Michelle
„Hat es einen bestimmten Grund, dass wir hier über den ganzen Landsitz rennen?"
Jason sah mich genervt an. Er war mir die ganze Zeit gefolgt.
„Sie haben doch gesagt, dass wir uns hier frei bewegen dürfen und das nutze ich aus. Wenn es ihnen nicht passt, können sie ja aufhören mir hinterher zu rennen."
Er sah mich misstrauisch an.
„Machen sie was sie wollen. Sie werden sowieso keinen Weg zur Flucht finden", knurrte er dann und machte kehrt.
„Da wäre ich mir nicht so sicher", murmelte ich und nahm meine Suche nach irgendwelchen Hinweisen auf Schwachstellen wieder auf.
Natasha
Jason machte sich auf den Weg zum Kaminzimmer und seufzte. Das würde alles noch ganz schön kompliziert werden.
„Und? Hast du ihren ganzen Namen erfahren?" Lucius sah seinen Bruder Jason erwartungsvoll an. Dieser ließ sich aber nur erschöpft in den nächsten Sessel fallen.
„Nein. Kein Wort. Sie zieht es vor, nicht über sich zu sprechen."
Neben mir vernahm ich ein unterdrücktes Aufstöhnen.
„Was ist?"
„Sie versucht mit aller Macht zu verhindern, dass wir ihren ganzen Namen erfahren", erklärte Malfoy.
„Aber warum?"
„Ich habe da so eine Vermutung. Und wenn ich richtig liege, dann versucht sie zu Recht ihre wahre Identität zu verbergen. Und wenn ich Recht habe, dann solltest du dich besser von ihr fern halten."
„Und warum?"
„Dann gehört sie zur dunklen Seite und kann dir sehr gefährlich werden."
„Ha! Das ich nicht lache. Sie hat mich wenigstens nicht geschlagen…"
Komisch, das gleiche hatte ich doch schon von Michelle gehört. Einer von den beiden hatte gelogen. Oder gehörten am Ende beide zu dieser dunklen Seite, was auch immer das war?
Aber war Michelle wirklich böse? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Aber irgendein Geheimnis musste sie haben, sonst wäre sie nicht so erpicht darauf, ihre Herkunft zu verschleiern.
Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich sie fragen und dann würde ich mich nicht mit irgendwelchen Ausflüchten zufrieden geben. Und Malfoy kommt auch noch dran.
Die beiden wussten es noch nicht, aber wenn ich wollte konnte ich ganz schön hartnäckig sein.
Das weitere Gespräch der Brüder interessierte mich nicht mehr, vielmehr feilte ich weiter an einem Plan, wie ich mehr über die Zauberer herausfinden konnte.
„Das gefällt mir nicht", meinte Lucius nachdenklich. „Wir sollten genau wissen, mit wem wir es hier zu tun haben. Falls sie ein Auror ist, ist sie noch nicht lange dabei, denn ich habe sie noch nie im Ministerium gesehen."
Lucius warf Natasha einen Seitenblick zu. Er wusste, dass ihr nicht klar war, was ein Auror war, aber für einen Muggel, hörte es sich wahrscheinlich gefährlich oder bedrohlich an.
„Ich werde Michelle holen und dann sollten wir sie noch einmal zusammen befragen."
„Ich habe da auch schon eine bestimmte Vermutung", murmelte Lucius nachdenklich.
Jason erhob sich und kehrte kurze Zeit später mit Michelle zurück.
Michelle
„Setzen sie sich doch zu uns, Michelle."
Argwöhnisch sah ich Malfoy an. Ließ mich aber dann doch in einen der Sessel fallen. Jason verließ den Raum wieder, aber Lucius forderte meine ganze Aufmerksamkeit.
„Sie sind wenig kooperativ, Michelle. Wir fragen uns wer sie wirklich sind… aber leider wollen sie es uns ja nicht freiwillig verraten. Allerdings fallen besonders meinem Bruder unangenehme Mittel und Wege ein, wie wir sie dazu kriegen uns zu sagen, wer sie sind und was sie hier wollen und vor allem, wie es ihnen gelungen ist, meine Schutzzauber zu überwinden."
„Bitte", gab ich gleichmütig zurück, „foltern sie mich ruhig, aber das wird ihnen nichts nutzen."
Malfoy lachte plötzlich.
