Michelle
Ich wurde langsam nervös. Natasha war schon ziemlich lange verschwunden.
Ich hätte sie nicht alleine gehen lasen sollen, machte ich mir Vorwürfe, denn ich hatte doch gemerkt, dass Natasha ziemlich durcheinander gewesen war, als sie das Zimmer verlassen hatte.
Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen. Für einen Muggel war Hogwarts nicht ganz ungefährlich.
Vielleicht sollte ich sie besser suchen.
Hektisch lief ich durch die Räume unseres Hauses, aber ich fand Natasha nirgendwo. Ein Ortungszauber brachte mich auch nicht weiter, da die Zauber hier in Hogwarts anders oder auch gar nicht funktionierten. Seufzend blieb ich stehen und sah mich um. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als die komplette Schule abzusuchen. Vielleicht konnte ich mir ja auch noch Hilfe organisieren.
„Suchst du etwas Bestimmtes?" hörte ich plötzlich eine wohlbekannte Stimme hinter mir und ich drehte mich um. Jason stand da und grinste mich an. Wahrscheinlich sah ich doch etwas verzweifelt aus.
„Eigentlich nicht, aber hast du Natasha gesehen?" Erkundigte ich mich beiläufig.
Er sah mich schief an.
„Zum Glück nicht… zu ihrem Glück wohlgemerkt… Hast du etwa deinen Muggel verloren?"
Ich warf ihm einen strengen Blick zu.
„Ich hab sie nicht verloren… ich weiß im Moment nur nicht, wo sie ist…"
Er lachte triumphierend.
„Das ist doch wohl dasselbe, oder?"
„Nein, ist es nicht", korrigierte ich ihn, „einen Gegenstand kann man verlieren, aber eine Person findet man einfach nur nicht."
„Es ist dasselbe", stellte er überzeugt fest und sah mich erwartungsvoll an.
Ich war aber nicht in der Stimmung mit ihm zu diskutieren und wollte meine Suche schon wieder aufnehmen, als Natasha in den Aufenthaltsraum kam.
„Alles in Ordnung?" fragte ich sie besorgt und wir gingen zurück zu unserem Zimmer.
„Ja, es geht schon", meinte sie nur und ließ sich lustlos aufs Bett fallen.
„Es ist nur alles ein bisschen zu viel", seufzte sie dann und ich konnte fast der Versuchung nicht widerstehen ihre Gedanken zu lesen.
„Du fühlst dich hier unwohl, nicht wahr? Du wünscht dir deine einfache Welt zurück, in der du dich leicht zu Recht findest und weißt, was los ist… oder zumindest glaubst du das zu wissen."
Argwöhnisch sah sie mich an.
„Hast du meine Gedanken gelesen?"
Schmunzelnd setzte ich mich zu ihr.
„Nein. Ich wollte erst, aber das ist so eindeutig… Du fühlst dich einfach überfordert und das verstehe ich gut. Vielleicht hilft es dir, wenn du das Ganze als Chance siehst. Du erfährst hier Dinge und lernst Geschöpfe kennen, die ein Muggel normalerweise nie zu Gesicht bekommen würde…"
„Aber für mich ist das alles zu abwegig. Alles was für euch ganz normal ist, ist für mich unvorstellbar…"
„Tja", seufzte ich, „das kannst du nur ändern, indem du deine Einstellung änderst. Nichts ist unvorstellbar und nichts ist unmöglich in dieser Welt. Ergreife die Möglichkeit dich damit auseinander zu setzen und du wirst auch für dich etwas aus dieser Erfahrung mitnehmen… für dein Muggelleben."
Ich sah, wie Natasha grübelte und stieß sie an.
„So. Jetzt aber erst mal genug von diesem Psychokram. Es gibt Abendessen und in Hogwarts ist das immer etwas ganz besonderes… Warts ab."
Als wir in den großen Saal kamen, riß Natasha vor Staunen den Mund auf und starrte fasziniert an die Decke.
„Wow", entfuhr es ihr, „was ist das denn?"
„Nun", erklärte ich, „die Decke ist verzaubert. Sie zeigt immer den Himmel, wie er draußen wirklich aussieht. Also wie man sieht steht der Halbmond am Himmel und es ist leicht bewölkt."
Ich dirigierte sie nach links an den Slytherintisch.
„Komm. Wir müssen hierüber. An diesem Tisch sitzen alle aus Slytherin…"
Natasha wirkte nicht sehr begeistert.
