Kapitel 5

Den restlichen Tag verbrachte Hermine mit der Durchsicht von Snapes Unterlagen. Sie hatte es sich draußen, in der Nähe des Sees, unter einem Baum gemütlich gemacht und las aufmerksam die Beurteilungen der einzelnen Schüler durch. Überraschenderweise hatte der zynische Zaubertränkemeister bei seinen Notizen auf jeglichen Sarkasmus verzichtet.

Dass er ihr diese Aufzeichnungen überlassen hatte, wunderte sie immer noch. Mit einer solchen Unterstützung hatte sie, nachdem er sie zunächst so offensichtlich abgelehnt hatte, nicht gerechnet.

Beim Abendessen wurde Ihr die neue Wildhüterin von Hogwarts, Madame Peephole, vorgestellt.

Von Hagrid, mit dem sie in regem Eulenkontakt stand, war sie schon darüber unterrichtet worden, dass eine Frau seine Nachfolge angetreten hatte.

Die etwas mollige Blondine erinnerte Hermine stark an eine der Hauptdarstellerinnen aus einer Muggel-Fernsehserie, in der vollbusige Frauen in roten Badeanzügen und knackige Männer in ebensolchen Badehosen ständig Leute vor dem Ertrinken im Meer retteten. Ron, mit dem sie eine Zeit lang in einer Wohngemeinschaft gelebt hatte, war bei dieser Sendung jedes Mal regelrecht vor dem Fernseher, der ihn ohnehin über die Maßen faszinierte, geklebt.

Madame Peephole saß während des Dinners, scheinbar freiwillig, auf dem Platz, den Hermine mangels anderer Optionen am Morgen eingenommen hatte. Diese war darüber nicht unglücklich, denn nach einem neuerlichen Schlagabtausch mit Snape, noch dazu vor Publikum, war ihr nach den Erfahrungen vom Vormittag, nicht gerade zumute.

Sie war erleichtert - auch wenn es sie zugegebenermaßen ein klein Wenig wurmte - dass Snape sie seit dem Betreten der Halle keines Blickes gewürdigt hatte und sie sich in aller Ruhe mit Professor McGonagall, die neben ihr Platz genommen hatte, unterhalten konnte.

Hermine", sagte diese gerade, „hätten sie Lust, mit Poppy und mir heute abend noch ein Gläschen zu trinken? Man muss die Gelegenheit ausnutzen und, solange noch keine Schüler da sind, ein bisschen auf den Putz hauen", fügte sie flüsternd hinzu und zwinkerte Hermine verschwörerisch zu.

Die Hauslehrerin der Gryffindors schien sich wirklich geändert zu haben. Oder aber, die strenge, überkorrekte Dame, die Hermine in Erinnerung hatte, war nur eine Rolle, die McGonagall vor den Schülern spielte, um sich Respekt zu verschaffen.

„Vielen Dank für die Einladung, Minerva", sagte Hermine, „aber ich weiß nicht so recht – ich bin ziemlich erledigt und muss auch noch einiges für den Unterricht vorbereiten."

„Ach was", wischte McGonagall ihre Einwände fröhlich vom Tisch, „dafür haben sie morgen noch den ganzen Tag Zeit und außerdem, wie ich sie kenne, sind sie bestimmt jetzt schon besser auf den Schulbeginn vorbereitet, als irgend jemand anders in diesem Raum.

McGonagall sah sie aufmerksam an. „Dass sie erledigt sind glaube ich allerdings gerne. Als sie heute mittag mit Monsieur Fledermaus wieder aus dem Kerker auftauchten, sahen sie völlig erschöpft aus. Was hat dieser unmögliche Mensch mit ihnen angestellt?"

„Eigentlich," sagte Hermine verlegen, „nichts außergewöhnliches, zumindest nicht für seine Verhältnisse."

„Na, das sagt doch schon alles", schnaubte McGonagall verächtlich. „Kommen sie doch nachher noch mit zu mir." Sie stupste Hermine leicht mit dem Ellenbogen in die Seite. „Bei einem Glas Wein über einen bescheuerten Kollegen abzulästern hat noch keinem geschadet", fügte sie grinsend hinzu.