„Sie foltern? Aber woran denken sie denn? Dafür haben wir doch ihre kleine Muggelfreundin hier." Er sah finster zu Natasha, die zusammenzuckte.
„Es ist wahrscheinlich viel wirkungsvoller sie zu foltern. Schließlich sind sie doch angeblich hier um sie zu retten… und stellen sie sich vor, ihr würde nun etwas zustoßen. Wo sie doch so nah dran waren, ihr zu helfen…"
Natasha
Ich verfolgte das Gespräch aufmerksam und hoffte, dass Michelle nicht so stur blieb.
„Was wollen Sie damit sagen? Dass ich dann dafür verantwortlich wäre?" fuhr Michelle ihn an.
„Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Ihre Familie Menschenleben auf dem Gewissen hat, oder irre ich mich da, Miss DeWiltshire?"
Michelle sagte gar nichts, sondern starrte Lucius nur böse an. Anscheinend hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Also, wie wäre es jetzt mit der ganzen Wahrheit, meine Liebe."
„Jetzt tun Sie mal nicht so unschuldig, Malfoy. Ihre Familie besteht auch nicht gerade aus Heiligen."
„Das streite ich auch gar nicht ab. Aber zumindest bringen wir keine Menschen um, und Zauberer schon gar nicht."
„Sprich nur für dich selbst, Brüderchen." Jason betrat den Raum und grinste.
„Könnte mich vielleicht mal jemand aufklären, was das jetzt schon wieder zu bedeuten hat?" fragte ich dazwischen.
„Ja, das würde mich auch gerne interessieren", bekam ich unerwartete Unterstützung von Jason.
„Jason. War ja klar", ächzte Michelle.
„Willkommen in unserer illustren Runde. Setz dich. Wir klären gerade, was hier nicht mit rechten Dingen zugeht." Forderte Lucius seinen Bruder auf.
„Du hast Recht. Hier stimmt was nicht… und ich denke auch, dass Michelle etwas damit zu tun hat", bekräftigte Jason Malfoys Vermutung, als er sich setzte. „Ich verlange eine Erklärung, Miss DeWiltshire."
„Vergessen sie's! Sie wissen doch jetzt wer ich bin. Da haben sie ihre Erklärung."
„Wie wäre es, wenn du von deinem Traum erzählst", ging ich dazwischen und Michelle sah mich dankbar an. „Ich nehme an, du hast ihn nicht vergessen?"
Michelle
„Und dann will ich auch noch wissen, was es mit dieser dunkeln Seite Geschichte auf sich hat", warf sie noch hinterher.
„Ich glaube nicht, dass ich einem von euch Rechenschaft schuldig bin. Ihnen nicht, Malfoy und ihnen schon gar nicht Malfoy…äh Jason… und dir auch nicht Natasha", gab ich nur überheblich zurück. Ich hatte genug von diesen ewigen Diskussionen über meine Familie, aber Malfoy fuhr dazwischen.
„Wir wollen die Wahrheit hören."
Jason, der in der anderen Ecke saß, sah mich durchdringend an.
„Er hat Recht", meldete er sich dann zu Wort, „kein Zauberer, den ich kenne, kann seine Kräfte ohne Zauberstab benutzen. Also wer zum Teufel sind sie?"
„Solange sie uns nicht verraten, warum wir hier sind, verrate ich ihnen auch nicht, was mich so mächtig macht... Aber keine Sorge… Ich werde ihnen schon nichts tun."
Ich musste grinsen, als Malfoy mir nur einen bösen Blick zuwarf.
„Kein Wunder, dass fast ihre ganze Familie in Askaban sitzt." Meinte Malfoy unverfroren und als Natasha ihn fragend ansah: „Das Zauberergefängnis. Und sie wollen mir weiß machen, sie wären nicht gefährlich?"
Darauf antwortete ich erst gar nicht. Die Antwort war offensichtlich. Ich war gefährlich. Ich hatte es immer schon gewusst.
Aber wie konnte Malfoy es wagen, meine Familie zu erwähnen? Am liebsten hätte ich ihn am eigenen Leib spüren lassen, wie mächtig wir waren. Aber ich musste mich zusammenreißen. Sich von Wut und Zorn verführen zu lassen, würde mein Schicksal in eine Richtung lenken, der ich immer aus dem Weg gegangen war. Was einigen in meiner Familie nicht gelungen war… und für ihre Taten saßen sie lebenslänglich in Askaban.