„Müssen wir unbedingt hier sitzen", zischte sie mir zu, als wir Platz genommen hatten.
Ich nickte nur.
„Können wir nicht bei den netten Weasleys sitzen?"
„Nein", gab ich zurück. „Ich gehöre nun mal hierher und die Gryffindors würden das auch nicht so toll finden."
Natasha ließ nicht locker.
„Aber dann könnte ich mich vielleicht zu denen setzen…"
„Das geht jetzt nicht mehr. Du gehörst jetzt zu uns…"
„Ich will aber nicht zur dunklen Seite gehören", protestierte sie und ich grinste nur.
„Ach komm… so schlimm ist es auch nicht… und hast du nicht gesagt, dass die Bösen sowieso immer die coolsten sind?"
Das Essen verlief zum Glück friedlich, obwohl Jason und Lucius uns ständig merkwürdige Blicke zuwarfen. Wir ignorierten sie einfach.
Als wir endlich ins Bett gehen wollten, sah ich jemand, den ich näher kannte und ließ Natasha noch mal alleine.
„Entschuldige mich kurz", meinte ich. „Das ist jemand, den ich kenne."
„Du kennst doch hier sowieso so gut wie jeden…", nörgelte sie, aber ich war schon weg und lief auf einen attraktiven Mitdreißiger aus Ravenclaw zu.
„Hallo Jack!" Grüßte ich ihn und er sah mich erfreut an. Sofort schloß er mich in die Arme und gab mir einen flüchtigen Kuß.
„Schön dich zu sehen, Michelle", gab er zurück und dann unterhielten wir uns kurz.
Als ich zurück zu Natasha kam, sah sie mich mit großen Augen an.
„Wer war
denn das?" fragte sie neugierig und in ihren Augen erkannte ich ein
schelmisches
Aufblitzen.
„Ach, das war nur Jack."
„Jack?"
Ich nickte.
„Hattest du was mit ihm?"
Da sie nicht nachgab, erzählte ich ihr davon.
„Nicht wirklich. Wir sind ein paar Mal ausgegangen."
„Und? Ist noch mehr passiert?"
„Das geht dich nichts an", grinste ich und sie nickte.
„Also doch."
Aber ich winkte ab.
„Spielt sowieso keine Rolle mehr. Er ist mittlerweile glücklich verheiratet und hat eine Tochter hier."
Wir liefen zu den Kerkern und ich gab noch Preis, was wir am nächsten Tag machen würden.
„Morgen können wir uns ein Quidditch-Spiel ansehen. Ravenclaw spielt gegen Slytherin. Wird sicher interessant."
„Ich dachte, du findest Besen fliegen blöd…"
„Tu ich auch, aber es ist trotzdem manchmal ganz spannend. Übrigens hab ich gehört, dass Lucius Sohn Draco der Sucher und Kapitän unserer Mannschaft ist."
„Was ist denn bitte schön ein Sucher?"
„Das erkläre ich dir am besten Morgen beim Spiel."
„Und wie lange geht so etwas?"
„Na ja, ehrlich gesagt, weiß das vorher niemand. Das Spiel ist erst beendet, wenn jemand den Goldenen Schnatz fängt, also einen bestimmten magischen Ball. Es gab Spiele, die haben Monate gedauert…"
„Ist nicht dein ernst…"
„Doch! Und es wird bei jedem Wetter gespielt… also drück die Daumen, dass es Morgen nicht stürmt und regnet."
Lucius und Jason
Jason und Lucius beobachteten heimlich Natasha und Michelle.
Jason sah so aus, als musste sich zurückhalten um nicht über den ganzen Tisch zu schreien, dass Natasha nur ein Muggel war. Verstohlen sah er immer wieder zu den beiden und Lucius war damit beschäftigt Draco eine glaubwürdige Geschichte aufzutischen, woher er Natasha kannte.
Als sie zusammen zurück zum Gemeinschaftsraum gingen, seufzte Lucius frustriert.
„Warum muß der Junge auch so verdammt neugierig sein? Vor dem kann man nichts geheim gehalten…"
„Sei doch froh… dann kommt er wenigstens nicht nach dir… sondern eher nach seinem Onkel…", grinste Jason bis er Michelle sah, wie sie einen Ravenclaw mit einem flüchtigen Kuß begrüßte.