„Okay", kicherte Hermine, „sie haben mich überzeugt. Wo wir gerade vom Lästern sprechen, was zum Teufel treibt eigentlich Madame Peephole da drüben?"

„Die gute Pam versucht mit unserer Lieblichkeit, Professor Snape, zu flirten, wie immer", sagte McGonagall schmunzelnd. „Anfangs hat er darauf noch reagiert und ihr, in seiner unnachahmlich charmanten Art, eine Gemeinheit nach der anderen untergejubelt. Aber nachdem er feststellen musste, dass sie die meisten seiner Anspielungen gar nicht kapierte, hat er das schnell aufgegeben. Er nimmt gewöhnlich so viel Notiz von ihrem Gebrabbel, wie vom Gesumm einer Stubenfliege und haut ihr nur noch hin und wieder ein paar ausgesucht bösartige Anmerkungen um die Ohren, was sie aber nicht weiter zu stören scheint."

„Wenigstens der Direktor scheint seinen Spaß an ihrem Gebaren zu haben", bemerkte Hermine.

„Oh ja, Albus amüsiert sich dabei immer köstlich. Er verdächtigt Severus allerdings, eine Art Schallschutzzauber um seine Ohren gelegt zu haben, der speziell den Redeschwall von Pamela abwehrt", sagte McGonagall. „Ich tendiere mehr zu der Meinung, dass er das Gelaber einfach so erträgt, zugunsten des Ausblicks auf ihre zwei überzeugendsten Argumente", fügte sie anzüglich grinsend hinzu und deutete mit beiden Händen eine übertrieben üppige Oberweite an.

Hermine sah nachdenklich zu Snape und der kurvigen Wildhüterin hinüber. Wenn er auf solche Formen stand, war es kein Wunder, dass er sie zu dünn fand. Aber das ging ihn ohnehin überhaupt nichts an – ebenso wenig, wie ihre Essgewohnheiten!

Als sie später in Professor McGonagalls Wohnzimmer gemütlich mit den beiden anderen Frauen zusammensaß, und kräftig dem vorzüglichen Wein zusprach, brachte sie eben dieses Thema zur Sprache.

„Snape hat beim Frühstück gesagt, ich esse zu viel", erzählte sie, die Nase rümpfend, den beiden Kolleginnen, „und außerdem, hat er gesagt, bin ich trotzdem erschreckend dünn."

Madame Pomfrey riss erstaunt die Augen auf. „So ein Blöööödsinn!", rief sie und sah Hermine von oben bis unten an. „Ich wünschte ich hätte deine Figur", fügte sie etwas neidisch hinzu und nahm noch einen großen Schluck aus ihrem Weinglas.

„Da hat er ja Glück gehabt, unser Grufti-Bär", kicherte McGonagall, „dass er sich heute abend am Anblick einer zwar doofen, aber ganz und gar nicht dürren Tischdame erfreuen durfte."

Sie hatte ihren strengen Haarknoten gelöst und ihre langen Haare wallten um ihre Schulten, was sie wesentlich jünger wirken ließ. Wie ihre Besucherinnen, hatte auch sie schon eine beachtliche Menge Wein intus.

„Unser William, der schnuckelige Schatz, hat´s da eher auf schlankere Frauen abgesehen", gluckste Pomfrey und zwinkerte Hermine vielsagend zu.

„Unsinn – doch nicht auf mich!", sagte Hermine mit Nachdruck.

„Klar doch – nicht auf dich!", prustete McGonagall. „Er hat dich sicher nur aus Versehen die ganze Zeit angestarrt.

„Wie angestarrt?", fragte Hermine ungläubig.

„Wie die Katze die Milch", sagte Pomfrey.

„Wie ein Verdurstender das Wasser", keuchte McGonagall.

„Wie Albus seine Süßigkeiten", säuselte Pomfrey.

„Wie Mr. Filch Mrs. Norris", gurrte McGonagall.

„Ist schon gut, ich hab´s kapiert", sagte Hermine lachend.

„Wie die liebe Pamela den lieben Severus", schob Madame Pomfrey nach und rutschte, während sie erneut nach ihrem Weinglas griff, langsam von ihrem Stuhl auf den Boden, wo sie kichernd mit einem leichten Plumps landete.

