Kapitel 11: Hotarus Rückkehr
Amaya stolperte grauenerfüllt rückwärts. Sie wusste genau, was mit Sesshoumaru los war. Dieses leere, weiße Scheinwerferleuchten in den Augen kannte sie nur allzu gut.
"Du erkennst mich also, Amaya?"
Das Mädchen antwortete nicht. Sie wusste auch nicht, was sie sagen sollte.
"Wie könntest du auch nicht? Wir sind über die Jahre doch so dicke Freunde geworden, nicht wahr, Liebes?"
"Oh, ja! Und was für gute Freunde!", flüsterte Amaya mit zittriger Stimme. "Lass' ihn in Ruhe, Hotaru!"
"Tse, tse", höhnte die Dämonin. "Wie wagst du es denn, mit mir so zu reden? Aber da du mir so lange als Wirtin gedient hast, will ich dich belohnen. Du darfst dich mir anschließen, obwohl du nur ein Mensch bist. Dann bist du auch immer in Sesshoumarus Nähe."
"Du alte -"
"Soll das ein Nein sein? Tja! Dann hast du eben Pech gehabt... Energiepeische!" Aus Hotarus Zeige- und Mittelfinger strömte leuchtend grünes Licht: Sesshoumarus Attacke. Amaya sprang gerade noch rechtzeitig beiseite. "Wie du siehst, bin ich nun fast doppelt so mächtig wie in meinem eigenen Körper, denn jetzt habe ich auch Sesshoumarus Kraft zur Verfügung. Dass er mich in sich aufnimmt, hätte ich vom älteren Sohn InuTaishous wirklich nicht erwartet... Aber - ach, dieser Narr! Er hat doch tatsächlich geglaubt, er könne durch mich stärker werden! Nun, dazu ist sein Geist wohl zu schwach... Jetzt ist es jedenfalls umgekehrt..." Sie lachte laut auf. "Ich lebeeeeeeeeeee! Und ich bin frei." Ihr Blick fiel wieder auf Amaya. "Ist ja witzig. Wegen dieser kleinen Schwäche deines Geliebten wirst du nun sterben... Adieu, Amaya, meine Liebe... War schön, dich zu kennen. BLITZ DES TODES!"
Wieder kam Amaya nur um ein Haar davon und begann zu rennen. Sie musste schnell zu den anderen, um mit ihnen dann auf Ah-Uhn fliehen zu können. Sie war nun ganz wehrlos, weil Sesshoumaru ihr Hotaru und damit ihre Kräfte abgesaugt hatte.
"Wohin des Wegs, du feige Göre! Ich bin mit dir noch nicht fertig!", donnerte Hotaru und schickte ihr einen Blitz hinterher.
Er verfehlte sein Ziel nur knapp. Amaya stolperte und landete auf allen Vieren.
Hotaru holte gerade zu einem weiteren Angriff aus, doch plötzlich wurden die leeren Augen wieder golden.
"LAUF!", rief Sesshoumaru und im nächsten Moment spürte er einen höllischen Schmerz und nahm nichts mehr wahr...
Amaya ließ es sich nicht zweimal sagen. Sie sprang auf sprintete los, wie noch nie in ihrem Leben zuvor.
"Schnell, auf Ah-Uhn!", schrie sie, als sie ihre Freunde erreichte. Rin und Jaken starrten sie erstmal verstört an, doch da kam auch Hotaru. Die beiden erstarrten entsetzt. "Kommt!" Amaya packte das Mädchen und den Dämon grob an der Kleidung und sprang mit ihnen auf Ah-Uhns Rücken, der sofort abhob.
"Was ist passiert?", schluchzte Rin.
Amaya schilderte kurz, was geschehen war.
