich aufregen und Harry rausschmeißen? Oder, noch schlimmer, Nott übergeben?

Zabini kam vor einer Tür zu stehen und zeigte drauf. „Da. Auf dich ist er vielleicht besser zu sprechen", sagte er, dann lief er die Treppe wieder hinunter. Harry schluckte, nahm seinen ganzen Mut zusammen und klopfte an.

„Verzieh dich, Zabini!", kam es durch die Türe.

„Äh, ich bin es – Harry."

Nach ein paar Sekunden wurde die Tür aufgerissen und Malfoy starrte Harry an. „Potter? Was willst du denn hier? Und wie hast du es geschafft, lebend bis hier vorzudringen?"

Harry scharrte mit den Füßen und biss sich auf die Lippe. Schlecht Idee, Harry, schalt er sich. Er wünschte sich, wieder im Gryffindorturm zu sitzen und in das Feuer starren zu können. Was musste Malfoy jetzt von ihm denken?

„Ich – Zabini hat mir geholfen." Absichtlich ignorierte Harry Malfoys erste Frage. „Kann ich bitte reinkommen, ich will nicht zurück durch den Gemeinschaftsraum, solange Nott da ist."

Malfoy musterte ihn kühl. „Verdient hättest du es ja. Wie kann man nur so ein Vollidiot sein?"

„Draco, bitte."

Malfoy nickte und ging in den Raum hinein. Harry folgte ihm, machte die Tür hinter sich zu und sah sich um. Die Kerkerzimmer waren nicht rund, na ja, sie waren ja auch nicht in einem Turm. Dieses hier war rechteckig und mit vier Betten ausgestattet. Auf jeder Seite zwei. Am Ende gab es sogar ein Fenster.

Malfoy saß auf dem hinteren Bett auf der linken Seite und beobachtete Harry amüsiert. Der wusste nicht so recht, was er anfangen sollte und trat ans Fenster. Es ging auf die Schlossgründe von Hogwarts hinaus.

„Verzaubert?", fragte Harry.

„Wer, du?"

„Das Fenster."

„Warum?"

Harry zuckte mit den Schultern. „Wir sind im Keller."

„Nicht mehr, Potter, wie du vielleicht gemerkt hast, bist du Treppen hinauf gegangen. Aber jetzt erzähl schon, ich platze vor Neugier."

Harry drehte sich um und blickte Malfoy an. „Was soll ich erzählen?"

„Warum du hier bist natürlich." Malfoy setzte sich in den Schneidersitz und ließ Harry nicht aus den Augen. Harry fühlte seine Knie weich wie Pudding werden. Er setzte sich auf Malfoys Bett, so weit weg von ihm wie möglich.

„Ich dachte, das wäre eine gute Idee, ich weiß auch nicht, warum."

Malfoy machte große Augen. „Du meinst, du hattest keinen brennenden Grund, wie zum Beispiel, Dumbledore hat dir befohlen, umgehend mit mir ‚Schluss' zu machen oder Snape hat dich gejagt und dein einziges Versteck war Slytherin?"

„Ähm, nein."

Malfoy schüttelte den Kopf. „Dämlich, Potter, einfach nur dämlich."

„Warum bin ich dämlich, wenn ich dich besuchen möchte?"

„Weil wir immer noch Feinde sind, Potter! Wir waren nie etwas anderes."

„Nein, wir sind keine Feinde mehr! Du kannst nicht mit jemandem rumknutschen und dann behaupten, du hasst denjenigen!"

„Potter, das war reine Notwehr! Das weißt du! Sag nicht, du hast dich jetzt in mich verknallt!" Malfoy kicherte. Harry spürte, wie Hitze in sein Gesicht schoss.

„Nein, natürlich nicht!" Er ohrfeigte sich innerlich dafür, sich jemals Hoffnungen gemacht zu haben. Hatte er das überhaupt? Jetzt, wo sie enttäuscht wurden, wurde er sich das erst bewusst.

„Aber ich denke, die ganze Feinde- auf- Ewigkeit- Sache ist lächerlich! Und da ich dir jetzt diesen Gefallen tue, schuldest du mir auch einen!"

Malfoy kniff die Augen zusammen. „Schätze, du hast Recht. Aber nach Morgen werden wir uns wieder streiten, alles wird wie vorher sein."

„Aber warum denn? Wenn wir uns einfach ignorieren, wäre doch alles in Butter!"