„Wie die Schlange das Kaninchen – ach nein – das fällt eher in das Ressort von Slytherins putzigem Hauslehrer", gluckste McGonagall und folgte ihrer Freundin in gleicher Weise auf den Teppich.

„Komm doch auch runter Hermine", meinte Pomfrey grinsend, „ist viiiiel gemütlicher hier unten!"

Hermines Plumpser fiel etwas heftiger als beabsichtigt aus, was sie mit einem lauten „Autsch – verdammt!" kommentierte.

„Das liegt nur an deinem knochigen Hintern, Schätzchen", prustete McGonagall, „du bist einfach viel zu dürr!"

„Unser einer hat viel mehr Pölsterchen am Ar..., du-weißt-schon-wo", flötete Pomfrey.

Die Drei alberten noch eine Weile ausgelassen herum. Hermine fühlte sich so wohl, wie schon lange nicht mehr. Sie genoss die Gesellschaft der beiden älteren Frauen sehr, die sie in ihrer Schulzeit niemals von dieser Seite kennen gelernt hatte. Dass sie von den beiden so herzlich in ihrer Mitte aufgenommen worden war, erfüllte sie mit einem warmen Gefühl der Geborgenheit, zu dem vielleicht auch der reichlich konsumierte Wein einen kleinen Teil beitrug.

„Du hast uns noch immer nichts von deiner vormittäglichen Kerkertour mit Graf D. berichtet, Minchen", bemerkte McGonagall, während sie mit geübten Handgriffen die dritte Flasche Wein öffnete.

Beide Damen sahen ihre junge Kollegin erwartungsvoll an.

„Also, das war so", begann Hermine und versuchte sich zu konzentrieren, „zuerst war er zu schnell - dann war er nett aber zu langsam - dann hat er gesagt, ich soll die Gänge nicht voll kotzen – danach war er überhaupt nicht nett sondern ganz gemein – dann hab´ ich die Tür zugehauen – da hat er mich geschüttelt..."

„GESCHÜTTELT?", riefen ihre Zuhörerinnen gleichzeitig.

„Ja, und ich hab´ ihn geschupst – das war aber nix – trotzdem hat er mich nicht mit einem Fluch gedingst, ihr wisst schon – dann haben wir über Zaubertränke geredet, gaaanz lange – danach hat er mich wieder geärgert – hat gesagt ich wär´ entzückend wütend aber kein Professor und ich soll nicht auf seiner Stufe rumhängen oder so, oder nur wenn ich brav bin, dann krieg ich auch seine Unterlagen – und dann ist die Katze gekommen und ich hab´...Scheiße, was hab ich mir dabei nur gedacht...- dann hat er mich noch mal so richtig fies verarscht – und zum Schluss war er ein klitzekleines Bisschen komisch irgendwie, aber wieder nett."

Erschöpft, von diesem ausführlichen Bericht, ließ sich Hermine rücklings auf den Teppich fallen.

„Er hat dich wirklich geschüttelt", fragte McGonagall noch einmal ungläubig.

„Wir müssen dich sofort auf eventuelle Schäden untersuchen", sagte Pomfrey in ihrem Krankenschwestern-Tonfall. „Womöglich hast du ein schlimmes Schütteltrauma!" Sie erhob sich ächzend. „Lass dich mal anschauen, Hermine! Was genau ist denn passiert?"

Hermine, der die ganze Aufregung eher peinlich war winkte ab. „Hey, mir geht's gut – ich bin nicht so empfindlich", sagte sie, in der Hoffnung, die Beiden würden das Thema fallen lassen.

„Hermine Granger, nun spucks´ schon aus", sagte Professor McGonagall schneidend und setzte ihre strenge Hauslehrerinnen-Mine auf.

„Na ja", sagte Hermine verlegen, „er hat mich halt bei den Schultern gepackt..."

„Herzeigen!", kommandierte Pomfrey in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Hermine verdrehte die Augen, aber schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als den Pullover über die Schultern nach unten zu streifen und sich von den beiden Frauen, die sich sofort wie die Geier auf sie stürzten, untersuchen zu lassen.

„Ha! Da sind blaue Flecken!", rief die Krankenschwester triumphierend.

„Hier sind auch welche!", meldete McGonagall von der anderen Seite.

