Intermezzo

Seid mir gegrüßt, edle Zuhörer und Zuhörerinnen, ihr, die ihr in vielen Ländern des Orients und Okzidents meinen Worten lauscht, den Worten von Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, dem Scheik der Haddedihn! Seid vielmals gegrüßt!

Leider ist Alex der Schreiber durch Ereignisse in einem merkwürdigen Lande, das er "Riehl Leif" nennt, gerade verhindert, euch hier an diesem Lagerfeuer mit weiteren Fortsetzungen unserer Geschichte zu erfreuen. Stattdessen will ich euch die Zeit verkürzen und von einem Erlebnis berichten, das meinem Sihdi und mir einst im fernen Suevistan widerfahren ist.

Wir hatten die kargen Weißen Berge von Süd nach Nord durchquert und gelangten ins fruchtbare Tiefland, wo wir nach einem Platz Ausschau hielten, wo man ein paar Tage rasten und den Pferden eine verdiente Ruhepause gönnen konnte. Da erreichten wir den in einer lieblichen Flußniederung gelegenen Klettkotta-Han (1). Hier gedachten wir uns ein oder zwei Nächte unter einem festem Dach auszuruhen – hoffentlich ohne Kakerlaken und ohne die kleinen, aber eifrigen Tierchen, die ihren Blutdurst an uns Warmblütern zu stillen zu pflegen.

Als wir in den von einer Mauer umgebenen Hof des Han einritten, waren außer zwei Knechten und dem Handschi (2) selbst – einem wohlbeleibten, aber wenig vertrauenswürdig aussehenden Menschen – keine Gäste und anderen Besucher zu sehen. Der Handschi begrüßte uns mit vielen Verbeugungen und pries die Vorzüge seines Gasthofes in den höchsten Tönen. Wir stiegen ab und sorgten dafür, daß unsere Pferde gut mit Futter versorgt wurden. Wie sich herausstellte, war der Han für die örtlichen Verhältnisse einigermaßen sauber und die große Gaststube, in die uns der Wirt führte, sah nicht übel aus. Er wies uns sogar einen Raum ganz für uns an, ein Hinterzimmer mit Tisch, Stühlen und zwei Schlafgelegenheiten, von dem aus ein Fenster auf den Hof führte. Dann begab er sich in die Küche, um Essen für uns bereiten zu lassen.

Trotzdem argwöhnte ich nichts Gutes. "Sihdi, hast du bemerkt, mit welch unverhohlener Gier der Wirt unsere Pferde und Waffen angestarrt hat?"

"Das habe ich, Halef. Wir müssen auf der Hut sein. Man trachtet nach unserem Eigentum."

Außer einem alten Fellbündel, das in einer Ecke des Zimmers lag und sich bei näherer Betrachtung als schlafender Hund heraustellte – sicher der Wachhund dieses Han – bemerkten wir nichts Auffälliges. Eine Tür, die wohl in ein Nachbarzimmer führte, war verschlossen.

"Das gefällt mir nicht, Sihdi. Hier sitzen wir wie in der Falle."

Mein Sihdi setzte sich ans Fenster, von wo aus man die Pferde sehen konnte. "Wenn wir arglos wären, Halef, wären wir in Gefahr. Aber wir sind wachsam und vorsichtig. Solange wir unsere Waffen haben und es mit nur drei Personen zu tun bekommen, sind alle Vorteile auf unserer Seite."

So steckten wir in aller Gemütlichkeit unsere Tschibuks an und rauchten unseren letzten Dschebeli, während wir auf das Essen warteten. Nach nicht mehr als einer Viertelstunde erschien der Wirt mit einem seiner Gehilfen und servierte uns unter vielen guten Wünschen das Essen, das landesübliche Toll-Kihn, welches auf sauberen Tellern angerichtet war und sehr schmackhaft duftete. Sodann verließen die beiden den Raum und schlossen hinter sich die Tür.

Mein Sihdi roch sehr konzentriert an dem Gericht, dann stellte er es dem alten Hofhund hin, der sich begierig darüber hermachte. Kaum hatte er die Schale ausgeleckt, da begann er auch schon zu schwanken, stieß einige Japser aus, legte sich lang hin und schlief tief und fest ein.

"Ich hatte es befürchtet," sagte mein Sihdi. "Dieses Toll-Kihn ist nicht wie üblich mit dem anregenden Gewürz Karruh bereitet worden, sondern mit dem giftigen Kraut Krehgeh, das erst das Sprachzentrum lähmt und dann zur Ohnmacht führt. Wir haben Glück gehabt, Halef."