„Ich habe jedenfalls keine Angst vor ihnen!" Meldete sich nun Jason zu Wort und ich lachte ihn aus.
„Wirklich? Das sollten sie aber. Anscheinend merken sie nicht einmal, dass sie sich nur etwas vormachen. Sie sind hoffnungslos unterlegen und ihr Schicksal liegt in unseren Händen…"
„Und wer ist uns?" fragte nun Natasha. „Auf welcher Seite stehst du jetzt?"
„Du willst also immer noch wissen, auf wessen Seite ich stehe? Ich werde dir verraten auf welcher Seite ich stehe: Auf meiner Seite! Ich tue eigentlich immer das, was für mich von Vorteil ist!"
„Und warum wolltest du mich dann retten?"
„Wahrscheinlich konnte sie nur der Versuchung nicht länger widerstehen… Sie wollte beweisen wie mächtig sie ist… und überlegen", vermutete Malfoy und ich dachte darüber nach. Er versuchte scheinbar Natasha gegen mich aufzubringen.
„Das verstehe ich nicht." Natasha sah mich erwartungsvoll an.
„Vielleicht hat er Recht", gab ich aber trotzdem zu. „Kennt ihr nicht das Sprichwort: Macht korrumpiert? Und absolute Macht korrumpiert eben absolut… oder besser gesagt: Es kann dazu kommen. Bei mir ist das aber noch nicht der Fall. Ich strebe nicht nach der Weltherrschaft…"
„Das wäre ja wohl auch sinnlos", meinte Malfoy, aber ich winkte ab.
„Nein… nicht sinnlos, weil ich es nicht schaffen könnte… nur zu stressig", gab ich beiläufig zurück.
„Sie sind sehr von sich überzeugt", knurrte er widerwillig und ich nickte.
„Ich habe eben keinen Grund an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. Hatte ich noch nie. Meine Familie ist durch und durch magisch. Von Generation zu Generation werden die Zauberer immer mächtiger. Ein Segen nicht wahr? Oder sollte ich besser sagen unser Fluch? Denn je mächtiger desto überheblicher, oder? Mit so viel Macht lebt man in ständiger Versuchung. War das die Antwort die sie hören wollten, Malfoy? Ich sehe doch, dass sie sich die ganze Zeit fragen, warum ich meine Kräfte noch nutzen kann… ohne Zauberstab. Es liegt nur daran, dass ich um einiges mächtiger bin…"
Natasha warf mir einen zweiflerischen Blick zu.
„Und wieso, oh große Meisterin, benutzt du deine Macht nicht, um uns aus diesem Schlamassel hier rauszuholen?" Zog sie mich auf und ich musste lachen.
„Schon gut. Ich wollte nur ein bisschen angeben und euch aufziehen…"
Plötzlich spürte ich etwas. Eine fremde Präsenz. Und wie in meinem Traum war es zuerst nur ein kalter Hauch. Die Welt vor meinen Augen verschwamm und weit entfernt hörte ich Jason und Natasha.
„Das ist nicht besonders amüsant", meinte er und Natasha:
„Bei dem ganzen Gerede von Macht komme ich mir schon vor wie in Star Wars…"
Dann stand ich auf und sah niemanden an. Es trieb mich nur etwas dazu, raus zu gehen und herauszufinden, was ich wahrnahm.
„Ich… ich muß… ich muß nach draußen", brachte ich noch hervor und verließ den Raum.
Den anderen war mein abwesender Gesichtsausdruck nicht entgangen.
„Was ist mit ihr los?" meinte Natasha und sah mir nach.
„Ich weiß es nicht", antwortete Malfoy argwöhnisch, „aber wir sollten es rausfinden."
Also standen die drei auf und folgten mir.
Hinter dem Haus lag ein kleines Waldstück mit hohen Laubbäumen und dahin zog es mich.
Mit meiner rechten Hand stützte ich mich an einem Baum ab. Ich brauchte Kraft.
Die anderen sahen wie die Blätter des Baumes plötzlich ihre grüne Farbe verloren. Sie vertrockneten und wurden braun. Die Äste sanken weiter nach unten. Der Baum starb.
Seine Blätter fielen und bedeckten den Boden um mich herum, bis ein unnatürlich starker Windstoß sie aufwirbelte.
