Als Kai am nächsten Morgen erwachte, fühlte er etwas Schweres auf seinem Oberkörper und musste feststellen, dass es sich dabei um seinen Freund Ray handelte, der quer über das Bett und natürlich auch über ihn drüber da lag und alle Viere seitlich von sich streckte, nicht unbedingt leise vor sich hin schnarchend.

Kai versuchte, ihn von sich runter zu schieben, ohne ihn dabei zu wecken, doch als er Ray auch nur an der Schulter berührte, räkelte dieser sich schon und öffnete verschlafen die Augen. Der letzte Abend war wohl trotz allem doch ein wenig anstrengend gewesen.

„Morgen…", nuschelte der Schwarzhaarige, schloss die Augen wieder und schmiegte sich enger an seinen Freund, der eigentlich schon seit mindestens zehn Minuten mit seinem Gewissen kämpfte, denn im Grunde musste er dringend mal ins Badezimmer…

„Ray, lass mich los…"

„Dableiben."

Kai wusste nun wieder, weswegen getrennte Betten am Anfang so eine tolle Idee gewesen waren. Er konnte morgens aufwachen, ohne dass jemand – iEtwas/i – auf ihm drauf lag und ihm beinahe die Luft nahm und auch deutlich auf seine Blase drückte, die er letztendlich nicht einmal entleeren durfte.

„Ich muss mal.", drängte ihn der Russe und stemmte sich ein wenig fester gegen ihn, was aber auch nicht unbedingt viel half. Aber Ray gab ihn aber schließlich trotzdem frei und blickte ihn total verschlafen an.

„Ach so. Aber Du kommst wieder!"

Kai verdrehte die Augen.

„Klar. Das ist schließlich mein Zimmer und das ist auch mein Bett. Darf ich jetzt trotzdem pinkeln?"

Ray gab sich zufrieden und rutschte ein Stück von ihm weg, so dass Kai aufstehen konnte. Allerdings wurde es ein wenig kalte ohne ihn, weswegen der Chinese sich dick in die Decke einmummelte. Er war bereits auf dem besten Weg, wieder einzuschlafen.

Nach kurzer Zeit erschien Kai dann auch wieder. Er hatte sich bereits um- bzw. angezogen; als Vorsichtsmaßnahme, dass Ray auf die Idee käme, er könnte ja noch mal ins Bett kommen, damit er ihn dort gefangen halten konnte.

„Kaiiii…"

Ray war aus seinem Halbschlaf erwacht, hatte sich aufgesetzt und gemerkt, dass Kai sich zwar im Raum befand, allerdings aber keinerlei Absichten hatte, wieder zu ihm in die Federn zu kommen. So ging das nun gar nicht.

„Was machst Du?"

Er legte den Kopf schief und blickte den Älteren auf seine typische kindlich naive Art an.

„Ich… geh jetzt Frühstück machen.", sagte jener, als wäre das nur so eine Randbemerkung, die er eben mal in ein Gespräch einwerfen wollte.

„Aha.", erwiderte Ray nur. Die Rädchen in seinem Kopf schienen zu arbeiten. Er war wohl gerade am Überlegen, ob er Kai eine Szene machen sollte oder nicht.

Kai entschied sich, wenigstens einmal einigermaßen freundlich zu sein und ging wieder zu Ray ans Bett, beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Stirn.

„Sei nicht böse.", sagte er leise und fühlte sich dabei ein wenig abwesend; als stünde er neben seinem Körper und beobachtete sich selbst dabei, was er denn tat; was nicht zu ihm passte.

Ray blinzelte und sah ihn dann völlig begeistert an. Er wollte gleich die Arme um seinen Hals schlingen und ihn sofort wieder ins Bett zerren, doch Kai kam ihm zuvor und hielt sie fest; er hatte so was schon kommen sehen.

„Nein, ich hab doch gesagt, ich mache jetzt Frühstück."

Mit einem etwas frustrierten Gesichtsausdruck sah Ray dabei zu, wie sein Freund das Zimmer erneut verließ. Dann ließ er sich zurück in die Kissen fallen.

