Wichtig: Bevor ihr hier loslest, schaut euch bitte auch die neu ergänzten letzten Passagen von Kapitel 3 an.

Kapitel 5 kann frühestens folgen, wenn ich Anfang/Mitte Juni wieder aus dem Ausland zurück bin, bis dahin müßt ihr leider warten. Aber eure Reaktionen finde ich sehr motivierend. Vielen herzlichen Dank an alle Reviewer! Ich werde auf jeden Fall weiterschreiben - auch wenn der Schreibfluß vielleicht ab und zu durch Privatleben und Beruf oder durch eine kleine Balrog-Story ;-) abgelenkt wird. Die Arwen-Kara Ben Nemsi-Szene ist zwar fertig, kommt aber erst in einem späteren Kapitel dran.

Kapitel 4

Was hatte Merry und Pippin nur in solche Panik versetzt? Sie mußten doch gemerkt haben, daß ich die Orks durch meine Schüsse aufgehalten hatte. Aber nach allem, was sie bei diesen Scheusalen durchgemacht hatten, war die Angst wohl übermächtig geworden. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich nicht besser auf sie aufgepaßt hatte.

Gern hätte ich jetzt die Rohirrim getroffen, um mit ihrem Anführer zu sprechen, aber das hätte uns zu viel Zeit gekostet. Die beiden Beni Hobbit waren wichtiger. Ganz alleine, ohne Nahrung oder Werkzeug und fast unbewaffnet - wenigstens trug Pippin noch immer mein Messer bei sich - mußten wir ihnen unbedingt Hilfe bringen. Wir begaben uns zu der kleinen Lichtung, wo unsere Pferde die Nacht verbracht hatten. Barkh wieherte vor Freude, als er seinen Herrn erkannte und rieb seine Schnauze zärtlich an Halefs Schulter. Nachdem ich die Handfesseln unseres Gefangenen durch ein Seil mit meinem Sattelknauf verbunden hatte, so daß er neben meinem Pferd her zu gehen hatte, saßen wir auf und ritten langsam - da der streckenweise ziemlich dichte Wald ein schnelleres Fortkommen nicht möglich machte - zu der Stelle, wo wir die Spuren der Hobbits zuletzt gesehen hatten.

Seit seiner Befreiung hatte ich Halef kein einziges Wort des Tadels hören lassen. Zuerst hatte ich ihn nicht vor den beiden Beni Hobbit zurechtweisen wollen, dann war keine Zeit für Gespräche gewesen. Jetzt machte es mir Spaß, seinen Gesichtsausdruck zu beobachten. Er druckste herum und sah mich von der Seite an. Ich erkannte, daß ich es ihm etwas leichter machen mußte und erkundigte mich: "Willst du mich etwas fragen, lieber Halef?"

"Sihdi, zürnst du mir denn nicht?" fragte er kleinlaut.

"Ich zürne dir nicht, Halef," erwiderte ich. "Aber der Scheik der Haddedihn vom großen Stamm der Schammar sollte mehr Klugheit besitzen als sich wie eine Drossel fangen zu lassen."

"Oh, Sihdi," seufzte er. "Es ging so schnell, daß ich mich gar nicht zur Wehr setzen konnte. Ich beschlich die Orks und näherte mich ihnen vorsichtig, da wurde ich auf einmal von hinten gepackt und plötzlich waren sie über mir und überall um mich herum."

Ich schüttelte den Kopf. "Das war unvorsichtig von dir. Mitten in der Nacht in unbekanntem Gelände und ohne ausreichende Übung eine unbekannte Anzahl von Feinden zu beschleichen. Du mußt doch einsehen, daß du noch nicht so viel Fertigkeit besitzt wie ich."

"Oh, das sehe ich ein, Sihdi, das sehe ich ein. Diese Einsicht ist schon gekommen, als mich diese Scheusale" - er warf einen wütenden Blick auf Leckmich - "gefesselt und mitgeschleppt haben. Ich war fast so zornig auf mich selbst wie auf sie. Und ich machte mir Gedanken, ob ich dich dadurch gefährdet hatte."

Ich war beruhigt, daß er sich so verständig zeigte. Die Gefangenschaft hatte ihm nicht geschadet und er würde ihn Zukunft hoffentlich umsichtiger handeln.

Wir waren nun an der Stelle angekommen, wo die Spur der Halblinge endete. Trotz sehr genauen Suchens konnte ich auf dem felsigen Untergrund nur wenige und unsichere Anhaltspunkte der weichen, unbeschuhten Füße der Hobbits entdecken. Ich hatte den Eindruck, als ob sie einfach weiter geradeaus gegangen waren und so beschlossen wir, uns in derselben Richtung zu halten.