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Sesshoumaru erwachte an einem Ort, der verdammt nach einem Kerker aussah. Es war ein großer Raum mit Wänden aus großen, groben Steinen. An ihnen schien etwas wie Schimmel zu sein. Eine Tür oder ein Fenster gab es nicht. An einer Wand hingen zwei verrostete Ketten von der Decke. An die eine war Sesshoumarus einziger Arm gebunden, die andere baumelte nutzlos über seinem Kopf.
"Ich hoffe, es gefällt dir hier, denn du sollst hier nun für immer bleiben", sagte eine Stimme, wie von unter der Erde, dieselbe leblose Stimme, die er gehört hatte, bevor er kurz nach dem Kuss zusammengebrochen war. Vor ihm erschien eine schneeweiße, leuchtende Gestalt. Sie sah aus wie eine junge Frau mit langen, weißen Haaren, weißer Haut und weißen Kleidern, prächtig, wie die einer Prinzessin. Alles an ihr war weiß. So unerträglich leuchtend weiß...
"Warum denn so betrübt?", fuhr sie sanft lächeld fort und mit falschem Mitleid in der Stimme. Sie stützte Sesshoumarus Kinn auf ihren Finger und richtete seinen Blick auf sich. "Oh, mein Lieber! Du machst dir ja Sorgen um das junge Menschenmädchen... Ja, wie süß!..
Sicherlich fragst du dich, wo du hier bist. Dieser Ort existiert nicht wirklich. Nur in deinem, jetzt meinem, Kopf. Ich habe ihn erfunden, um uns die Kommunikation miteinander bequemer zu machen."
Sesshoumaru antwortete nicht. Er musste seine verbliebene Kraft sparen.
"Sag' maaaaal, Schätzchen", sagte Hataru grinsend. "Kennst du dich selbst denn so schlecht? Du zart besaitetes, dummes Sessylein mit dem schwachen Geist."
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Schon bald kamen Inuyasha und die anderen in Sicht und Ah-Uhn setzte zur Landung an. Die Gestalten unten erstarrten und rissen die Münder auf, als Amaya, Rin und sogar Jaken auf sie zuliefen.
"Ist etwas passiert?", murmelte Kagome verwirrt.
"Hotaru - sie hat Sesshoumaru in ihrer Gewalt!", rief Amaya.
"WAAAAAAAAAAAAAAS?"
"Unmöglich", schnaubte Inuyasha.
"Aber es ist wahr!" Amaya umklammerte seinen Kragen und schüttelte ihn. "Hotaru ist nun fast doppelt so mächtig wie früher! Bitte, Inuyasha! Du musst uns helfen!"
Inuyasha wollte es zwar nicht zugeben, aber er fürchtete sich. Sesshoumaru allein war schon immer ein harter Gegner gewesen. Und nun würde er auch noch gegen Hotaru kämpfen müssen.
"Wie ist es eigentlich dazu gekommen?", wollte Sango wissen.
"Wir ähm...", Amaya lief rot an, "haben uns geküsst und er hat sie mir ausgesaugt."
"Siehst du?", sagte Inuyasha triumphierend. "Ich habe dich gewarnt. Er hat deine Gefühle nur ausgenutzt, um an Hotaru heranzukommen."
"Es war keine Lüge in seinen Augen", meinte Amaya.
"Bist du dir da auch ganz sicher?"
"JA!"
Rin hörte dem kleinen Streit zwischen Inuyasha und Amaya nicht zu, denn er lieferte ihr keine nützlichen Informationen. Also zupfte sie an Kagomes Ärmel. Als die Miko sie aufmerksam ansah, fragte sie: "Wird Inuyasha nun Meister Sesshoumaru retten oder nicht?"
"Meinen Bruder retten!", kreischte Inuyasha. "Niemals!"
Rin war den Tränen nahe.
"Inuyasha, wie kann man denn nur so grausam sein?", tadelte Kagome den Halbdämon und strich Rin beruhigend über den Rücken. "Natürlich wird er Sesshoumaru retten", fügte sie hinzu.
"Werde ich nicht!"
"Dann MACH' PLATZ!"
