Hier, meine lieben Freunde, folgt Kapitel 5. Ich weiß, daß euch die langen Wartezeiten auf den Wecker gehen, aber schneller schaffe ich es einfach nicht. Ich hoffe, ihr habt beim Lesen so viel Spaß wie ich beim Schreiben hatte. *g*
Dieses Kapitel ist Boromir gewidmet, dessen letzten review ich zwar per email bekommen habe, der aber aus irgendwelchen Gründen leider nicht in der Review-Liste angezeigt wird.
Dagmar pflegt diese Story bereits bei Rollenspieler-Treffen abends am Lagerfeuer vorzulesen - ich fühle mich geehrt *tief verbeug*. Ein Grund mehr, schnell weiterzuschreiben. Aber jetzt geht's erstmal ein paar Wochen in Urlaub - und, ja, ich nehme zwar keinen Laptop, aber Papier und Bleistift mit. :-)

Kapitel 5

Nun ritten wir eiligst zurück nach Osten, fanden aber neben dem bewaldeten Hügel, auf dem die Orks sich verschanzt hatten, nur einen gewaltigen Aschehaufen, der noch rauchte und erkennen ließ, daß hier die Leichen der getöteten Orks verbrannt worden waren. Daneben waren ihre Waffen und Rüstungen aufgehäuft. Die Rohirrim hatten ihre Feinde besiegt. Nicht ohne eigene Verluste, wie wir sahen, denn in einiger Entfernung erhob sich ein frisches Hügelgrab, umgeben von einem Kreis aus fünfzehn Speeren. Hier waren die gefallenen Reiter bestattet. Nachdem ich kurz abgestiegen war und am Hügelgrab ein Gebet gesprochen hatte, beeilten wir uns, der Spur der Rohirrim zu folgen. Es würde nicht leicht sein, sie einzuholen, denn sie ritten schnell und hatten einen halben Tag Vorsprung. Auch fragte ich mich, ob es überhaupt notwendig war, sie jetzt zu treffen. Es mochte sinnvoller sein, direkt nach Edoras zu reiten. Aber da wir wußten, daß auch noch die Gefährten der beiden Hobbits aus dieser Richtung zu erwarten waren, trieben wir unsere Pferde an und hielten Ausschau.

Am frühen Nachmittag kamen wir durch unübersichtliches, hügeliges Gelände. Hier war erhöhte Aufmerksamkeit vonnöten, so daß wir langsamer vorankamen. Und in der Tat lohnte sich unsere Umsicht. Beinahe gleichzeitig entdeckten Halef und ich drei Gestalten, die nebeneinander im hohen Grase saßen. Hätten wir Merrys und Pippins Elbenmäntel nicht gekannt, so bin ich sicher, daß wir an ihnen vorbeigeritten wären, denn sie trugen die nämlichen Mäntel, ein jeder in passender Größe, wodurch sie in diesem Gelände nahezu unsichtbar waren. Als wir unsere Pferde vor ihnen zügelten und sie sich entdeckt sahen, standen sie auf. Es waren ein stattlicher, wachsamer Mensch, ein schlanker, dunkelhaariger, spitzohriger Elb und ein untersetzter, bärtiger Axtträger. Der Untersetzte sagte zu dem Elben: "Du hast die Wette gewonnen, Legolas, sie haben uns tatsächlich bemerkt. Wie bist du darauf gekommen?"

Der Elb erwiderte: "Ich sah es an der Art, wie dieser da" - er zeigte auf mich - "seine Augen schweifen ließ."

Der Untersetzte wanderte in einem Halbkreis um uns herum, unterzog mich und Halef einer ausführlichen Begutachtung, strich sich nachdenklich seinen Bart und meinte dann: "Besonders kräftig wirken sie nicht, aber sie sind über und über mit seltsamen Waffen behängt. Wie Rohirrim sehen sie nicht aus, jedenfalls nicht wie die, die wir getroffen haben. Wer oder was mögen sie wohl sein?"

