Michelle
Natasha wusste wohl gar nicht wie ihr geschah und sah sich verdutzt um.
„Wo sind wir hier?" fragte sie mich dann ungläubig.
„In der Winkelgasse… und das", ich deutete auf ein großes wie ein altes Museum aussehendes Gebäude, „ist das Zaubereiministerium."
Natasha war endgültig verwirrt. Ihr plötzliches Auftauchen schien die Leute auf der Straße nicht wirklich zu interessieren.
„Winkelgasse? Wo soll das sein?"
„In London. Du bist in der verborgenen Zaubererwelt und es wäre wohl besser, wenn du erst mal bei mir bleibst. Wer weiß, was die durchgeknallten Zwillinge sonst noch vorhaben. Hier bist du erst mal sicher."
Sie sagte nichts mehr, sondern nickte nur stumm. Dann sah ich plötzlich Mad-Eye Moody auf uns zukommen und ich erwartete eine Standpauke.
Moody, der ein normales Auge und ein Auge, daß er in jede beliebige Position im Kopf drehen und mit dem er sogar durch seinen Hinterkopf gucken konnte, besaß, richtete beide Augen auf uns.
„Michelle, wo warst du die letzten Tage? Und wer ist das?"
„Nicht alles auf einmal bitte." Ich hob meine Hände. „Das ist Natasha."
Mad-Eye wollte schon etwas sagen, aber ich kam ihm zuvor.
„Ja, sie ist ein Muggel… und sie braucht unsere Hilfe. Der Rest ist eine ziemlich lange Geschichte, die ich dir gerne im Büro berichte."
„Na gut", knurrte er, „dann kommt mit. Ich will ich wissen, was hier los ist."
Mad-Eye Moody war wohl einer der besten Auroren unserer Zeit und hatte schon unzählige Anhänger der dunklen Seite nach Askaban gebracht.
In unserer Abteilung erzählten wir Moody die ganze Geschichte über die Malfoys, aber er reagierte nicht, wie ich erwartet hatte. Anstatt sie sofort festzunehmen, schlug er vor, sie erst noch zu beobachten.
Als ich protestierte, wies er mich zurecht.
„Denk doch mal nach, Michelle. Wieso sollte jemand wie Lucius Malfoy plötzlich alles riskieren und seinen Bruder zurückholen, mit dem er sich, laut deiner Aussage, nicht einmal gut versteht. Da geht etwas vor sich und das ist unsere Chance rauszufinden, was du-weißt-schon-wer vorhat. Wir werden die Malfoys in Ruhe lassen! Was du eigentlich ja schon die ganze Zeit hättest tun sollen…" Moody sah mich tadelnd an.
Ich mußte mich seinem Urteil beugen und als Natasha und ich aus der Abteilung für Muggelschutz kamen, war sie neugierig.
„Ihr seid ja ganz schön gut organisiert", meinte sie anerkennend.
„Natürlich. Was erwartest du denn? Es ist gar nicht so einfach das alles vor euch Muggeln zu verbergen…"
„Würdest du mich bitte nicht immer Muggel nennen. Das hört sich immer so negativ an." Sie verzog ihr Gesicht.
„Sorry", meinte ich, „aber das Wort hat hier keine abschätzige Bedeutung… jedenfalls für die meisten Zauberer nicht. Du hast es leider nur so negativ durch die Malfoys aufgefasst. Da hast du eben gerade zuerst die falsche Seite kennengelernt."
„Das Gefühl habe ich mittlerweile auch…" Nachdenklich trottete sie neben mir her.
Als wir zurück in die riesige Eingangshalle kamen, staunte ich nicht schlecht, als ich die beiden Malfoys dort entdeckte, die sich gerade mit dem Zaubereiminister unterhielten.
„Mann… die sind vielleicht dreist hier einfach so aufzutauchen."
Natasha bemerkte nun auch was ich meinte und wir blieben stehen um die Szene zu beobachten.
„Wie können die hier einfach so reinspazieren, wenn die doch zur dunklen Seite gehören?"
„Siehst du den Zauberer, mit dem sie sich unterhalten?"
Sie nickte.