Malfoy kratzte sich am Kopf und nickte dann. „Ja, das könnte ich hinkriegen. Und Weasley oder das Schlammblut?"

„Na, die auch nicht beleidigen, sonst werd ich sauer."

„Uh, ich zittere ja richtig, Potter!"

„Draco, lass die Scherze!"

„Schon gut. Wenn du schon mal hier bist und wir einen vorübergehenden Waffenstillstand haben, will ich dir was zeigen."

Malfoy stand auf, holte etwas aus seinem Schrank und setzte sich neben Harry aufs Bett. Harry sah mit Schrecken, dass er eine Liebeskugel in der Hand hielt. Malfoy schmiss sie hoch und fing sie auf.

„Was hat es damit auf sich? Ich habe sie unten rumliegen sehen."

„Weiß nicht", log Harry. Er wollte mit dem Ding nicht in Berührung kommen. Zwar wusste Malfoy nicht, was es bedeutete, wenn die Kugel sich in ein Herz verwandelte, aber irgendwann würde er es noch erfahren.

„Hm", machte Draco.

Harry nickte und konzentrierte sich darauf, nicht daran zu denken, dass ihre Beine sich berührten. Klappte natürlich nicht. Und Dracos Bein war so schön warm...

„Willst du es haben? Ich kann damit nichts anfangen."

„Nein!"

Draco schaute Harry an. „Dann eben nicht!" Er schmiss die Kugel auf das nebenstehende Bett. „Blaise kann mit allen Sachen was anfangen. Also, wie hast du vor, unbeschädigt hier raus zu kommen? Verlangst du von mir, dass ich dich beschütze?"

Harry schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Zauberstab, diesmal bin ich ja vorbereitet."

„Ah ja, Potter, Hauptsache, du machst einen auf hilflosen Gryffindor, um ihn mein Zimmer zu kommen." Malfoy lachte und krabbelte zu dem Kopfende seines Bettes. Dann legte er sich hin und verschränkte die Arme hinterm Kopf, wobei er aus dem Fenster schaute.

Harry ließ ihn nicht aus den Augen. Wieso dachten Fred und George, Malfoy sähe nicht gut aus? So ein Quatsch! Außerdem, kam es nicht auf die inneren Werte an? Obwohl Draco damit wohl kaum glänzen konnte...

Harry wandte den Blick ab und starrte auf seine Beine. Sie fühlten sich immer noch schwach an. Ob er, wenn er jemals aufstehen sollte, richtig laufen konnte? Ob Ron Hermine es schon gesagt hat, schoss es ihm durch den Kopf. Dann musste er lächeln, bei dem Gedanken, was sie wohl dazu sagen würden, wenn sie wüssten, dass er im Moment auf Malfoys Bett saß.

„Was hast du, Potter? Sag, warum redest du nicht mehr? Du bist doch sonst immer die Labertasche schlechthin."

„Bin ich nicht! Du schätzt mich falsch ein. Wenn Ron und Hermine zum Beispiel darüber reden, wie sauer sie aufeinander sind, dann schweige ich stundenlang!"

„Ich bin aber keiner der beiden. Ich labere dich nicht zu."

„Tja, das stimmt. Wir haben uns nichts zu erzählen."

„Es war deine Idee, hierher zu kommen! Ich kann es immer noch nicht fassen!"

„Ich bin nun mal für meinen Mut bekannt. Schade, dass wir hier keinen Fernseher haben."

Malfoy runzelte die Stirn. „Wirklich schade. Bloß weiß ich nicht, was ein Fernseher ist."

„Muggelerfindung. Wie kommt's, dass du so was nicht wissen musst?"

„Warum sollte ich, Potter", schnarrte Malfoy. „Ich bin Reinblutzauberer und werde eine reinblütige Hexe heiraten, wir werden reinblütige Kinder kriegen und nichts mit Muggeln zu tun haben."

Bei dem Gedanken an Malfoy mit einer Hexe durchfuhr Harry ein Stich. „Selbst jetzt noch, wo du schwul geworden bist?"

„Ja, selbst jetzt noch. Denkst du, mein Vater wird das dulden?"

„Ähm – bist du überhaupt schwul?" Harry starrte Malfoy gebannt an, der wieder aus dem Fenster in den Himmel blickte.

„Weiß nicht. Vielleicht. Aber der Punkt ist, dass ich es nicht sein darf. Von daher tut das nichts zur Sache, solange ich mich nicht von meiner Familie abwenden will."