Nun konnte Halef sich nicht mehr zurückhalten. Das wackere Kerlchen hatte schon bei Legolas' erster Bemerkung darauf gebrannt, etwas zu entgegnen, denn es paßte ihm gar nicht, wenn in der dritten Person von uns gesprochen wurde. Er trieb sein Pferd zwei Schritte vor und zeigte auf mich: "Ihr seht vor euch den berühmten Kara Ben Nemsi Effendi, einen gelehrten Emir aus dem fernen Dschermanistan. Seine Weisheit erstrahlt in allen Ländern des Ostens und Westens und sein Mut wird besungen in allen Ländern des Nordens und Südens. In den Bergen Kurdistans hat er den wilden Bären erlegt und in den Wüsten Arabiens ist er ganz alleine des Nachts dem Herrn mit dem dicken Kopfe (8) entgegengetreten und hat ihn mitsamt seinem Weib besiegt."

"Und wer bist du?" fragte der Untersetzte unbeeindruckt.

"Ich bin sein Freund und Beschützer, der Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Man nennt mich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah."

"Gesundheit!" wünschte der Untersetzte. "Soll ich dir ein Taschentuch leihen?"

Da war selbst der schlagfertige Halef einen Moment sprachlos. Dann erging er sich in einer langen Erklärung all seiner Namen und Titel und insbesondere der Bezeichnung "Hadschi" (Mekkapilger). Der Untersetzte schmunzelte. Als Halef geendet hatte, verbeugte er sich tief vor uns. "Ich bin Gimli, Glóins Sohn, zu euren Diensten."

Mein kleiner Halef, der stets bereit war, Höflichkeit mit Höflichkeit zu beantworten, stieg vom Pferd, um die Verbeugung zu erwidern. Auch ich schwang mich aus dem Sattel. Natürlich wußte ich aus Pippins Erzählungen schon, wen ich hier vor mir hatte.

Der Waldläufer trat vor und sprach: "Ich bin Aragorn, Arathorns Sohn. Seid uns gegrüßt." Mehr sagte er nicht, doch sein Äußeres erzählte umso mehr. Sein Auge war klar und ohne Falsch, seine Rede ehrlich und gerade heraus und seine Kleidung einfach und zweckmäßig. Solche hohen, ehrfurchtgebietenden Gestalten bringt nur der rauhe Norden hervor. Ich war mir sicher, in die Augen eines Mannes zu blicken, der in seinem Leben mehr durchgemacht hatte als manch ein Heros der griechischen Sagen. Und doch ließ sein Verhalten auf gute Erziehung, ja auf Bildung und Weisheit schließen. Ich fühlte mich an Old Firehand (9) erinnert, den ich nur in der Blüte seines Alters gekannt hatte. Als junger Mann hätte er so aussehen können wie dieser Aragorn.

"Nicht alles, was Gold ist, funkelt, nicht jeder, der wandert, verlorn," ging es mir plötzlich durch den Kopf und unwillkürlich sprach ich die Zeilen laut aus.

Ein Ausdruck der Verwunderung zog über Aragorns Antlitz. "Woher kennt ihr diese Worte?" fragte er.

"Ich hörte sie einst im Norden, bei den Waldläufern," erwiderte ich, "und als ich euch sah, wurde ich daran erinnert."

Er betrachtete mich noch einmal erstaunt von oben bis unten. "Euer Blick ist scharf und euer Verstand spricht für sich, Kara Ben Nemsi," sagte er und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Dann hielt er mir seine Hand entgegen: "Hier, schlagt ein, und laßt uns Freunde sein!"