Etwa um die Mitte des Vormittags erreichten wir eine kleine Schlucht, die wir an dieser Stelle mit den Pferden nicht überqueren konnten und blieben halten, um zu überlegen, in welche Richtung wir der Spalte folgen sollten. Ich blickte mich um. Es war wahrhaftig ein seltsamer Wald, unter dessen Laubdach wir hier wanderten. Viele seiner Bäume waren ganz gewöhnliche Bäume, und doch war er wie kein Wald, den ich jemals betreten hatte. So war die Kurdische Eiche - oder eine ihr nahestehende Art - zahlreich vertreten und es gab auch Buchen, Eschen und Ulmen. Aber die am häufigsten vorkommende Baumart, von der wir viele uralte Exemplare sahen, kannte ich nicht. Ihre Rinde war überall von Flechten überzogen, graubraunen Rindenflechten an den Stämmen und grünlichgrauen Bartflechten, die von den Ästen hingen. Ich zückte mein großes Bowiemesser - Pippin hatte nur mein kleineres Ersatzmesser erhalten - und näherte mich einem dieser Bäume, um Proben von Blättern und Rinde zu entnehmen und sie einem Bekannten, einem Botaniker an der Forstakademie Tharandt, mitzubringen. Gerade wollte ich die blitzende Klinge am Stamm ansetzen, da wurde mein Blick von einer Bewegung auf der anderen Seite der Schlucht abgelenkt. Dort sah ich die beiden Hobbits. Und nicht nur sie allein. Denn sie saßen im Geäst eines Baumes und wurden von ihm davongetragen! So schien es mir jedenfalls auf den ersten Blick.

"Allah kerim. Ein wandelnder Baum!" rief Halef, der denselben Eindruck hatte, verblüfft.

Und da erkannte ich ihn, obwohl ich seinesgleichen noch nie zuvor gesehen hatte: Das mußte ein Ent sein, ein Angehöriger der geheimnisvollen Beni Ent, die in so vielen orientalischen Märchen verewigt sind. Ihre Suche nach den verlorenen Entweibern ist eines der immer wiederkehrenden Themen in den Erzählungen in "Tausend und einer Nacht". Ich hatte sie bisher für eine Legende gehalten. Nun sah ich einen Ent mit eigenen Augen. Er war stämmig, aber hoch aufgeschossen, mit langen dünnen Armen, die wie knorrige Äste wirkten. Durch die rindenartige und in Braun-, Grau- und Grüntönen gehaltene Kleidung wurde der vegetabile Eindruck noch verstärkt. Aber wir hatten keine Zeit, weitere Beobachtungen anzustellen, denn schon verschwanden der Ent und die Hobbits im dichten Walde. Wir hatten vor Erstaunen nicht daran gedacht, laut zu rufen und ich glaubte nicht, daß sie uns bemerkt hatten. Merry und Pippin schienen in ein Gespräch mit dem Ent vertieft gewesen zu sein.

Wir beschlossen, der Schlucht nach Norden zu folgen, da wir uns am Oberlauf des darin fließenden Baches mehr Chancen ausrechneten, daß die Schlucht niedriger würde. Unser Vorwärtskommen war jedoch langsam, und nach einer Stunde mußten wir einsehen, daß die Schlucht nicht nur noch unzugänglicher geworden war, sondern auch noch nach Osten abbog, also entgegen der Richtung, in die die Hobbits mit dem Ent gezogen waren. So kehrten wir um und erreichten nach weiteren zwei Stunden schließlich wieder die Nähe des Waldrands und erst hier, kurz vor der Mündung des Bachs in den Fluß, wurde die Schlucht gangbar. Nun hatten wir mehr als drei Stunden Zeit verloren und es würde eine weitere kosten, bis wir frühestens auf die Spuren des Ents treffen konnten. Daher beratschlagten wir und kamen zu dem Ergebnis, von einer weiteren Verfolgung abzusehen. Solange der Ent sie beherbergte, würde es den Hobbits gut gehen, sie waren also nicht länger in unmittelbarer Gefahr.

Stattdessen wendeten wir uns am Waldrand nach Osten, um auf die Rohirrim zu treffen. Vorher mußten wir jedoch über unseren Gefangenen entscheiden, denn den würde ein Treffen mit den Rohirrim unweigerlich das Leben kosten. Halef und ich waren uns schnell einig. Ich trat zu Leckmich und zerschnitt seine Fesseln. "Du bist frei."

Ungläubig blickte er mich an. "Saidîr meschugge? - Warum handelt ihr so seltsam?" fragte er.

"Wir sind Christen," erwiderte ich. "Christen trachten anderen Menschen nicht nach dem Leben. Unsere Religion lehrt uns, alles menschliche Leben zu achten und zu erhalten, sei es Freund oder Feind."

Er starrte mich mit aufgerissenen Augen an, offenbar begierig, mehr zu hören. Und so öffnete ich dieser nach Wahrheit dürstenden Seele den reichen Quell des Christentums und erzählte von Jesus, dem Erlöser, und von seinen Jüngern. Viele Stunden redete ich so und Leckmich wurde immer stiller und stiller. Andächtig glänzten mich seine vor Rührung verschleierten Augen an, als ich vom Kreuzestod unseres Heilands sprach, fiebrig zitterte er mit, als ich über die Missionsreisen des Paulus berichtete und die Irrungen und Wirrungen der Urkirche vor seinem geistigen Auge erstehen ließ. So sehr war sein von allem Hehren und Erhabenen entfremdeter Geist beeindruckt, daß er schließlich hintenübersank und in eine wohltuende Ohnmacht fiel. Ich war mir sicher, daß er diesen Tag nicht mehr vergessen würde.

Zum Abschied schenkte ich ihm ein Neues Testament in orkischer Sprache, das ich stets bei mir trug, und er dankte mir in schlichten, einfachen Worten: "Effendi, wennidî wiedersê ershlagidî. - Effendi, du wirst immer einen Platz in meinem Herzen einnehmen." Damit verschwand er im Gebüsch. Ich sah ihm lange nach. Wieder ein Herz, in das ich den Samen des Christentums eingepflanzt hatte. Ich hoffte, daß er aufgehen und reiche Früchte tragen würde.