Beide sahen sie Hermine an, als wäre das Zufügen von blauen Flecken das Schrecklichste, was ein Mensch einem anderen antun konnte.

„Das werden wir ihm nicht durchgehen lassen", sagte McGonagall drohend.

„STOP!", rief Hermine energisch und hob abwehrend die Hände, wobei der Pullover wieder über die verräterischen Flecken rutschte. „WIR werden in dieser Sache gar nichts unternehmen!"

Sie sah McGonagall und danach Pomfrey eindringlich in die Augen. „ICH werde diese Angelegenheit mit Professor Snape ganz alleine regeln."

McGonagall kniff missbilligend die Augen zusammen, sagte aber nichts.

„Aber Hermine", sagte Pomfrey hilflos, „er hat dich doch angegriffen!"

„Das war kein Angriff, sondern nur eine Reaktion", erklärte Hermine, „ich habe ihn absichtlich provoziert, obwohl ich wusste, dass er leicht ausrastet."

„Warum tust du so was?", fragte Pomfrey erstaunt.

„Weil ich es kann!", sagte Hermine arrogant und zog die Augenbrauen hoch.

Die zwei Frauen sahen Hermine verdutzt an, bis McGonagall schließlich anfing zu kichern und, Sekunden später, beide sich vor Lachen bogen.

„Du hast das gerade ganz genauso gesagt, wie es Severus selbst es gesagt hätte – einfach köstlich!", keuchte McGonagall.

„Vielleicht wird aus mir ja doch noch eine würdige Zaubertrank-Nachfolge-Professorin", grinste Hermine.

„Aber ihr müsst mir versprechen, nichts zu ihm zu sagen, wegen der Schüttelei und allem, was ich euch erzählt habe", fuhr sie in ernsterem Tonfall fort, „ich will das alleine regeln, okay?"

„Okay", seufzte McGonagall.

„Versprochen", sagte Pomfrey.

„Ich habe eine Idee, Mädels", sagte McGonagall kurz darauf, „warum gehen wir nicht noch hinauf, auf den Astronomieturm. Die Nacht ist sternenklar – man müsste einen phantastischen Ausblick haben."

„Super!", stimmte Pomfrey begeistert zu. „Aber die Weinflasche nehmen wir mit!"

Wenige Minuten später waren sie bereits auf dem Weg und Hermine freute sich darauf, das erste Mal durch das nächtliche Schloss zu streifen, ohne Angst haben zu müssen, von einem Lehrer, insbesondere von einem ganz bestimmten, erwischt zu werden.

McGonagall hatte Recht gehabt – der Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel war wirklich atemberaubend. Die drei Frauen saßen eine Weile nur still da, den Rücken an die Mauer gelehnt, und bewunderten die funkelnde Pracht. Danach lehrten sie die letzte Flasche Wein, während sie über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen philosophierten.

Als sie schließlich eine nach der anderen anfingen zu gähnen, beschlossen sie, ihre kleine Feier allmählich zu beenden und kletterten vorsichtig die steile Wendeltreppe hinunter. Etwas wackelig auf den Beinen tapsten die zwei älteren Damen hinter der ebenfalls leicht schwankenden Hermine her, die den dunklen Flur mit ihrem Zauberstab notdürftig beleuchtete.

Als sie um die letzte Ecke vor dem Treppenhaus bogen blieb Hermine plötzlich stehen und starrte angestrengt zu einer dunklen Stelle in einer Fensternische.

„Da hat sich gerade was bewegt", flüsterte sie den anderen zu.

„Ich hab´ nichts gesehen", flüsterte Pomfrey zurück.

„Das wirst du dir eingebildet haben, Hermine", sagte McGonagall müde.

„Hat sie nicht!", sagte eine Stimme aus dem Dunklen.

Hermine schrie erschrocken auf und machte einen Satz zurück, womit sie Pomfrey beinahe umgeworfen hätte.

„Severus – verdammt!", fluchte McGonagall. „Was lungern sie hier im Dunklen herum und erschrecken andere zu Tode?"

Snape trat aus der Nische heraus und ging langsam auf die drei Frauen zu.

„Verzeihen sie, Teuerste, ich konnte ja nicht ahnen, dass zu so nachtschlafender Zeit noch jemand auf den Gängen unterwegs ist und noch dazu...", er sah McGonagall abschätzig an, „...sturzbesoffen?"