Ich ergriff seine Hand mit Freuden. Einen solchen Mann zum Verbündeten zu haben, konnte uns nur nutzen. Sein Händedruck war fest und hart und ich bemühte mich nach Kräften, ihn ebenso zu erwidern. Das schien er als Herausforderung zu empfinden, denn noch immer lächelnd verstärkte er den Druck, bis ich das Gefühl hatte, laut aufschreien zu müssen. Doch äußerlich gab ich mich ruhig und gelassen. Es gibt einen kleinen Trick beim Händedrücken, den mir vor Jahren ein Ringkämpfer beigebracht hatte und den ich nun anwendete. Ich spürte, wie Aragorns Hand und dann der ganze Arm zu zittern begannen. Sein Lächeln wurde starr und sein Atem ging schneller. Ich hätte wohl noch weiter zudrücken können, doch damit hätte ich riskiert, ihm die Hand zu brechen. Auch durfte ich ihn vor seinen Freunden nicht bloßstellen. So ließ ich los.

Erstaunt schaute er auf seine Hand, die gerötet war und zu schwellen begann. "Effendi!" rief er aus. "Du bist ja ein wahrer Beren! Und dabei siehst du aus, als ob du kein Wässerchen trüben könntest."

Ich lächelte. "Du siehst, es kommt nicht nur auf die Körperkraft an, mein guter Aragorn. Es gehören auch Fertigkeit und Übung dazu."

"Übung?" fragte der Waldläufer schmunzelnd. "Wer mag wohl freiwillig diese Kraftprobe mit dir üben, Kara Ben Nemsi?"

"Sei beruhigt, Aragorn," gab ich zurück. "Eine rohe Kartoffel ist zum Üben völlig ausreichend."

Nun trat der Elb zu uns, um sich vorzustellen, doch um die Sache abzukürzen, begrüßte ich ihn kurzerhand mit den Worten: "Sei mir gegrüßt, Legolas, Sohn Thranduils. - Merry und Pippin haben uns viel von euch erzählt."

Da redeten auf einmal alle drei gleichzeitig auf uns ein, so daß ich kein Wort verstand. Ich hob die Hände und sie verstummten. Nun ich mußte ihnen in aller Kürze unsere Begegnung mit den Orks und die Befreiung der Hobbits schildern. Halef beteiligte sich, wo er konnte und ließ wie immer meine Handlungen in viel günstigerem und großzügigerem Lichte erscheinen als sie wirklich gewesen waren. So wurde ich zum Schluß von den dreien mit wahrer Bewunderung angeblickt.

"Ich bin erleichtert," sagte Legolas. "Wenn sie Baumbart getroffen haben, sind sie in guten Händen. Den besten wahrscheinlich, die es in weitem Umkreis gibt."

"Trotzdem sollten wir versuchen, ihre Spuren aufzunehmen," ließ Aragorn sich vernehmen. "Ich will soviel erfahren wie möglich."

Nun stellte ich den Gefährten auch einige Fragen. Boromir, der Sohn des Truchsessen von Minas Tirith, war tot. Die Hobbits hatten es schon befürchtet, da sie ihn zuletzt von Pfeilen durchbohrt sahen, und nun wurde daraus Gewißheit. Über die beiden anderen Hobbits, Frodo und Sam, erfuhr ich nicht viel. Anscheinend hatten diese beiden eine andere Route eingeschlagen, doch wurde Aragorn bei diesem Thema sehr wortkarg. Es mußte irgendein Geheimnis mit diesen Hobbits verbunden sein. Ich nahm mir vor, später mehr darüber herauszufinden. Wie sich herausstellte, waren die drei Gefährten den Rohirrim begegnet, die von meinem Freund und Schüler Éomer angeführt wurden. Nun bedauerte ich noch mehr, ihn verpaßt zu haben, tröstete mich aber damit, daß ich ihn jedenfalls in Edoras treffen würde.

Während mir Aragorn diese Mitteilungen machte, hatten Legolas und Gimli ihre Pferde geholt, die hinter der nächsten Hügelkuppe standen. Sie hatten gefallenen Rohirrim gehört und Éomer hatte sie den Gefährten überlassen - jedoch mit der Auflage, baldmöglichst nach Edoras zu kommen. Das paßte auch mir gut und ich schlug Aragorn vor, uns zusammenzutun. Alle drei Gefährten waren sich einig, daß es nur von Vorteil sein könne, in diesen gefährlichen Zeiten mit kampferprobten Freunden zu reisen und nahmen unser Angebot an. So ritten wir nun ein weiteres Mal dem Fangornwalde zu, wie er nach Legolas' Auskunft hieß. Als ich erwähnte, daß ich im Walde beinahe botanische Proben entnommen hatte, schlug der Elb entsetzt beide Hände über seinem dunkelhaarigen Schopf zusammen. Aus irgendeinem Grunde hielt er diesen Wald für gefährlich für Fremde.