Lucius merkte, dass sein Bruder ihm gar nicht mehr zuhörte und sah fasziniert Jason an und dann in die Richtung, in die dieser blickte.
„Was ist los?" fragte Lucius nun ebenfalls grinsend und Jasons Grinsen erstarb.
„Was macht sie da? Und was macht dieser dämliche Ravenclaw da?"
„Bist du etwa eifersüchtig?" Lucius amüsierte sich köstlich über seinen Bruder, der ihn nur verächtlich ansah.
„Blödsinn! Wo denkst du hin? Michelle ist mir völlig egal… außer natürlich was unsere Pläne betrifft. Komm, laß uns hier verschwinden…"
Die beiden gingen weiter, aber Jason drehte sich noch mal um und merkte sich das Gesicht des Ravenclaw. Vielleicht würde er dem Guten ja doch noch mal einen kleinen Fluch anhängen…
Natasha
Quidditch. Konnte ich mit dem Begriff vorher gar nichts anfangen, so war ich jetzt um einiges schlauer.
Wir saßen auf der Slytherin-Tribüne und warteten darauf, dass das Spiel begann. Zu meiner rechten saß Michelle und zu meiner linken zu allem Überfluss Lucius.
Auch er schien nicht recht begeistert davon zu sein, dass er direkt neben mir sitzen musste, aber Jason hatte ihm die Entscheidung abgenommen und sich einfach neben Michelle gesetzt. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den letzten Platz neben mir zu nehmen.
Die Tribüne war gerammelt voll und wir hatten noch recht gute Plätze bekommen. Gut in dem Sinne, dass wir das Spielfeld gut im Blick hatten. Alles andere war für jemanden, der unter Höhenangst litt nicht besonders gut. Z.B. für so jemanden wie mich.
Die Tribüne erhob sich gut zehn Meter über den Erdboden. Was in Angesicht der Tatsache, dass das Spiel auf Besen stattfand recht logisch war.
Schon beim Hinaufsteigen hatte ich weiche Knie bekommen und mich gezwungen nicht hinunter zu sehen.
Jetzt ging es einigermaßen. Dennoch war der Gedanke, so hoch oben zu sitzen, nicht besonders berauschend.
„Wie funktioniert das jetzt eigentlich", fragte ich Lucius, um mich abzulenken.
„Hat Michelle dir das nicht schon erklärt?" gab er genervt zurück.
„Nein, hat sie nicht."
„Na schön. Es gibt drei Arten von Bällen. Den Quaffel, das ist der Spielball, die Klatscher und den goldenen Schnatz. Jede Mannschaft muss versuchen den Quaffel durch das gegnerische Tor zu werfen. Die Klatscher sind dafür da, dies zu verhindern. Schlägst du ihn auf einen Spieler kann das schmerzhafte Folgen haben. Der goldene Schnatz ist ein kleiner Ball. Er fliegt umher und will nicht gefangen werden. Der Sucher, der ihn als erstes fängt beendet das Spiel und seine Mannschaft bekommt dafür noch Extra-Punkte. Soweit die vereinfachte Darstellung. Alles andere kann ich dir während des Spiels erklären, wenn du möchtest?"
„Gern. Für Sport hab ich mich schon immer interessiert."
„Entschuldigen Sie?" Ein Zauberer trat neben Lucius.
„Ja?"
„Ist hier noch frei?"
„Ja." Er rückte ein Stück weiter zu mir, um dem Zauberer Platz zu machen.
„Und dein Sohn ist Sucher?"
„Ja."
„Und was genau muss er machen?"
„Den Schnatz fangen, hab ich doch gerade gesagt."
Lucius sah, dass ich mich mit dieser Antwort nicht zufrieden gab. „Er fliegt quasi über dem Spielfeld und sucht. Dabei muss er aufpassen nicht von einem Klatscher getroffen zu werden. Hat er ihn gefunden fliegt er ihm hinterher, bis er ihn hat. Das kann unter anderem zu halsbrecherischen Manövern führen."
„Aha."
Ich spürte wie sich unsere Schultern berührten und mich durchfuhr ein leichtes Kribbeln. Plötzlich drängte sich mir der Wunsch auf ihn noch einmal zu küssen. Verstohlen sah ich ihn an und betrachtete sein gut geschnittenes Gesicht, das durch seine blauen Augen eine besondere Ausstrahlung bekam.
In diesem Moment sah er so friedlich aus, dass ich fast vergessen hätte, wie hart er zu mir gewesen war.