Mit einem scheußlichen Geräusch krachte Inuyasha zu Boden.
"Warum muss sie mir das immer antun?", stöhnte er in das Gras hinein.
"Weil du ein gemeiner, eingebildeter Schnösel bist!", knurrte Kagome.
"Bin ich nicht!", brummte Inuyasha und streckte seine Faust in die Luft.
Kagome sah ihn verärgert an. "Mach' Platz!"
"AH!"
"Wie ich sehe, macht ihr euch gerade für den Kampf warm?", ertönte eine schöne, aber zugleich auch grauenvolle Stimme.
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"Was willst du denn jetzt?", keuchte Sesshoumaru.
"Deine kleinen Freunde vernichten, natürlich", erwiderte Hotaru lächelnd. "Und Inuyasha und seine dreckige Menschenbande gleich mit..."
"Lass' deine Finger von Amaya und Rin", verlagte der Hundedämon.
"Oooooooh... Wieso? Wird klein Sessy jetzt etwa schwach?", spottete die leuchtende Gestalt vor ihm. "Da du so frech warst, mich für deine Zwecke benutzen zu wollen, werde ich mich jetzt an dir rächen. Oh, ja! Zarte, süße Rache! Ich werde deinen Körper benutzen, um Amaya zu töten. Sie wird also von deiner Hand sterben."
"Das wird sie nicht!"
"Tse! Was kannst du denn schon ausrichten?" Sie zeigte auf seine Ketten.
Sesshoumaru wollte sie angreifen, doch sein Bewegungsfeld war stark begrenzt und die Fessel schnitt ihm Schmerzhaft ins Handgelenk.
"Du bist meiner Kraft nicht gewachsen, mein Lieber", kicherte Hotaru.
-
"Sess... - HOTARU!"
"Jahaaa... So sehen wir uns also wieder." Die Dämonin schaute hämisch und verschlagen grinsend in die Runde.
Inuyasha rappelte sich wütend murmelnd auf und zog Tessaiga.
"Widerstand nützt nichts", sagte Hotaru. "Blitz des Todes!"
Inuyasha wehrte den Blitz mit Tessaiga ab. "Windnarbe!"
Leuchtende Bahnen rasten auf Hotaru zu. Diese sah ihnen gelassen entgegen und - Sesshoumarus Körper flog in Fetzen, doch im nächsten Moment vereinigte er sich wieder und stand unversehrt vor ihnen.
"Hast du etwa nicht gewusst, dass die mächtige Hotaru Dämonenkörper heilen kann?", lachte die Dämonin. "Du kannst mich nicht besiegen!"
"Kann ich wohl!", rief Inuyasha und holte wieder zum Angriff aus, doch er wurde von Amaya beiseite gestoßen.
"Du kannst nicht, aber Sesshoumaru kann das, indem er um seinen Körper kämpft und Hotaru aus ihm verbannt!"
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'Amaya hat Recht', dachte Sesshoumaru. 'Aber wie soll ich Hotaru verbannen?'
"Gar nicht", grinste die Dämonin. "Es nützt nichts zu versuchen, vor mir etwas zu verheimlichen. Deine Gedanken sind auch meine."
"Aber meine Kraft ist nicht deine."
"Heißt das, dass du sie dir jetzt zurückholen wirst? Na dann... Viel Glück!"
Sie verpasste ihm einen schmerzhaften Schockblitz und Sesshoumaru spürte förmlich, wie er immer schwächer wurde... Er durfte seine letzte Kraft nicht verlieren, doch sie floss einfach so davon...
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Amaya wandte sich nun an Sesshoumaru: "Kämpfe!"
"Ich muss dich enttäuschen, meine Liebe...", sagte Hotaru mit einem falschen Seufzer. "Er ist zu schwach."
"Aber er ist noch da und ich glaube an seine Stärke!", rief Amaya.
"Völlig umsonst."
"Nein! Sesshoumaru! Vernichte sie!"