„Das ist der Zaubereiminister höchstpersönlich… ich sag doch, die Malfoys haben gute Kontakte hier im Ministerium…"
Natasha murmelte etwas Zustimmendes und beobachtete genau wie ich weiter.
Kurze Zeit später löste sich Lucius von der Gruppe und kam in unsere Richtung. Sofort ging ich auf ihn zu, um ihn abzufangen.
„Was hast du vor?" flüsterte Natasha und hörte sich etwas besorgt an.
„Ich hol zurück, was mir gehört", meinte ich.
Dann stand ich vor Malfoy und er tat überrascht. Bevor er etwas sagen konnte, sprach ich ihn an.
„Na, sie beide haben ja vielleicht Nerven hier einfach so aufzutauchen!"
Abschätzig sah er mich an.
„Und sie? Ich dachte, sie sind kein Auror."
„Das geht sie überhaupt nichts an, Malfoy! Ich will eigentlich nur, dass sie mir mein Eigentum zurückgeben!"
Er sah mich verständnislos an.
„Meinen Zauberstab!" Erklärte ich.
„Oh natürlich… Da fällt mir doch glatt ein, dass sie auch immer noch meinen Zauberstab haben. Den hätte ich auch gerne zurück."
Er streckte mir seine Hand entgegen.
„Vergessen sie's, Malfoy! Erst will ich meinen Zauberstab sehen!"
Natasha schüttelte den Kopf.
„Oh man", stöhnte sie, „so wird das nie was…"
Malfoy wand sich, aber gab dann nach.
„Also ehrlich gesagt, hab ich ihren Zauberstab nicht…"
Jason gesellte sich plötzlich zu uns… und er sah irgendwie verändert aus. Er hatte jetzt kurze dunkle Haare, trug Jeans, ein T-Shirt, ein Sakko und Turnschuhe. Turnschuhe? Muggelklamotten? Ich konnte es kaum glauben.
„Genau… weil ich ihn habe", bezog er sich auf meinen Zauberstab und grinste hämisch.
„Übrigens: Huch! Was machen sie überhaupt hier? Und ihre neue Muggelfreundin haben sie auch dabei…heutzutage lassen sie wohl jeden ins Zaubereiministerium…"
Natasha schnappte empört nach Luft und wollte schon etwas erwidern, aber ich hielt sie zurück.
„Lassen sie sie in Ruhe, Malfoy!" Kam ich ihr zuvor und Jason tat etwas, was ich nicht für möglich gehalten hatte: Er lächelte.
„Oh, sie dürfen mich gerne Jason nennen, meine Liebe…"
In mir kochte es, aber ich versuchte ruhig zu bleiben.
„Danke, ich verzichte."
„Haben sie ein paar ihrer Kollegen besucht?" fragte Jason non-chalant und ich wusste worauf er anspielte. Verdammt, dachte ich, da hat Fudge, der Zaubereiminister, wohl mal wieder seinen Mund nicht halten können.
„Das geht sie überhaupt nichts an!" Gab ich barsch zurück, aber ihn schien das nicht aus der Ruhe zu bringen.
„Warum so abweisend?" fragte er grinsend. „Bin ich wirklich so schrecklich?"
Genervt verdrehte ich meine Augen.
„Meinen Zauberstab!" Verlangte ich, aber er machte keine Anstalten etwas zu tun oder zu erwidern. „Ich will ihn zurück!"
Ich war so mit Jason beschäftigt, dass ich gar nicht mitbekam, wie Lucius Natasha zur Seite nahm.
„Also ehrlich gesagt, gefällt mir ihr Zauberstab ganz gut. Wenn sie so mächtig sind, wozu brauchen sie ihn dann noch? Vielleicht um ihre kleine Muggelfreundin zu beschützen?"
„Und sie?" antwortete ich mit einer Gegenfrage. „Wieso wollen sie ihn behalten? Kaufen sie sich einen neuen! Und lassen sie gefälligst Natasha aus dem Spiel! Oder denken sie etwa daran, sie auch noch zu ermorden?"
Er tat entsetzt.