Natasha kam das Ganze ziemlich unheimlich vor und sie erschauderte. Obwohl sie nichts sah, merkte sie instinktiv, dass irgendetwas hier nicht stimmte.
„Was geht hier vor?" fragte Jason seinen Bruder, der aber nur den Kopf schüttelte.
„Ich weiß es nicht… aber was du auch tust, berühr sie nicht!"
Panisch atmete ich immer schneller und spürte wie meine Beine versagten.
Natasha
Als Jason sah, dass Michelle ohnmächtig zu werden drohte und sie langsam zusammen sackte, lief er zu ihr und fing sie auf.
Er ignorierte Lucius und meine Rufe, es nicht zu tun und als er Michelle festhielt, sahen wir, wie sie am ganzen Körper zitterte.
Malfoy und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Beide fragten wir uns, warum Jason nichts passiert war. Er hatte scheinbar nichts von Michelles Kraft gespürt.
Michelle
Ich fühlte, dass mich jemand auffing und mir wurde wieder warm, da ich spürte, dass ich in Sicherheit war.
„Alles ist gut", versuchte Jason mich zu beruhigen. „Wir sind bei ihnen. Beruhigen sie sich. Es ist alles in Ordnung."
Ich hielt mich an ihm fest und meine Atmung normalisierte sich langsam wieder. Es war so real gewesen. Ich erschauderte.
Jason, Malfoy und Natasha brachten mich zurück ins Haus und jemand reichte mir ein Glas Wasser.
Natasha sah mich an und ich spürte, dass sie sich in meiner Nähe scheinbar unbehaglich fühlte.
„Also ehrlich gesagt, würde mich jetzt aber schon interessieren, was da gerade los war. Das war ganz schön unheimlich und mit diesen ganzen Blättern die da rumflogen hatte es irgendwie etwas von „Vom Winde verweht"…"
„Tasha!" Ermahnte sie Malfoy, aber sie ließ sich nicht beirren. Endlich wollte sie ein paar Antworten.
„Hatte es mit deinem Albtraum zu tun?"
„Ja…", seufzte ich, „aber das ist nicht so einfach zu erklären. Diesmal war es kein Traum. Es war real. Für mich jedenfalls. Ich habe sie gesehen und auch gespürt…"
„Wen?"
„Dementoren und noch etwas Schlimmeres, was ich aber nicht definieren kann. Etwas abgrundtief böses…"
„Aber wir haben nichts gesehen. Wie kann das sein? Und was sind Dementoren?"
„Erkläre ich dir später", kam Malfoy mir zuvor. Er wollte hören, was ich noch erlebt hatte.
„Ich kann es einfach nicht in Worte fassen."
Bei dem Gedanken daran fing ich wieder an zu zittern.
„Beruhigen sie sich."
Jason legte mir eine Hand auf meine Schulter.
„Dann versuch es zu beschreiben", bohrte Natasha aber ich schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht. Es ist nicht, dass ich keine Worte dafür finde oder nicht will. Die Erinnerungen werden durch irgendetwas blockiert… aber ich weiß nicht, wodurch. Alles was ich ausdrücken kann sind Ahnungen und Gefühle, aber keine konkreten Bilder. Ich verstehe das alles selbst nicht. Ich hatte noch nie solche Visionen…"
„Das hilft uns also überhaupt nicht weiter", warf Malfoy frustriert ein.
„Eigentlich weiß ich immer, was hier auf meinem Landsitz vor sich geht. Aber das gerade war schon verdammt merkwürdig. Ich denke, wir wissen alle das dort etwas war… nur nicht was. Außerdem passieren diese Dinge erst, seit dem sie hier sind, Michelle. Sie schulden uns eine Erklärung."
„Ich sagte doch bereits, dass meine Erinnerung blockiert ist."
„Dann sollten wir einen Weg finden, das zu ändern, denn normalerweise kenne ich alle Kreaturen, die hier zu finden sind." Malfoy gab nicht nach.
„Vielleicht sollten wir in ihre Gedanken eindringen und sehen was los ist", schlug Jason vor.
„Damit werden sie keinen Erfolg haben", giftete ich sofort zurück und Malfoy nahm seine alte Drohung wieder auf.
„Nun, wenn sie es nicht tun, kommen wir auf die Foltergeschichte und Natasha zurück…"
„Na schön", gab ich nach. „Ich nehme jemanden freiwillig mit in meine Gedankenwelt."