Kai hoffte währenddessen, dass er wohl noch etwas länger liegen blieb, denn umso mehr Zeit hatte er mal für sich selbst, ohne dass jene Klette an ihm hing. Es war ja nicht so, dass er Ray nicht mochte oder er ihn loswerden wollte, aber das temporäre Verhalten ging ihm so auf die Nerven, dass er schon fast von Belästigung sprechen wollte, wenn er daran dachte. Das Schlechteste daran war aber, dass ihm nichts einfiel, wie er Ray wieder normal werden lassen konnte. Was, wenn das jetzt immer so weiterging?

Er begann alleine zu frühstücken, da er überhaupt keine Lust hatte, auf Ray zu warten. Er konnte ja nicht einschätzen, wann der aufstehen würde, nachdem sich das von Tag zu Tag änderte.

Aber dass es im Moment Wochenende war, war ein verdammt schlechtes Ohmen. Das bedeutete, dass sie beide zwei lange Tage alleine zuhause waren und er keine Chance hatte, von seiner aufgedrehten Klette zu entkommen. Es ließ sich ja aushalten, wenn er ab und an mal Zeit hatte, in der er für sich war, aber die Wochenenden waren meistens ziemlich anstrengend und vor allem auch ziemlich nervenaufreibend.

Doch Ray ließ sich in den nächsten Stunden nicht im Wohnzimmer oder der Küche blicken, was Kai die Möglichkeit gab, in aller Ruhe etwas zu lernen und Dinge zu erledigen, für die er keine Zeit gehabt hatte, da Ray ihn ja immer vereinnahmte, sobald er überhaupt zuhause war. Doch nun hatte er eine gute Konzentration und nicht einmal das laute Radio konnte ihn dabei stören. Er hatte das Gefühl, nach langer Zeit endlich mal wieder Ruhe zu empfinden.

Ray hingegen lag im Bett und starrte an die Decke. Ihm kreisten dieselben Gedanken im Kopf, die ihn schon die gesamten letzten Wochen nervten. Er kam einfach nicht davon los. Vielleicht war auch das ein Grund für seine plötzliche Veränderung gewesen. Obwohl Ray selbst natürlich nicht aufgefallen war, dass er sich verändert hatte. Für ihn war alles wie früher, nur dass Kai irgendwie gestresst wirkte. Den Grund dafür konnte er sich nicht denken, aber irgendwie interessierte er ihn auch nicht wirklich.

Es war schon fast Nachmittag, als Ray dann endlich aufstand, sich wusch und sich etwas Neues anzog. Schweigend ging er dann zu Kai, der in der Küche saß und über seinen Büchern brütete. Er sprang ihn nicht an, er redete nicht auf ihn ein, sondern ging einfach wortlos zum Kühlschrank und suchte sich etwas zu Essen heraus. Kais verwirrten Blick im Rücken bemerkte er überhaupt nicht.

Mit dem „Frühstück" ließ er sich dann gegenüber von Kai am Tisch nieder und begann schweigend zu essen. Nachdenklich starrte er an die Decke.

Nach einer Weile klappte der Blauhaarige seine Bücher zu. So laut, dass Ray dadurch fast zusammengezuckt wäre. Doch viel mehr verwirrte ihn der etwas aggressive Blick, den sein Freund ihm schenkte. Was hatte er denn getan? Nichts!

„Sag schon!"

Ray hob die Augenbrauen an und sah ihn fragend an. Er hatte doch überhaupt nichts getan, als sich an den Tisch gesetzt und still gefrühstückt. Durfte er das etwa nicht mehr?

„Bist Du immer noch sauer, dass ich aufgestanden bin oder was!"

Der Chinese blinzelte etwas verwirrt und schüttelte dann den Kopf. Das war doch schon wieder Stunden her, dass Kai aufgestanden war und außerdem war er da noch im Halbschlaf gewesen, das heißt, er hatte das sowieso nicht ganz mitgekriegt.

„Was ist es dann?"

Ray antwortete nicht, sondern frühstückte weiter. Er schien sich immer noch Gedanken um etwas für Kai Unbekanntes zu machen, die sein Handeln soweit einschränkten, dass er mal wieder wie früher war – ruhig und in sich gekehrt.

„Jetzt sag halt dann! Wenn Du es mir nicht sagst, kann ich Dir auch nicht helfen!"

Kai erhob sich vom Stuhl.