„So etwas trauen sie mir zu?" Dann grinste er wieder. „Aber nein, an so etwas denke ich gerade nicht. Wollen sie wissen, woran ich gerade denke?"
Langsam gingen mir seine Spielchen auf die Nerven. Aber trotzdem hatte er irgendetwas an sich, was ihn ziemlich attraktiv erscheinen ließ. Verdammt, was denkst du da? Rief ich mich selbst zur Vernunft, musste dann trotzdem zugeben, dass seine überhebliche, selbstbewusste Art einen gewissen Reiz ausübte.
„Als wenn sie mir sagen würden, woran sie gerade denken…" Gab ich zurück und er tat so, als würden wir uns über ganz banale Dinge unterhalten.
„Aber natürlich sage ich es ihnen: Ich denke gerade an sie, an mich und ein Abendessen in einem netten, kleinen, italienischen Restaurant…"
„Das ist ja wohl nicht ihr Ernst!" Entfuhr es mir, aber mein Ausbruch irritierte ihn nicht im Geringsten.
„Wieso nicht? Ich lade sie ein. Ehrlich gesagt, wollte ich schon immer mal mit einem Auror ausgehen. Das würde sicher sehr interessant werden… und sie können ja wohl nicht leugnen, dass der Reiz des Verbotenen nicht auch auf sie eine gewisse Anziehungskraft ausübt, oder?"
Ich war entrüstet, aber wohl mehr darüber, dass er irgendwo Recht hatte. Tief in meinem Inneren gab es eine Stimme, die ihm insgeheim zustimmte… allerdings brachte ich sie schnell wieder durch Vernunft zum Schweigen.
„Träumen sie weiter!" Wies ich ihn ab. „Das hier führt sowieso zu nichts. Sie wollen mir meinen Zauberstab nicht zurückgeben… bitte schön. Dann lassen sie es. Ich werde schon einen anderen Weg finden…"
„Da haben sie Recht", meinte er ehrlich, „aber ich will sie zum Essen einladen… reicht das nicht?"
Mann, dachte ich, am liebsten würde ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht küssen… äh, schlagen. Ich meine natürlich schlagen. Michelle, was geht nur in deinem Kopf vor…Ich musste mich zusammenreißen und sah mich nach Natasha um.
Jetzt erst wurde mir klar, dass sie die ganze Zeit mit Malfoy etwas Abseits gestanden hatte.
Ich wusste zwar nicht, worüber sie sich unterhalten hatten, aber ich ging zu ihnen und zog Natasha mit mir.
„Wir gehen", meinte ich nur und sah dann noch mal zu den Malfoys.
„Und so lange sie mir nicht meinen Zauberstab aushändigen, werde ich ihren behalten."
Lucius wollte etwas erwidern, ließ es aber.
„Ich denke, das ist nur fair", stichelte ich noch hinterher und lief mit Natasha Richtung Ausgang.
„Wirklich unglaublich!" Schimpfte ich vor mich hin.
„Was ist unglaublich?"
„Der Kerl hat mich doch tatsächlich zum Abendessen eingeladen! Der spinnt doch! Oder er hat mich nur verarscht…"
Natasha musste grinsen.
„Das glaub ich nicht. Gehst du?"
Entsetzt sah ich sie an.
„Natürlich nicht! Was denkst du denn?"
„Och, ich dachte nur so…" Murmelte sie leise und ich nahm sie mit zu mir.
„Komm mit. Bis zu meiner Wohnung ist es nicht weit."
Natasha wirkte irgendwie etwas verstört und ich hatte den leisen verdacht, daß Mad-Eyes merkwürdiges Auge ihr wohl den Rest gegeben hatte. Hinzu kam noch die die Begegnung mit den Malfoys.
„Sag mal, der Typ im Ministerium…Wer war denn das?" fragte sie nach einer Weile. „Und sein Auge… er konnte es in alle Richtungen drehen…und es hat so bläulich geleuchtet…"
Ich musste grinsen.
„Sei froh, dass er es nicht rausgenommen hat."
„Rausgenommen? Er kann sein Auge rausnehmen. Wie pervers ist das denn?"