"Von dem Kraut Krehgeh habe ich noch nie gehört, o Sihdi."

"Es ist glücklicherweise recht selten. Es wächst vor allem auf anspruchslosen Böden, wo sich höher entwickelte Kräuter nicht ansiedeln können. Seine Wirkung ist höchst unterschiedlich. Menschen, die schon als Kind mit diesem Kraut oder seinen nächstverwandten Arten in Berührung gekommen sind, sind gewöhnlich immun dagegen und können es in beliebiger Menge genießen. Dafür entwickelt ihr Körper eine lebenslange Abneigung gegen die wohlschmeckenderen Kräuter wie Scheik Spir, Göteh, Conrad, Heineh und andere. Menschen, die erst als Erwachsene mit Krehgeh zu tun bekommen, sind meist in der Lage, seine Giftigkeit am Geschmack oder schon am Geruch zu erkennen."

Ich war ärgerlich, weil mir der Magen knurrte und ich die duftende Speise doch nicht anrühren durfte. "Was tun wir jetzt, Sihdi? Uns schlafend stellen?"

"Genau, Halef. Sie werden kommen, wenn sie glauben daß die Droge wirkt."

Nur zehn Minuten waren vergangen, da öffnete sich die Tür und der Wirt und seine beiden Kumpane traten leise ein. Wir boten ihnen ein harmloses Bild, mein Sihdi im Stuhl zusammengesackt und ich halb über der Tischplatte liegend. "Nehmt ihnen zuerst die Gewehre weg!" befahl der Wirt und die Knechte machten sich an uns heran – schreckten aber mit angstvoll geweiteten Augen zurück, als wir uns plötzlich aufrichteten und ihnen unsere Revolver unter die Nasen hielten. "Ihr wollt unsere Waffen? Hier sind sie!" sprach mein Sihdi.

"Waih! – Oh wehe!" stieß der Handschi hervor und rang die Hände. "Was willst du von uns, Effendi? Wir sind friedliche Leute."

"So friedlich wie dein Hund, der sich nach sättigendem Mahle zur Ruhe gelegt hat?"

Der Handschi sah den leeren Teller neben dem schlafenden Köter und mußte sein Spiel verloren wissen, aber es fiel ihm gar nicht ein, die Wahrheit einzugestehen. Verstockt stritt er alles ab, wollte sich aber keineswegs bequemen, von der einen noch übriggebliebenen Mahlzeit zu kosten. Wir banden die drei Übeltäter und führten sie hinaus in den Hof. Aus den übrigen Gebäuden näherten sich einige Weiber und ein paar Halbwüchsige – wohl Angehörige des Handschi und seiner Knechte. Das war mir lieb, denn ein Gerichtshof ohne Publikum ist wie eine einsam verbrachte Nacht: erträglich, aber nicht erquickend.

Ich schaute meinen Sihdi an und ersah aus seinem strengen Gesichtsausdruck sofort, daß ein Sünder, der harmlose Reisende mit Krehgeh vergiftete, bei ihm nicht mit Nachsicht zu rechnen hatte. Und wirklich vernahm ich mit dem höchsten Vergnügen seine Worte: "Halef! Die Kurbatsch!" (3)

Diese lieblichen Klänge hatte mein Ohr schon seit langem nicht mehr hören dürfen und so beeilte ich mich, die Nilpferdpeitsche vom Gürtel zu lösen, lose zu schütteln und dem Klettkotta-Handschi durch eine zärtliche, fast streichelnde Berührung seines umfangreichen Hosenbodens ihre Vorzüge nahezubringen.

"Oh Allah! Allah! Allah!" brüllte der Wirt, als ihn der kleine Peitschenhieb traf und sprang in die Höhe.

"Beruhige und mäßige dich," ermahnte ich ihn ernst, "sonst wirst du die folgenden fünfhundert Hiebe nicht mehr so auskosten können, wie es jedem einzelnen von ihnen gebührt."

Er erbleichte. "Fünf... fünfhundert Hiebe? Allah! Wer soll das aushalten? Wer soll das überleben?"

"Bisher hat es noch niemand überlebt," belehrte ich ihn, "aber du hast die beste Gelegenheit, der erste zu werden. Sobald du in die Versuchung kommst, dich über die Liebkosungen der Kurbatsch allzusehr zu erregen, darfst du eine Portion deines Krehgeh-Krauts genießen, um dich wieder zu beruhigen. Glaube mir, o glückseliger Handschi, auf diese Weise wird die Nacht schneller vorübergehen, als du dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst."