Die Gryfindor-Hauslehrerin stemmte wütend die Hände in die Hüften. Dass sie dabei leicht schwankte, beeinträchtigte jedoch die Wirkung ihres Auftritts ein wenig.„Das geht sie einen feuchten Sch...", fauchte sie.

„Severus!", wurde sie von Pomfrey unterbrochen. „Sein sie doch nicht so streng mit uns – wir haben nur ein Gläschen Wein getrunken und oben, auf dem Turm, die Sterne bewundert."

„Muss ein verteufelt großes Gläschen gewesen sein", bemerkte Snape trocken und wandte sich dann Hermine zu.

„Irgendwie habe ich ein starkes De-ja-vous-Gefühl, Miss Granger. Könnte es sein, dass ich sie früher schon mal nachts, beim Herumstreunen, erwischt habe?"

„Ich streune nicht herum", sagte Hermine, „ich bin nur auf dem Heimweg – völlig legal mittlerweile – tut mir leid für sie, Professor."

Snape entzündete mit einer Handbewegung und einem leichten „Plopp" eine der Fackeln, die an der Wand hingen, ging langsam um Hermine herum und musterte sie von oben bis unten. „Wenn mich nicht alles täuscht, haben sie ihre Neu-Professorinnen-Nase auch etwas zu tief in besagtes Gläschen gesteckt", sagte er ungerührt als er wieder vor ihr stand und mit einem Blick auf den immer noch erleuchteten Zauberstab in Hermines Hand, der in seine Richtung zeigte: „Stecken sie den mal lieber weg, bevor sie noch jemanden verletzen, in ihrem Zustand."

Wütend wedelte Hermine mit ihrem Zauberstab und entzündete sämtliche, in der Nähe befindliche Fackeln. Nach etlichen „Plopps" war es nun fast taghell in dem vormals dunklen Flur.

„Verletzen?", fauchte sie und baute sich vor ihm auf. „Das müssen gerade SIE sagen!"

„Was soll das heißen?", sagte er mit einem bedrohlichen Unterton.

Sie standen sich gegenüber wie zwei Kampfhähne, sich gegenseitig fixierend und jederzeit bereit anzugreifen. McGonagall und Pomfrey beobachteten gebannt und schweigend dieses Schauspiel.

„Was das heißen soll? – Ich zeige es ihnen!", zischte Hermine.

„DAS...", rief sie und zog sich mit einem Ruck den Pullover über die rechte Schulter, „...WAREN SIE!" - sie präsentierte ihm linke Schulter.

Sprachlos musterte Snape die, im hellen Schein der Fackeln deutlich sichtbaren Abdrücke, die seine Finger auf ihrer Haut hinterlassen hatten.

Über seine Gesichtszüge glitten nacheinander, in sekundenschnelle wechselnd, eine ganze Reihe von Emotionen – von völliger Fassungslosigkeit, in dem Moment, als sie sich entblößte, über ein leises begehrliches Aufflackern in seinen Augen (Hermine wollte darüber lieber nicht genauer nachdenken), über die plötzliche Erkenntnis tatsächlich einen Fehler begangen zu haben, dem daraus resultierenden Schuldgefühl und der Reue, bis hin zu einem Gesichtsausdruck, der nur einen Schluss zuließ: Die Situation war ihm ganz fürchterlich peinlich!

„Miss Granger...", sagte er leise und mit rauer Stimme, „...ich weiß nicht, was ich sagen soll...", er wandte den Blick ab und starrte fast verzweifelt auf ihre Schuhspitzen.

Hermine spürte ein berauschendes Gefühl der Macht – in dieser Sekunde hatte sie den Mann, der sie so viele Jahre gedemütigt hatte, völlig in der Hand.

„Lassen sie es gut sein, Professor Snape", sagte sie, und ihr herablassender Ton zauberte einen noch gequälteren Ausdruck, aber auch einen deutlichen Ansatz von unterdrückter Wut auf sein Gesicht, „ich bin hart im Nehmen. Ich würde ihnen nur dringend anraten, ihre ausufernden Aggressionen besser in den Griff zu kriegen – sonst könnte es eventuell passieren", sie machte eine kleine Pause und zupfte ihren Pullover wieder an die richtigen Stellen, „dass gewisse Zweifel an ihrer Professionalität aufkommen."