„Er macht es um es zu säubern. Glaub mir, so ein magisches Auge ist verdammt praktisch. Er kann damit überall durchsehen. Sogar durch Wände und so…"
„Unglaublich", murmelte sie nur.
„Er ist mein Vorgesetzter."
„Aha." Natasha wirkte ziemlich überrumpelt.
„Das da gerade war die Abteilung für Muggelschutz und Verbotene schwarze Magie. Bei dieser Abteilung arbeite ich als Auror, das heißt, ich bin dafür zuständig Muggel, also nicht-magische Menschen und auch andere Zauberer vor verbotener schwarzer Magie zu schützen... sei es indem wir Hausdurchsuchungen bei Zauberern durchführten, die in Verdacht stehen schwarze Magie, Zauber, Flüche etc. anzuwenden oder auch indem wir solche Zauberer direkt ihrer Taten überführen und ins Zauberergefängnis von Askaban bringen.
Lucius Malfoy ist eigentlich ein solcher Zauberer. Man verdächtigt ihn schon lange zu den Todessern zugehören, also den Anhängern von Lord Voldemort, dem wohl gefürchtetsten Magier unserer Zeit, aber bislang hatte man Malfoy nie etwas nachweisen können. Aber das hab ich dir ja alles schon erzählt. Ach ja, nur um es mal zu erwähnen: Voldemorts Namen spricht eigentlich keiner aus, weil alle Angst vor ihm haben. Man sagt also sonst immer: Du weißt schon wer."
„Ist das nicht merkwürdig? Und wieso sprichst du seinen Namen aus? Und ist er der Anführer der dunklen Seite?"
Ich nickte.
„Zu Lord Voldemort kann man nur eines sagen: Sein Ziel ist es alle Muggel und halbblütigen Zauberer zu vernichten und so die Herrschaft der reinblütigen Zaubererfamilien zu etablieren. Um seine Ziele zu erreichen, schreckt er vor nichts zurück... und: Er ist zu allem Übel mein Onkel… deswegen habe ich keine Angst vor ihm." Ich seufzte.
„Und was ist mit dem Krieg?"
Natasha hatte wirklich immer neue Fragen parat. Aber jetzt war es eh egal. Sollte sie ruhig alles erfahren.
„Die dunkle Seite wird zur Zeit immer mächtiger und einige Leute im Ministerium vertrauen mir. Meinen Vorgesetzten Mad-Eye Moody hast du ja gerade schon kennengelernt. Er hat mich ohne zu zögern in seine Abteilung aufgenommen. Er kennt mich und weiß, dass ich nicht so bin wie die meisten in meiner Familie."
„Mad-Eye? Na, das nenne ich mal einen Namen, der die Faust aufs Auge trifft!"
Ich warf ihr einen warnenden Blick zu.
„Wenn Mad-Eye in der Nähe ist, solltest du keine Augen Witze machen. Er reagiert verständlicherweise etwas allergisch darauf…"
Sie nickte grinsend und ich schmunzelte ebenfalls.
„Und Malfoy?"
„Was ist mit ihm?"
„Wieso konntet ihr ihm nichts nachweisen?"
„Nun, die Malfoys sind eine reiche und einflussreiche Familie. Lucius pflegt gute Kontakte im Zaubereiministerium…"
„Also sind auch Zauberer korrupt?"
„Du sagst es. Übrigens sind wir da. Home sweet Home!"
Natasha staunte nicht schlecht, als wir meine Wohnung betraten. Immerhin war meine Familie auch sehr reich…
Lucius und Jason
Jason sah seinen Bruder grinsend an, der aber nicht sehr amüsiert schien.
„Und? Was ist mit meinem Zauberstab?" fragte Lucius seinen Bruder.
„Nichts. Hast du doch gehört. Sie behält ihn."
„Das ist ja ganz toll. War das etwa deine Taktik, mehr über Michelle in Erfahrung zu bringen?"
Jason sah seinen Bruder tadelnd an.
„Natürlich nicht. Ich habe sie zum Essen eingeladen…"
„Du hast was?" fragte Lucius ungläubig und Jason nickte.