"Er kann es nicht", meinte Hotaru kopfschüttelnd und zog Toukijin. "Und nun... Ich wollte dich ja vorhin noch töten, nur leider bist du mir entwischt. Na ja. So hast du deinen Tod eigentlich nur hinausgezögert..."
Das Schwert sauste auf Amaya zu und das Mädchen hielt den Atem an. Sesshoumaru würde doch nicht zulassen, dass sie starb. Aber er war jetzt gefangen. Warum kämpfte er nicht? Warum konnte er sich nicht befreien? Er war doch so stark... Die Klinge kam immer näher... Es war das Ende... Sie kniff ihre Augen zusammen.
"Kyaaaaaaaaaaaaaaa!" Darauf folgte das Geräusch eines Zusammenpralls von Eisen. Sie öffnete die Augen und sah, dass Inuyasha unmittelbar vor ihr stand und den Angriff mit Tessaiga abwehrte.
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In Sesshoumaru kehrte wieder Hoffnung zurück. Er hatte noch Zeit, seine Kräfte zu sammeln. Inuyasha würde Amaya schon beschützen, bis er seinen Körper wieder unter seiner Kontrolle hatte.
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"Jetzt mach' schon, Sesshoumaru, du Idiot!", brüllte Inuyasha seinen Bruder an. Der Kampf zog sich dahin und es gab keine Anzeichen, dass Sesshoumaru Hotaru Widerstand leistete.
"Da sind wir uns einer Meinung, Inuyasha", meinte Hotaru. "Er ist ein Idiot. Und du auch." Dabei holte sie wieder mit Toukijin aus.
Inuyasha war bereit, den neuen Angriff abzuwehren, doch es kam nicht, wie er geglaubt hatte: Hotaru richtete den Hieb nicht gegen ihn, sondern gegen Amaya, die sich in Sicherheit zurückgezogen hatte, wie sie glaubte. Die Klinge fuhr in ihr Fleisch und durchbohrte alles, was ihr in den Weg kam, bis sie endlich auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kam. Dann fuhr sie wieder zerstörend zurück und heraus aus ihrem Leib. Amaya schrie, presste sich die Hände auf die Brust, wo nun eine blutige Wunde klaffte und stürzte. Miroku fing sie auf und legte sie sanft auf den Boden.
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Es traf den Dämonenlord wie ein Schlag. Amaya, seine geliebte Amaya, fiel. Sie war schwer, wenn nicht sogar tödlich, verwundet. Und das alles hatte Hotaru auf dem Gewissen. Das abscheuliche, leuchtende Monster vor ihm. Seine Augen glühten rot auf.
"Oooohh... Tut's weh?", höhnte Hotaru.
Doch plötzlich wurde sie von Sesshoumarus eiskaltem, hasserfüllten, vernichtenden Blick getroffen und erstarrte. Sesshoumaru nahm all seine Kraft zusammen und riss sich von seiner Kette los. Er war nun frei. Jetzt musste Hotaru sterben.
Er stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden, als wäre nichts geschehen. Eine Welle lodernden Hasses nach der anderen verzehrte sein Inneres. Seine Finger verkrampften sich zu einer Faust und dann sprang er hoch. Noch bevor Hotaru reagieren konnte, öffnete er seine Hand und aus seinen Fingern schoss ein grüner Lichtstrahl. "STIRB!" Die Energiepeitsche zerschnitt Hotaru mitten durch.
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"Dafür wirst du bezahlen!", rief Inuyasha.
"Sie hat schon dafür bezahlt." Er war nun Sesshoumarus Stimme, die sprach. Allerdings hörte sie sich nun sehr schwach und müde an.
"Sesshoumaruuuu...", stöhnte Amaya, der Tränen über die Wangen liefen. Der Schmerz war einfach unerträglich.
Der Dämon folgte dem Ruf seiner Geliebten, um die sich bereits die anderen versammelt hatten. Inuyasha steckte Tessaiga ein und folgte ihm.