Snape atmete tief durch, sagte aber nichts.

Um der ganzen Sache noch zu einem krönenden Abschluss zu verhelfen, wandte sich Hermine nun an ihre stillen Zuschauerinnen.

„Wie sieht´s aus, Minerva", sagte sie, sah aber weiterhin Snape an, „kann ich Slytherin dafür eigentlich ein paar Punkte abziehen – so um die 100 vielleicht."

Snapes Kopf schnellte ruckartig nach oben und er funkelte sie zornig an. Die Wut angesichts dieser neuerlichen Unverschämtheit hatte sein Schuldbewusstsein scheinbar weitgehend verdrängt.

Hermine lächelte ihn süß an. „Regen sie sich nicht auf, Professor – war nur ein kleines Scherzchen!", flötete sie, „Wenn sie versprechen, in Zukunft ganz brav zu sein, ziehe ich ihrem Haus nur 50 Punkte ab."

Im Hintergrund presste McGonagall die Hand auf dem Mund, um ihr Kichern zu unterdrücken und auch Pomfrey kniff verdächtig die Lippen zusammen.

Snape, der nun allem Anschein nach kurz vor dem Explodieren war, warf einen mörderischen Blick in ihre Richtung, bevor er sich Hermine zuwandte.

„Jetzt ist Schluss, Miss Granger!" Seine Stimme hallte wie ein Peitschenknall durch den nächtlichen Flur.

„Ich entschuldige mich für die Sache mit ihren Schultern", sagte er gepresst, „obwohl sie diesen Ausrutscher durch ihre Unbesonnenheit eigentlich selbst verursacht haben – aber wenn sie mich auch nur noch eine Sekunde länger provozieren, dann wird es ihnen leid tun – dass schwöre ich ihnen..." Er beugte sich zu ihr herab, bis sein Gesicht beinahe den Haaransatz an ihrer Schläfe berührte. „...und es könnte dann sein, dass sie noch ganz wo anders blaue Flecken kriegen", raunte er leise.

„Wollen Sie mir etwa schon wieder drohen?", flüsterte Hermine heiser.

„Erraten!", war die knappe Antwort.

Sie starrten sich angriffslustig in die Augen und keiner machte Anstalten, den Rückzug anzutreten.

McGonagall, die zusammen mit Pomfrey dieses neuerliche Gefecht gespannt verfolgt hatte, räusperte sich.

„Es ist spät – ich glaube wir sollten jetzt lieber alle schlafen gehen", sagte sie beschwichtigend.

„Welch überaus vernünftiger Vorschlag", entgegnete Snape und nickte anerkennend. „Wirkt der Alkohol nicht mehr?"

Bevor sie ihm darauf etwas Deftiges antworten konnte, wurde sie auch schon von Madame Pomfrey und Hermine untergehakt und in Richtung Treppe gezogen. Währen die Drei die aufwärtsführenden Stufen hinauf stiegen, machte sich Snape in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg.

„Sie sind eine richtige Spaßbremse, Snape", schrie ihm McGonagall über das Geländer gebeugt hinterher.

„Schlafen sie ihren Rausch aus, Gnädigste", ertönte eine genervte Stimme von unten.

„Gute Nacht Severus – schlafen sie gut", zwitscherte Pomfrey.

„Und träumen sie was Schönes!", rief Hermine.

Einige Zeit später lag Severus Snape auf dem Bett und neben ihm, nah an ihn geschmiegt, seine Katze. Er hatte das Licht im Schlafzimmer auf ein Minimum gedämpft, nachdem er zu müde geworden war, das Buch, das nun neben ihm auf dem Kissen lag, weiterzulesen. Er schloss die Augen und während er mechanisch die Katze streichelte, wanderten seine Gedanken zurück, zu der nächtlichen Konfrontation mit Granger. Dieses kleine Biest hatte ihn tatsächlich ziemlich gekonnt in die Enge getrieben. Aber letztendlich war sie doch klug genug gewesen, ihre Attacken einzustellen. Er würde ihr in den nächsten Tagen deutlich klarmachen müssen, dass sie sich so etwas mit ihm nicht noch einmal erlauben konnte.