„Ich mach doch gar nichts, also was soll sein?", erwiderte Ray ein wenig irritiert, weil er einfach nicht verstand, was los war.

„Was soll schon sein? Du sitzt hier, sprichst kein Wort mit mir! In den letzten Tagen konnte ich mich kaum retten vor Dir und dann so was…"

Er schüttelte den Kopf. Allerdings hatte er auch keine Lust auf eine weitere Diskussion und packte darum seine Bücher und klemmte sie sich unter den Arm, um damit endlich wieder in sein Zimmer verschwinden zu können.

„Aber…"

In diesem Moment hatte Ray das Gefühl, dass, egal, wie er es machte, es nie richtig war. Wenn er mal auf Kai zuging – so empfand er es -, dann wies dieser ihn ab und war äußerst säuerlich und wenn er dann mal nichts tat und nur für sich war, nicht mit ihm sprach, dann passte das Kai auch wieder nicht und er machte ihm eine Szene.

Was nur wieder mit Kai los war? Der war irgendwie so launisch, das kannte Ray gar nicht von ihm.

„Sag mal, Kai…"

Ray entschied sich, das Thema, das ihm die ganze Zeit durch den Kopf ging, doch mal anzusprechen; wenn auch nur im entferntesten Sinne. Er konnte sich schließlich schon denken, wie Kai darauf reagieren würde.

„Was!", war die giftige Antwort, die er erhielt. Doch Ray ließ sich davon nicht aufhalten.

„Hast Du… eigentlich schon mal darüber nachgedacht, Kinder zu haben?"

Die Bücher landeten auf dem Boden, verschiedene Notizzettel fielen heraus und verteilten sich auf dem Fliesenboden der Küche. Kai blickte ihn an, als habe er ihm erzählt, er hätte einen Packt mit dem Satan geschlossen.

„Ray…"

„Was denn? Ist doch nur eine Frage!"

Kai und Kinder…? Nein, irgendwie passte das gar nicht so in die Zukunftsplanung, die er sich vorgestellt hatte. Kindererziehung war was für Mädchen. Außerdem wusste er nicht, wie er mit einem Kind umgehen würde – nach dem, was er so alles in der Abtei erlebt hatte. Er hatte ja nie direkt eine richtige Kindheit gehabt und hatte deswegen auch nicht unbedingt viel Ahnung von Erziehung.

Doch in diesem Moment machte auf einmal alles Sinn.

„Ray… Du kannst nicht schwanger werden…", flüsterte er in einem fast schon unheimlichen Ton und starrte ihn an.

Der Chinese seufzte und schob sein Frühstück von sich. Der Hunger war ihm jetzt wieder vergangen.

„Ich weiß…"

„Sag mir nicht, dass Du aus diesem Grund hier diese Show abziehst. Ray, Du bist ein Junge, ein Kerl, ein Typ, verstehst Du?"

Kai ignorierte die Bücher, die auf dem Boden lagen. Er würde sich zwar an den Folgetagen über die Eselsohren und Knicke ärgern, aber das war nun zweitrangig. Ohne den Haufen auch nur eines Blickes zu würdigen, stieg er darüber hinweg und blieb hinter Ray stehen.

„Ich weiß…"

„Vielleicht solltest Du Dir das mit den Kindern in 10 Jahren noch mal überlegen... und spätestens dann realisieren, dass Du voll und ganz männlich bist und Männer außerhalb von Hollywood keine Kinder kriegen können..."

Ray zog die Augenbrauen zusammen. Er war deprimiert. Eher gesagt war er so enttäuscht und traurig, dass er gar nicht wusste, wo hin mit seinen Gefühlen. Er stützte den Kopf auf den Ellenbogen ab und starrte bedrückt auf den Tisch, was Kai natürlich nicht verborgen blieb.

Etwas schüchtern legte er von hinten die Arme um ihn und versuchte ihn an sich zu drücken. Körperkontakt hatte Ray doch sonst auch immer geholfen, also wieso nicht auch dieses Mal. Und in der Tat rührte der Schwarzhaarige sich nicht, sondern blieb einfach dort sitzen und starrte weiter auf die Tischplatte. Es musste ihn zutiefst deprimiert haben, was Kai gesagt hatte.