„Ich machs", meinte Jason sofort, aber ich lehnte ab.
„Nein danke. Sie sind der letzte, den ich in meinen Kopf lassen würde…
Ich sah Natasha an.
„Dann bleibst nur noch du…"
Unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen.
„Moment mal, was muß ich denn da machen? Tut das weh?"
„Nein, es tut nicht weh", beruhigte ich sie. „Wir legen uns einfach nebeneinander, du reichst mir deine Hand und den Rest mache ich."
„Dann hab ich wohl keine Wahl, oder?"
„Nein", entschied Malfoy, „wir müssen wissen, was hier vor sich geht. Und wenn ihr uns helft, zeigen wir uns eventuell auch erkenntlich."
Kurze Zeit später lagen Natasha und ich nebeneinander uns sie gab mir zaghaft ihre Hand. Wir schlossen die Augen und dann nahm ich sie mit…
Als Natasha wieder zu sich kam, befand sie sich zusammen mit mir in einem großen Wald, der sanft von Sonnenstrahlen durchflossen wurde.
„Alles okay?" fragte ich sie und half ihr auf die Beine.
„Wo sind wir hier?" fragte sie als erstes und ich musste schmunzeln.
„Wir sind in meiner Gedankenwelt. Ich habe sie als Wald dargestellt, weil ich dachte, dass würde dir gefallen und etwas beruhigend wirken. Jeder Baum hier steht für eine Erinnerung. Ich habe versucht uns an den richtigen Ort zu bringen, aber ganz sicher, wo die Erinnerung an den Traum sich verbirgt, bin ich auch nicht…"
„Und wie kommen wir an die Erinnerungen dran?" Sie sah sich neugierig um.
„Wir müssen nur den Baum berühren und dann sehen wir, was sich dahinter verbirgt."
„Wow!" Meinte sie nur und ging ein paar Schritte.
„Natasha?"
„Ja?"
„Es kann sein, dass wir hier auf einige sehr… sagen wir mal private… Gedanken stoßen. Ich hoffe, du verstehst, dass ich möchte, dass diese Dinge auch privat bleiben…"
„Sicher… ich verrate nichts."
„Gut… ansonsten müsste ich nämlich deine Erinnerung manipulieren."
Sie sah mich mit großen Augen an.
„Ach ja.. noch was: Falls du von dir aus diesen Trip abbrechen willst… es gibt ein Passwort, das uns wieder trennt. Wenn es dir zu viel wird, sag einfach „Schmetterling" und wir sind getrennt."
„Okay, alles klar. Sag mal, denkst du, dass Malfoy sich wirklich erkenntlich zeigt und uns vielleicht frei lässt, wenn er weiß, was hier los ist?"
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Nein, ich denke nicht."
„Aber er hat doch gesagt…"
„Klar hat er das gesagt, aber das ist das gute an den Bösen. Du kannst dir immer sicher sein, dass sie ihr Wort nicht halten."
Damit ging ich mit ihr zu einem der Bäume und fast gleichzeitig berührten wir ihn. Ich erkannte sofort, dass es die falsche Erinnerung war, aber ich wollte Natasha zeigen, wie das hier funktionierte.
Vor uns sahen wir ein junges Mädchen in einem kargen Zimmer sitzen. Sie wurde von vier Zauberern bedrängt, die eine Information von ihr wollten. Als sie nicht antwortete, kam, was kommen musste: Die Erwachsenen benutzten ihre Zauberstäbe und das Mädchen schrie und weinte.
„Was ist das hier? Wer ist das Mädchen?" flüsterte Natasha und ich musste mich erst einmal sammeln.
„Das bin ich", antwortete ich und musste schlucken. „Wir sind hier falsch."
„Aber was haben die mit dir gemacht?"
Natasha schien Mitleid zu haben.
