So, hier kommt nun endlich das nächste Kapitel. Ich widme es Dagmar, mit herzlichem Dank für ihre Werbung und weil ich es ohne ihre hartnäckigen Bemühungen wohl noch immer nicht fertig hätte. Sogar Karl Mays "Ave Maria" hat sie nächtelang unter meinem Fenster gesungen ;-) Wenn das nicht inspiriert ...

N.B.
Ich habe das Kapitel am Ende noch etwas ergänzt, damit es nicht gar so kurz wirkt.

Kapitel 3

Wir schlugen ein scharfes Tempo an, um die Orks erneut zu überholen und legten an diesem Tage nur zweimal für kurze Zeit eine Rast ein. Der Hobbit war das Reiten nicht gewöhnt und hatte einige Schwierigkeiten, sich den ganzen Tag über im Sattel zu halten. Glücklicherweise war Barkh ein hochedles Tier, das es seinem Reiter so leicht wie nur möglich machte. Pippin hielt sich tapfer und versicherte, um seinen Freund Merry zu befreien, alles aushalten zu können. Ich befürchtete zwar insgeheim, daß er sich wund reiten könnte, doch war dies im Augenblick nicht zu ändern. Auch wenn die Beni Hobbit keine geborenen Reiter waren, so schienen sie doch zähe, widerstandsfähige Naturen zu sein, was mir jetzt nur lieb sein konnte.

Gegen Abend näherten wir uns wieder dem Waldland. Ein kleiner Bach, der sich vom Walde her kommend durch die Steppe schlängelte, um in den Fluß zu münden, gab uns die höchst willkommene Gelegenheit, ohne auffällige Spuren zu hinterlassen zum Walde hinüber zu wechseln. Unter den Bäumen wurde es bereits dunkel und ich machte mir Sorgen, ob ich die Geschwindigkeit der Orks auch dieses Mal richtig eingeschätzt hatte. Da rief Pippin: "Schau dort, Kara Ben Nemsi!" und deutete nach Osten. Da kamen sie, die Orks. Ihre Gruppe war nicht mehr geschlossen, sondern in eine lange, unterbrochene Linie auseinandergezogen. Sie kamen mit großer Schnelligkeit über die Ebene gelaufen und hielten auf den Wald zu. Es sah ganz danach aus, als ob sie vor einem Feinde flohen, denn viele sahen sich immer wieder um. Zwei kräftige Orks trugen Halef und Merry auf dem Rücken, sie waren unter den vordersten und bereits gut zu erkennen. Um nicht gesehen zu werden, wichen wir weiter unter die Bäume zurück, wo uns die hereinbrechende Dämmerung zusätzlichen Schutz gewährte. Ich gab Pippin mein Messer, damit er nicht ganz waffenlos war. Zwar hatte ich nicht die Absicht, ihn einem Kampf auszusetzen, aber es war besser, für alle Fälle gerüstet zu sein.

Die ersten Orks verschwanden in einem kleinen Wäldchen, das auf einem Hügel zwischen ihnen und dem Rand des eigentlichen, geschlossenen Waldes lag, wo wir uns gerade befanden. Und nun tauchten am Horizont Reiter auf, die sich durch mein Fernglas wie Schattenrisse vor dem flammendroten Abendhimmel abzeichneten. Ich konnte weder ihr Aussehen noch ihre Kleidung genau erkennen, doch zweifelte ich nicht daran, daß es Rohirrim waren, denn dies war ihr Gebiet und mit den Orks lagen sie in dauernder Fehde. Die hinterste Orkgruppe war von den anderen durch eine weite Lücke getrennt und diesen Umstand nutzten die Reiter aus. Sie schnitten die Orks ab, zogen einen Kreis um sie und schossen vom Pferde aus Pfeile in die Gruppe hinein. Das war eine indianische Taktik, die ich den Rohirrim bei meinem letzten Aufenthalte in Rohan beigebracht hatte und es freute mich, zu sehen, wie geschickt und erfolgreich sie diese Technik anwendeten. Freilich wurden die Orks allmählich niedergemacht, denn die Rohirrim schossen, um zu töten. Hätte ich das Kommando über diese Reiter gehabt, so wäre nur auf die Beine gezielt worden.