Langsam ließ er seine Hände über das warme glatte Fell der Katze gleiten - eigentlich war es sehr glatt – ZU GLATT! Es fühlte sich gar nicht wirklich wie Fell an. Vorsichtig tastete er sich weiter hinauf: Na also – doch Fell: weiche, warme Haare – LOCKIGE, LANGE HAARE...was zum Teufel war hier los? Snape zog langsam seinen Arm zurück öffnete die Augen. Das, was da neben ihm lag, war definitiv keine Katze, sondern eine Frau – genauer gesagt – eine nackte Frau. Mit angehaltenem Atem betrachtete er ihren schlanken Köper. Sie lag halb auf dem Bauch, das Gesicht von einer Flut brauner Locken verdeckt und ihre ruhigen, regelmäßigen Atemzüge deuteten darauf hin, dass sie schlief.

Vorsichtig streckte er seine Hand nach ihr aus um sich selbst zu beweisen, dass er nicht halluzinierte. Sie war real – er konnte sie anfassen – und es löste ein äußerst angenehmes Gefühl aus, sie anzufassen. Langsam und zärtlich ließ er seine Finger über den wohlgeformten Körper seiner unbekannten Besucherin gleiten, den Rücken hinunter über die sanfte Rundung der Pobacken und wieder zurück. Als er ihre langen Haare anhob und auf die Seite schob, um einen Blick auf ihr Gesicht werfen zu können, wurde dabei auch eine ihrer Schultern freigelegt. Snape sog scharf die Luft ein – auf der Schulter prangte unübersehbar ein blauer Fleck.

Eine Stimme in seinem Hinterkopf riet ihm dringend, sich umgehend aus diesem Bett zu entfernen, doch er konnte sich absolut nicht dazu durchringen. Gebannt starrte er auf die entblößte Schulter, beugte sich dann wie in Trance hinunter und küsste die dunkel verfärbte Stelle.

Diese Aktion brachte mit einem mal Leben in die reglose Frau. Sie stützte sich auf ihre Unterarme und hob langsam den Kopf. Einige Sekunden lang schaute ihn Hermine Granger mit weit aufgerissenen Augen entsetzt an, bevor sie mit einer flinken Bewegung die Beine unter den Körper zog wie ein Raubtier, das zum Sprung ansetzt. Er wich ein Stück zurück und brachte sich in eine halbsitzende Position. Die junge Frau, die sich aus unerklärlichen Gründen in seinem Bett befand, war offensichtlich unglaublich wütend. Ihre Bernsteinaugen sprühten zornige Funken und in den wilden Locken, die wie ein Wasserfall ihr Gesicht umrahmten, schienen rötliche Lichter zu tanzen. Sie versuchte nicht ihre Nacktheit zu bedecken sondern gab im Gegenteil den Blick auf eine äußerst hübsche Brust frei, als sie mit dem rechten Arm nach hinten ausholte. Völlig gefangen genommen von diesem Anblick erkannte der zukünftige Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste die Absicht, die dahinter steckte, erst als es zu spät war und die Ohrfeige ihn mit voller Wucht erwischte.

„KLATSCH"

Snape schreckte hoch und saß senkrecht im Bett. Neben ihm lag Hermine, die Katze und schaute ihn mit großen Augen an, verwundert über sein seltsames Gebaren. Von Hermine, der nackten Frau - keine Spur.

Er strich sich mit der Hand über die Wange, die sich nicht im Mindesten geohrfeigt anfühlte.

Ein Traum! Es war nur ein verdammter Traum gewesen! ...Und abgesehen von dem gewalttätigen Ende, ein äußerst anregender.

Außerdem, bei näherer Betrachtung: ein Beweis, dass er zu lange keine Frau mehr gehabt hatte. Dass er schon anfing Miss Hermine Ich-weiß-alles Granger erotische Aspekte abzugewinnen, deutete stark auf einen sexuellen Notstand hin.

Da es unwahrscheinlich war, dass er noch einmal würde einschlafen können und ohnehin bereits der Morgen graute, beschloss er aufzustehen und zu duschen – aus gegebenem Anlass, ein paar Grad kälter als sonst.