„Und das willst du nicht."

„Natürlich nicht." Malfoy blickte Harry an. „Du kannst ja nicht wissen, wie es ist – egal."

Harry nickte. „Aber du hast Recht. Du kannst froh sein, liebende Eltern zu haben." Er seufzte.

„Liebend? Du meinst wohl, eine gute Erziehung genossen zu haben. Obwohl, vermutlich hast du Recht. Ich denke schon, dass meine Mutter mich liebt, ja, kann sein."

Harry lehnte sich leicht zurück und rieb sich den Magen. Er bekam langsam Hunger. „Wie lange, denkst du, wird Lockharts Autogrammstunde gehen?"

Draco zuckte mit den Schultern. „Bis niemand mehr kommt? Essen gibt es bestimmt pünktlich."

Harry schaute auf die Uhr. „Ist schon fünf vor sieben. Wir sollten rauf gehen."

Draco nickte und stand, wie Harry, auf. Harry sah die Liebeskugel auf Zabinis Bett liegen und fragte sich, ob er sie jetzt wohl ungefährdet nehmen konnte. Es war schon lange her, dass Malfoy sie angepackt hatte. Aber er wollte lieber kein Risiko eingehen.

Als sie in der Eingangshalle ankamen, war Fred und Georges Stand gut besucht. Die Türen zur Großen Halle waren geschlossen, was darauf hindeutete, dass Lockharts Sitzung beendet war.

Harry steuerte den Stand der Zwillinge an, und Malfoy folgte ihm zögerlich.

„Hey, ist Lockhart fertig? Gibt es endlich Essen? Wir haben schon sieben", sagte Harry.

„Ach ne, wen haben wir denn da! Unsere Turteltäubchen vom Dienst!", sagte Fred.

„Essen gibt es heute später", meinte George nur. Harry stöhnte auf.

„Aber hier, nimm doch einen Kuchen", sagte George. Er hielt Harry ein Törtchen in Herzform mit rosa Zuckerguss hin. Harry beäugte es misstrauisch.

„Ne, lieber nicht."

„Es ist nur ein Kuchen, Harry. Sieh her." Fred verschlang ein Törtchen mit zwei riesigen Schlucken. Kurz danach lief er rot an, grinste, als hätte er im Zaubererlotto gewonnen und pfiff fröhlich vor sich hin.

„Na ja, ein bisschen Aufheiterungstrank ist schon drin", sagte George.

Harry nahm das angebotene Törtchen. „Und was ist mit Draco?", fragte er. George runzelte die Stirn.

„Wir geben nur dir was umsonst", sagte er.

„Na gut, ich möchte gerne zwei haben. Ich bin sehr hungrig."

George tippte sich an die Stirn. „Ich bin nicht aus dem Wickel gefallen, als der Storch mich gebracht hat, Harry."

„Ist doch egal, ich kann warten", sagte Draco.

„Pah. Tolle Freunde seid ihr, ehrlich", sagte Harry. Er brach sein Törtchen in der Mitte auseinander und gab Draco eine Hälfte. George blickte ihn zwar böse an, aber Harry zog Draco zu dem Platz auf der Treppe, wo er heute schon mal gesessen hatte, und ließ sich nieder. Draco folgte seinem Beispiel.

„Das hättest du nicht machen müssen", sagte er. Harry zuckte mit den Schultern.

„Ich wollte aber." Harry aß seine Törtchenhälfte. Mit einem Male durchfuhr ihn ein Glücksgefühl, und er grinste Draco an. Draco grinste mit rosa Wangen zurück. Stumm saßen sie auf der Treppe, bis Harry sich wieder unwohl fühlte und verzweifelt nach Themen kramte, über die er mit Draco reden konnte. Ihm fiel einfach nichts ein, und nach einer Weile kamen viele Schüler die Treppe hinunter. Harry stand auf und setzte sich auf die Stufe vor Draco, um ihnen Platz zu machen. Er lehnte sich ganz unauffällig gegen Dracos Beine. Harry fühlte, die Draco durch seine Haare fuhr und grinste ihn an.

Draco grinste zurück, auf eine Weise, die aussagte, dass er sich mit Harry im Stillen darüber amüsierte, wie sie die anderen aufs Kreuz legten. Harry legte seinen Kopf auf Dracos Knie und seufzte. So konnte das Leben immer weiter gehen.