Gerne wäre ich den Rohirrim jetzt entgegengeritten, aber ich kannte ihre tödliche Genauigkeit mit dem Bogen und der Lanze. Im Rausche des Kampfes und in der hereinbrechenden Dunkelheit war die Gefahr zu groß, daß sie erst schießen und dann fragen würden.

Als das Gemetzel auf der Grasebene vorüber war, umzingelten die Reiter den bewaldeten Hügel, auf den die übrigen Orks sich geflüchtet hatten. Es war nun Nacht geworden und rings um den Hügel loderten bald die Wachtfeuer der Rohirrim. Sie selbst hielten sich außerhalb des Lichtscheins der Feuer auf und zogen wachsam ihre Kreise, um Ausbrüche der Orks zu verhindern. Einmal gab es Geschrei an der Ostseite der Kuppe und kurz darauf kamen einige Reiter durch den Feuerkreis zurückgeprescht: Ein Stoßtrupp offenbar, der die Orks angegriffen und beunruhigt hatte. Der Befehlshaber der Rohirrim war wagemutig und kühn. Vielleicht war es Théodred, der Sohn des Scheiks, oder Éomer, der Neffe, die ich beide gut kannte, seit ich sie damals in Kampftaktik unterwiesen hatte (1). Ich freute mich auf unser Wiedersehen. Gleichzeitig war ich in Sorge um Halef und Merry. Aber im Moment sah es so aus, als wollten die Rohirrim das Tageslicht abwarten, um anzugreifen. Wir brachten unsere Pferde etwas tiefer in den Wald hinein und pflockten sie auf einer kleinen Waldwiese an, dann kehrten wir zum Waldrand zurück, denn ich mußte ein wachsames Auge auf die Kampfhandlungen haben. Pippin bat ich jedoch, zu schlafen, wenn er es vermochte, und der anstrengende Ritt und die vorangegangene Gefangenschaft bewirkten tatsächlich, daß er bald tief und ruhig, von seinem Elbenmantel zugedeckt im Moose schlummerte. Ich lehnte mich an einen Baumstamm, um die weitere Entwicklung in dem Orkwäldchen zu beobachten. Aber im Moment war es ruhig, so daß ich meine Gedanken schweifen lassen konnte.

Es ist etwas ganz Eigenes, eine Nacht allein in der Wildnis zu verbringen, wo sich der unermeßliche Sternenhimmel über einem wölbt. Da saß ich an einem Waldrande in Rohan, in unmittelbarer Nähe von Feinden, die uns, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, erbarmungslos niedergemacht hätten und gleichzeitig in der Nähe von Freunden, die von uns nichts wußten und von denen wir, hätten wir uns genähert, wohl mit Orks verwechselt und angegriffen worden wären. Und mit jeder Stunde, die verging, wurde Halefs und Merrys Situation verzweifelter. Aber ich verzagte nicht. Ich wußte mich in der Hand Gottes, einer Hand, die mich schon immer auf meinen Reisen geleitet und beschützt hatte, einer Hand, die mich auch hier nicht im Stich lassen, sondern sicher durch alle Gefahren lenken würde. Diese unerschütterliche Gewißheit und das Vertrauen auf meine eigenen Fähigkeiten gaben mir Ruhe und Sicherheit, während manch anderer an meiner Stelle wohl nervös und unruhig gewesen wäre.

Plötzlich glaubte ich, am gegenüberliegenden Waldrand eine Bewegung wahrzunehmen. Es war wohl mehr ein Gefühl als eine genaue Beobachtung, aber dieses Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Ein paar dunkle Gestalten schienen sich an einer unbewachten Stelle zwischen zwei Wachtfeuern hindurchschleichen zu wollen. Bald sah ich sie genauer, jedoch ohne Einzelheiten erkennen zu können. Es waren vier. Einer von ihnen war sehr klein - wie ein Hobbit. Vorsichtig weckte ich Pippin und schärfte ihm ein, sich ganz still zu verhalten. Drei der Gestalten waren plötzlich nicht mehr zu sehen. Sie mußten sich ins Gras gelegt haben. Wir hörten das Schnauben eines Pferdes, als einer der Rohirrim sich dem einen noch stehenden Ork näherte, dann glaubte ich, eine Lanze blinken zu sehen und für einen Moment verschmolzen der schattenhafte Reiter und der Ork zu einem größeren Schatten, dann lösten sie sich voneinander und der Reiter trabte weiter, während ein bewegungsloser, dunkler Fleck im Gras zurückblieb. Der Reiter hatte den Ork niedergemacht.