„Aber sie hat natürlich nicht zugesagt. Erst mal nicht…"
Lucius sah seinen Bruder verzweifelt an.
„Du sollst nicht mit ihr ausgehen, sondern sie aushorchen. Was machen wir denn jetzt?"
Jason legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter.
„Also ich weiß zwar nicht was du machst, aber ich werde Michelle erst mal Blumen schicken. Frauen stehen auf so was… und dann wird sie schon mit mir ausgehen."
Lucius schüttelte seinen Kopf.
„Blödsinn. Das wird nie funktionieren, glaub mir. Außerdem haben die Frauen sich in der Zeit, wo du weg warst, ganz schön verändert…"
„Das glaube ich kaum. Jedenfalls habe ich einen Plan. Und du? Wenn Michelle auf Natasha aufpasst, wirst du nie an sie rankommen…"
Plötzlich grinste Lucius.
„Na dann muß ich mich wohl darauf verlassen, dass dein Plan funktioniert und du Michelle mit deinem Charme von ihr ablenkst…"
Michelle
„Wir sollten noch mal zu Gringotts gehen. Wenn wir etwas essen wollen, brauche ich noch Geld. Komm ich lad dich ein", riß ich Natasha aus ihren Gedanken, als sie verloren auf meiner Couch saß.
„Gringotts?" Natasha sah mich verwirrt an.
„Gringotts ist die Zaubererbank."
„Ihr habt auch ne eigene Bank?"
„Na klar… und natürlich auch eigenes Geld."
„Oh je", seufzte sie nun, „ich will dir aber nicht die ganze Zeit auf der Tasche liegen…Ich hab schließlich kein magisches Geld…"
„Unser Geld ist nicht magisch…ist aber trotzdem kein Problem", erklärte ich. „Dort gibt es auch einen normalen Bankomaten… für nicht-magische Leute. Dort kannst du Geld abheben und es bei den Kobolden umtauschen."
„Kobolde?"
„Klar. Die führen und bewachen die Bank. Mit denen legt sich keiner an. Gringotts ist wohl der sicherste Ort der Welt für alles, was man aufbewahren will… mit Ausnahme von Hogwarts vielleicht… du erinnerst dich? Die Zaubererschule…"
„Ja, ich erinnere mich… aber Kobolde? Jetzt erzähl mir auch noch, dass es so etwas wie Geister und Drachen gibt…" Natasha lachte, aber ich sah sie todernst an.
„Natürlich gibt es Geister und Drachen."
Ihr blieb das Lachen im Hals stecken.
„Jetzt willst du mich aber auf den Arm nehmen… oder etwa doch nicht?"
Ich warf ihr nur einen vielsagenden Blick zu.
„Manno mann", murmelte sie daraufhin nur und sagte erst mal nichts mehr.
Natasha
Als wir in der großen Schalterhalle von Gringotts standen, vergaß ich erst mal die Malfoys und alles was bislang geschehen war.
„Wow", entfuhr es mir. „Das ist ja..."
„Unglaublich?" grinste Michelle und ich nickte nur.
„Dort drüben steht der Bankomat. Also, wenn du Geld abheben willst..."
„Sicher, aber, hm, ich glaube ich habe meine Karte gar nicht dabei."
„Och, das ist doch kein Problem. Wo ist sie denn?"
„In meinem Portmonaie und das liegt noch bei dir. Hatte es ganz vergessen, als ich mich umgezogen habe."
Michelle murmelte etwas und nach einer raschen Hahnbewegung drückte sie mir mein Portmonaie in die Hand.
„Oh, danke." So ganz konnte ich immer noch nicht glauben, was um mich herum geschah, hatte ich doch tatsächlich vergessen, dass Michelle Zauberin war.
Ich fischte meine Karte heraus und machte mich auf dem Weg zum Automaten. Ich wusste zwar nicht, wie viel Geld ich brauchen würde, also hob ich erst mal 100 Pfund ab. Das würde fürs erste reichen.
Ich verstaute Karte und Geldbeutel in der Hosentasche der Jeans, die Michelle mir geliehen hatte und sah mich etwas verloren um.