Schnell schaute ich wieder nach vorne. Das Gefühl, als er in meinen Geist eingedrungen war, hatte ich nicht vergessen.
Aber andererseits konnte ich das Gefühl, ihn zu küssen, auch nicht vergessen. Leise seufzte ich auf. Konnte es tatsächlich sein, dass ich mich doch in ihn verliebt hatte? Nein, wahrscheinlich war es nur irgendeine Phase, die schnell wieder vergehen würde. Und was wenn sie nicht vergeht? Meldete sich ein leise Stimme in mir. Was, wenn du dich tatsächlich verliebt hast?
Lucius
Malfoy versuchte sich auf das Spiel zu konzentrieren, das mittlerweile begonnen hatte. Er beobachtete seinen Sohn, doch wirklich sehen tat er ihn nicht. Seine Gedanken kreisten um etwas anderes.
Seit dem Kuss war es das erste Mal, dass Natasha ihm wieder so nahe war. Er spürte die leichte Berührung ihrer Schulter an seiner und hätte beinahe aus einem Reflex heraus den Arm um sie gelegt und sie an sich gezogen.
Er lenkte seinen Blick auf sie und war froh, dass sie zu gebannt das Spiel verfolgte um es zu merken.
Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Pferdeschwanz und bei dem Anblick musste er lächeln.
Sein Lächeln erstarb jedoch sofort wieder, als er sich seiner Gedanken bewusst wurde. Schnell wendete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu. Sie ist ein Muggel, versuchte er sich einzureden. Du kannst unmöglich Gefühle für sie haben. Das geht einfach nicht, schließlich bist du ein Malfoy.
Doch im gleichen Moment, indem er versuchte sich das einzureden, wusste er, dass er sich selbst belog.
Natasha
„Tasha?" Lucius berührte mich leicht am Knie.
„Was?"
„Ich muss mit dir reden. Über du-weißt-schon-was."
„Muss das jetzt sein? Ich würde gerne das Spiel zu Ende sehen."
„Ja, es muss jetzt sein", sagte er eindringlich. „Aber unauffällig." Er warf einen bedeutsamen Blick zu Jason hinüber.
„Verstehe, ich mach das schon."
Ich wartete noch etwas, dann beugte ich mich zu Michelle.
„Michelle, ich muss hier runter. Mir ist gar nicht gut. Hab son komisches Gefühl im Magen. " In gewisser Weise stimmte das sogar, ich hatte ein komisches Gefühl im Magen, nur kam dies nicht von meiner Höhenangst.
„Deine Höhenangst?"
Ich nickte.
„Soll ich mitkommen?" Sie musterte mich besorgt.
„Nee, brauchste nicht. Schau dir ruhig das Spiel an."
„Wirklich?"
„Ja, wirklich. Runter werde ich es ja wohl noch ohne Hilfe schaffen, wenn nicht, dann schrei ich."
Um weiteren Fragen zu entgehen stand ich auf und versuchte schnell zur Treppe zu gelangen.
„Was hat sie vor?" wollte Lucius von Michelle wissen.
„Ihr ist nicht gut, sie hat Höhenangst", erklärte sie.
„Ha, wer's glaubt. Sie führt bestimmt was im Schilde. Muggeln ist nicht zu trauen", mischte sich Jason in die Unterhaltung ein, wofür Lucius ihm sehr dankbar war.
„Ich kann ja mal nachsehen und aufpassen, dass sie nichts anstellt", schlug er beiläufig vor.
„Und wenn du sie bei etwas erwischst, dann häng ihr einen guten Fluch an", grinste sein Bruder.
„Wie denn ohne Zauberstab?"
„Könnt ihr beide vielleicht mal aufhören? Sie hat wirklich Höhenangst", fuhr Michelle dazwischen. „Haltet am besten eure Klappe, ich will das Spiel sehen."
Lucius zuckte mit den Schultern und stand ebenfalls auf.
Er fand Natasha an der Treppe.
„Was hast du?"
„Ich kann da nicht runter, allein bei dem Gedanken zittern mir schon die Knie."
„Du hast wirklich Höhenangst", stellte fest.
„Ja", presste ich hervor. Ich sah wieder hinunter und vor meinen Augen begann sich alles zu drehen.
„Dann sieh nicht hinunter."
„Sehr witzig."