Nun mußte ich besonders aufmerksam sein. Und tatsächlich - nach kurzem Warten erhoben sich die drei übrigen Gestalten und bewegten sich über die Wiese fast genau auf unseren Standort zu. Als der Schein eines der Wachtfeuer sie uns als scharf abgesetzte Silhouetten sichtbar machte, erkannte ich Halef und einen Hobbit, die ein Ork mit gezücktem Schwert vor sich her trieb. Leise gebot ich Pippin, sich hinter einen dicken Baumstamm zu kauern und postierte mich selbst hinter einen großen Baum am Waldrand. Ich hatte Glück. Nur ein paar Meter von mir entfernt betraten die drei den Wald. Kaum war der Ork an mir vorüber gekommen, da trat ich vor und schlug ihn mit einem wohlgezielten Fausthieb an den Schädel nieder. Er sank ins Moos, war aber nicht vollends betäubt. Die Beni Ork hatten harte Schädel. Ich preßte ihm seine Arme auf den Rücken und rief Pippin herbei, der sogleich sein Messer zog und die Fesseln von Merry und Halef zertrennte.

"Hamdulillah!" rief Halef leise und rieb sich die Handgelenke. "Endlich frei!"

Pippin half Merry beim Aufstehen; er war am längsten in Gefangenschaft gewesen und daher recht schwach.

"Gebt mir eure Riemen, damit ich den Ork fesseln kann," bat ich sie und zog meinen Gefangenen empor, bis er auf seinen krummen Beinen stand. Der geistesgegenwärtige Halef hatte die Lederriemen bereits eingesammelt und reichte sie mir gerade, als der Ork sich mit großer Kraft zu wehren begann. Ich zog ihm seinen eigenen Krummdolch aus dem Gürtel, preßte ihm die Spitze in den vorstehenden Adamsapfel und raunte ihm in Orkisch zu: "Halt still, du häßliche Kröte, oder ich schlitze dich auf von der Kehle bis zum Bauch! Und unterm Bauch, da auch!"

Orkisch ist eine Sprache, die beim unbefangenen Hörer stets den Eindruck tiefster Profanität hinterläßt. Ich mußte mich aber solch drastischer Ausdrücke bedienen, weil ich sonst von diesen unzivilisierten Leuten nicht ernst genommen worden wäre. Selbstverständlich hätte ich meine Drohung niemals wahrgemacht. Wie meine Leser wissen, trachte ich nicht nach dem Blute meiner Feinde, sondern suche sie zu schonen, wo immer es nur möglich ist. Der Ork rollte seine gelben Augen und zitterte. Dann spürte ich etwas auf meinen Stiefel tropfen. Er hatte sich vor Angst eingenäßt. Ich hielt daraufhin etwas mehr Abstand zu ihm, ohne aber das Messer von seiner Gurgel zu nehmen. "Wie ist dein Name?" fragte ich ihn.

"Leckmich!" grunzte er.

"Sequil Beggins! – Frecher Lümmel!" fuhr Halef ihn erbost auf arabisch an.

"Ruhig, Halef," gebot ich, "Ich glaube, er hat meine Frage wahrheitsgemäß beantwortet. Ist es nicht so, Leckmich?"

"Jo," knurrte der Ork.

"Hör mir gut zu, Leckmich. Ich werde dir jetzt die Hände fesseln. Läßt du dies ruhig geschehen, dann passiert dir nichts, aber wenn du dich wehrst, so wirst du die Klinge deines eigenen Messers zu fühlen bekommen. Wirst du dich fügen?"