„Das war ein Verhör… Es war in den Schulferien. Ich war siebzehn und gerade aus Hogwarts, unserer Zaubererschule nach Hause gekommen. Meine Eltern waren nicht da und ich suchte im ganzen Haus nach jemand, den ich begrüßen konnte. In einem der Keller fand ich meinen Bruder Edward, einen meiner Onkel und ein dutzend maskierte Zauberer. Sie waren gerade dabei eine Muggelfamilie zu töten und ich versteckte mich und sah dabei zu. Etwas später tauchten die ersten Leute vom Ministerium auf. Sie hatten meinen Bruder dabei erwischt, wie er die Leichen wegapparieren wollte. Ich war die einzige Zeugin und diese Leute da sind meine Eltern", ich deutete auf das Zaubererpaar, „und zwei Zauberer vom Ministerium. Natürlich wollten die eine Aussage von mir, aber ich konnte nicht. Sollte ich meinen eigenen Bruder verraten? Nicht umsonst gibt es in der Muggelwelt das Recht die Aussage zu verweigern…"
„Aber bei euch nicht?"
„Nein. Sie sind schließlich in meine Gedanken eingedrungen und haben sich ihre Beweise geholt… und da ich mich verweigert habe, war das ganze ziemlich schmerzhaft…Mein Bruder bekam daraufhin lebenslänglich Askaban…"
Natasha sah entsetzt meine Erinnerung an und konnte es kaum fassen.
„Komm", meinte ich und griff nach ihrem Arm, „wir gehen…"
Dann standen wir wieder in dem Wald.
„Tut mir leid", sagte Natasha bedrückt aber ich winkte ab.
„Keine Sorge. In diesem Wald gibt es auch massenhaft schöne Erinnerungen… nur suchen wir diese nicht."
Der nächste Baum war wieder falsch. Aber ich wollte irgendwie das Natasha diese Erinnerung sah.
Ich war ein Jahr älter als in der letzten Erinnerung und wir folgten mir in einen großen Saal. Plötzlich erschien in diesem Saal noch mal Abbild von mir. Nur hatte dieses zweite Ich dunkle, pechschwarze Haare. Das dunkelhaarige Ich fing an das andere, normale ich zu beschimpfen. War gehässig und unerträglich überheblich. Dann zeigte es, was es mit Muggeln und der ganzen Welt vorhatte und es war nichts Gutes.
Natasha war genauso schockiert wie ich es damals gewesen war und wir kehrten schnell zurück in den Wald.
„Was war das denn?" fragte sie erschüttert. „Und wieso warst du zweimal da und hattest dunkle Haare?"
„Ich erkläre es dir: Dieser Saal wird auch der Ort der Erkenntnis genannt. Es ist die letzte große Aufgabe, die jeder Zauberer absolvieren muß, wenn er die Schule verlässt. An diesem Ort können dir die verschiedensten Dinge vor Augen geführt werden. Manche sehen ihre größten Ängste, manche ihre schlimmsten Feinde und man kann sehen, was vielleicht mal aus einem wird… Bei mir kam irgendwie wohl alles auf einmal." Ich seufzte. „Das dunkelhaarige Ich war sozusagen meine dunkle Seite. Das, was aus mir werden könnte, wenn ich den falschen Weg wähle und mich auf Wut, Haß, Zorn und schwarze Magie einlasse. Daher bin ich auch gleichzeitig mein größter Feind… Ich wollte und ich will auf keinen Fall so werden, wie dieses dunkelhaarige Mädchen. Das darf einfach nicht geschehen."
„Jetzt wird mir einiges klarer", stimmte Natasha mir zu und wir näherten uns dem nächsten Baum.
Wir berührten ihn und da war es. Der Anfang von meinem Traum.
„Das ist mein Traum", meinte ich zu Natasha und sah, wie sie erschauderte.
Die Atmosphäre hier ließ auch sie nicht unbeeindruckt.
Wir folgten mir durch den Gang zu der Gefängniszelle und Natasha stieß mich an.
„Wer ist das?"
„Das ist mein Bruder Edward. Wir sind hier in Askaban."
„Das ist ja grauenvoll hier."
„Ich war nur einmal wirklich dort, aber es ist so schrecklich", bestätigte ich Natasha und sie hörte dann der Unterhaltung zu.
„Edward verhält sich merkwürdig, oder?" fragte sie und ich nickte nur stumm. Das Grauen schnürte mir die Kehle zu und dann sah auch sie, wie sich der Dementor dem Ich in meiner Erinnerung langsam von hinten näherte…
Natasha
Die Kreatur war grauenvoll. Ich spürte, wie eine Kälte von mir Besitz ergriff und ich wollte weglaufen. Irgendwohin, bloß weg von hier. Auch wenn ich wusste, dass es sich nur um Michelles Traumwelt handelte, kam mir das alles so real vor.