„Wenn ich meinen Zauberstab hätte, würde ich dir ja deine Angst wegzaubern, aber... warte, ich hab da ne Idee."
Er beugte sich zu dem nächsten Zauberer hinunter und flüsterte mit ihm. Der Zauberer nickte, stand auf, zog seinen Zauberstab und murmelte etwas.
Lucius nickte ihm zu und kam wieder zu mir.
„Schnell, der Zauber hält nicht lange."
Er lief voran und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Es überraschte mich, dass ich plötzlich unbeschwert hinuntersehen konnte, ohne gleich weiche Knie zu bekommen.
Als ich unten war atmete ich erst mal auf. Es war doch beruhigend zu wissen, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
„Was war das?" wandte ich mich dann an Lucius.
„Ein schwacher Vergessenszauber, er hat dich kurzzeitig deine Angst vergessen lassen."
„Oh."
Er zog mich zwischen die Stützbalken, auf denen die Tribüne ruhte.
„Du wolltest mit mir reden?" fragte ich leicht nervös, denn ich spürte, dass es jetzt ernst wurde.
„Ja, wegen neulich Abend. Tja... also... wie soll ich sagen... es kommt nicht wieder vor."
Für ein paar Sekunden starrte ich ihn entgeistert an.
„Aha", sagte ich gedehnt. „Und dafür schleppst du mich hierher?"
„Genau", grinste er. „Und ich werde auch nicht wieder weglaufen."
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was er damit meinte.
„Sollte das eben so etwas wie ein Entschuldigung sein?" vergewisserte ich mich.
„Hm, wenn du willst. Ein Malfoy entschuldigt sich eigentlich nicht."
„Schon klar. Und was willst du mir eigentlich sagen?"
„Eigentlich gar nichts", gab er mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme zurück.
„Na toll, wolltest du mir nur das Spiel versauen? Entschuldigung dass ich mal Spaß habe", fuhr ich ihn genervt an.
Er sagte gar nichts, sondern grinste mich weiter an. Seine Augen fixierten mich wieder so intensiv, dass ich gar nicht anders konnte als ihren Blick zu erwidern.
Er trat näher an mich heran und mein ganzer Ärger verflog so schnell wie er gekommen war, als er mein Gesicht sanft in seine Hände nahm und mich küsste.
Lucius
Malfoy konnte im ersten Moment kaum glauben, dass er es wieder tat, doch gleichzeitig wusste er auch, dass er es ohnehin nicht länger ausgehalten hätte.
Irgendwann konnte man sich selbst einfach nicht mehr belügen und musste sich eingestehen, dass man tatsächlich so etwas wie verliebt zu sein schien.
Er drückte Natasha fester an sich und genoss ihre Berührungen. Ihre Finger fuhren durch sein Haar und kraulten seinen Nacken.
Ihr Kuss spülte den ganzen Ärger der letzten Tage davon und er spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel.
Natasha
„Tasha." Er schob mich leicht von sich. „Wir sollten das vorerst für uns behalten."
„Du meinst, wir sollten uns heimlich treffen?"
„Ja, du weißt schon, mein Bruder..."
„Er kann mich nicht besonders leiden, ich weiß", seufzte ich. „Na ja und Michelle wäre bestimmt auch nicht begeistert. Schließlich bist du ein Malfoy."
„Genau." Er zog mich wieder an sich. „Wir treffen uns heute Abend nach dem Essen. Warte auf mich in der Eingangshalle, dann werde ich uns ein schönes Plätzchen suchen, wo uns garantiert niemand stören wird", flüsterte er mir ins Ohr. „Jetzt muss ich aber wieder hoch, sonst wird Jason noch misstrauisch."
Er verschwand zwischen den Streben und ließ mich etwas verwirrt zurück.
Konnte ich ihm glauben? Meinte er es diesmal wirklich ernst oder trieb er wieder nur irgendein Spielchen? Ich hoffte, dass es nicht so war.
Draco
Derweil drehte Draco seine Runden und hielt Ausschau nach dem Schnatz. Als er dicht an der Slytherin-Tribüne vorbeiflog, wollte er seinem Vater zuwinken, doch dieser hatte seine Aufmerksamkeit woanders hingerichtet.
Für Dracos Geschmack saß er ein wenig zu dicht neben dieser Natasha. Er versuchte sich wieder auf das Spiel zu konzentrieren, doch bei seiner nächsten Runde suchten seine Augen wieder seinen Vater. Er konnte gerade noch sehen, wie dieser mit Natasha die Tribüne verließ.