Michelle stand an einem Schalter und winkte mich zu sich. Hinter dem Schalter saß ein kleines, verhutzeltes Männchen und sah uns beide ungeduldig an.
„Ist das ein Kobold?" fragte ich leise.
„Was dachtest du denn, das ich bin?" fuhr mich der Kleine an, was Michelle nur mit einem Grinsen quittierte.
Verlegen sah ich ihn an und hielt ihm mein Geld unter die krumme Nase.
„Äh, das will ich umtauschen."
Der Kleine grapschte danach und verschwand. Als ich schon dachte, ich würde mein Geld nie wieder sehen, tauchte er wieder auf und drückte mir einen Beutel in die Hand.
„Schnell, schnell, der nächste", quäkte er und sah uns strafend an.
Wir verließen die Bank und draußen inspizierte ich neugierig den Beutel.
„Wie ist eigentlich der Kurs?" erkundigte ich mich bei Michelle.
„Keine Ahnung. Die Kobolde ändern ihn ständig."
„Ich wette, für mich hat er einen besonders hohen angesetzt", meinte ich mit einem schiefen Grinsen. „Aber jetzt hab ich einen Mordshunger."
„Dann habe ich genau das richtige für dich", erwiderte Michelle mit einem geheimnisvollen Lächeln. Sie holte Malfoys Stab heraus und apparierte.
„Ich glaube, daran werde ich mich nie gewöhnen", stöhnte ich, als wir beide wieder in der Wirklichkeit auftauchten. „Wo sind wir überhaupt?"
„Willkommen in Hogsmeade."
„Hogswas?"
„Im Honigtopf bekommst du das beste Butterbier und auch das beste Essen."
„Aha." Wieder mal kam ich mir ziemlich dämlich vor, weil ich kein Wort verstand.
„Laß dich einfach überraschen."
Michelle zog mich mit sich in ein gemütliches Gasthaus und bestellte für uns Essen und Butterbier.
„Gehst du jetzt oder nicht?" nahm ich den Faden wieder auf, als wir satt und zufrieden bei unserem dritten Bier saßen.
„Wohin?"
„Na, Jason Daten", grinste ich.
„Bist du verrückt? Natürlich nicht."
„Warum eigentlich nicht? Immerhin hat er dich eingeladen. Und so wie du ihn vorhin angestarrt hast, glaub ich dir nicht, dass du nicht mit ihm ausgehen willst."
„Was heißt hier angestarrt? Ich hätte ihm sein dämliches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht gekü... äh... geschlagen."
„Schon klar."
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und sah sie amüsiert an.
„Gib doch zu, dass du ihn auf die eine oder andere Art attraktiv findest. Vor mir kannst du das sowieso nicht verbergen, so was merkt man als Frau."
„Ich glaube du hast vergessen, über wen wir gerade sprechen", versuchte Michelle sich aus der Affäre zu ziehen.
„Ganz und gar nicht."
„Na gut, na gut. Irgendwie hast du ja recht. Ich weiß selbst nicht, warum er auf mich so anziehend wirkt."
„Vielleicht, weil das Böse immer anziehend ist?" sinnierte ich. „Das ist in den meisten Filmen doch genauso. Die bösen sehen immer am besten aus und kommen irgendwie immer am coolsten rüber. Nehmen wir einfach mal ‚Buffy'. Da war der Spike auch der coolste. Oder ‚Charmed', da fand ich den Cole einfach nur geil."
„Trotzdem sollte ich nicht hin gehen", sträubte sich Michelle weiter. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er es ernst meint. Er hat doch sicher irgendeinen Hintergedanken dabei, schließlich ist er ein Malfoy."
„Aber wenn du nicht gehst, findest du es nicht heraus. Und sieh es mal so, er hat dich eingeladen, also würde ich an deiner Stelle das teuerste Restaurant in London auswählen. Denn falls er es nicht ernst meint, soll er wenigsten kräftig in die Tasche langen. Und zweitens kannst du so vielleicht etwas mehr über ihn herausfinden. Und wer weiß, vielleicht kommst du ja auch auf deine Kosten." Ich grinste sie breit an.