„Was ist das?" fragte ich Michelle.
„Ein Dementor", krächzte sie und ich sah ihr an, dass sie es sehr mitnahm, ihren Traum noch einmal erleben zu müssen.
Der Dementor näherte sich der anderen Michelle und berührte sie, fast sanft, an der Schulter. Die Traumgestalt schrie gellend auf. Dann verblasste das Bild langsam.
„An dieser Stelle habt ihr mich geweckt", erklärte Michelle mir. „Der Traum ist zu Ende."
„Und warum ist der Dementor dann immer noch da?" ich deutete angstvoll nach vorne. Um uns herum war nichts als Dunkelheit. Die Mauern Askabans waren verschwunden, ebenso wie die zweite Michelle. Nur der Dementor war immer noch da und er sah direkt in unsere Richtung.
„Ich weiß es nicht. Eigentlich müssten wir längst wieder im Wald sein."
Langsam kam der Dementor auf uns zu. Wieder spürte ich diese Kälte, doch diesmal war sie real. Etwas schien nach meinem Herzen zu greifen und ich wollte mich umdrehen und weglaufen, doch da war nichts wohin ich hätte laufen können.
„Du brauchst keine Angst haben, wenn du reinen Herzens bist, wird er dir nichts tun", versuchte mich Michelle zu beruhigen. Sie selbst starrte den Dementor immer noch fassungslos an. Irgendetwas lief hier gehörig falsch. Nur was, das konnte sie sich nicht erklären.
„Wer ist schon reinen Herzens?" gab ich mit einem Anflug von Galgenhumor zurück.
„Du musst verschwinden", keuchte sie. „Trenn dich von mir."
„Aber..."
„Mach schon."
Ihre Worte wurden von einem leichten Druck in meinem Kopf begleitet und plötzlich wusste ich was ich zu tun hatte. Ich musste verschwinden.
„Schmetterling", rief ich und im selben Moment verblassten Michelle und der Dementor.
Ich schlug die Augen auf und sah in zwei sorgenvolle Gesichter.
„Was ist geschehen?" wollte Malfoy dann auch sofort wissen und ein sorgenvoller Unterton schwang in seiner Stimme mit.
„Ein Dementor. Schnell wir müssen etwas tun, sonst bringt er sie um."
„Es ist ein Traum", widersprach der Zauberer stirnrunzelnd.
„Ja... Nein... Der war... ist so real wie du und ich. Der Traum war längst zu Ende, aber der Dementor war immer noch da. Sie hat mich weggeschickt. Wir müssen sie aufwecken."
Ich beugte mich zu Michelle. Sie war schweißgebadet und leichenblass.
„Nein", wollte Malfoy mich abhalten. „Berühr sie nicht." Er legte seine Hand auf meine Schulter und wollte mich zurück halten, doch es war zu spät.
Ich berührte Michelle ganz leicht an der Schulter und plötzlich wurde ich wieder in ihre Gedankenwelt gerissen. Wie in einem Strudel wurde ich umher gewirbelt, bunte Bilder sausten an mir vorbei, ohne dass ich sie hätte erkennen können. Dann war es auf einmal ganz ruhig. Dunkelheit umfing mich.
„Ich hab dir doch gesagt, berühr sie nicht", vernahm ich neben mir Malfoys Stimme.
„Lucius oder Jason?"
„Lucius. Warte kurz. Lumus."
Eine leuchtende Kugel flammte über uns auf und verbreitete ein sanftes Licht.
Ich sah Malfoy neben mir sitzen.
„Wie kommst du denn hierher?" fragte ich ihn verwundert, war aber froh, dass ich nicht alleine war.
„Dank dir. Du hast mich quasi mitgenommen."
„Oh, aber das muss ich jetzt nicht verstehen, oder?" Wie sollte ich ihn denn mitgenommen haben?
„Ich werde es dir ein anderes Mal erklären."
„Und was machen wir jetzt?"
„Michelle suchen und dann so schnell wie möglich verschwinden. Wenn der Dementor tatsächlich echt ist, haben wir ein Problem. Komm." Er nahm meine Hand und ging los.
„Wir dürfen uns nicht verlieren", schärfte er mir ein. „Ohne mich bist du hier verloren und ohne dich komme ich nicht wieder hier raus, denn nur du kennst wahrscheinlich das Passwort."