"Oh Allah!" jammerte der Handschi. "Ihr wollt mich die ganze Nacht hindurch peitschen?"

"Und den folgenden Tag und die folgende Nacht – falls du so lange am Leben bleibst," ergänzte mein Sihdi. Der Vorfall mußte ihm sehr nahe gegangen sein, denn gewöhnlich überließ er es mir, den Übeltätern ihr Schicksal in der lebhaftesten Weise auszumalen, nur um dann in seiner bekannten Weisheit und Güte einzuschreiten und sie zu begnadigen.

"Aber vielleicht" fuhr er fort, "vielleicht können wir dir einen Teil der Strafe erlassen."

"Oh, Hazret (4)," seufzte der Wirt. "Wenn das möglich wäre! Sag mir, was ich dafür tun muß."

"Du mußt deiner bisherigen Lebensweise voll und ganz abschwören," sprach mein Effendi eindringlich. "Du darfst keine Reisenden mehr mit dem Krehgeh-Kraut betäuben und ausrauben. Von nun an mußt du einen ehrlichen Han führen. Keine Räubereien mehr! Nie mehr!"

"Ich will alles tun, was du sagst, Effendi," schluchzte der Wirt, doch ich glaubte ihm seinen Sinneswandel nicht.

"Zum Zeichen deines guten Willens," fuhr mein Sihdi fort, "Wirst du uns jetzt deine Krehgeh-Vorräte ausliefern, damit wir sie vernichten."

"Oh, das ist einfach, Effendi. Wir haben die letzten Blätter für euer Essen verbraucht. Deine Bitte ist also bereits erfüllt."

Die beiden Knechte machten verblüffte Gesichter, als sie diese Aussage hörten. Es war wohl eine plumpe Lüge ihres Herrn. Ich ließ ihn nun die Kurbatsch tüchtig spüren, worauf er schrie wie am Spieße. Die Knechte, die ihr eigenes Schicksal vor Augen hatten, schrien gleich mit.

"Halt ein, halt ein, Effendi," keuchte der Handschi. "Ich will ja alles sagen. Wir haben noch Vorräte. In der Küche." Der Giftmischer mußte uns hinführen und zeigte uns einen kleinen Krug, halb gefüllt mit Krehgehblättern.

"Und das ist alles?" fragte mein Sihdi streng.

"Das ist alles, Effendi, alles, was sich in diesem Han befindet," beeilte sich der Wirt, zu versichern. Dennoch blieben wir mißtrauisch. Mein Sihdi wendete sich an die Knechte. "Wir werden gegen euch nicht so streng sein wie gegen euren Herrn, denn ihr hattet ihm zu gehorchen. Doch wenn wir weitersuchen und noch mehr von der Droge finden, dann wird es euch übel ergehen."

Sie sahen uns mit Armesündermienen an und gestanden dann, daß es einen Vorrat gäbe, der unter einem Dielenbrett versteckt war. Wir sahen dort nach und fanden einen großen irdenen Topf, randvoll mit frischen Krehgehblättern. Wenn man nur den Deckel anhob, stieg einem der Geruch zu Kopfe und machte die Gedanken ganz wirr. Wir gaben den Knechten die Hände wieder frei und hießen sie, die gesamten Krehgehvorräte auf dem Hof in einem Haufen aufzuschichten und anzuzünden. Mit starrem Gesicht sah der Handschi zu, wie seine Giftvorräte in Rauch aufgingen. Dann erhielt er hundert Peitschenhiebe, die er anfangs zappelnd und schreiend, später keuchend und stöhnend und am Schluß bewußtlos entgegennahm.

Wir legten seinen Knechten nahe, ihn zu verlassen, da sie von ihm wohl nur Vorwürfe zu erwarten hatten und sie folgten unserem Rat. Wie wir später erfuhren, hat der Handschi bald nach seiner Genesung seine Giftmischereien fortgesetzt. Und so verteilt Klett-Cotta noch heute Krehgeh an alle Welt.

Wo immer ihr reist und wann immer ihr Toll-Kihn genießt, edle Freunde: Hütet euch vor dem ungenießbaren Krehgeh! Das rät euch der vielgereiste Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!

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(1) Han Gasthof, Wirtshaus

(2) Handschi Wirt

(3) Kurbatsch Peitsche aus Nilpferdleder

(4) Hazret Hoheit