Der Ork grunzte zustimmend und hielt wirklich still, während ich ihn band.

Kaum war ich damit fertig, da ließ Halef einen unterdrückten Warnruf hören. "Sihdi, Sihdi, es kommen noch mehr Orks!"

Er blickte hinaus auf die Ebene, wo sich ein dunkler Haufen näherte. Es war eine größere Gruppe von fünfzehn bis zwanzig Orks, die von den hinter ihnen brennenden Wachtfeuern schwach beleuchtet wurden. Sie kamen direkt auf uns zu. Ab und zu sah man in der Dunkelheit ihre Fangzähne aufblitzen.

"Schnell!" rief ich Merry und Pippin zu, "Lauft weiter in den Wald hinein und wartet dann auf uns!" Damit warf ich Halef einen meiner Revolver zu und zog den Henrystutzen aus dem Futteral, ohne mich um die erschreckten Blicke der beiden Beni Hobbit zu kümmern, die das blitzende Metall anstarrten, als hätten sie noch nie im Leben eine Feuerwaffe gesehen. Ich legte an und gab in rascher Folge einige Schüsse auf die vordersten der Orks ab. Gleichzeitig feuerte Halef mit dem Revolver. Mehrere Orks stürzten, einige humpelten weiter, aber sie wechselten die Richtung und hielten sich entlang des Waldrands nach Westen. Wir hatten sie erfolgreich von unserem Aufenthaltsort abgelenkt. Die Schüsse hatten, wie zu erwarten war, auch die Rohirrim aufmerksam gemacht und bald erschien eine Gruppe von Reitern wie Geister aus der Dunkelheit, orientierte sich an dem Schreien und Keuchen der verwundeten Orks und folgte ihnen nach. Schon waren sie so weit von uns entfernt, daß wir nur undeutlich wahrnahmen, wie die Reiter sie einholten und angriffen. Todesschreie gellten durch die Nacht. Halef und ich hatten uns ein paar Schritte in den Wald hinein zurückgezogen und verhielten uns still, bis die Kampfgeräusche aufhörten. Die Rohirrim streiften langsam über das Grasland und suchten nach verwundeten oder sich tot stellenden Orks. Unser Gefangener, der zu unseren Füßen lag und alles gehört hatte, gab keinen Laut von sich. Nach dem Geruch zu urteilen, der ihn umwaberte, war er erneut ein Opfer seiner schwachen Blase geworden. Ich mußte an das Dichterwort von den "tausend Wohlgerüchen des Orients" denken. Ja, zuhause im Lehnstuhl läßt sich so etwas leicht niederschreiben. Wie hätte wohl eine Dichternase unsere gegenwärtige Lage empfunden: der stinkende Ork neben uns, der scharfe Geschmack des Schießpulvers an unseren Händen und Wangen, die Leichen draußen auf der Ebene, von denen der Geruch von altem Schweiß und frischem Blut aufstieg, darunter gemischt die Ausdünstungen der Pferde und der Rauch von den Holzfeuern, der gelegentlich herüberwehte. So verbrachten wir den restlichen Teil der wachsamen Nacht.

Kaum streckte die erste Ahnung des Morgengrauens ihre blassen Arme über die Ebene, da begannen die Rohirrim sich um die Waldkuppe zu formieren. Jetzt würden wir uns ihnen bald zeigen können, aber zuerst mußten wir die Hobbits holen. Leckmich hatte neben uns her zu gehen, als ich den spärlichen Spuren zu folgen versuchte, die Merry und Pippin hinterlassen hatten. Leider war der Boden streckenweise felsig und die Spuren demzufolge kaum zu finden. Das war nicht weiter schlimm, denn weit konnten sie ja nicht gelaufen sein. Nachdem wir uns weit genug vom Waldrand entfernt hatten, begannen wir, nach ihnen zu rufen. Als ihre Spur nicht mehr zu erkennen war, schlug ich erst einen Bogen nach Osten und dann nach Westen, aber ohne Erfolg. Nichts. Keine Antwort, kein Laut, kein Rascheln, so weit wir auch in den Wald hineingingen. Die beiden Hobbits waren verschwunden.