„Pfui, wie kannst du so was denken", tat sie empört.
„Ich denke halt nur praktisch."
„Na schön, überredet", seufzte sie. „Aber der gute Herr soll von sich aus kommen."
„Das wird er schon, schien ja ganz heiß drauf zu sein."
Wir bezahlten unsere Rechnung und Michelle apparierte uns zurück in ihre Wohnung.
Wir hatten es uns gerade auf der Couch gemütlich gemacht, als es an der Tür klopfte.
Michelle öffnete und kam kurz darauf mit einem riesigen Strauss Blumen zurück.
„Meine Güte, da hat er sich aber in Unkosten gestürzt", lachte ich.
Michelle drückte mir die Blumen in den Arm und zog eine Karte aus dem Strauß.
„Heute Abend um acht. J.", las sie vor.
„Ein Mann, der weiß, was er will."
„Zumindest hat er keine Zeit verloren." Michelle starrte immer noch ungläubig auf die Karte. „Ich kann da nicht hingehen."
„Du machst doch wohl jetzt keinen Rückzieher? Wahrscheinlich wird dir nichts anderes übrig bleiben als mit ihm auszugehen. Dem traue ich es glatt zu, dass er solange vor deiner Tür steht, bis du dich doch noch erbarmst."
„Und was ist mit dir? Kann ich dich alleine lassen?"
„Ich bin doch keine drei mehr", protestierte ich. „Ich werde schon nicht weglaufen."
„Na schön." Michelle runzelte die Stirn. „Dann kommt jetzt die Preisfrage. Was ziehe ich heute Abend an?"
Um Punkt acht klopfte es an der Tür.
„Will gar nicht wissen, wie er rausgefunden hat, wo ich wohne." Michelle wirkte etwas nervös.
„Kannst ihn ja fragen. Und jetzt los und viel Spaß."
Als die Tür hinter Michelle ins Schloss fiel, streckte ich mich seufzend auf der Couch aus. Endlich mal wieder alleine. Ich schloss die Augen und genoss die Ruhe. Keine Zauberer, keine Kobolde, nur ich.
Nach einer Weile quälte ich mich hoch und machte den Fernseher an. Gottlob besaß Michelle einen, sonst hätte ich mich wahrscheinlich bald gelangweilt.
Ich zappte durch die Kanäle und blieb schließlich bei einem Actionfilm hängen. Kurz überlegte ich, ob ich den Kamin anmachen sollte, doch schnell verwarf ich diese Idee. Zu Hause hatten wir nur einen elektrischen und wahrscheinlich würde ich ihn gar nicht anbekommen.
Stattdessen durchwühlte ich Michelles Küche und fand schließlich was zum Knabbern und eine Flasche Xuxu.
„Michelle, du bist die beste", rief ich und hielt die Flasche wie ein Heiligtum vor mich. „Der Abend ist gerettet."
Ich ging zurück ins Wohnzimmer. Sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich Flasche öffnete.
Ich machte es mir wieder auf der Couch gemütlich, die Fernbedienung in der einen, die Flasche in der anderen Hand.
Der Film hatte mich so in seinen Bann gezogen, dass ich zunächst gar nicht mitbekam, wie es im Kamin hinter mir raschelte.
Erst als ich ein Husten und Fluchen vernahm, wandte ich mich dem Kamin zu und staunte nicht schlecht, als ein völlig verrußter Malfoy vor mir stand.
„Ihre Freundin könnte ihren Kamin auch mal wieder sauber machen", schimpfte er und klopfte sich den Staub von den Kleidern.
„Was kommst du auch durch den Kamin?" Mittlerweile überraschte mich gar nichts mehr.
„Geht schneller", gab er zurück.
„Auch gut. Würdest du mich jetzt in Ruhe den Film zu Ende gucken lassen?"
„Willst du gar nicht wissen, warum ich hier bin?" er klang etwas enttäuscht.
„Nein, ich will erst wissen, wer der Mörder ist, dann kannst du mir meinetwegen erzählen, warum du hier bist."
Damit ignorierte ich ihn für den Rest des Films. Geschieht ihm recht, was ruiniert er auch meinen Abend.