„Ray…", er legte den Kopf auf seiner Schulter ab und lehnte sich leicht an ihn, „Das ist nun mal von Mutter Natur so bestimmt worden."

Mittlerweile fragte Kai sich wirklich, ob es nicht er war, der diese Stimmungsschwankungen hatte. Vielleicht war es auch nur Rays schlechter Einfluss. Aber hätte er sich selbst so gesehen, hätte er wohl für die nächsten hundert Jahrzehnte seine Identität verneint.

„Ich weiß…", wiederholte Ray zum unendlichsten Male, doch Kai war froh, dass er überhaupt etwas von sich gab.

„Wieso… wieso willst Du denn unbedingt ein Kind haben?", fragte der Russe nach einer Weile leise und berührte mit seiner Wange Rays.

„Ich kann es nicht genau sagen… aber… das ist nur so ein Gefühl in mir…"

Kai war schwer beeindruckt. Ray konnte wieder ein Gefühl äußern, ohne zu schreien, zu tanzen, zu weinen und Gegenstände nach ihm zu werfen. Das war doch mal ein Fortschritt! Er konnte nur hoffen, dass es auch dabei blieb.

„Und… wenn Du Dir einen Job suchst… mit Kindern?"

Ray sah Kai entrüstet an. „Das ist nicht dasselbe!"

„Verstehe."

Sein Freund wollte also unbedingt ein eigenes Kind kriegen. Immerhin hatte er wenigstens schon realisiert, dass das technisch nicht möglich war. Aber viel weiter brachte sie das auch nicht, wenn die gesamte Aktion über Wochen jetzt nur wegen Rays Babywunsch ablief. Das bedeutete, wenn Rays Babywunsch ewig bestand, würde auch ewig diese Laune bestehen. Aber weshalb? Hatte er geglaubt, er wäre schwanger, wenn er sich so launisch verhalten würde?

„Ich würd' Dir ja gern ein Baby machen, aber ich bin dafür nicht so geeignet…"

Ray schob ihn von sich und sah ihn mit großen Augen an. Er konnte kaum glauben, dass er das wirklich gesagt hatte.

„W-wirklich?", fragte er schüchtern und eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen.

Mit einem Mal empfand Kai die Situation als verdammt peinlich und er wollte am liebsten verschwinden. Er hatte so gar nicht wie er selbst gehandelt und irgendwie brachte ihn das durcheinander, denn er hatte kein Recht, Ray seine Stimmungswechsel vorzuwerfen, wenn er selbst sich auch nicht besser benahm…

Weil er sich durch die wirren Gedanken nicht mehr erinnern konnte, was Ray als letztes gesagt hatte, schwieg er einfach und antwortete nicht darauf. Dieser schenkte ihm einen äußerst verwirrten Blick.

„Kai? Was ist?"

„Nichts, was sollte auch sein?"

Ray blickte ihn einige Sekunden abschätzend an, dann entspannten sich seine Gesichtszüge wieder und er lächelte. Es deprimierte ihn zwar immer noch, dass Kai etwas gegen Kinder hatte und er niemals in der Lage war, ein Kind zu bekommen, aber immerhin war Kai lieb zu ihm und mal nicht genervt, wie es in den letzten Wochen zunehmend der Fall gewesen war.

Er hob die Hand und strich damit über die Wange des Russen. Er war sich sicher, dass Kai ein wunderbarer Vater wäre. Und allein die Vorstellung, lauter kleine Kais um sich herum zu haben, war ziemlich verlockend. Wenn das alles nur nicht so unmöglich wäre…

Vielleicht sollte er sich den Gedanken wirklich aus dem Kopf schlagen. Vielleicht war das wirklich total unsinnig gewesen. Er konnte es sich ja selbst nicht erklären, wie er denn überhaupt an den Gedanken gekommen war. Er wusste doch selbst ganz genau, dass er ein Kerl war und dass er auch immer froh darüber gewesen war, da er sich immer vorgestellt hatte, dass es schrecklich sein musste, eine Frau zu sein.

Ray überbrückte die wenigen Zentimeter zwischen ihren Gesichtern und küsste Kai sanft auf die Lippen. Er wollte sich schon wieder zurückziehen, doch dann spürte er zwei warme Arme, die sich um seine Schultern legten und ihn näher an sich heran zogen.