Gimli Ben Glóin schien einen ähnlichen Humor zu besitzen wie mein guter Halef. Jedenfalls waren die beiden bald in ein lebhaftes Gespräch vertieft, das nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gesten geführt wurde. Dies wirkte umso komischer, weil Gimli hinter Legolas auf dem Pferd saß, so daß seine Ausdrucksweise etwas behindert war. Immer wenn er mit den Händen gestikulierte, geriet er in Gefahr, abzurutschen. Aragorn war schweigsam und nachdenklich.

Während wir uns in einem spitzen Winkel langsam dem Waldrande näherten, schaute ich mich, wie es auf offener Steppe meine Gewohnheit war, immer wieder um. Dabei entdeckte ich zwei Reiter am östlichen Horizont, die die gleiche Richtung wie wir zu nehmen.schienen. Da auch Legolas in regelmäßigen Abständen seine scharfen Elbenaugen schweifen ließ, war ich gespannt, wann er sie bemerken würde. Es dauerte nur wenige Minuten, da blickte er sich um, hielt an und verkündete: "Ich sehe zwei Reiter in der Ferne."

Sogleich wandten Aragorn und Gimli dem Elben ihre Aufmerksamkeit zu, als ob es ihre Gewohnheit war, sich in solchen Situationen voll und ganz auf seinen Scharfblick zu verlassen. Ich beschloß, einmal die Probe zu machen, wie scharf sein Blick wirklich war.

"Sie reiten auf nach Elbenart gesattelten Pferden," ergänzte ich.

Legolas fuhr herum und starrte mich entgeistert an. Dann wendete er sich wieder den Reitern zu und stellte fest: "Es sind Elben."

Ich fügte hinzu: "Es sind Elbinnen. Ihr schwarzes Haar weht im Wind."

Seine Nackenmuskeln versteiften sich. "Ihre Pferde sind in der Art von Imladris gezäumt!" stieß er hervor.

"Genau," nickte ich. "Rote und weiße Lederbänder sind in Halfter und Zügel eingeflochten."

Legolas war nahe genug bei mir, daß ich seine Zähne knirschen hörte. "Die Pferde sind ein Brauner und ein Grauschimmel."

"Der Braune ist ein sechsjähriger Hengst und der Grauschimmel ein etwa fünfjähriger Wallach. Er hat mehr Hals und ich kann noch die Kastrationsnarben sehen."

"Ich auch!" fauchte Legolas. "Und einer seiner Vorderzähne ist zur Hälfte abgebrochen."

Ich kniff die Lider zusammen und blickte genauer hin. "Da irrst du dich, mein guter Legolas. Es ist nur ein Stück Gras oder ein Blatt, das zwischen seinen Zähnen steckt."

Der Elb beschatte seine Augen mit der Hand. "Das bezweifle ich, Effendi," sagte er selbstsicher.

"Wenn sie uns nicht ausweichen, werden wir Gelegenheit haben, es zu überprüfen," meinte ich.

"Sie werden uns nicht ausweichen. Eine von ihnen ist Arwen!" rief Legolas triumphierend.

Da hatte er mich natürlich! Ich kannte diese Arwen nicht und wußte nichts von ihr. Aragorn dagegen hatte aufgehorcht, als der Elb den Namen aussprach. Seine Augen leuchteten. Diese Frau schien für ihn keine Unbekannte zu sein.

* * * * *

Fußnoten:
(8) Herr mit dem dicken Kopf: Arabische Umschreibung für den Löwen.
(9) siehe Karl May, Gesammelte Werke, Band 8: Winnetou II.