In Draco keimte der Verdacht auf, dass sein Vater ihn, was Natasha betraf, belogen hatte. Er kannte sie ganz sicher nicht aus dem Ministerium.
Wuusch! Ein Klatscher sauste haarscharf an seinem Ohr vorbei. Vor Schreck wäre Draco fast vom Besen gefallen. Er schüttelte alle Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das Spiel.
Wenn sich die Gelegenheit ergab, würde er seinen Vater noch mal fragen. Und diesmal würde er die Wahrheit verlangen.
Natasha
Es bereitete mir große Mühe, meine Nervosität vor Michelle zu verstecken. Nach dem Spiel war sie zu mir ins Zimmer gekommen und hatte sich nach meinem Befinden erkundigt.
Wir waren dann zusammen zum Abendessen gegangen und ich musste mich zusammenreißen, um nicht ständig hinüber zu Lucius zu sehen.
„Ah, das war mal wieder richtig gut." Zufrieden schob Michelle ihren Teller von sich.
„Hm."
„Kommst du mit nach oben?"
„Ja gleich, geh schon mal vor. Ich wollte noch kurz an die frische Luft."
„Findest du den Weg auch alleine?"
„Sicher und wenn nicht frag ich mich durch."
„Na schön, aber bleib nicht so lange. Ich lass dich nur ungern hier alleine rumlaufen."
„Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf."
Ich wartete, bis Michelle verschwunden war, dann lief ich schnell in die große Eingangshalle. Leichte Zweifel hatte ich doch, ob Lucius überhaupt auftauchen würde. Doch wurde diese weggefegt, als ich ihn in der Halle stehen sah.
Er gab mir einen Wink, ihm zu folgen. Als der Lärm der Schüler hinter uns verstummte, nahm er meine Hand und wir schlichen durch die leeren Flure. Mir kam es so vor, als wären wir gerade dabei etwas Verbotenes zu tun und musste grinsen.
Er führte mich in ein Kellergewölbe, das eher nach Labor als nach Klassenzimmer aussah.
„Was ist das hier?"
„Snapes Klassenzimmer. Glaub mir, hierher verirrt sich kein Schüler. Sie gehen ja schon nicht gerne hierher, wenn sie Unterricht haben. Also werden sie sich hüten herzukommen, wenn sie es nicht müssen." Er grinste. „Und für den Fall, dass doch jemand kommen sollte hab ich das hier."
Er holte unter seinem Umhang einen weiteren hervor. „Das ist ein Tarnumhang", erklärte er. „Wenn man ihn sich überwirft, wird man unsichtbar." Er demonstrierte es mir, indem er sich den Umhang überwarf. Von einer Sekunde auf die andere war er verschwunden.
„Okay, ich glaub es dir. Kann ich dich jetzt wieder sehen?" Die ganze Sache war mir unheimlich.
Er tauchte vor mir aus dem Nichts wieder auf.
Er wollte mich wieder in seine Arme ziehen, doch ich entwand mich ihm.
„Warte. Bevor ich mich vollends auf dich einlasse, möchte ich vorher gerne noch etwas wissen. Kann ich dir vertrauen?"
„Natürlich kannst du das."
„Ich meine ja nur. Du hast mich immerhin entführt, hast von vorne bis hinten gelogen und das hier", ich tippte mir an die Stirn, „hab ich auch noch nicht vergessen. Außerdem ist deine Meinung über Muggel nicht gerade die beste."
„Das mag sein", gab er zu. „Aber ich habe meine Meinung über dich geändert."
Er nahm meine Hand. „Ich meine es wirklich ernst, wäre ich sonst hier? Außerdem wäre es unter meiner Würde dir etwas vorzuspielen."
Ja, da war wieder der Lucius wie ich ihn kannte. So sanft und gefühlvoll wäre er mir beinahe unheimlich geworden.
Und als er mich diesmal küssen wollte ließ ich es zu.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so dastanden und uns voll unseren Gefühlen hingaben.
Plötzlich fuhr Lucius zusammen.
„Verdammt", fluchte er und umklammerte mit seiner linken Hand sein rechtes Handgelenk.
„Was hast du?"
„Ich habe was vergessen." Er setzte sich auf den nächsten Stuhl.
„Und was?"