Malfoy war völlig baff. Mit so einer Begrüßung hatte er nicht gerechnet. Er versuchte mehrmals Natasha anzusprechen, doch als sie ihn strikt ignorierte, fügte er sich seufzend in sein Schicksal und sah ebenfalls auf den Bildschirm.
Als der Film zu Ende war, schaltete ich den Fernseher aus.
„Na schön. Warum bist du hier und wie zum Teufel bist du in den Kamin gekommen?"
„Flohpulver."
„Was?"
„Flohpulver", er seufzte. „Laß es dir von Michelle erklären. Ich habe dazu nicht den Nerv."
„Wenn du wegen deinem Stab hier bist, vergiss es. Michelle hat ihn mitgenommen", überging ich seine letzte Bemerkung.
„Ich dachte eigentlich, dass du vielleicht noch mal mit ihr reden könntest."
„Vergiss es. Ich habe dir vorhin im Ministerium schon gesagt, dass ich das nicht machen werde."
„Warum bist du so stur?"
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich jemandem helfe, der mich von vorne bis hinten belügt."
„Es war notwendig."
„Ach ja? Genauso notwendig, wie Muggel töten? Bitte, tu dir keinen Zwang an."
„Ich bin nicht mein Bruder", gab Malfoy wütend zurück. „Ich habe dafür meine Leute."
„Na gut, dann rufe einen deiner Schergen herbei. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich bin dir vollkommen ausgeliefert. Und das Beste, ich kann mich nicht mal wehren. Also, worauf wartest du?"
Malfoy antwortete nicht, sondern sah mich nur aus seinen leuchtend blauen Augen an. Und jetzt verstand ich auf einmal, was Michelle damit meinte, als sie sagte, sie würde Jason auf irgendeine weise attraktiv finden.
Mit Malfoy ging es mir jetzt genauso. Sein Blick war so intensiv, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte. Und er machte es mir unmöglich, den Blick von ihm abzuwenden.
Dann tat er etwas, was ihn wahrscheinlich noch mehr überraschte als mich. Er küsste mich. Im ersten Moment war ich zu perplex, um irgendwie zu reagieren, doch dann erwiderte ich den Kuss und fragte mich im gleichen Augenblick, was in mich gefahren war.
Der Typ war eiskalt in meine Gedanken eingedrungen, hatte mir fürchterlich Schmerzen bereitet und mich zudem noch von vorne bis hinten belogen. Und jetzt ließ ich mich auch noch von ihm küssen. Damit hatte sich wahrscheinlich das letzte bisschen Verstand, das ich noch hatte, verabschiedet.
Plötzlich stieß Malfoy mich geradezu von sich, sah mich erschrocken an, sprang auf und war schon im Kamin verschwunden.
Verwirrt sah ich ihm hinterher. Was war denn jetzt schon wieder in ihn gefahren?
Lucius
In seiner Wohnung ließ sich Malfoy auf die Couch sinken. Sein Bruder war noch nicht wieder zurück, worüber er ganz froh war.
Was war da nur gerade in ihn gefahren? Und dann auch noch ein Muggel!
„Ich muss kurzfristig den Verstand verloren haben", murmelte er.
Am besten wäre, er würde Jason erst mal nichts davon erzählen.
Tasha hatte recht gehabt, er hätte sie wirklich umbringen sollen, dann hätte sie ihn nicht in eine so vertrackte Situation bringen können.
Natasha
Da ich nichts Besseres zu tun hatte und keine Lust hatte über Malfoy nachzudenken, leerte ich die Flasche.
Danach fühlte ich mich zwar nicht besser, aber alles war auf einmal viel lustiger. Und als ich dann doch über das Vorgefallene nachdachte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Ich schloss die Augen und ließ den Kuss Revue passieren. Mein besoffenes Hirn kam schließlich zu der Einsicht, dass er mir sogar gefallen hatte und dass ich nichts gegen eine Wiederholung haben würde.
Ich beschloss, auf Michelle zu warten und in dem Zustand, in dem ich mich gerade befand, war es nicht auszuschließen, dass ich ihr alles haarklein berichten würde.