„Heute Nacht findet ein Todessertreffen statt. Ich wurde gerade schmerzhaft daran erinnert." Er schob seinen Ärmel zurück und auf der Innenseite seines Armes, gewahrte ich am Handgelenk ein Brandmahl.
„Was ist das?"
„Das Mal der Todesser. Wenn Du-weißt-schon-wer zu einer Versammlung ruft, schmerzt es." Er verzog das Gesicht.
Todesser? Das hörte sich aber ziemlich gefährlich und dunkel an. Also hatte Michelle doch recht gehabt, Lucius gehörte zur dunklen Seite. Obwohl, so wie er da vor mir saß machte er eigentlich keinen so gefährlichen Eindruck. Außerdem fühlte ich mich bei ihm einfach nur wohl, Todesser hin oder her.
Ansprechen wollte ich ihn allerdings auch nicht darauf, sonst würde er sich bestimmt wieder zurück ziehen. Und jetzt erst verstand ich, wieso Lucius so drauf erpicht gewesen war unser Treffen geheim zu halten. Ich wollte gar nicht daran denken, was Michelle sagen würde, wenn sie erführe, dass ich etwas mit einem Todesser hatte. Besser, ich würde ihr nicht sofort davon erzählen.
„Dann musst du jetzt gehen?" beendete ich meine Überlegungen und wandte mich wieder Lucius zu.
„Eigentlich schon, aber ich habe gar keine Lust dazu." Er verdrängte die Schmerzen und sah mich an. „Ich würde viel lieber da weiter machen, wo wir gerade unterbrochen wurden."
Ich ließ mich von ihm auf seinen Schoß ziehen.
„Und was ist damit?" Sanft strich ich über das Mal.
„Ach, die Schmerzen hören nach ein paar Minuten auf. Aber ich sollte Jason eine Nachricht schreiben, damit er sich nicht wundert, warum ich nicht komme."
Er stand auf und fand in Snapes Schreibtisch Pergament und eine Feder. Schnell kritzelte er eine kurze Nachricht. Dann stieß er einen schrillen Pfiff aus und öffnete die Tür. Wenig später kam eine große Eule hereingeflogen. Lucius band ihr die Nachricht ans Bein.
„Bring sie zu Jason", trug er ihr auf und kraulte das Tier am Kopf. Die Eule schuhute zum Abschied und flog davon.
Als Lucius meinen fragenden Blick sah, musste er schmunzeln.
„Eulenpost."
„Aha."
Der laute Gong der großen Turmuhr weckte uns. Mir taten sämtliche Glieder weh und ich beschloss, dass es keine gute Idee war auf einem Tisch zu schlafen.
„Oh je, es ist ja schon morgens."
„Ja, wir müssen uns beeilen. Es ist zwar Samstag, da kommen keine Schüler, aber Snape könnte auftauchen."
Lucius kam zu mir und hob mich vom Tisch. Er stellte mich auf die Füße und ich stöhnte leise auf.
„Ich fühl mich ganz steif."
„Dann weißt du ja, wie ich mich heute Nacht gefühlt habe." Er grinste anzüglich.
„Ich weiß, das hab ich gemerkt", grinste ich zurück.
„Am besten ist, wir gehen getrennt hier raus", meinte er, nachdem er mir einen langen Kuss gegeben hatte.
„Oder wir schließen ab und gehen gar nicht mehr raus." Ich lehnte mich an ihn und er streichelte meinen Rücken.
„Gute Idee, aber erklär das mal Snape."
„Hast ja recht. Geh du zuerst. Ich warte dann noch ne Weile."
Lucius strich mir durchs Haar, sah mich zärtlich an und verließ den Raum.
Ich setzte mich auf einen Tisch, ordnete meine Kleider und versuchte nicht ganz so verschlafen auszusehen.
Lucius war wirklich ein bemerkenswerter Mann. Dass ein Mann zwei so unterschiedliche Seiten haben konnte. Auf der einen Seite war er arrogant, überheblich und nur auf seinen Vorteil bedacht. Aber heute Nacht hatte ich eine ganz andere Seite kennengelernt. Er war sanft, liebevoll und ausgeglichen gewesen und ich war mir sicher, dass nur wenige diese Seite von ihm zu sehen bekamen.
Schritte auf dem Flur unterbrachen meine Gedankengänge. Sie näherten sich der Tür. Vielleicht sollte ich mir schnell eine Erklärung für mein Hier sein einfallen lassen.
